Wie demokratisch ist die Präsidentin der Rostocker Bürgerschaft?

Offener Brief von Christine Lehnert, SAV-Bürgerschaftsabgeordnete in Rostock
 

An die Präsidentin der Bürgerschaft der Hansestadt Rostock

An das Präsidium der Bürgerschaft der Hansestadt Rostock

An den Oberbürgermeister der Hansestadt Rostock

zur Kenntnis an die Presse

Rostock,den 28.2.2006

Offener Brief

Arbeitsplätze in Rostock und NPD-Aufmarsch gehen die Gemeinde nichts an? oder

Wie demokratisch ist die Präsidentin der Rostocker Bürgerschaft?

In den letzten Monaten meiner Tätigkeit als Mitglied der Rostocker Bürgerschaft nährt sich in mir immer mehr der Verdacht, dass die Präsidentin der Rostocker Bürgerschaft alles andere als unparteiisch ihres Amtes waltet.

Dem aufmerksamen Beobachter wird während der Bürgerschaftssitzungen immer wieder deutlich, dass ein Unterschied zwischen den Abgeordneten der Fraktionen von CDU, SPD und B90 einerseits und denen von Linkspartei, Rostocker Bund und der SAV andererseits gemacht wird.

Während Mitglieder wie Maxi Mahlzahn (Fraktion B90) oder Kay-Uwe Nissen (CDU-Fraktion) eine sehr dehnbare Redezeitbegrenzung haben oder anderen ins Wort fallen dürfen, bekommen andere Mitglieder wie Elisabeth Rode (PDS) oder ich selbst sehr schnell das Ende des Spielraums der Geschäftsordnung zu spüren. So nutzten die Fraktionen von CDU, SPD und B90 nach dem Bericht des Oberbürgermeisters auf der Sitzung am 7.12.2005 das Mittel der „Persönlichen Erklärung“ um eine Stellungnahme für ihre Fraktionen abzugeben, was an sich nach der Rede des Oberbürgermeisters nicht zulässig ist. Die Präsidentin musste erst von anderen Mitgliedern der Bürgerschaft auf die Einhaltung der Geschäftsordnung hingewiesen werden. Als Steffen Bockhahn bei einer früheren Sitzung eine Nachfrage zum Bericht des OB´s stellen wollte, wurde er sofort gemäß Geschäftsordnung abgwiesen.

Der neueste Versuch jedoch, Anträge von scheinbar unbequemen Mitgliedern der Bürgerschaft gar nicht erst auf die Tagesordnung zu nehmen sondern de facto zu verbieten, ist ungeheuerlich.

So wurde der Antrag „Unterstützung für die KollegInnen der Ostsee-Zeitung. Nein zu den Entlassungsplänen“, der die Unterstützung der vom Stellenabbau bei der OZ betroffenen Rostocker und Rostockerinnen durch die Rostocker Bürgerschaft und den Oberbürgermeister fordert, mit der Begründung, dies würde nicht die Interessen der Gemeinde berühren, von der Präsidentin abgelehnt. Im Protokoll liest sich dies wie folgt: „Die Angelegenheit wird aus formalen Gründen nicht auf die Tagesordnung gesetzt. Die Gemeindevertretung ist nur für Angelegenheiten der Gemeinde zuständig. Dazu gehören „alle Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben, die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben der Menschen in der Gemeinde betreffen (BVerfGE 79, 127, 151 f). Dieser Ortsbezug ist eng auszulegen, wenn die Angelegenheit Kompetenzen des Bundes oder der Länder berührt.“ (Gentner in: Schweriner Kommentierung der Kommunalverfassung, 3. Aufl., § 22, Rdn. 5). Für die Angelegenheit, die dem Antrag zu Grunde liegt, sind die Tarifparteien zuständig. Die Hansestadt Rostock ist in dieser Angelegenheit keine Tarifpartei.“

Die Hansestadt ist auch bei dem Antrag 0413/05, der den Oberbürgermeister in seinen Bemühungen für den Erhalt von Scandlines in Rostock unterstützt, keine Tarifpartei. Trotzdem fand sich dieser Antrag auf der Tagesordnung der Bürgerschaft vom 04.05.2005. Auch der Forderung der SPD, der Oberbürgermeister möge sich bei der Landesregierung um mehr Mittel bei der Novellierung des Finanzausgleichgesetzes einsetzen (0736/05 vom 02.11.2005), wurde gefolgt. Der Oberbürgermeister darf sich aber nicht für die Arbeitsplätze bei der OZ einsetzen?

