Gleich zu Beginn ihrer Amtszeit hat die Bundesregierung klar gemacht, was wir in den nächsten Jahren für eine Politik zu erwarten haben. Merz sprach von einer „gewaltigen Kraftanstrengung“, die nötig wäre, um die Wirtschaft anzukurbeln und das Land wettbewerbsfähiger zu machen. Doch dahinter steckt kein Programm für die Anhebung des Wohlstandes der Mehrheit der Menschen in Deutschland, sondern ein Angriff auf unseren Lebensstandard.
Von Antje Zander, Berlin
Der Bundeskanzler wurde in seiner ersten Regierungserklärung deutlicher: „Wir müssen in diesem Land wieder mehr und vor allem effizienter arbeiten. Mit einer Vier-Tage Woche und Work-Life-Balance ist der Wohlstand nicht mehr zu halten.“ Der Koalitionsvertrag sieht vor, den 1918 durch die Arbeiter*innenbewegung lang und hart erkämpften Acht-Stunden-Tag abzuschaffen und durch ein Wochenarbeitszeitmodell zu ersetzen. Innerhalb dessen soll ein 12-Stunden-Tag möglich sein. Zusätzlich werden steuerliche Anreize für Überstunden geschaffen. Und wer nach dem Erreichen des Rentenalters noch weiterarbeiten will oder vielmehr angesichts der niedrigen Renten weiterarbeiten muss – soll steuerlich belohnt werden.
Dahinter steckt das von der Kapitalistenklasse immer wieder hervorgebrachte Argument, dass Stagnation und Wirtschaftskrise auf die „Faulheit“ der arbeitenden Menschen zurückzuführen sei und wir alle generell zu wenig arbeiten. Doch die Wahrheit sieht ganz anders aus. Allein im letzten Jahr wurden 1,2 Mrd. Überstunden geleistet (Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung), was 750 000 Vollzeitstellen entspricht. Ca. 44% der Beschäftigten arbeiteten regelmäßig mehr als ihre festgelegte Arbeitszeit, 52,6% der Überstunden blieben unbezahlt.
Auch die Zahl der abhängig Beschäftigten hat 2023 mit 42 Mio. Menschen Rekordwerte erreicht. Insgesamt arbeiteten sie 54,50 Mrd. Stunden – 1991 waren es noch 52 Mrd. Stunden. Dieser Anstieg geht vor allem darauf zurück, dass im Vergleich zu 1991 viel mehr Frauen einer Erwerbsarbeit nachgehen (2022: 73 Prozent). Allerdings arbeitet die Hälfte von ihnen in Teilzeit. Nicht aus Faulheit, sondern meistens, weil sie sich um Kinder oder auch die Pflege von Angehörigen und den Haushalt kümmern. Das heißt, dass diese Menschen gar nicht weniger arbeiten, sondern dass ein Teil ihrer für die Gesellschaft lebensnotwendigen Arbeit nicht bezahlt wird.
Flexibilität für Profitinteressen
Die CDU/SPD-Koalition begründet ihr Vorhaben der Einführung einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit mit den angeblichen Wünschen der Arbeitenden nach mehr Flexibilität. Doch die Realität ist eine andere: Der Koalitionsvertrag sieht keine Möglichkeit der Einflussnahme von Arbeitenden auf die Verteilung der Arbeitszeit vor. Letztendlich entscheiden immer noch die Unternehmer*innen, wann und wie wir arbeiten sollen und wann 12-Stunden-Schichten angesagt sind oder auch nicht. Sie können den Zwang auf Arbeiter*innen verschärfen, damit diese entsprechend der Unternehmensbedürfnisse arbeiten und so die Profite sichern. Untersuchungen zeigen allerdings, dass Arbeitszeiten über acht Stunden die Gesundheit und die Arbeitssicherheit gefährden. Nach einer Arbeitszeit von 12 Stunden ist z.B die Unfallrate bei der Arbeit oder der anschließenden Fahrt nach Hause um das zweifache erhöht im Vergleich zu acht Stunden. Arbeitsmediziner*innen gehen davon aus, dass stressbedingte Erkrankungen bei Arbeitszeiten länger als acht Stunden exponentiell zunehmen.
