„Herbst der Reformen”: Mehr arbeiten und weniger leben

„Wir können uns den Sozialstaat nicht mehr leisten” – Millionär Merz will die Bevölkerung einschwören auf harte Entbehrungen in Zeiten von Rezession und Krieg. Wir sollen mehr arbeiten und weniger leben, für mehr Waffen und höhere Unternehmensprofite. Jetzt werden erste Gesetzesentwürfe für den „Herbst der Reformen” im Bundestag debattiert.

Von Conny Dahmen, Köln

Das Bürgergeld (ehemals ALG II) soll in Grundsicherung umbenannt und Sanktionen verschärft werden – „… bis an die Grenze dessen, was verfassungsrechtlich zulässig ist.” (Bundesarbeitsministerin Bas). 

Wer zwei Termine beim Jobcenter versäumt, soll die monatlichen Leistungen um 30%, beim dritten Mal komplett gestrichen bekommen – ebenso, wenn eine Arbeitsaufnahme verweigert wird. Tatsächlich gab es 2024 laut der Bundesagentur für Arbeit nur ca. 16.000 so genannte „Totalverweigerer”. Demgegenüber stocken laut ver.di 826.000 Menschen ihren zu niedrigen Lohn mit Bürgergeld auf. 

Das Bundesfinanzministerium rechnet durch Kürzungen und Sanktionen mit 1,5 Milliarden Euro Einsparungen im nächsten Jahr, Wirtschaftsforscher*innen gehen jedoch eher von 170 Millionen aus. Abgesehen davon, dass von den Ärmsten zu nehmen nie viel einbringt, schaffen Strafen keine Arbeitsplätze, schon gar nicht in einer Rezession mit Entlassungen und Pleiten. Das wissen auch Merz und Bas. Vielmehr geht es darum, Druck auf alle Beschäftigten auszuüben, Verschlechterungen zu akzeptieren, vor Arbeitskämpfen zurückzuschrecken, oder schlechte Jobs aus Angst vor Armut anzunehmen. 

Arbeit ohne Ende I

Das vermeintliche „Rekordhoch” beim Bürgergeld ist ein Märchen. Die staatlichen Ausgaben dafür waren 2024 mit 46,9 Milliarden Euro zwar so hoch wie nie und 5,6 Milliarden höher als für das Arbeitslosengeld II in 2014. Inflationsbereinigt ist der Anteil des Bürgergeldes am Haushalt jedoch von 14% auf 10% gesunken.

Das Gleiche gilt für die Renten: der Anteil der Bundeszuschüsse an den Ausgaben der Rentenversicherung ist von 23,8% im Jahr 2003 auf 22,9% im Jahr 2022 gesunken. Zudem liegt mit durchschnittlich 48% des letzten Nettolohns das deutsche Rentenniveau 20% unter dem EU-Durchschnitt. In Dänemark gibt es 77,3%, in den Niederlanden sogar 90%. Die Hälfte aller Rentner*innen in Deutschland erhalten weniger als 1050 Euro brutto (vor Steuern, Krankenversicherung u.a.).

Der „demographische Wandel” ist ein Schreckgespenst, mit dem Rentenkürzungen und längere Lebensarbeitszeit begründet werden sollen. Die erheblich gestiegene Arbeitsproduktivität wird dabei überhaupt nicht berücksichtigt. 

In der Tat fließen 122,5 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt 2025 in die Rentenversicherung, um nicht beitragsfinanzierte Ausgaben wie Grundrente usw. zu decken, was immer schwieriger wird. Höhere Unternehmens- und Reichensteuern könnten mehr Geld in die Kassen bringen, doch genau das lehnt die Regierung kategorisch ab. Auch höhere Löhne und damit höhere Rentenbeiträge sind nicht gewollt – es geht ja schließlich darum, die Kosten für Kapitalist*innen zu senken.

Stattdessen sollen wir uns von der Vorstellung verabschieden, irgendwann mal nicht mehr arbeiten zu müssen. Jens Spahn fordert die Rente mit 70. Die Erhöhung des Rentenalters wird jetzt vorbereitet: Zum 1. Januar 2026 soll die „Aktivrente” eingeführt werden, mit der Menschen im Rentenalter 2000 Euro im Monat steuerfrei dazuverdienen können – ein erster Schritt zur Anhebung des Renteneintrittsalters. Da damit Beschäftigte gefördert werden, die keine Steuern zahlen anstatt z.B. Migrant*innen in reguläre Beschäftigungsverhältnisse mit Steuern und Sozialabgaben zu bringen, wird das Ganze laut Institut der Deutschen Wirtschaft 2,8 Milliarden Euro kosten.

Arbeiten ohne Ende II

Der zentrale Angriff der GroKo steht noch nicht in einem Gesetzesentwurf, aber bereits im Koalitionsvertrag: die Demontage eine der wichtigsten Errungenschaften der Arbeiter*innenbewegung, des 8-Stunden-Tages. Die tägliche Höchstarbeitszeit, die nur in Ausnahmefällen bis zu 10 Stunden betragen darf, soll ersetzt werden durch eine Wochenhöchstarbeitszeit von 48 Stunden. Beschäftigte sollen künftig bis zu 12 Stunden  und 15 Minuten am Stück arbeiten „dürfen”. Dies schaffe mehr Flexibilität – aber sicher nicht für die Beschäftigten. In vielen Branchen werden die Arbeitgeber entscheiden, wer wann länger bleibt oder geht.

