In Spanien steht ein heißer Herbst bevor

Foto: flickr.com/dckf CC BY-NC-ND 2.0

Text eines Flugblatts von „Socialismo Revolucionario“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Spanien)

Im spanischen Staat steht aufgrund der sich weiter zuspitzenden Krise und Instabilität sowie einer zunehmenden Welle an sozialen Kämpfen ein heißer Herbst bevor. Die vergangenen Wochen können als Phase intensiver Mobilisierung bezeichnet werden, da es zu zahlreichen Protesten mit mehreren zehntausend TeilnehmerInnen gekommen ist. Dazu zählt unter anderem auch die landesweite Demonstration der Gewerkschaften vom 15. September, an der bis zu einer Million Menschen teilnahmen und über die wir bereits berichteten. Kurz danach folgten die beiden Demonstrationen vom 25. und 29. September mit jeweils mehreren zehntausend TeilnehmerInnen, bei denen auch das Parlamentsgebäude umzingelt wurde. Dabei kam es zu brutalen Polizeieinsätzen, was eine starke Gegenreaktion aus der Bevölkerung hervorrief – und eine ganze Reihe von wichtigen Streiks und Kämpfen in bestimmten Branchen: dem Transportwesen, dem Bildungssektor etc. In dieser Woche hat eine Meinungsumfrage gezeigt, dass erstaunliche 77 Prozent der SpanierInnen „mit den Beweggründen übereinstimmen“, die die Protestierenden hatten, um das Parlament zu umzingeln. Sie hatten sich dabei gegen die sogenannte Austeritäts-, sprich: Kürzungspolitik der Regierung und die Korruption des politischen Establishments ausgesprochen. Die führenden Figuren der wichtigsten Gewerkschaften machen indes den Anschein, als würden sie für den 14. November tatsächlich zu einem Generalstreik aufrufen. Das heißt, dass man in Spanien am selben Tag zum Generalstreik zusammenkommen wird wie die ArbeiterInnen im benachbarten Portugal. So wird die potenzielle Stärke sichtbar, was immense Auswirkungen hätte. Dies ist natürlich sehr zu begrüßen, trotz der Tatsache, dass ein früherer Termin einen derartigen Aufruf wahrscheinlich wesentlich effektiver gemacht hätte und die Gefahr wesentlich geringer gewesen wäre, dass die GewerkschaftsführerInnen sich dessen nur bedienen, um ein „Sicherheitsventil“ zu öffnen, damit die ArbeiterInnen Druck ablassen können statt einen Schritt in Richtung ernsthaften Kampfes zu tun, und trotz der Binsenweisheit, dass man eigentlich sofort hätte streiken müssen, als das Eisen noch heiß war, um zu verhindern, dass man Zeit verliert oder den richtigen Moment verpasst. Und trotz dieser Verzögerung wird es anlässlich der Mobilisierung für diesen Generalstreik zu einer ganzen Reihe weiterer mobilisierender Aktionen kommen. Den Anfang machte der Studierendenstreik am 11. Oktober, und weitere Aktionen der Studierenden folgen schon in der kommenden Woche.

In allen Bereichen zeichnet sich die Situation durch eine tiefgreifende Radikalisierung aus, wobei alles, was bis vor kurzem noch als heilig und fest verankert galt, nun in Frage gestellt wird. In den paar Wochen seit der gewaltigen Demonstration für die Unabhängigkeit Kataloniens am 11. September, dem katalanischen Nationalfeiertag „la Diada“ (siehe auch diesen Artikel), steht die „nationale Frage“ wieder ganz oben auf der Tagesordnung. So wurden in Katalonien vorzeitige Neuwahlen für den 25. November anberaumt und über der Zentralregierung Rajoy in Madrid hängt weiterhin das Damoklesschwert eines möglichen Referendums über die Selbstbestimmung, das die Flut an Problemen nicht gerade kleiner werden lässt. Bei den Regionalwahlen im Baskenland am 21. Oktober haben die Parteien der Regierungskoalition eine schwere Niederlage erlitten. Und die nationalen Spannungen spiegeln sich in den Wahlergebnissen wider.