In allen Fällen handelt es sich um weitgefasstere Angelegenheiten, die jedoch trotz allem einen Bezug zur Hansestadt Rostock und der hier lebenden Menschen haben. Weshalb wird hier mit zweierlei Maß gemessen?

Auch der Antrag 0333/05 der Fraktionen von B90 und PDS wurde behandelt. Hier wurde gefordert, der Oberbürgermeister möge sich gegen die Bennenung des neuen Flughafenterminals nach Ohain einsetzen. Laut Verwaltung war dies dem Oberbürgermeister aufgrund der Gesellschafterzusammenhänge gar nicht möglich – trotzdem wurde der Antrag behandelt.

Anders hingegen ist wieder der Umgang mit einem Antrag meiner Person.

Angesichts des bevorstehenden Aufmarsches der NPD am 1.Mai 2006 formulierte ich einen Beschlussvorschlag, der wie folgt lautet: „Die Bürgerschaft fordert den Oberbürgermeister auf, die Einwohnerinnen und Einwohner in der nächsten Ausgabe des Städtischen Anzeigers über die Demonstration der NPD am 1. Mai 2006, deren Verlauf und die sich daraus ergebenen Umstände zu informieren.“

Auch hier wird die Behandlung der Angelegenheit und die Entscheidung über den Antrag gar nicht erst der Bürgerschaft vorgelegt. Die Begründung der Präsidentin der Bürgerschaft: „Die Angelegenheit wird aus formalen Gründen nicht auf die Tagesordnung gesetzt. Der Oberbürgermeister ist als Kreisordnungsbehörde gemäß § 2 der Landesverordnung über die zuständigen Behörden nach dem Versammlungsgesetz (VersG-ZustVO) die sachlich zuständige Behörde in Versammlungsangelegenheiten. Kreisordnungsbehörde ist nach § 2 Abs. 1 SOG M-V die für die Gefahrenabwehr zuständige Ordnungsbehörde. Die Gefahrenabwehr wird gemäß § 1 Abs. 4 SOG M-V von den kreisfreien Städten als Landesaufgabe im übertragenen Wirkungskreis wahrgenommen. Insoweit handelt es sich bei dem Aufmarsch der NPD am 1. Mai 2006 nicht um eine eigene Angelegenheit der Gemeinde, die möglicherweise der Entscheidung der Bürgerschaft vorbehalten ist. Die Bürgerschaft ist daher nicht berechtigt, den Oberbürgermeister zu beauflagen, etwaige Informationen über einen Aufmarsch der NPD am 1. Mai 2006 an die Einwohnerinnen und Einwohner Rostocks zu geben.“

Der Antrag schlägt jedoch keine Entscheidung über den Aufmarsch vor. Dies ist laut gültigen Gesetzen nicht zulässig. Die angeführten Gesetze sagen jedoch nichts darüber aus, ob und wie der Oberbürgermeister von der Bürgerschaft aufgefordert werden kann, die Öffentlichkeit über eine in der Stadt Rostock angemeldete Demonstration zu informieren. Die Abweisung dieses Antrages ist also gesetzeswidrig und widerspricht auch den aktuellen Bestrebungen in MV, durch ein Informationsfreiheitsgesetz den Zugang zu Behördeninfos zu erleichtern.

Aber auch hier zeigt die Handhabung ähnlicher Anträge, dass die Präsidentin mit CDU-Mitgliedschaft in der Tasche, sehr undemokratisch agiert.

Der Antrag der PDS-Fraktion (0358/05 vom 06.04.2005) auf eine umfassende Information der Einwohner/innen zum Verfassungsentwurf der Europäischen Union wurde zum Beispiel behandelt, obwohl die Stellungnahme der Verwaltung betonte: „Die Öffentlichkeitsarbeit für die Angelegenheiten der Europäischen Union gehört nicht zu den laufenden Geschäften der Verwaltung.“

Angesichts dieser Faktenlage fordere ich die Präsidentin der Bürgerschaft auf, dieser Ungerechtigkeit sofort ein Ende zu bereiten und die von mir gestellten Anträge unverzüglich auf die Tagesordnung der Bürgerschaftssitzung zu setzen.

Den Menschen in Rostock kann und will ich gleichzeitig versichern, dass ich mich durch solche Schikanen nicht einschüchtern lassen werde und mich weiter für die Interessen der Beschäftigten, Erwerbslosen, Rentner und Jugendlichen in dieser Stadt einsetzen werde.

Christine Lehnert
Mitglied der Bürgerschaft der Hansestadt Rostock für die SAV/Liste gegen Sozialkahlschlag