Länger und mehr schuften sollen wir keineswegs für unseren Wohlstand, sondern für Profite und Kriegsvorbereitungen: Während im Etat für dieses und nächstes Jahr bei Sozialem gekürzt wird, sollen vor allem bei Verteidigung sowie bei Investitionen und Wirtschaftsförderung mehr Geld ausgegeben werden, z.B.für Gaskraftwerke, E-Mobilität und KI. Der Wehretat soll um 32% auf ein Volumen von knapp 82,7 Milliarden Euro wachsen, was mit dem Sondervermögen 2026 über 108 Milliarden Euro werden – das sind ca. 20% des Gesamthaushaltes. Bis 2029 sollen es 153 Milliarden Euro sein, also 3,5% des BIP. 

Laut 30. Subventionsbericht der Bundesregierung werden Subventionen und Steuergeschenke 2026 ein Rekordhoch von 78 Milliarden Euro erreichen, 33 mehr als 2023. 

Rekordhoch bei Gewinnen

Dabei erreichen die Vermögen der Kapitalist*innen ebenfalls ein neues Rekordhoch, genug, um jedes Haushaltsloch zu stopfen. Die hundert Reichsten Deutschlands häuften seit dem Jahr 2001 rund 460 Milliarden Euro zusätzlich an, allein im letzten Jahr ist die Zahl an Menschen mit einem Vermögen von über hundert Millionen Euro um 500 auf 3900 angestiegen.

Müsste jede*r mit mehr als 4,6 Millionen Euro Vermögen – z.B. Merz mit ca. 12 Millionen – nur 2% Vermögenssteuer zahlen und Milliardär*innen 5%, kämen laut einer Oxfam-Studie von 2024 bundesweit über 85 Milliarden Euro zusammen, ein Plus im Bundeshaushalt von knapp 20%. Stattdessen will Merz die Stromsteuer für Unternehmen senken.

Gewerkschaften in die Offensive!

In einem Interview im Kölner Stadtanzeiger vom 10. Oktober sagt die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi: „Wir steuern auf einen gesellschaftlichen Großkonflikt zu (…) Wenn wir so weitermachen, dann bekommen wir gesellschaftliche Zerwürfnisse, auf die wir als Gewerkschaften auch entsprechend antworten werden.” Auch die Vorsitzenden von IG Metall und Verdi, Christiane Benner und Frank Werneke, hatten in der Süddeutschen Zeitung vom 24.10. Aktionen angekündigt.

Damit sie das tatsächlich tun, ist noch einiges an Druck nötig. Schließlich erklärt sich Fahimi, vormals auch Generalsekretärin der SPD, im selben Interview auch „jederzeit bereit dazu, uns mit den Arbeitgebern an einen Tisch zu setzen, um gemeinsam über die Sicherung von Standorten und kluge Investitionen zu reden (…) Die Debatten zu befrieden, wird die Regierung nicht alleine schaffen. Sie werden uns, die Arbeitnehmerseite, brauchen, aber auch die Arbeitgeberseite, damit wir Kompromisse mittragen.” Benner und Werneke unterstützen in der SZ höhere Staatsausgaben „für innere Sicherheit und Verteidigung”.

Der DGB muss von den Verhandlungs- und Schreibtischen aufstehen und endlich den „Großkonflikt” eingehen – mit dem Kapital. Die Herrschenden meinen es ernst, mit Kriegsvorbereitung nach außen und Kampfansage nach innen, an die Arbeiter*innenklasse. Um diese und weitere Angriffe abwehren zu können, braucht es konsequenten Widerstand, nicht einzelne Dampfablass-Aktionen. DGB und Einzelgewerkschaften müssen ihren Aufgaben gerecht werden, Massendemonstrationen und Streiks organisieren und sich gegen die Militarisierung wenden. Unsere Freiheit  – die der Arbeiter*innenklasse – wird nicht auf dem Schlachtfeld, sondern auf der Straße und in den Betrieben erkämpft.

Statt Schikane von Erwerbslosen brauchen wir die Verkürzung von Lebens- und Wochenarbeitszeit, bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Statt Milliarden für Kriegsvorbereitung und Militarisierung brauchen wir massive Investitionen in Soziales, für Wohnungsbau, Bildung, Gesundheit, Klimaschutz. Statt Subventionen für Gaskraftwerke und Autoindustrie brauchen wir Investitionen in Bahn und Nahverkehr und klimagerechten Umbau der Produktionsstätten. Das Geld dafür darf nicht von den Armen, sondern muss von den Reichen kommen.

Die Partei Die Linke muss ihre neue Mitgliederstärke nutzen, mobilisieren und sich mit den richtigen Argumenten an die politische Spitze des Widerstandes setzen – sonst profitiert vom Frust mit der Regierungspolitik vor allem die AfD. Als Partei, die sich als sozialistisch versteht, muss Die Linke eine Perspektive über den Kapitalismus hinaus bieten. Denn auch Umverteilung wird nicht reichen, am Ende müssen wir dieses kranke ausbeuterische System überwinden, das uns nichts zu bieten hat außer Schuften bis zum Umfallen und Krieg.