Neue Partei in Brasilien

Interview mit Miguel Leme, Mitglied der neuen Partei Sozialismus und Freiheit (PSOL) in Brasilien. Er ist auch Mitglied der Gewerkschaft der LehrerInnen, und von Socialismo Revolucionario, der Brasilianischen Sektion der CWI.
 
Miguel, Lula ist nun seit eineinhalb Jahren als Präsident von Brasilien im Amt. Kannst du uns einen Überblick über die Art von Politik geben, die seine Regierung gemacht hat?

Lulas Regierung macht neoliberale Politik wie viele bürgerliche Regierungen in anderen Ländern auch. Vor den Wahlen versprach er, 10 Millionen neue Jobs zu schaffen, nun hat er in eineinhalb Jahren 1 Millionen Kündigungen durchgeführt. Nach Absprache mit dem IWF werden statt 3,75 nun 4,25% des BIP für den Schuldendienst von BIP abgezogen. Die Vorgängerregierung gab 30 Milliarden Euro jährlich für den internen und externen Schuldendienst aus ? unter Lula ist diese Zahl auf 40 Millionen gestiegen. Dieses Geld nimmt er hauptsächlich aus den Budgets fürs Gesundheitswesen, die Landreform, und die Bildung. Lula hat im letzten Jahr das Budget des Ministeriums, das sich um Flutkatastrophen kümmert, um 60% gekürzt um Schulden zu bezahlen. Das bedeutet daß jetzt wo wieder Überschwemmungen sind, in vielen Fällen kein Geld für die Katastrophenhilfe vorhanden ist.
Ein sehr gravierender Punkt ist auch die internationale Politik von Lula: er hat Truppen nach Haiti entsandt, als es das Moratorium gegen Kirchner in Argentinien gegeben hat, hat er sich von Kirchner distanziert, und er versucht auch in Bezug auf Venezuela eine Politik der Abgrenzung gegenüber Chavez zu betreiben.

Vor der Wahl bekam Lula Unterstützung von großen Teilen der arbeitenden Bevölkerung und der Jugend. Nach seinem Sieg hatten diese dann große Hoffnungen und Erwartungen. Wie ist nun die Stimmung unter den Massen?

Es herrscht große Frustration unter den ArbeiteterInnen, aber es gibt auch große Entwicklungen, also nicht nur ein Ohnmachtgefühl ? es hat Streiks im öffentlichen Dienst gegeben, in diesem Bereich sind immer mehr Leute zu der Schlußfolgerung gekommen, daß sie mit Lula nicht mehr können, und diese bilden auch die Basis für die neue Partei. Gleichzeitig sind auch unter den Beschäftigten im privaten Sektor die Stimmen immer lauter geworden die sagen ?wir können Lula nicht mehr nach links bewegen, wir müssen etwas neues aufbauen.?
Ein wichtiger Faktor ist hierbei das neue Arbeitsrecht, mit dem Lula und seine Regierung die Produktionskosten der Unternehmen senken wollen. Dafür sollen Urlaubszeit und Mutterschaftskarenz gekürzt werden.

Du hast es bereits angesprochen, es hat sich eine neue Partei gebildet. Wie ist es dazu gekommen, und welche Kräfte sind daran beteiligt?

Die neue Partei P-SOL, Partei Sozialismus und Freiheit, ist entstanden aus den Erfahrungen, die die ArbeiterInnen gemacht haben in ihrem Kampf gegen die Lula-Regierung und ihre Maßnahmen ? zum Beispiel die Streiks gegen die Rentenreform im letzten Jahr und auch eine Reihe von Streiks gegen Lohnkürzungen in diesem Jahr. Am stärksten von der Rentenreform betroffen sind die Beschäftigten im öffentlichen Dienst; während des Streiks dagegen hat ein Teil von ihnen die Schlussfolgerung gezogen, daß die sogenannte Arbeiterpartei von Lula eben keine Partei der Arbeiter mehr ist, und daß man deshalb was neues braucht. Höhepunkt dieser Entwicklung war der Parteiausschluss von vier PT-Abgeordneten, die gegen die Rentenreform gestimmt hatten. Die Bewegung für die neue Partei bekam Zulauf vor allem unter der Gewerkschaftsjugend, aber auch unter den einfachen Volksmassen. Anfang Juni gab es dann ein Kongreß, auf dem die Partei gegründet wurde, Statut und dasProgram der Partei wurden auch beschlossen.

Die Entwicklung der neuen Partei ist zwar noch im Anfangsstadium, aber kann man trotzdem schon was zu den Perspektiven für die Partei sagen, in welche Richtung sie gehen wird, und ob es ihr gelingen kann, die Leute zu gewinnen, die von der Regierung Lula enttäuscht sind?

Die Partei hat ein sehr radikales, linkes Program. Darin steht, daß der Kapitalismus überwunden werden muß, daß wir eine sozialistische Gesellschaft brauchen. Sie fordern die Streichung der Schulden und die Besteuerung der Finanzmärkte ? eine Art Tobin-Steuer. Sie wollen die größten Konzerne des Landes verstaatlichen, und außerdem sagen sie, daß die Arbeiterklasse eine wichtige Rolle zu spielen hat als diejenigen, die die Gesellschaft verändern können. Wichtig ist, daß die Partei eine konsistente Haltung gegen die Regierung und ihre Maßnahmen hat. Sie ist auch nicht primär auf Wahlen ausgerichtet ist, obwohl sie sich an Wahlen beteiligen wird. Im weiteren Verlauf der Konterreformen kann es zu einer gewissen Einflussnahme der Partei und auch zu einer kleinen aber bedeutsamen Massenverankerung kommen .

Welche Rolle spielt die Brasilianische Sektion des CWI bei diesen Entwicklungen, zum Beispiel in Bezug auf die neue Partei?

Unsere Aufgabe sehen wir darin, dies Partei mit aufzubauen, aber wir wissen auch, daß es eine bestimmte Strömung gibt, die weniger radikal ist, die eher eine reformistische Haltung vertritt. Deshalb sehen wir es als unsere Aufgabe, ein marxistisches Program innerhalb von P-SOL zu verteidigen und Fragen des Sozialismus aufzuwerfen. Ein Mitglied von uns sitzt in einem nationalen Führungsgremium der Partei, also obwohl wir eine sehr kleine Gruppe sind, spielen wir eine wichtige Rolle.

Das Interview führte Sean McGinley