Kapitulation beschlossen statt Kampfkraft genutzt

Die IG-Metall-Spitze trägt die Verantwortung für die Niederlage im Ost-Metaller-Streik

von Aron Amm

Über die Köpfe der Streikenden und der Gewerkschaftsmitglieder hinweg erklärte IG-Metall-Vorsitzender Klaus Zwickel: „Die bittere Wahrheit ist: Der Streik ist gescheitert.“ Das gleicht trotz vier Wochen Streiks einer kampflosen Kapitulation, denn die Kampfkraft wurde weder im Osten noch mit einer West-Ausdehnung auch nur annähernd ausgeschöpft.

Die Gewerkschaftsführung knickte vor der Offensive der Unternehmer und ihrer Vertreter in den Regierungen ein. Die von Zwickel und der Gewerkschaftsspitze herbeigeführte Niederlage bedeutet einen Rückschlag für alle ArbeiterInnen und Arbeitslosen.

Gescheitert ist nicht nur die Einführung der 35-Stunden-Woche im Osten; auch der Flächentarifvertrag in der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie ist de facto tot, das Streikrecht in Gefahr und die Kampfbedingungen für die gesamte organisierte Arbeiterbewegung geschwächt. Die Spaltung zwischen Ost und West wurde vertieft. Mit Aushebelung des Flächentarifvertrages stehen jetzt alle Regelungen des Manteltarifvertrages (zum Beispiel die Übernahme von Azubis) auf dem Spiel. Auf dieser Basis werden sich die Herrschenden ermutigt sehen, ihre Unternehmeroffensive noch zu forcieren.

Streik war steigerbar

Seitens des Unternehmerlagers und ihrer Schreiberlinge von taz bis Bild wurde im Verlauf des Streiks der Eindruck vermittelt, die Ost-Metaller wären mit ihren Anliegen weitgehend isoliert und die Streikfront würde dramatisch bröckeln. Der IG-Metall-Verhandlungsführer Hasso Düvel behauptete: „Der Streik war nicht mehr steigerbar.“ Richtig ist, dass die Metall-Arbeitgeber von der Streikentschlossenheit der Ost-Beschäftigten und den im Schnitt 80 Prozent Zustimmung bei den Urabstimmungen überrascht wurden. Selbst der Berliner Tagesspiegel berichtete über die Stimmung der Streikenden im Chemnitzer VW-Werk: „Angst vor Entlassungen? Die gebe es oder gebe es nicht, mit oder ohne Streik“ (3. Juni 2003). Der VW-Kollege Harald Harnisch wurde im Spiegel mit den Worten zitiert: „Die haben drüben die 35-Stunden-Woche und nur neun Prozent Arbeitslose, wir haben 38 Stunden und 20 Prozent Arbeitslose“ (26/2003). Darum ist für ihn kein Zusammenhang zwischen Arbeitsplätzen und Arbeitszeit zu erkennen.

Richtig ist auch, dass die Erwartungshaltung in den Belegschaften der drei sächsischen VW-Werke und anderer Großbetriebe im Osten dahin ging, den Stahlabschluss mit der Einführung der 35-Stunden-Woche (wenn auch in drei Stufen und mit Revisionsklauseln) als Minimum anzusehen.

Richtig ist darüber hinaus, dass die Kampfkraft bei weitem nicht ausgeschöpft wurde: Von den 284.000 IG-Metall-Mitgliedern im Osten wurden nur etwa 10.000 in den Arbeitskampf einbezogen.

Fatalerweise schwächte die Gewerkschaftsführung den Streik sogar, in dem sie zum Beispiel den Autozulieferer ZF Brandenburg in der vierten Woche aus dem Streik herausnahm, nachdem BMW in München, Regensburg und Dingolfing Kurzarbeit anmelden musste. Auch VW war gezwungen, 20.000 Autos weniger herzustellen. Der Streik wurde von Zwickel genau zu dem Zeitpunkt für gescheitert erklärt, zu dem er begann, ökonomischen Druck auf die großen Westkonzerne der Automobilindustrie zu erzeugen.

