Deutlicher Rückenwind

Am 3. Juli 2004 wurde die „Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ gegründet

Der Verein Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) soll die Grundlage darstellen, im Herbst – per Urabstimmung – die Weichen für eine neue Partei zu stellen. Mit 10.000 Menschen, die sich bisher für eine der beiden Vorläufer-Initiativen interessierten, und mit Gruppen in über 70 Orten hat in kurzer Zeit eine neue politische Kraft Gestalt angenommen, die den Anspruch erhebt, gegen den neoliberalen Einheitsbrei der etablierten Parteien vorzugehen.
von Stephan Kimmerle, Berlin
 
Mit dem 1. November 2003 – der Demonstration von über 100.000 gegen Schröders Agenda – und dem 3. April – mehr als eine halbe Million demonstrierte gegen den Sozialkahlschlag – wurde deutlich, wie groß Wut und Unzufriedenheit in Deutschland vor dem Hintergrund der Krise des kapitalistischen Systems und der Angriffe von Regierung und Arbeitgebern sind. Auch wenn es den Gewerkschaftsspitzen gelang, die Bewegung zu zügeln und wenig folgen zu lassen, so stellt sich nicht nur auf Wahlebene sondern auch in Betrieben, Gewerkschaften und in sozialen Bewegungen die Frage nach einer neuen Interessensvertretung für Beschäftigte, Erwerbslose, Jugendliche und RentnerInnen – einer neuen Arbeiterpartei gegen den ganzen Einheitsbrei der neoliberalen Scharfmacher.
Dies drückte sich auch in der Unterstützung aus, die die InitiatorInnen erhielten. Es handelt sich vor allem um FunktionärInnen der mittleren Ebene der IG Metall, vor allem in Bayern, und anderer Gewerkschaften sowie bekanntere ProfessorInnen oder WissenschaftlerInnen.

Möglichkeiten …
Der Zusammenschluss jetzt bietet die Möglichkeit, endlich eine solche neue Partei zu formieren. Sie kann dazu beitragen, den neoliberalen, kapitalistischen Ideen endlich wieder etwas entgegen zu stellen. Sie kann damit AktivistInnen in Betrieben, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen ideologisch wiederbewaffnen und helfen, Kämpfe gegen die Angriffe von Regierung und Arbeitgebern erfolgreich zu führen, um selbst in die Offensive zu kommen. Eine solche Partei kann ein Forum bieten, Erfahrungen und Ideen auszutauschen. Und sie kann – nicht zuletzt – selbst Initiativen zu Widerstand und Protesten ergreifen.
Die Gründung der Wahlalternative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit bietet den ersten Bezugspunkt hierfür. Wenn aus ihr eine Partei hervorgeht, die von Jugendlichen, Beschäftigten und Erwerbslosen als Alternative zum Einheitsbrei der etablierten Parteien gesehen wird, wäre es möglich, dass sie nicht nur in den Bundestag einzieht, sondern auch zehntausende Mitglieder organisiert.
Dafür braucht sie nicht nur ein Programm, das darauf ausgerichtet ist, die Interessen der ArbeitnehmerInnen zu verteidigen (siehe Standpunkt). Ihr Erfolg wird auch entscheidend davon abhängen, ob sie es schafft, in konkreten Kämpfen und Auseindersetzungen deutlich zu machen, dass sie anders ist als die anderen Parteien. Will sie ihr volles Potential ausschöpfen, dann muss sie zum Beispiel in den Auseinandersetzungen gegen Arbeitszeitverlängerung, gegen Lohnraub und Angriffe auf das Gesundheitssystem zeigen, dass es sich lohnt, für sie zu den Wahllokalen zu gehen und in ihr aktiv zu werden.

… und die WASG bisher
Die WASG ist ein unbeschriebenes Blatt. Die Aktivisten in ihr sind das nicht. Viele der InitiatorInnen sind GewerkschaftsfunktionärInnen.
Die Spitzen-(Gehalts-)Funktionäre der Gewerkschaften haben es sich in diesem System bequem eingerichtet. Sie halten ihren Freunden bei SPD und Grünen den Rücken frei.
Und wie verhalten sich die GewerkschaftsfunktionärInnen der WASG? Klaus Ernst setzte 2003 mit einem Streik gegen die Agenda 2010 in Schweinfurt ein wichtiges Zeichen. Dabei ist es bis heute – abgesehen von kleineren Aktionen – vor allem von seinen MitstreiterInnen aus leider geblieben. Von daher ist fraglich, ob hier eine kämpferischere Linie in der WASG eingeschlagen wird.
Die Zusammensetzung und Haltung der Akteure deutet bisher nicht darauf hin, dass frische, junge AktivistInnen die neue Formation prägen könnten. Das Vorgehen ist leider nicht darauf ausgerichtet, offen und demokratisch auf neue Leute aus Betrieben und sozialen Bewegungen zuzugehen: Der Kongress der Wahlalternative am 20. Juni wurde für´s Schaufenster organisiert: Während die rund 700 TeilnehemerInnen noch diskutierten wurde auf einer Pressekonferenz verkündet, was herauskommen würde. Die mehrheitliche Ablehnung der Bürgerversicherung im zugehörigen Arbeitskreis auf der Konferenz konnte die Forderung nach ihr durch die WASG nicht trüben (siehe Seite 3).
Ohne offene Herangehensweise wird der Trend verstärkt, sich nur als zukünftiges Sprachrohr der sozialen Bewegungen in Parlamenten zu verstehen – nicht als kämpferischer und Kämpfe organisierender Teil. Diese Orientierung war auch schon bei SPD und Grünen Teil des Anpassungsprozesses.

Chance nutzen!
Das Potential für eine neue Partei ist da, die Ansätze auch. Beides steckt aber noch in den Anfängen: Erst durch die kommenden Auseinandersetzungen in Betrieben und Stadtteilen werden Hunderttausende und Millionen in Deutschland die Notwendigkeit sehen, selbst aktiv zu werden, sich nicht vertreten zu lassen, sondern selbst Partei zu ergreifen.
Trotzdem könnte es gelingen, Zehntausende heute zu organisieren, Kämpfe mit anzustoßen, zu leiten und auf dieser Grundlage nicht erst bei den Bundestagswahlen sondern schon bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen 2005 einen wichtigen Erfolg zu erzielen. Die Herangehensweise der WASG-Führung stellt das in Frage.
Die SAV wird sich dafür einsetzen, vor Ort in den Gruppen, auf Landes- und Bundesebene einen anderen Kurs durchzusetzen: Für eine kämpferische, offene, demokratische und sozialistische Partei.