Debatte: Die Marxist*innen und Die Linke – Kampf für einen revolutionären Flügel oder Kritik von außen?

Mitglieder der SAV und andere Marxist*innen beteiligen sich an der Partei Die Linke. RIO (Revolutionäre Internationalistische Organisation) und RSO (Revolutionär-Sozialistische Organisation) haben zur Bundestagswahl 2025 eigene Direktkandidat*innen aufgestellt, um eine Wahlalternative links der Partei vorwärts zu bringen und argumentieren für eigenständige Kandidaturen bei kommenden Wahlen. Wir haben für den Einstieg in die Debatte RIO/KgK eingeladen, ihre Position zu schildern, und antworten darauf.

Stefan Schneider und Marco Blechschmidt, RIO/Klasse Gegen Klasse

Noch vor einem Jahr schien klar: Die Partei Die Linke geht unter. Nach dem Comeback bei der Bundestagswahl und dem Wachstum auf 120.000 Mitglieder scheint hingegen wieder alles möglich. Bei Frauen und Unter-30-Jährigen liegt die Partei in Umfragen vorne, Heidi Reichinnek gehört zu den beliebtesten Politiker*innen des Landes. In Berlin könnte die Partei bei der Abgeordnetenhauswahl 2026 sogar stärkste Kraft werden.

Viele, vor allem junge Menschen suchen nach einer politischen Kraft, die den Rechtsruck bekämpft. Denn die AfD ist ungebrochen stark, die Union setzt im Zweifel als Mehrheitsbeschafferin auf sie und das Vertrauen in die traditionellen Parteien ist so gering wie nie zuvor. Das ist auch ein internationales Phänomen, wie das neue Parteiprojekt des ehemaligen Labour-Chefs Jeremy Corbyn zeigt, beflügelt durch die riesige Palästinabewegung. Auch in Deutschland spielt das eine wichtige Rolle, obwohl die Parteiführung weiter an  der zionistischen „Staatsräson“ festhält.

Die zehntausenden Neumitglieder wirbeln den alten Linksparteiapparat zweifellos auf. Für revolutionäre Sozialist:innen ist es zentral, mit diesen Menschen in Interaktion zu treten. Das bedeutet, aktiv alle gemeinsamen Räume zu suchen, um gemeinsame Erfahrungen zu machen und die fortschrittlichsten Lehren daraus zu ziehen. Aber dafür müssen wir stets sagen, „was ist“. Um gegen die Aufrüstung und das Großmachtstreben des deutschen Imperialismus zu kämpfen, braucht es einen vollständigen Bruch mit der Merz-Regierung.  Eine „Front der demokratischen Parteien“, wie sie der Führung der Partei Die Linke vorschwebt, kann den Rechtsruck nicht stoppen.

Die Parteiführung verfolgt weiter die Perspektive, sich immer tiefer in den imperialistischen deutschen Staatsapparat zu integrieren, indem sie in Regierungsbeteiligungen auf Landes- und perspektivisch Bundesebene immer neue soziale Angriffe und Rechtswenden mitträgt. Der Zusammenschluss des „progressiven Lagers“ – sprich: Rot-Rot-Grün – gilt für die Führung der Partei Die Linke als Mittel der Wahl gegen eine drohende schwarz-blaue Bundesregierung. In der Praxis bedeutet dies nicht nur das Anbiedern an SPD und Grüne als tragende Stützen des deutschen Regimes. Es vergeht auch kaum eine Woche ohne neue Aussage, die auf eine kritische Unterstützung der Merz-Regierung hinausläuft: Die Stimmen für Kriegskredite im Bundesrat, die Ermöglichung von Merz‘ zunächst gescheiterter Kanzlerahl im Bundestag, die Hetze gegen den palästinasolidarischen Bezirksverband Neukölln. Die Liste ließe sich fortsetzen.

In Berlin schielt die Partei längst auf einen Testlauf für Rot-Rot-Grün. Dabei wird Rot-Rot-Grün in Berlin nur die Kehrseite der loyalen Oppositionspolitik im Bund sein können. In einer Bilanz zum Bundesparteitag der Linken schrieb die SAV: „Die Debatte [über Regierungsbeteiligung] muss weitergeführt werden.“ Es braucht aber keine Endlosdebatte, sondern einen politischen Kampf gegen die Führung. Es wäre fatal, wenn die zehntausenden Neumitglieder zu einer Manövriermasse für den anpasslerischen Kurs der Parteiführung verkommen würden. Es ist deshalb zentral, Aktionseinheiten linker Kräfte außerhalb und innerhalb der Partei, der Gewerkschaften und der Palästina-Bewegung zu schmieden, um den Plänen der Regierung und der Bosse den Kampf anzusagen und gleichzeitig die reformistischen Führungen zu konfrontieren.

Aber auch der Wahlkampf in Berlin im kommenden Jahr wird  ein Testlauf sein. Man kann nicht gleichzeitig für eine andere Ausrichtung der Partei eintreten und an einem Lagerwahlkampf gemeinsam mit SPD und Grünen teilnehmen, die selbst treibende Kräfte der Militarisierung und der Unterstützung des Staates Israel sind. Die Partei Die Linke steht selbst für einen Souveränismus, der die Interessen der europäischen Imperialismen in der internationalen Konkurrenz verteidigen will. Ein unabhängiger sozialistischer Wahlantritt ist demgegenüber umso wichtiger. Nicht etwa, um sich nicht die Hände schmutzig zu machen, sondern als Einladung an all jene, die nach links gehen wollen, dass eine antiimperialistische und antikapitalistische Alternative möglich ist, die den Kampf gegen den Genozid in Gaza mit dem Kampf gegen Aufrüstung, Rechtsruck und Kürzungen im Interesse des Kapitals verbindet.

