Straßenblockaden = Gewalt?

In der globalisierungskritischen Bewegung finden anlässlich des G8-Gipfels in Rostock-Heiligendamm Diskussionen darüber statt, welche Protest- und Aktionsformen legitim sind. Dabei wird auch über die „Gewaltfrage“ debattiert.
 

von Ronald Luther, Berlin

Ausgelöst wurde die Diskussion über „Gewalt“ durch Politiker und Medien. Da sie große Proteste befürchten, versuchen sie den Eindruck zu erwecken, mit den Demonstrationen würde es zwangsläufig zu Chaos und Ausschreitungen kommen. Indem sie ein Bild zeichnen, dass jeder, der gegen Bush, Merkel und Co. auf die Straße gehen will, um seine Haut fürchten muss, wollen sie von den Gründen für die Gegenwehr ablenken, einschüchtern und die Beteiligung senken.

Über „gute“ und „böse“ Demonstranten

Die DemonstrantInnen sollen in „gute“ und „böse“ unterteilt werden. So will die Polizei gegen gewaltsame Proteste „konsequent einschreiten“, hingegen „friedliche Demonstrationen gewährleisten und schützen“. Die Frage ist, ob bereits bestimmte Demonstrationen und vor allem friedliche Straßenblockaden als „gewalttätig“ eingestuft werden sollen.

Um die Staats- und Regierungschefs vor den „Chaoten“ zu beschützen, wurde bereits ein 12,5 Millionen Euro teurer, 2,50 Meter hoher und 13 Kilometer langer Zaun errichtet. Gefängnisse werden schon mal geräumt und Käfige für Gefangene aufgestellt. Farbbeutel-Würfe auf Häuserwände werden als „Farb-Anschläge“ bezeichnet. Kriegsschiffe, Kampfflugzeuge, Geheimdienste und Bundeswehrsoldaten sollen die Gipfel-Gäste vor „Terroranschlägen“ schützen. EinwohnerInnen von Heiligendamm und Umgebung wurden auf „Zuverlässigkeit“ durchleuchtet. Die Genehmigung von Protestcamps wird hinausgezögert, so dass die Bevölkerung in der Region Angst bekommt, dass die Protestteilnehmer in ihren Vorgarten übernachten werden.

Dabei gibt es keinen Grund dafür, dass Demos von Hunderttausenden oder Millionen zu Gewalt führen. Es gibt genug Beispiele für friedliche Großdemos. Oft ist es gerade der Staatsapparat, der Provokateure in die Reihen der Demoteilnehmer einschleust, um Unruhen auszulösen. So zum Beispiel bei den G8-Protesten in Genua vor sechs Jahren. Wenn die Proteste gut vorbereitet sind und die Organisatoren OrdnerInnen einsetzen, dann ist gerade eine große Teilnehmerzahl das beste Mittel, damit Provokationen seitens der Polizei keine Wirkung erzielen.

Mit Politikern reden?

Der Koordinierungskreis von Attac reagierte in einer Stellungnahme darauf, in der erklärt wurde, man könne „nicht zu Aktionen zivilen Ungehorsams aufrufen“, auch wenn „größte Hochachtung vor den Motiven unserer Mitglieder, die das ihrerseits tun“, bestehen würde.

Stattdessen führte Peter Wahl, Mitglied des Attac-Koordinierungsrates, lieber Gespräche mit Politikern wie dem Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern, Harald Ringstorff, und dem Ros-tocker Oberbürgermeister, Roland Methling. Empörte Reaktionen gab es darauf hin unter anderem von der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB), die in einem offenen Brief darauf hinwies, dass „Direkte Aktionen“ wie „symbolische Sachbeschädigungen“ ein legitimer „lauter Aufschrei“ seien, „der nötig ist, um sich im sensationslüsternen Medienmarkt (…) Gehör zu verschaffen“. Attac entgegnete auf die Kritik, man wolle nun doch gemeinsam „mit vielen anderen den G8-Gipfel massenhaft und gewaltfrei blockieren“, auch wenn Attac „aus politischen und formalen Gründen“ nicht dazu aufrufen könne.

Die ALB, die die Hysterie der Bürgerlichen ins Visier nehmen will, schießt über das Ziel hinaus, wenn sie davon spricht, dass auch Sachbeschädigungen legitime Formen des Widerstandes seien. Diese Einzelaktionen sind kontraproduktiv. Sie tragen dazu bei, dass Politiker und Polizei die Bewegung kriminalisieren können. Statt über die Ideen der globalisierungskritischen Bewegung berichten die Medien dann lieber über die „Krawalle“. Dadurch werden Teile der Bevölkerung abgeschreckt, die selber Opfer der G8-Politik sind und für Proteste gewonnen werden könnten. Allerdings ist das Verhalten der Attac-Führung genauso abzulehnen. Statt Gespräche mit Politikern zu suchen, gegen die man ja eigentlich protestieren will, sollte die Debatte über Protest- und Aktionsformen innerhalb der globalisierungskritischen Bewegung geführt werden.

Massenproteste und Streiks

Die SAV unterstützt den Widerstand einschließlich Blockaden gegen kapitalistische Institutionen und beteiligt sich aktiv daran. Dabei treten wir für eine massenhafte Mobilisierung und für demokratische Entscheidungen ein.

Leider gibt es viel zu wenig Überlegungen bei den Aktionskonferenzen zur Vorbereitung von Demonstrationen, Protestcamps und Blockaden in Rostock darüber, wie Beschäftigte, Erwerbslose und Jugendliche angesprochen werden können. Einige der globalisierungskritischen Organisationen beschäftigen sich zu viel mit der „Protestszene“ und zu wenig mit Versuchen, Schritte hin zur arbeitenden Bevölkerung zu machen. In den verbleibenden Wochen und Tagen vor dem G8-Gipfel sollte dies aber im Mittelpunkt stehen.