„Socialismo Revolucionario“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Spanien) war bei der jüngsten Welle an Kämpfen vollends eingebunden und wartete mit einem Programm zur Vereinigung und Ausweitung der einzelnen Kämpfe auf. Vorgeschlagen wird ein 48-stündiger Generalstreik als nächster Schritt in einem Kampf, der sich zuspitzen wird bis die Regierung der konservativen „Partido Popular“ (PP) zu Fall gebracht ist. Nach einem Streik von 48 Stunden Dauer muss der Kampf weitergehen und vertieft werden, um eine Bewegung aufzubauen, die in der Lage sein kann, die Regierung und letztlich das gesamte kapitalistische System herauszufordern. Ein derartiges Aktionsprogramm für den weiteren Kampf könnte die Arbeiterklasse – auf Landesebene – um ein Programm herum vereinen, mit dem die Austeritätsmaßnahmen beiseite geräumt werden und man zu einer sozialistischen Alternative gelangt. Auch könnte man damit die überaus gefährliche Polarisation, zu der es aufgrund von potenziellen Nationalitäten-Konflikten kommen könnte, oder das Erstarken der extremen Rechten (wie in Griechenland bereits im Fall der Organisation „Goldene Morgenröte“ geschehen) verhindern. Wir treten für weitere Schritte auf Grundlage des gemeinsamen Kampfes und eines Programms ein, mit dem man zu einer Regierung der Arbeiterklasse gelangt. Das ist der einzige Weg, um die derzeitige Abwärtsspirale beenden zu können. Ein solches Programm, das wir allen AkteurInnen der politischen Linken – vor allem der „Vereinten Linken“ (IU) – vorschlagen, muss auch die Verteidigung der vollen Rechte zur Selbstbestimmung für alle Regionen Spaniens umfassen. Das muss bis hin zum Recht auf Unabhängigkeit gehen und würde somit der PP-Regierung entgegen stehen, die das Recht der katalanischen Bevölkerung, genau darüber zu entscheiden, negiert.

Im Folgenden veröffentlichen wir die Übersetzung eines Flugblatts, das „Socialismo Revolucionario“ anlässlich der Demonstrationen, die am Samstag, 13. Oktober, von der Bewegung 15-M / „Die Wütenden“ (span.: „indignados“) gegen die Schuldenzahlungen organisiert wurden, verfasst hat.

 

Wir werden die Schulden nicht bezahlen! Zieht die Reichen für die von ihnen gemachte Krise zur Verantwortung!

Der Kampf muss verstärkt und international ausgeweitet werden! Für einen koordinierten Generalstreik Südeuropas als Schritt hin zu einem europaweiten Generalstreik!

Nieder mit den Regierungen der Märkte und der Troika!

Derzeit erleben wir, wie die Wirtschaft hier und weltweit unter dem Druck der brutalen Austeritätspolitik der kapitalistischen Regierungen kaputt geht. Und trotzdem machen sie damit weiter, verschärfen ihre Maßnahmen, pressen immer mehr aus den ArbeiterInnen, den Jugendlichen, Arbeitslosen und RentnerInnen heraus und drücken die Wirtschaft damit immer mehr zu Boden. Gleichzeitig erleben wir aber auch – sowohl hier wie weltweit – eine neue Welle von Kämpfen und Mobilisierungen, einen großartigen gesellschaftlichen Versuch, das Desaster zu verhindern, das der Kapitalismus für uns vorbereitet.

