Islamische Republik der Armen?

Gegen Imperialismus und trotzdem kein Ausweg, der "politische Islam"

von Ianka Pigors, Bremen


 

Im Irak kam es in den letzten Wochen verstärkt zu Auseinandersetzungen zwischen einheimischen DemonstratInnen und den US-amerikanischen Besatzungtruppen. Tausende demonstrierten unter Slogans wie "Nein zu Saddam, nein zu Bush, ja zum Irak, ja zum Islam!". Mehrfach eröffneten die Soldaten das Feuer auf demonstrierende IrakerInnen. Der Konflikt spitzt sich zu. Die Rolle des "poltischen Islam" wird sichtbar.
Spätestens seit dem Massendemonstrationen anlässlich eines hohen schiitischen Feiertages um den 23. April ist auch im Westen bekannt, dass schiitische Fundamentalisten die führende Rolle einnehmen. Die vorübergehende Festnahme von drei geistlichen Führern während der Feierlichkeiten durch die Amerikaner sorgte für Protestdemonstrationen, obwohl sich die amerikanische Armee während der religiösen Prozessionen auffällig zurückhielt. Der "Hohe Rat für die Islamische Revolution im Irak", SCIRI, die wichtigste Oppositionsgruppe, beteiligt sich nur sehr eingeschränkt an den Plänen der USA für eine neue Regierung im Irak.
Statt dessen haben seine Anhänger begonnen, bewaffnete Selbstverteidigungsstrukturen gegen Plünderer aufzubauen. In vielen Städten kontrollieren sie die Krankenhäuser und ähnliche Einrichtungen.
Die Exil-Iraker, die die Bush- Administration zur Regierungsbildung eingeflogen hat, erfreuen sich dagegen keiner großen Beliebtheit. Das Misstrauen gegen Personen wie den US-Favoriten Chalabi, einen wegen betrügerischen Bankrotts verurteilten Bankier, ist groß. Einer dieser Leute, Abdel-Majid al-Khoei, wurde in Najaf von aufgebrachten Iraker getötet, da sie ihn verdächtigten mit einem Geistlichen, der Saddam unterstützt haben soll, zu kooperieren.

Die Rolle des politischen Islams

Die Bewegung, des "politische Islam", oft als islamischer Fundamentalismus bezeichnet, wendet sich gegen den Imperialismus und fordert die Befreiung der islamischen Welt.
Damit bietet er scheinbar eine Lösung für Probleme wie wirtschaftliche Unterentwicklung am Gängelband des Westen, Benachteiligung der arabischen Staaten bei der Verwertung ihrer Rohstoffe – vor allem Öl –, bei der Bekämpfung von Armut und sozialem Elend.
Es handelt sich jedoch nicht um eine fortschrittliche Bewegung. Der politische Islam ist zutiefst reaktionär. Er befürwortet autoritäre Herrschaftsstrukturen und ist extrem frauenfeindlich. Der politische Islam füllt das Vakuum, das durch den Zusammenbruch linker Parteien und Organisation entstanden ist.

Mit Allah gegen das Kapital?

Obwohl Fundamentalisten nach ihren eigenen Worten "eine Republik der Armen" errichten wollen, ist es nicht ihr Ziel, Großgrundbesitz und Konzernherrschaft abzuschaffen.
Ein wichtiger Theoretiker des politischen Islam, Abu al-A´la al Maududi aus Pakistan, (gestorben 1979) bringt das in seiner Schrift "Als Muslim leben" wie folgt zum Ausdruck: "Und so sind wir in die Lage gekommen, in der wir uns heute befinden. Auf der einen Seite ist die Welt der Kapitalisten, die durch Zins und maßlose Gier weiter wächst und mehr Probleme mit sich bringt, als durch den ständig wachsenden Reichtum gelöst werden können. Auf der anderen Seite stehen Gruppen, die, von Eifersucht und Gier angetrieben, die Schatztruhen der Kapitalisten plündern wollen, aber damit auch die gesamte Basis menschlicher Zivilisation und Kultur zerstören."
Fundamentalisten streben also eher eine Art soziale Marktwirtschaft unter religiösen Vorzeichen an. Die Armut soll durch die Beachtung von religiösen Geboten und die Zahlung des "Zakkat" (der islamische Religonssteuer in Höhe von etwa zwei Prozent des Einkommens) beseitigt werden. Die Schaffung von "Wohlfahrtsorganisationen", also Almosenverteilung durch Spenden von reichen Förderern, hat in diesen Bewegungen eine lange Tradition, die ihnen oft das Wohlwollen der verarmten Massen sichert.

Gottesstaat oder ArbeiterInnenregierung?

