Drohungen statt “Friedensplan”

BSPR WTF

Niemand bei klarem Verstand vertraut Trump oder Netanyahu. Trotzdem lobt der Bundessprecher*innenrat der Linksjugend.solid in einem Post deren “Friedensplan”.

Natürlich wäre es gut, wenn das Morden aufhört und die Geiseln freigelassen würden. Natürlich wäre schon jede Pause der israelischen Angriffe eine Erleichterung für die Menschen in Gaza. Und allein die Tatsache, dass Gespräche mit Katar und der Türkei stattgefunden haben und der Plan verkündet wurde, ist Ergebnis des Drucks der internationalen Solidarität, der Sumud-Flotte, der Streiks in Italien und der Stimmung der Massen in den arabischen Ländern und weltweit, die Israel in die Defensive getrieben haben.

Doch der “Friedensplan” besteht vor allem aus Fallen:

  1. Ultimatum statt Verhandlungsergebnis. Die palästinensische Seite war nicht an Verhandlungen beteiligt. Die kriegsführende Macht Israel hat den Plan mit ihrem Geldgeber und wichtigsten Waffenlieferanten verfasst. Die Hamas, so heißt es, müsse sich an jede Einzelheit halten, sonst seien die israelischen Zusagen hinfälligund die USA würden Israel verstärkt helfen, “die Hamas zu zerstören”. Der Plan ist damit gleichzeitig die Androhung der Eskalation, der Vollendung von Zerstörung und Vertreibung.
  2. Netanyahu hat das gemeinsame Abkommen nachträglich modifiziert. Schon kurz nach der Verkündung des angeblich unabänderlichen Planes hat die israelische Regierung deutlich gemacht, dass sie ihn anders interpretiert als Trump: Es würde keinen vollständigen Rückzug der israelischen Armee aus Gaza geben, die Truppen würden dauerhaft strategische Positionen besetzen. Mehrere faschistische Minister der israelischen Regierung haben den Plan ohnehin als Fehler kritisiert. n-tv titelte am 5. Oktober “Merz wirbt bei Netanyahu für Trumps Friedensplan”. Warum muss Merz für einen Plan bei einem seiner Verfasser “werben”?
  3. Israel greift weiter an. Am Abend des 3. Oktober haben Vertreter*innen der Hamas zugestimmt, die verbliebenen Geiseln komplett freizulassen und die Leichen zu übergeben. Trump forderte Israel daraufhin auf, die Angriffe einzustellen. Diese gehen jedoch weiter.
  4. Der Plan enthält unannehmbare Forderungen, u.a. die vollständige Kapitulation und Entwaffnung der Hamas und anderer bewaffneter palästinensischer Einheiten. Die israelische Armee hat allein 20.000 Kinder in Gaza getötet, angeblich, weil das nötig war, um die Hamas-Einheiten zu erwischen. Und jetzt sollen die Hamas-Kämpfer*innen darauf vertrauen, dass sie eine Kapitulation überleben würden, während die israelischen Truppen in Gaza stehen? Sie müssten vor den Mündungen der Gewehre und Kanonen der genozidalen Besatzungsarmee kapitulieren und ihre Waffen abgeben. Die Politik der Hamas ist reaktionär und dient nicht der Befreiung Palästinas. Doch der Kampf gegen die Besatzung ist aus sozialistischer Sicht legitim, auch der bewaffnete Kampf. Er ist sogar durch das Völkerrecht juristisch gedeckt. Am Beginn jeder realistischen Friedensregelung müssten die sofortige Einstellung der israelischen Angriffe und der vollständige Rückzug der israelischen Armee stehen. Bei Friedensabkommen wie in Nordirland oder Kolumbien hat nie eine aufständische Bewegung die Waffen aus der Hand gegeben, ohne dass es substanzielle und von dritter Seite kontrollierte Maßnahmen auf der Gegenseite gab. Die Formulierung, dass Hamas-Mitglieder, die eine “friedliche Koexistenz” zusagen, eine Amnestie bekommen könnten, ist absurd. Der Staat Israel lehnt die “friedliche Koexistenz” mit den Palästinenser*innen ab, eine Koexistenz kann unmöglich einseitig funktionieren.
  5. Ziel des Plans ist eine modifizierte Kolonialisierung. Zwar soll es keine Annektion durch Israel und keine Vertreibung geben, aber genauso wenig eine Selbstverwaltung durch die dort lebenden Menschen. Ein internationaler “Friedensrat” unter Vorsitz des US-Präsidenten und unter Beteiligung des britischen Ex-Premier Tony Blair soll die Region verwalten und dort eine “Sonderwirtschaftszone” einrichten, militärisch abgesichert durch eine “internationale Stabilisierungstruppe”. Tony Blair war 2003 für den verbrecherischen Krieg gegen den Irak verantwortlich und mit seinem Institut an den Entwürfen “Gaza Riviera” und “Elon Musk Smart Manufacturing Zone” beteiligt, die durchaus eine Vertreibung der jetzigen Bevölkerung vorsehen, um Gaza wirtschaftlich nutzen zu können.  Die “Stabilisierungstruppe” soll durch palästinensische Polizist*innen ergänzt werden. Die bisherige Besatzungspolitik zeigt was das bedeuten kann: Die israelischen Truppen rekrutierten Angehöriger krimineller Banden und mit dem Islamischen Staat verbundene extreme Dschihadisten, um mit der Hamas konkurrierende bewaffnete Einheiten aufzubauen. Es gibt in diesem Szenario keinen Raum für demokratische Rechte oder Opposition, ein palästinensischer Staat rückt in weite Ferne. Die einzigen jemals von den Palästinenser*innen demokratisch legitimierten Gruppen – die Hamas und die Parteien der Autonomiebehörde wie die Fatah – sind von der Beteiligung ausgeschlossen. Der Plan knüpft an Trumps Vorstellungen an, auf den Trümmern von Gaza profitable Geschäfte für Investoren zu organisieren.