Claus Ludwig, Redaktion sozialismus.info 

Die SAV stimmt mit RIO/KgK überein, dass kein „progressives Lager” mit SPD und Grünen möglich ist, welches den Rechtsruck aufhalten und Schwarz-Blau verhindern kann. Auch die Einschätzung, dass noch immer große Teile der Partei Die Linke auf genau diese Lagerbildung und Regierungsbeteiligung orientieren – z.B. in Berlin ab 2026 – ist korrekt.

Die Frage ist allerdings, wie ein linker Pol gegen die Sackgasse der Anpassung und Selbstaufgabe aufgebaut werden kann. Die Konfliktlinien verlaufen dabei nicht zwischen den Sozialist*innen außerhalb und den Linke-Mitgliedern, sondern mitten durch die Partei. Die SAV charakterisiert Die Linke als „zwei Parteien in einer”: auf der einen Seite diejenigen, die auf eine Einbindung in das kapitalistische Establishment und die Akzeptanz des deutschen Imperialismus orientieren; auf der anderen Seite das Potenzial für eine kämpfende antikapitalistische Partei.

Im März 2024 schrieb KgK: „[…] das Auseinanderbrechen der Linkspartei öffnet heute einen Raum, um mit einer offen revolutionären Ansprache ein breites Publikum zu erreichen.” (aus: Gegen AfD, Krieg und Krise: Für eine sozialistische Wahlfront).

Die Einschätzung bezüglich des „Auseinanderbrechens” war voreilig, aber auch wir gingen vom Anhalten der Krise der Partei aus und waren von der Größe des Zustroms überwiegend junger Mitglieder überrascht. Wir hielten allerdings selbst vor dem Hintergrund des Taumelns der Linkspartei den Raum für eine sozialistische Wahlfront für klein.

Der Raum ist seitdem geschrumpft. In der größten linken Organisierungswelle seit Jahrzehnten sind Zehntausende junger Menschen eingetreten. Bei solid, im SDS und Kreisverbänden entwickeln sich linksreformistische und proto-zentristische Kerne – von Strömungen zu sprechen wäre übertrieben und vieles ist noch am Anfang. Die neuen Mitglieder üben linken Druck auf Parteiführung und Apparat aus, gerade an der zentralen Frage des Genozids in Gaza. Dieser Druck ist noch nicht bewusst organisiert. Er hat allerdings Auswirkungen auf die Zusammensetzung der örtlichen Führungen und der Bundestagsfraktion.

Keine Illusionen

Wir machen uns keine Illusionen: Es gibt in Apparat und Gliederungen weiterhin starke Kräfte, die versuchen, die Partei an den deutschen Imperialismus zu ketten. Sie sind erfahren, haben Macht und Ressourcen und die Unterstützung der bürgerlichen Medien in der innerparteilichen Auseinandersetzung. Wir erleben das täglich bei der Frage der Gaza-Solidarität, bei der Reduzierung der Kampagnenarbeit auf angeblich massenkompatible Themen wie Wohnen und der Entkopplung der sozialen Frage vom Militarismus.

Die zweite Honeymoon-Phase der Partei wird nicht lange dauern. Konflikte werden zunehmen, vor allem um Fragen wie „Mitregieren oder linke Opposition” z.B. in Berlin oder Sachsen-Anhalt. Marxist*innen sollten sich aktiv einbringen. Dafür brauchen sie programmatische Klarheit und Festigkeit – und Geduld mit den neuen Mitgliedern, welche die Erfahrungen in der Partei selbst machen müssen.

Auch Revolutionär*innen von außerhalb können dabei eine Rolle spielen und durch die Einheitsfront-Methode den linken Flügel in der Partei stärken. Eine sozialistische Wahlfront wäre in der jetzigen Phase allerdings eine Ablenkung. Die Kampagne würde Kräfte von Marxist*innen weg vom Kampf um Köpfe der Parteimitglieder verlagern. Der Kampf gegen die reformistische Sackgasse und die Anpassung an das Establishment muss in und um Die Linke geführt werden. 

Das von RIO/KgK vorgeschlagene Modell klingt für uns sehr nach „One size FITs* all”, weil es sich stark am erfolgreichen argentinischen Modell eines Wahlbündnisses aus revolutionären Gruppen orientiert. Die Unterschiede zu Argentinien stärkere Verankerung der Revolutionär*innen in der Arbeiter*innenklasse einerseits und das Vorhandensein der Partei Die Linke andererseits – werden dabei zu wenig gewichtet.

Wir schlagen vor, die Idee von RIO/KgK, die revolutionären Kräfte in einem Wahlprojekt zusammenzubringen, vom Kopf auf die Füße zu stellen: Lasst uns nicht die Wahlfrage in den Mittelpunkt stellen, sondern die Bildung revolutionären, marxistischen Pols in den Bewegungen und Gewerkschaften, der auch in Partei Die Linke hinein wirkt.

* FIT: Frente de Izquierda y los Trabajadores (Front der Linken und der Arbeiter*innen), Argentinien.