Italien: Kein klarer Sieg

ArbeiterInnen müssen aktiv werden um die Rückkehr des Premierministers der Großindustrie abzublocken.
 

von Clare Doyle, CWI

Wut und Empörung über die Art, wie Silvio Berlusconi Italien beherrscht hat und über sein Verhalten während der letzten Wochen des Wahlkampfes explodierten am Wahlabend als, an einem bestimmten Zeitpunkt, seine Rückkehr an die Macht möglich erschien. „Wenn dieser Clown wieder an die Macht kommt, wird das eine Schande für Italien sein, mit der es nicht leben kann!“ Das war die Antwort einer ehemaligen Lehrerin und Mutter von zwei Kindern in Rom. Als es nach Stimmengleichstand aussah, war sie entrüstet. „Sie zählen die Stimmen von Soldaten, die von Botschaften im Ausland überwacht werden aber sie geben keinem Immigranten, der in Italien lebt und arbeitet die Möglichkeit ‚Nein’ zu den Rechten zu sagen!“
Meinungsumfragen gaben am Abend des 10. Aprils dem „Unione“-Bündniss, der Mitte-Links-Opposition mit Romano Prodi als Führung und voraussichtlichem nächsten Premierminister, einen klaren Vorsprung von 5%. Das hätte letztlich den „Cavalier“ Berlusconi von seinem hohen Ross geholt – den reichsten Mann Italiens, den Wirtschafts-Tycoon und Medienmagnaten, der während der letzten fünf Jahre die Rechte und den Lebensstandard von ArbeiterInnen, Jugendlichen und MigrantInnen rücksichtslos mit Füssen getreten hat.
Aber als die Endergebnisse bekannt wurden, wurden die Siegesfeiern verschoben. Erst um drei in Früh erklärte Romano Prodi letztlich auf Basis der offiziellen Zahlen „Wir haben gewonnen!“
Seine Koalition hat nur eine hauchdünne Mehrheit erreicht – weniger als ein Zehntelprozent bzw. nur 25.000 Stimmen! Unter der neuen Wahlordnung, die die Regierung Berlusconi am Ende ihrer Amtsperiode noch durchgedrückt hat, sichert jede Mehrheit der siegreichen Koalition 55% der Sitze in Kammer oder Senat. Im Senat das die gleiche Macht hat aber auf regionaler Basis gewählt wird, gab es einen Gleichstand zwischen Berlusconis „Haus der Freiheiten“ und Prodis „Unione“. Letztlich erzielte Prodi eine Mehrheit von zumindest sieben Sitzen – durch die mehr als 2,5 Millionen Auslands-ItalienerInnen (die erstmals wählen durften).

Italien scheint nun entlang politischer und entlang von Klassenlinien so polarisiert zu sein wie niemals zuvor. Die Wahlbeteiligung von 84% war hoch, sogar für Italien. Im „roten“ Bologna lag sie sogar bei 90%. Emilia Romagna und Toskana gingen klar an die “Linke” und traditionell rechte Gebiete, wie die Lombardei und Veneto hatten eine hohe Wahlbeteiligung. Forza Italia, die Partei von Berlusconi schnitt viel schlechter ab als bei den letzten Wahlen, aber die mitte-links Parteien haben es nicht geschafft von seiner Unbeliebtheit zu profitieren. Solange die ArbeiterInnen und Jugendlichen die Sache nicht selbst in die Hände nehmen, wird Italien mit einer Periode von schwachen, instabilen Regierungen sowie politischen und wirtschaftlichen Krisen konfrontiert sein.

Die Regierung Prodi wird im Sinne des Big-Business agieren

Das Prodi-Bündnis – das die Christdemokraten, die Grünen, die Ex-„Kommunisten“ und die RC („Kommunistische Widergeburt“) beinhaltet – hat es nicht geschafft die massive potentielle Unterstützung von ArbeiterInnen und Jugendlichen einzusammeln, die sich an den Massendemonstrationen und den Generalstreiks gegen die Berlusconi-Regierung beteiligt hatten. Die nur hauchdünne Mehrheit liegt nur teilweise an der farblosen Figur des „Professor“ Romano Prodi, aber v.a. in der Unfähigkeit eine glaubwürdige Politik vorzulegen um die Privatisierungen zu stoppen und dafür zu sorgen, dass die Bosse für die Krise in ihrem System zahlen müssen.

Prodi war eifrig bemüht, keine Versprechungen zu machen gegenüber ArbeiterInnen und der neuen Generation von Studierenden und Jugendlichen, die das Gefühl haben, dass sie in einem Sumpf von prekären Jobs, mangelhaften Sozialleistungen und einem gefährdeten Pensionssystem feststecken. Sie müssen die Schlussfolgerungen aus der schwachen Präsentation der linken Mitte ziehen und sich darauf vorbereiten, dem Beispiel der französischen Studierenden und Gewerkschaften zu folgen, indem sie ihren Forderungen mit Streiks und Massendemonstration Nachdruck verleihen.

