20 Jahre Kapitalismus im Osten = 20 Argumente gegen Profitsystem

Politiker und Medien treten Debatte über DDR los. Warum?


 

Bundeskanzlerin Angela Merkel möchte angeblich vor einer Verklärung schützen: „Die DDR war ein Unrechtsstaat, auf Unrecht gegründet, ohne legale Opposition, ohne freie Wahlen, ohne unabhängige Justiz, ohne Meinungsfreiheit“, es gelte, an das „unerträgliche Leben“ in der DDR zu erinnern. In einem Fernsehinterview bei Sandra Maischberger bestand sie darauf, dass man von diesem System „überhaupt nichts lernen“ könne.

von K. Openorth, Köln

Bürgerliche Zeitungen wie die FAZ scheinen sich Sorgen darüber zu machen, dass die Zweifel wachsen könnten, wie demokratisch ein „Rechtsstaat“ wirklich ist, in dem man von einem Tag auf den anderen seinen Job oder seine ganzen Ersparnisse verlieren kann, wenn das Kapital das diktiert.

Vielleicht denken FAZ und andere auch, dass die abschreckende Wirkung eines zwei Millionen Mitarbeiter großen Spitzelsystems schwindet, wenn man über die Informationen nachdenkt, die zur Zeit über Überwachungskameras, Handy-Telefonate, E-Mails, Besuche auf Internetseiten oder über Bankgeschäfte gesammelt und in riesigen abrufbaren Datenbanken gespeichert werden.

Armut in Ostdeutschland

Der Ausverkauf von Teilen der DDR-Wirtschaft nach der Wiedervereinigung provozierte einen in dieser Form noch nie dagewesenen Wirtschaftseinbruch. Die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung wurde ins Aus manövriert und der Lebensstandard massiv nach unten gedrückt. Der neueste Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes warnt vor einem Zerreißen Deutschlands, er zeigt eine riesige Kluft zwischen den verschiedenen Bundesländern auf. Die ostdeutschen Länder liegen in Sachen Verarmung traurig an der Spit-ze.

Kein Sozialismus

Die DDR war kein Sozialismus. Sie hatte die Ideen von Karl Marx, der für eine Rätedemokratie eintrat, ad absurdum geführt. Der Staatsapparat sollte durch die Entwicklung von Maschinen, Wissenschaft und Know-How immer mehr an Bedeutung verlieren. In der DDR fand genau das Gegenteil statt. Der Staat wurde nicht kleiner, sondern immer größer, immer schwerfälliger und blockierte jegliche Bewegung.

Und genau dagegen setzten sich die DDR-Bürger zur Wehr. Sie wollten mehr Demokratie und nicht mehr Kapitalismus. Die ostdeutsche Bevölkerung kämpfte gegen fehlende Freiheit, fehl-ende Weiterentwicklung in Kultur und Wirtschaft und gegen die Arroganz der Bürokraten.

Sozialistische -Demokratie

Parolen waren „Wir bleiben hier“ und „Wir sind das Volk“. Demokratische Wahlen, Presse- und Reisefreiheit, die Abschaffung von Privilegien waren die Forderungen der Bewegung. Alle neu gegründeten Oppositionsgruppen, außer der SPD, setzten sich für einen demokratischen Sozialismus ein. Der Schwenk zur Marktwirtschaft begann erst Ende 1989, als nach wochenlangen Diskussionen und Demonstrationen die meisten nicht wussten, wie es weitergehen könnte. Selbst im Februar 1990 wollten noch 56 Prozent der Be-völkerung den Sozialismus erneuern.

Die jüngste Allensbach-Umfrage ergab, dass heute 45 Prozent der Westdeutschen und 57 Prozent der Ostdeutschen den Sozialismus für „eine gute Idee“ halten. Damit „haben sich die Westdeutschen langsam, aber beharrlich dem ostdeutschen Meinungsbild angepasst“, beklagt die FAZ. Darum schwingen Politiker und Medien ein halbes Jahr vor dem 20. Jahrestag des Mauerfalls die „DDR-Keule“.

20 Jahre nach dem Ende des Stalinis-mus haben wir es wieder mit einem Wirtschaftssystem zu tun, das offen- sichtlich am Ende ist. Die Erinnerungen an 1989 sollten uns ermutigen, diesmal in Ost und West gemeinsam gegen das „unerträgliche Leben“ vorzugehen und eine neue erfolgreiche Massenbewegung aufzubauen. ν

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