Es ist bizarr, dass die Linksjugend.solid Illusionen in diesen Plan verbreitet. Bürgerliche Journalist*innen sind skeptischer: “Die Aussicht auf Erfolg ist zweifelhaft, entscheidende Fragen bleiben unbeantwortet: Mit der Vorlage seines Gaza-Friedensplans präsentiert US-Präsident Trump vor allem sich selbst.” kommentierte Christian Limpert aus dem ARD-Studio Tel Aviv am 30.9.

Der Linke-Vorsitzende Jan van Aken, nicht gerade für eine entschiedene pro-palästinensische Haltung bekannt, ordnet den Plan in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Rundschau auch realistischer ein: “Immer sollte man Ideen und Plänen mit Offenheit begegnen, wenn auch nur die winzigste Chance besteht, dass sie uns einen Schritt in Richtung Frieden bringen. Aber der von Trump vorgelegte ‘Friedensplan’ muss leider mit sehr großer Skepsis betrachtet werden. Die größte Schwachstelle: Palästinenser*innen waren daran überhaupt nicht beteiligt (…) Vor allem aber ist dieser Plan einmal mehr eine Allmachtsfantasie von Trump: Er möchte sich königsgleich als Herrscher von Gaza installieren, oberster Befehlshaber über palästinensisches Land.”

Politisches Gaslighting

In einem Kommentar der linksjugend wird zwar auf die Schwächen des Plans hingewiesen und allgemein Richtiges gefordert (Ende der militärischen Besatzung, demokratische Rechte für die Palästinenser*innen usw.), es wird festgestellt, dass Israels Verpflichtungen sehr unkonkret seien.

Doch der Kernsatz des Textes ist: “Wir fordern … die Annahme des Friedensplans durch die Hamas.” Nach zwei Jahren Bombardierung und Kriegsverbrechen durch Israel als den Akteur, der das gesamte Geschehen bestimmt, nach 65.000 Ermordeten durch die israelische Armee, schiebt eine sich sozialistisch nennende Gruppe die Verantwortung für Ende oder Andauern der Genozids das Hamas zu, einer Guerilla-Truppe, die sich mit ihren verbliebenen Kämpfer*innen in den Trümmern festkrallt. Was ist das anderes als politisches Gaslighting? Die Behauptung, die Hamas könne es beenden, war von Beginn an Netanyahus propagandistischer Zaubertrick. Das Geschehen wurde jedoch seit dem 7. Oktober vom israelischen Staat bestimmt und kontrolliert, die der Hamas zugewiesene Rolle war es, als Legitimation des Massenmordens zu dienen.

Kein Gott, kein Kaiser, kein Trump

Der Druck der Massenproteste hat dazu geführt, dass Israel zunehmend isoliert ist. Auch die treuesten Verbündeten wie der deutsche Staat sind gezwungen, zumindest symbolische Maßnahmen gegen Israel zu ergreifen. Dieser Druck und Trumps Strategie, sich als großer Friedensstifter aufzuspielen, haben zur Vorlage des “Friedensplans” geführt.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass daraus die Freilassung der Geiseln, eine Pause der israelischen Angriffe und die Freilassung palästinensischer Geiseln aus israelischen Internierungslagern resultieren. Das wäre für die Menschen in Gaza eine vorübergehende und für die Angehörigen der Geiseln eine große Erleichterung und natürlich zu begrüßen. Doch auch dabei ist Skepsis angebracht: Wenn es keine Geiseln mehr in Gaza gibt, wird die Legitimation der israelischen Kriegsführung schwächer. Es ist fraglich, ob sich die Regierung Netanyahu das leisten kann und ob sie nicht selbst diesen kleinen Fortschritt aktiv sabotiert.

Millionen Menschen weltweit sind aktiv geworden gegen den Genozid. Italien erlebt die größte Streik- und Protestbewegung seit 20 Jahren. Allein an diesem Wochenende waren bis zu einer Million Menschen auf den Straßen Roms und 250.000 in Amsterdam. In vielen deutschen Städten wurden am 2. Oktober Tausende innerhalb weniger Stunden mobilisiert, um gegen Israels Piraterie und Entführung der Sumud-Aktivist*innen zu protestieren. Das ist der Weg vorwärts: Der Genozid kann durch die internationale Solidarität der Arbeiter*innen und der Jugend gestoppt werden, indem Waffentransporte und wirtschaftliche Kontakte nach Israel durch Streiks und Blockaden gekappt werden. Trump rettet die Palästinenser*innen nicht, das müssen wir selbst machen.