Die Wirtschaft – in Italien ebenso wie im Ausland – beklagt die Tatsache das die Mitte-Links Regierung nicht die Stärke haben wird, um die „Reformen“ durchzuführen, die sie versprochen haben – inklusive einer Reduktion der Arbeitskosten um 5% und einen „Sozial-Vertrag“ um Lohnerhöhungen und Arbeitskämpfe zu bremsen. Die Rating Agentur Standard&Poor’s hat Italien quasi in letzter Minute vor dem Schließen der Wahllokale im Kreditranking abgewertet.

Italien ist die siebentgrößte Wirtschaft der Welt (und die viertgrößte in Europa), verzeichnete aber in den letzten fünf Jahren die schlechtesten Wachstumszahlen unter den Euro-Ländern. Die Produktivität und die Wettbewerbsfähigkeit geht zurück und die Inflation wächst. Das Budgetdefizit überschreitet die EU-Limits und die Staatsverschuldung ist die drittschlechteste weltweit.

Das fast 300-Seiten starke Programm der “Unione” hatte für ArbeiterInnen und Jugendliche in Italien keine wirkliche Veränderung zu bieten. Die RC unter Fausto Bertinotti führte ihren Wahlkampf unter dem kraftlosen Slogan “Wetten, dass sich Italien wirklich verändern kann!”. Es gab keine – auch nicht im breiteren Sinne – anti-kapitalistische Politik und die Frage der Mobilisierung rund um einen sozialistischen oder kommunistischen alternativen Forderungskatalog wurde nicht aufgeworfen. Hätten sie ein solches, sozialistisches und kämpferisches, Programm in einer früheren Phase der Berlusconi-Regierung aufgestellt, dann hätte die Partei zu einer starken politischen Kraft werden können. Aber was sie jetzt tut – der Mitte-Links-Regierung Loyalität zu versprechen – hat zur Stagnation in der Unterstützung bei den WählerInnen (ca. 6%) und den Mitgliedern geführt. Mehr als 40% der RC-Mitglieder waren gegen die Position von Bertinotti, der eine Allianz mit offen-bürgerlichen Kräften einging.
Ein klares anti-kapitalistisches und sozialistisches Programm um die Regierung-Berlusconi los zu werden hätte verhindert, dass Berlusconi so lange an der Macht blieb und dass er nun droht, nach einer Neuauszählung zurück zu kommen. Eine Prodi-Regierung, egal mit welcher Mehrheit, sollte den Schurken Berlusconi rasch der Justiz übergeben – ihn aus seiner tiefverwurzelten Position in der Medienlandschaft zu entfernen und die Gesetze wieder zurückzunehmen, die ihm bisher das Gefängnis erspart haben. Die linke ArbeiterInnenpartei in Italien – die RC – muss einen Schritt weiter gehen und Druck von unten mobilisieren. Sie sollte zu sofortigen Demonstrationen auf der Strasse aufrufen um jede Möglichkeit einer Rückkehr zur Macht von Berlusconi zu verhindern. Das bedeutet auf der Grundlage von klar anti-kapitalistischen und sozialistischen Forderungen zu kämpfen und die Unterstützung für jede Maßnahme zu verweigern, die sich gegen die ArbeiterInnenklasse richtet, und die die Prodi-Regierung unweigerlich versuchen wird durchzuführen.

Berlusconi verliert

In schier unglaublich arroganter Art und Weiße hat Berlusconi seine parlamentarische Mehrheit genutzt um sich selbst gegen die Strafverfolgung wegen Bestechung und Korruption zu schützen. Und er hat seine fast monopolartige Kontrolle über die Medien benützt um strikt gegen die Opposition und die Kritik an seiner Politik vorzugehen. Er hat die Herausforderung von sechs Generalstreiks und zahllosen Massendemonstrationen, von denen einige zwei oder drei Millionen Menschen auf die Strasse brachten, überlebt. Er gab Bush und Blair zaghafte Unterstützung in Bezug auf Afghanistan und den Irak und drängte auf Veränderungen der Arbeitsgesetze um Schutzbestimmungen für Millionen ArbeiterInnen zu beseitigen – und das vor dem Hintergrund eines zunehmend feindlichen wirtschaftlichen Klimas.