Die Selbstorganisation oder gar Selbstregierung der ArbeiterInnen und BäuerInnen wird von FundamentalistInnen strikt abgelehnt. Islamisten sind der Ansicht, dass die Herrschaft in einem Staat ausschließlich von Gott abgeleitet werden darf. So erscheinen ihnen selbst Sätze wie: "Alle Macht geht vom Volke aus" als Gotteslästerung.
Abu al-A´la al Maududi schrieb dazu: ""Volksherrschaft’ bedeutet, dass in einem Land die Menschen die oberste Souveränität besitzten – es ist also ein "Din’ [eine vollständige Lebensweise]. […] Wie soll dieser Din errichtet werden, bevor nicht alle Menschen die höchste Souveränität im Lande darstellen und eine von ihnen festgelegte Scharia in Kraft getreten ist? Ist dies einmal geschehen, gibt es keinen Raum mehr für Monarchie, Fremdherrschaft oder irgendetwas anderes." Und weiter: "Genauso verhält es sich mit dem islamischen Din. Dieser Din besagt, dass Allah allein der Herr über alles auf der Erde und ihr einziger Herrscher ist. Folglich darf nur ihm gehorcht und gedient werden und seine Scharia muss unsere sämtlichen Lebensfragen regeln." Für Demokratie bleibt also neben der Herrschaft Gottes kein Platz. Es ist eine Frage von "entweder – oder".

Politischer Islam und individueller Terror

Durch diese Missachtung von demokratischen Strukturen und sozialen Bewegungen werden Vorstellungen, wie die, dass individueller Terror zum Erfolg führen kann, begünstigt.

Förderer im Westen und in Arabien

Islamisten bekämpfen SozialistInnen und andere "weltliche" AktivistInnen. Wegen dieser Haltung wurden und werden sie immer wieder von imperialistischen Mächten gefördert. So unterstützten Pakistan und die USA die Taliban und zahlreiche arabische Diktatoren (wie das saudische Königshaus) finanzieren islamistische Gruppen, insbesondere in anderen Ländern. Sogar Israel hat zu Beginn die islamistische Hammas unterstützt, weil es sich davon eine Schwächung der weltlichen PLO Arafats versprach.
Paradoxer Weise waren die größten Förderer und Wegbereiter des politischen Islam Königshäuser wie das Saudi-Arabiens, die traditionell treue Vasallen des US-Imperialismus sind und auch nicht gerade dafür berühmt sind, dass sie das Schicksal der verarmten arabischen Massen besonders stört.
Sie gründeten als Gegengewicht zu den arabischen Staaten, die sich am Ostblock orientierten, islamisch-konservative Organisationen wie den Islamischen Weltkongress und die Organisation der Islamischen Konferenz (OIK). Mit der Zahlung von erheblichen Geldmitteln an islamistische Organisationen, auch Terrorgruppen, erhalten sie sich darüber hinaus einen gewissen Burgfrieden mit den radikalen Islamisten und hoffen so, nicht Zielscheibe ihrer Angriffe zu werden.

US-Öl-Konzerne und afghanische Gotteskrieger

In den 80er Jahren führten die USA durch Unterstützung der fundamentalistischen Mudjaheddin in Afghanistan einen Stellvertreterkrieg gegen die UdSSR, die das Land besetzt hatte, um ein moskautreues Regime dort zu retten. Dabei unterstützen die USA die Mudjaheddin mit Waffen, Geld und Informationen. Nachdem sich die Sowjetunion1989 zurückzog, stürzte Afghanistan in einen blutigen Bürgerkrieg, bei dem am Ende eine besonders fanatische Gruppe, die Taliban, die Oberhand gewann. Sie errichten einen mittelalterlichen Gottesstaat, der vor allem für sein extrem brutales Vorgehen gegen Frauen berüchtigt war.
Die US-Öllobby, die Anfang der 90er begann, sich für Afghanistan zu interessieren, da es Pläne gab, dort eine – vom russischen Territorium unabhängige – Ölpipeline zu bauen, focht das nicht an.
Obwohl die USA das Talibanregime nie diplomatisch anerkannt haben, kam es zwischen 1995 und dem 11. September 2001 zu zahlreichen Treffen von amerikanischen und afghanischen Spitzenpolitikern und Vertretern von Öl-Konzernen.
US-Ölgesellschaften wie zum Beispiel Unocal finanzierten unter dem Deckmantel humanitärer Aktionen erzieherische Projekte der Taliban in Kandahar, in der Taliban-Hochburg. Noch im Frühjahr 2000 gaben die USA 114 Millionen US-Dollar zur Unterstützung Afghanistans frei, die unter gemeinsamer Aufsicht der Taliban und der UNO verwendet wurden. Eine der Schlüsselfiguren in dieser Kooperation war der gebürtige Afghane Zalmay Khalilzad. Er arbeitete sowohl für die US-Regierung, als auch für den Konzern Unocal.
Erst mit dem 11. September und Bushs Rachekrieg in Afghanistan endete der Versuch der USA, die fundamentalistischen Fanatiker der Taliban für ihre Interessen einzuspannen. Khalilzad jedoch wurde einer der führenden US-amerikanischen Vertreter bei den Beratungen über die Einsetzung der neuen Regierung in Afghanistan. Heute vertritt er seine Regierung und die amerikanische Öl-Lobby im Irak, wo er als "Sonderbeauftragter für die irakische Opposition" auftritt.