Um den G8-Gipfel zum Scheitern zu bringen, werden auch 100.000 DemonstrantInnen am 2. Juni und die nachfolgenden Blockaden der Zufahrtsstraßen nach Heiligendamm nicht ausreichen. Deshalb ist die SAV der Meinung, dass viel mehr ArbeiterInnen für die antikapitalistischen Proteste gewonnen werden müssen. Die effektivsten „direkten Aktionen“ sind Streiks und Generalstreiks. Ein Generalstreik in Rostock und Umgebung wäre die kraftvollste und wirksamste Gegendemonstration. Wenn der Flughafen Rostock-Laage lahmgelegt wäre, wenn die Hotels der Gipfelteilnehmer bestreikt würden, wenn im Nahverkehr und in der öffentlichen Verwaltung die Arbeit eingestellt würde, dann hätten Bush, Merkel und Co. handfeste Probleme, zusammen zu kommen und ihre Vorhaben zu beschließen. Damit würde nicht nur die Logistik des Gipfels selbst unterbrochen, sondern es wäre auch ein scharfes Signal an die Vertreter von Politik und Wirtschaft, dass wir uns eben nicht mehr alles stillschweigend gefallen lassen. Zudem wäre es eine Ermutigung an Hunderttausende und Millionen in Deutschland und weltweit, Gegenwehr zu leisten. Politische Diskussionen über die Funktion solcher Gipfel, über Widerstand und Alternativen würde zunehmen.

Dafür haben sich Christine Lehnert (Abgeordnete der SAV/Liste gegen Sozialkahlschlag in der Rostocker Bürgerschaft) und andere Rostocker SAV-Mitglieder in den letzten Wochen und Monaten in Diskussionen mit verschiedenen Betriebs- und Personalräten, mit Gewerkschaftssekretären und Beschäftigten in der Stadt eingesetzt. Nötig sind Diskussionen in den Schulen, an den Unis und in Betrieben sowie Veranstaltungen, Öffentlichkeitsarbeit und Stadtteilversammlungen. Es gilt, an Vertreter-Innen in Betrieben und Gewerkschaften heranzutreten – mit dem Ziel, die Proteste bekannt zu machen, zu unterstützen und aktiv zu werden.

Es ist auch die Verantwortung der Gewerkschaftsführung, wie die Proteste gegen den G8-Gipfel verlaufen. Sie hätten die Macht, nicht nur Hunderttausende, sondern Millionen auf die Straße zu bringen und die Demonstrationen durch gut organisierte und ausgestattete Ordnerdienste gegen Polizeiangriffe und Provokationen zu verteidigen.

Die DGB-Führung nutzt ihre Möglichkeiten überhaupt nicht. Schlimmer noch: Sie lehnte es sogar ab, öffentlich zu der Demonstration am 2. Juni aufzurufen.

Seattle und Genua

Im November 1999 tagte in Seattle die Welthandelsorganisation (WTO). Zehntausende AktivistInnen der globalisierungskritischen Bewegung, Jugendliche, StudentInnen, UmweltschützerInnen und indische Bauern protestierten gegen deren Politik. Dort stießen aber auch Zehntausende ArbeiterInnen dazu. Insgesamt beteiligten sich somit 50.000 DemonstrantInnen an dem WTO-Protest. Das Establishment war davon völlig überrascht. Das führte dazu, dass sich der Beginn der Konferenz um Stunden verzögerte.

Beim G8-Gipfel in Genua nahmen am 21. Juli 2001 über 300.000 an einer Großdemonstration und Blockaden teil. Auch hier war es bedeutsam, dass neben den AktivistInnen der globalisierungskritischen Bewegung, Arbeitslosen und Jugendlichen besonders viele Beschäftige an den Protesten teilnahmen. Mobilisiert wurden diese durch linke Gewerkschaften, den Cobas, die Metallgewerkschaft FIOM und die Partei Rifondazione Comunista.

In Seattle und Genua waren nicht Hunderttausende Beschäftige auf den Beinen. Es kam nicht zu großen Streiks. Was nötig wäre, um solche Gipfel komplett lahmzulegen. Aber die relevante Beteiligung trug immerhin dazu bei, dass die Proteste besondere Ausstrahlungskraft hatten und dafür sorgten, dass in großen Teilen der Bevölkerung über die Anliegen der DemonstrantInnen gesprochen wurde. Von einer derartigen Mobilisierung ist in Deutschland und in Rostock leider noch nichts zu spüren.

Gemeinsam gegen G8

Angesichts möglicher Provokationen seitens der Polizei ist es wichtig, dass zum einen alles für eine bestmögliche Mobilisierung getan wird. Zum anderen muss mit der Aufstellung und einer guten Vorbereitung von Ordnerdiensten durch die beteiligten Organisationen und Gruppen für Schutz gesorgt werden. Die SAV tritt generell dafür ein, dass bei Großdemos und Blockaden von Bündnissen das Vorgehen im Vorfeld demokratisch diskutiert und beschlossen wird. Gruppen und Organisationen, die der Mehrheit der DemonstrantInnen ihre Aktionsformen aufzwingen (wollen), handeln destruktiv und undemokratisch.

Die SAV verteidigt alle Opfer staatlicher Repression und Verfolgung und tritt gleichzeitig dafür ein, dass in der antikapitalistischen Bewegung eine offene Auseinandersetzung über die Frage der anzuwendenden Mittel stattfindet.

Die Herrschenden fürchten nicht kaputte Fensterscheiben von Banken oder Tankstellen. Das regeln schon die Versicherungen. Sie fürchten eine Massenbewegung, die sich gegen den Kapitalismus wehrt und diesen in Frage stellt.