Gegen Ende seines Wahlkampfes wurde Berlusconi angesichts einer drohenden Niederlage immer verzweifelter. Er versprach 1000.- Euro für jedes neugeborene Baby im kommenden Jahr. Er verschickte ein 162-seitiges Hochglanzmagazin an jeden Haushalt, voller Jubelpropaganda für sich selbst, seine Partei (Forza Italia) und seine Koalitionsregierung und gewürzt mit außergewöhnlicher „historischer“ Hetze gegen Kommunismus und Terrorismus. In seiner Allianz, die bei den Wahlen antrat hatte er nicht nur rechte Parteien aufgenommen, wie die Lega Nord und die Alleanza Nazionale, sondern auch eine offen faschistische Partei die von der Enkelin von Mussolini gegründet wurde!

In den letzten Tagen seines Wahlkampfes machte Berlusconi wilde Versprechungen Steuern abzuschaffen, inklusive regionaler auf Wohnraum, was schätzungsweise zischen 40 und 100 Milliarden Euro kosten würde. Er wurde vor und hinter dem TV-Schirmen immer gereizter und beschuldigte seine GegnerInnen als ihre Idole Stalin, Pol Pot und Mao zu haben (das waren Diktatoren, die grundlegende demokratische Rechte brutal mit Füssen getreten haben, die im Gegensatz dazu von wirklichen KommunistInnen vertreten werden) und er äußerte öffentlich die Vermutung, das Babys in China gekocht und zu Düngemittel verarbeitet werden. Er war jedem und jeder, der/die daran dachte, das Mitte-Links Bündnis zu wählen wüste Beschimpfungen an den Kopf, und bezeichnete sie als „coglione” (was übersetzt etwa „Trottel“ oder „Weichei“ bedeutet).

Als die Meinungsumfragen eine klare Führung für die Parteien der “Unione” anzeigten, schrieb ein online-Leser der Zeitung “Repubblica“: “Es hat sich nun gezeigt, das die ‚Weicheier’ der lebendigste Teil eines gesunden Körpers sind. Glückwünsche an Prodi!”

Berlusconi, der große Teile der ArbeiterInnenklasse und der Intellektuellen gegen sich aufgebracht hat, ist es auch nicht gelungen, die Unterstützung von größeren Teilen der italienischen Wirtschaft zu gewinnen. Confindustria, die wichtigste Unternehmerorganisation, hat sich offensichtlich für das Prodi-Team entschieden. (Das wurde durch die Angriffe von Berlusconi bei ihrer Konferenz im März unterstrichen). Berlusconi konnte die „Reformen“, die die kapitalistische Klasse braucht um ihre Wirtschaft vor dem Zusammenbruch zu retten, nicht durchführen. Die Unternehmer wollen nun, das die ArbeiterInnenklasse für ihre Krise bezahlen soll indem sie „ihre“ dazu bringt, die Drecksarbeit zu machen.

Obwohl Bertinotti der Regierung unter der Führung von Prodi quasi den Treueschwur geleistet hat, ist unklar, wie stark der Druck von unten auf die RC-Führung sein wird, die Unterstützung zurückzuziehen, auch wenn die Mehrheit nur eine Dünne ist. In seiner ersten Regierung hat die Mitte-Links „Olivenbaum“-Regierung kaum Streiks oder Opposition gegen ihre gegen die ArbeiterInnenklasse gerichtete Politik von Privatisierung und Kürzungen erlebt – eine Politik die den Weg für die zweite Berlusconi Regierung geebnet hat. Diesesmal gibt es wenig Erwartungen unter ArbeiterInnen und Jugendlichen in die Regierung Prodi. Der Zustand, in dem sich die italienische Wirtschaft befindet, bedeutet – auf der Basis des Kapitalismus – das weitere Opfer von ihnen erwartet werden.

Schon jetzt sind 50% der Jugendlichen in prekären Jobs. Sie werden durch die jüngste Niederlage der Regierung Chirac/Villepin und seiner Prekärisierungsversuche ermutigt. Prodi hat versprochen ein ähnliches Gesetz Nr. 30 zu untersuchen, das hinter der Unsicherheit steckt, die junge ArbeiterInnen in Italien erleben. Er muss beim Wort genommen werden, wenn es ihm gelingt nach der Übergangsperiode, die nun beginnt, eine Regierung zu konsolidieren. Auch die Kampagne, die von einigen GewerkschafterInnen und Linken in Italien gestartet wurde, um die „gleitende Lohnskala“ (automatische Anpassung von Löhnen und Gehältern an die Inflation) wieder einzusetzen braucht eine Massenmobilisierung und Kämpfe mit den Unternehmen und der Regierung um ihr Ziel umsetzen zu können. Es stehen große Kämpfe zwischen den Klassen in Italien bevor, und es ist notwendig, dass eine ArbeiterInnen-Massenpartei, die für eine sozialistische Politik kämpft, entsteht.