Die Zeit ist gekommen, um ihre Lügen aufzudecken. Sie erzählen uns, dass die Wirtschaft gerettet wird, wenn die die Banken gerettet werden. Aber alles, was geschehen ist, ist, dass dem Staat und dem öffentlichen Dienst ein Schuldenberg aufgehalst wurde, der vom privaten Sektor angehäuft worden ist. Dann erzählte man uns, dass man diesen Schulden nur beikommen kann, wenn wir Kürzungen hinnehmen und dass das helfen würde, um das Defizit abzubauen und die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Und wieder passierte das genaue Gegenteil: Die Kürzungen zerstören alle wirtschaftlichen Wachstumskapazitäten und verstärken die Rezession, führen zu steigenden Schulden und tragen nichts zur Lösung des Defizit-Problems bei. Und jetzt führen sie uns noch dahin, dass die Troika uns mit einem Rettungspaket beistehen muss. Damit werden wir Mitglied des Vereins der „geretteten“ Staaten Europas, in denen Verelendung und erzwungene Auswanderungswellen von Jugendlichen zur Norm geworden sind. Wir haben aber die Macht, diese Spirale zu durchbrechen und unseren eigenen Weg zu gehen.

Alle diese Lügen beinhalten auch immer ein Quenchen Wahrheit: Diese Schulden sind nicht unsere Schulden! Wir haben diese Schulden nicht angehäuft oder in die Höhe getrieben! Deshalb hat „Socialismo Revolucionario“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Spanien; Erg. d. Übers.) immer klar gemacht, dass wir dafür auch nicht zu zahlen haben. Es gibt keine Rechtfertigung dafür – weder eine ökonomische noch eine politische oder sonst eine, um mit der Schuldentilgung fortzufahren.

Wenn man sieht, mit welcher Hingabe die PP genau wie die (sozialdemokratische; Erg. d. Übers.) PSOE und andere kapitalistische Parteien diese Schulden um jeden Preis bezahlen, dann weiß man, wem sie sich verpflichtet fühlen. Sie ziehen es vor, ihre Politik darauf aufzubauen, den super-reichen Akteuren der „Märkte“ Milliarden in den Rachen zu werfen, anstatt die Bedürfnisse der arbeitenden Menschen in diesem Land zur Grundlage zu machen, die einen Albtraum durchmachen. 2012 wird sich die Zahlung allein der Zinsen für diese Schulden auf fast 29 Milliarden belaufen. Das ist mehr, als die Gesamtsumme der brutalen Kürzungen, die in Rajoys Haushaltsentwurf bislang vorgesehen sind! Statt das Geld zur Lösung der fundamentalen Probleme der Gesellschaft aufzuwenden, werfen sie unvorstellbare Summen in das schwarze Loch an ungerechtfertigten und unbezahlbaren Schulden. Zur gleichen Zeit liegen Billionen von Euro auf den Bankkonten der Super-Reichen und lagern als Reserven bei den Konzernen, die nicht einmal angerührt werden. Diese Politik, bei der die Interessen der Reichen alles beherrschen, macht das essentielle Problem des Kapitalismus klar. Um sie zu konfrontieren, müssen wir den Kapitalismus grundsätzlich herausfordern. Der erste Schritt muss darin bestehen, die Schuldenzahlung abzulehnen. Das muss mit einem Programm einhergehen, über das die Reichen zur Zahlung der finanziellen Auswirkungen der Krise und die Ressourcen der Gesellschaft zum Wohle der Arbeiterklasse herangezogen werden.

Wir müssen den Kampf verstärken und international führen!

Um aus dieser Situation herauszukommen, ist es ganz klar, dass wir diese Regierung der Reichen stürzen müssen. Deshalb muss zur Durchführung der Auseinandersetzungen in den bevorstehenden Wochen und Monaten eine Strategie zum Zuge kommen, die auf einem ernsthaften und umfassenden Aktionsplan basiert, und mit der die Kämpfe eskaliert werden, bis die Regierung zu Fall gebracht und die Ausplünderungspolitik beendet worden ist. Was wir uns nicht leisten können, ist, durch eine abermalige Phase von Kämpfen zu gehen, die wieder bloß symbolischen Charakter haben. Wozu das führt, haben wir bei den Generalstreiks am 29. September 2010 und den Großdemonstrationen vom 29. März 2012 gesehen, die von der rechtslastigen Gewerkschaftsführung benutzt wurden, um ein Ende des Prozesses herbeizuführen, statt den Beginn der Konfrontation zu markieren. Wir müssen mit Massenmobilisierungen arbeiten und einer durchorganisierten Kampagne unter den Mitgliedern der Gewerkschaften. Vor allem müssen wir uns auf die kämpferischeren Gewerkschaften orientieren, damit die nächste Phase der Kämpfe anders abläuft. Demokratische Versammlungen und Streikkomitees in den Betrieben, Hochschulen, Schulen und Wohnvierteln sollten gegründet und miteinander koordiniert werden, um eine neue Qualität der Kämpfe zu diskutieren und zu beschließen. Weil wir es als angemessenen nächsten Schritt ansehen und als adäquates Mittel zur Erhöhung des Drucks auf die Regierung, stellt „Socialismo Revolucionario“ die Forderung nach einem 48-stündigen Generalstreik auf. Solch ein Streik, der überall im spanischen Staat organisiert werden muss, wäre ein Zeichen der Klassen-Einheit und Stärke, die von der herrschenden Klasse nicht ignoriert werden kann.