Die soziale Basis

Die Organisationen des politischen Islam haben oft große Unterstützung unter den verarmten Massen. Ihre Kämpfer und Mitglieder rekrutieren sie aber auch in großem Maße unter Studierenden und anderen kleinbürgerlichen Schichten, so zum Beispiel die Attentäter des 11. September.
Diese Leute handeln nicht aus unmittelbarer Not heraus, sondern sehen im islamischen Gottesstaat eine Möglichkeit, ihre eigene Schicht – kleine Händler, Techniker und Beamte – davor zu bewahren, zwischen der übermächtigen Konkurrenz ausländischen Konzerne und Banken und echten sozialistischen Volksbewegungen aufgerieben zu werden.
Dort, wo die Islamisten wie im Iran selbst die Macht an sich reißen konnten, wurden ihre Klasseninteressen schnell deutlich. Nach der Revolution im Iran 1979 waren die religiösen Herrscher auf Druck der Massen zwar gezwungen, zum Beispiel die Versicherungsgesellschaften im Iran zu verstaatlichen. Doch am gleichen Tag verhängte Chomeini ein Verbot für "Störtaktiken in den Fabriken oder Arbeiteragitation", also von Streiks und ähnlichem und verbot die Organisationen der Arbeiterbewegung. Im Iran wurden nach Errichtung des Gottesstaates Tausende StreikaktivistInnen ermordet.

Politischer Islam = Faschismus?

Der politische Islam weist einige Parallelen mit dem Faschismus auf. Er ist eine kleinbürgerliche Massenbewegung, setzt auf Terror und Anschläge gegen Andersdenkende und bildet, einmal an der Macht, dikatorische und autoritäre Herrschaftsstrukturen. Wie der Faschismus wird er von den Herrschenden gerne gefördert, um SozialistInnen zu bekämpfen. Anders als beim Faschismus ist die Triebfeder des politischen Islam jedoch nicht die Angst vor der Arbeiterklasse. Die Zerschlagung der Arbeiterklasse und ihrer Organisationen ist auch nicht Ziel und geschichtliche Legitimation des politischen Islam.
Auf eine faschistische Massenbewegung setzten die Herrschenden in entwickelten kapitalistischen Ländern, wenn für sie die Arbeiterklasse zu gefährlich wurde. Islamisch-fundamentalistische Bewegungen entstehen in rückständigen Ländern, in denen die imperialistische Herrschaft die Entstehung einer nationalen, eigenständigen Kapitalistenklasse verhindert. Wie die kleinbürgerlich-nationalistischen Befreiungsbewegungen drücken sie vielmehr den Überlebenskampf der kleinbürgerlichen Schichten gegen den Imperialismus aus. Es geht ihnen darum, den Imperialismus zurückzudrängen ohne die Eigentumsverhältnisse der "eigenen" Kapitalisten anzutasten. Daraus ergeben sich auch die Konflikte mit der Arbeiterbewegung.

Umgang mit dem politischen Islam

Der politische Islam ist reaktionär: Die frauenfeindliche Ideologie richten sich gegen die bedeutende Rolle, die Arbeiterinnen und Bäuerinnen auch in den Kämpfen gegen die Kolonialherrschaft zum Beispiel in der iranischen Revolution vor der Machtübernahme der Mullahs gespielt haben.
Doch der politische Islam ist nicht wie der Faschismus direkt gegen jede Form von Arbeiterdemokratie gerichtet, seine Zerschlagung ist nicht grundlegendes Überlebensinteresse der Arbeiterklasse. Deshalb fordern wir nicht die Zerschlagung islamistischer Organisationen, wie wir das bei Faschisten tun.
Der Kampf gegen den Imperialismus kann aber nur international, jenseits der Grenzen von Religion, Nationalität und Geschlecht erfolgreich sein. Daraus ergibt sich eine scharfe Abgrenzung von SozialistInnen gegenüber diesen Gruppen.
Wie bei anderen kleinbürgerlichen Bewegungen beziehen sich SozialistInnen positiv auf berechtigte Forderungen, die von ihnen vorgebracht werden – ohne den eigenen Klassenstandpunkt – was zum Beispiel Forderungen und Organisationsstrukturen angeht – aufzugeben.
Die Unterstützung für den politischen Islam entsteht gerade aufgrund des Hasses auf den Imperialismus und des Versagens linker Organisationen. Dort, wo der politische Islam eine Massenunterstüzung hat, geht es auch darum, in der Bewegung und bei konkreten gemeinsamen Aktionen die Überlegenheit linker Ideen zu demonstrieren und dadurch die Schwäche linker Organisationen zu überwinden.
Werden jedoch alle islamischen Gruppen in die Ecke des Terrorismus gestellt und eine rassistische Hetze gegen Menschen aus dem arabischen Raum verbreitet, dann ist es auch die Aufgabe von SozialistInnen, die demokratischen Rechte zu verteidigen.
Der beste Kampf gegen religiöse Verwirrung ist der gemeinsame Kampf von ArbeiterInnen verschiedener Religion und Herkunft gegen Imperialismus, Krieg und Armut.