Mit dem Abschluss von Haustarifverträgen beeinträchtigte die IG-Metall-Spitze den Streik von Anfang an. Stattdessen wäre eine schnelle Ausdehnung des Streiks bis zum Vollstreik (über Streik-Urabstimmungen in den übrigen Ost-Bundesländern) erforderlich gewesen. Gleichzeitig hätten die West-MetallerInnen einbezogen werden müssen, um Solidarität zu leisten und um die Interessen aller KollegInnen zu verteidigen.

Schließlich ging es nicht allein um die Frage der Arbeitszeitverkürzung im Osten, sondern um den gewerkschaftlichen Grundsatz von gleichem Lohn für gleiche Arbeit und darum die West-ArbeiterInnen nicht zu Opfern des Streiks zu machen (Kurzarbeit) sondern zu aktiven MitkämpferInnen.

Nötig wäre es gewesen, den Kampf um die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich mit dem Kampf gegen die Agenda 2010 und die zusätzlichen Sozialkürzungspläne zu verbinden. Es hätte von der Gewerkschaftsführung ausgehend eine Aufklärungskampagne gestartet werden müssen, die vor einer drohenden Abwärtsspirale im Fall einer Niederlage der Ost-Metaller gewarnt hätte.

Klassenkampf statt Sozialpartnerschaft

Während die Kannegießers und ihre politischen Lakaien darauf aus waren, ein Exempel zu statuieren und den Gewerkschaften einen entscheidenden Schlag zu versetzen, bemühte sich Zwickel bis zum Schluss um einen vorauseilenden Gehorsam. So nahm er ZF Brandenburg aus der Streikfront, weil das die Arbeitgeber zur Bedingung neuer Verhandlungen machten. So schlug er zum einen vor, die Arbeitszeitverkürzung vollständig von der Produktivität abhängig zu machen und zum anderen, Betrieben mit „besonderen Schwierigkeiten“ einen Aufschub bei der Einführung der 35-Stunden-Woche bis 2011 zu geben.

Die Antwort der Arbeitgeberseite: Neue Forderungen bis hin zur Arbeitszeitverlängerung und einer möglichen 40-Stunden-Woche!

Kurswechsel

Ein grundlegende Kurswechsel ist nötig. Folgende Lehren sind aus der Kapitulation der IG-Metall-Spitze im Ost-Metaller-Streik zu ziehen:

1. Die Unternehmer meinen es ernst: Streiks dürfen nicht länger mit angezogener Handbremse gefahren werden. Es gilt, die ganze Kampfkraft in die Waagschale zu werfen.

2. Das verheerende Vorgehen der Gewerkschaftsspitze hat politische Gründe: Sie haben ihren Frieden mit diesem System gemacht und wollen die kapitalistische Wirtschaft in Krisenzeiten verteidigen – auf Kosten der arbeitenden und arbeitslosen Bevölkerung. Damit muss Schluss sein. Die SAV setzt sich für den Bruch mit dem Profitprinzip ein.

3. Zu einem politischen Kurswechsel müssen auch personelle Alternativen gehören. An Stelle von Huber und Peters müssen kämpferische Vertrauensleute und Betriebsräte die Gewerkschaftsführung herausfordern. Dazu sind auch Gegenkandiadaturen gegen die VertreterInnen der verschiedenen Flügel der Gewerkschaftsspitze nötig.

4. AktivistInnen auf betrieblicher Ebene dürfen nicht auf Veränderungen an der Spitze warten, sondern müssen selber Initiativen von unten ergreifen. Der Zusammenschluss kritischer und kämpferischer KollegInnen an der Basis und die bundesweite Zusammenarbeit und Vernetzung müssen weiterentwickelt werden.

Diese Schlussfolgerungen sind im Vorfeld des IG-Metall-Gewerkschaftstages im Oktober, der anstehenden Lohn-Tarifrunde in Westdeutschland im Herbst und beim Widerstand gegen die Agenda 2010 zentral, um die Arbeiterbewegung endlich aus der Defensive zu bringen.

Da die IG Metall mit ihren nach wie vor 2,6 Millionen Mitgliedern und ihren Positionen in den Industriebetrieben das Rückgrat der potenziellen Kraft der Arbeiterklasse Deutschlands darstellt, führt kein Weg daran vorbei, den Kampf für einen radikalen programmatischen und personellen Kurswechsel zu führen.