Das Beispiel des Kampfes der ArbeiterInnen in Portugal, die von der Regierung die Rücknahme der Lohnkürzungen erreichen konnten, zeigt das Potential des Klassenkampfes Erfolge erzielen zu können. Wir müssen uns mit unserer Klasse auf europäischer Ebene im Kampf vereinen – schließlich leiden wir unter denselben Angriffen von Seiten unserer jeweiligen Regierung, der Troika und dem Kapitalismus der EU. Die Möglichkeit eines miteinander koordinierten Streiks auf der iberischen Halbinsel am 14. November ist ein enormer Schritt vorwärts, aber es wird auch nötig sein, weiter zu gehen, einen solchen Streik auch auf Griechenland und Italien auszuweiten. Auch darf sich das derzeitige Wiederaufleben der Kämpfe nicht allein auf Südeuropa beschränken. In nördlichen Ländern wie Irland und Großbritannien kann man gerade den Beginn neuer Kämpfe erleben. Dort liegt die Grundlage dafür, unseren eigenen Horizont in Richtung eines europaweiten Generalstreiks zu erweitern.

Ein europaweiter und koordinierter Kampf würde zeigen, dass es in Europa nicht nur um das gescheiterte Projekt der kapitalistischen Vereinigung in der EU und um den Euro geht, sondern auch um eine internationale Kraft mit gemeinsamen Interessen und unwiderlegbarem Machtpotential der europäischen Arbeiterklasse. Auf Grundlage dieser Kraft kann eine Alternative zum kapitalistischen Euro und den Erpressungsmechanismen der EU aufgebaut werden: eine demokratische, freiwillige Föderation sozialistischer Staaten.

Die Forderungen von SR:

  • Keine Schuldenzahlung! Einsatz des gesellschaftlichen Reichtums zur Schaffung von Arbeitsplätzen und Stärkung des öffentlichen Dienstes sowie zum Wiederaufbau der produktiven Wirtschaft!
  • Hohe Steuern auf den Reichtum der Millionäre und Großkonzerne, um massive Investitionen im öffentlichen Sektor leisten zu können! Verstaatlichung der Banken unter demokratischer Kontrolle. Einführung von Kontrollen über den Kapitaltransfer, um „Kapitalflucht“ zu verhindern.
  • Verstaatlichung der Schlüsselbranchen der Wirtschaft unter demokratischer Kontrolle und Geschäftsführung der Beschäftigten selbst, um die Wirtschaft gemäß eines Plans für echte Entwicklung zu erholen und zu restrukturieren, statt weiterhin dem Marktchaos auszusetzen.
  • Für einen gemeinsamen Generalstreik über 48 Stunden im ganzen spanischen Staat als nächster Schritt eines nachhaltigen Aktionsplans! Vereint die Kämpfe in Europa mit einem internationalen Kampftag. Dazu ist auch ein koordinierter Generalstreik in Südeuropa nötig! – Bis hin zu einem europaweiten Generalstreik!
  • Für den Aufbau einer vereinigten, demokratischen Linken der Massen, um für eine Arbeiter-Regierung als Alternative zur Herrschaft des Kapitals zu kämpfen.