Entgegen des von den Herrschenden gern verbreiteten Bild des „faulen Arbeitslosen“ – sind deutlich mehr Menschen arbeitslos als es offene Stellen gibt. Jedes dritte Unternehmen plant, in diesem Jahr Stellen abzubauen.
Wo Arbeitskräfte gesucht werden – wie z.B. in Gesundheit und Pflege, in den Schulen, Kitas oder in der Gastronomie – liegt es nicht an „Work-Life-Balance“, dass immer weniger Menschen hier arbeiten wollen: Die Belastung der Beschäftigten ist zu hoch, die Arbeitszeiten sehr lang und die Löhne viel zu niedrig. Menschen verlassen diese Arbeitsplätze oft völlig ausgebrannt.
Doch statt die Arbeitsbedingungen und Löhne zu verbessern, liegt die Lösung der Koalition darin, den Druck auf Arbeitslose zu erhöhen. So gilt jetzt wieder der Vermittlungsvorrang für Erwerbslose. Statt Weiterbildung und Ausbildung werden die Menschen durch Sanktionen in prekäre Jobs gedrängt.
Die Ursache von Wirtschaftskrise und Stagnation liegt nicht an uns und unserer vermeintlichen Bequemlichkeit – sondern sie ist im kapitalistischen System begründet. Profitstreben der Unternehmen und Konkurrenzkampf führen immer wieder zu Überkapazitäten, Stagnation und Wirtschaftskrisen und immer versucht die herrschende Klasse die Auswirkungen davon auf die Arbeiter*innenklasse abzuwälzen. In diesem Zusammenhang ist es fatal, dass die IG Metall Führung sich „angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage“ von der Forderung nach einer Vier-Tage-Woche mit vollem Lohnausgleich distanziert hat. Es spielt der falschen Argumentation der Herrschenden in die Hände und führt nicht dazu, dass Arbeitsplätze gesichert werden.
Widerstand organisieren
Nötig wäre es, den Regierungsplänen entschlossenen Widerstand entgegenzusetzen. Dafür brauchen wir Gewerkschaften, die sich konsequent für die Interessen der Beschäftigten einsetzen und eine breite Kampagne gegen die Angriffe auf die Arbeitszeit der Herrschenden organisieren.
Statt Arbeitszeitverlängerung und Arbeitshetze brauchen wir eine radikale Arbeitszeitverkürzung hin zu einer 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn und Personalausgleich. Es ist absurd, dass bei denjenigen, die einen Arbeitsplatz haben, der Arbeitsdruck noch verschärft werden soll und sich immer mehr Leute krank arbeiten, während gleichzeitig die Zahl der Erwerbslosen steigt.
Dadurch, aber auch durch gesellschaftlich sinnvolle Investitionen z.B. in den Ausbau des Gesundheits- und Bildungswesen, wäre es möglich, Menschen in diese Bereiche zurückzuholen, die diese aufgrund der Arbeitsbedingungen verlassen haben.
Den geplanten Massenentlassungen in der Autoindustrie könnte ein umfangreiches Investitionsprogramm im ÖPNV entgegengesetzt und das Wissen und Können der Beschäftigten genutzt werden, um Straßenbahnen, Züge und Busse herzustellen. Das wäre auch ein wichtiger Schritt im Kampf gegen die Klimakatastrophe.
Geld für diese Maßnahmen ist vorhanden. Trotz Krise – die Gewinne der großen Banken und Unternehmen in Deutschland sind in den letzten Jahren gestiegen. Einige wenige werden immer reicher, ca. 3.300 sogenannte Superreiche besitzen fast ein Viertel des gesamten Vermögens in Deutschland.
All diese Maßnahmen würden das Leben der Mehrheit der Menschen und auch der Umwelt verbessern. Sie widersprechen jedoch der Profitlogik des Kapitalismus. Letztendlich müssen die großen Konzerne enteignet werden – als Grundlage für ein System, in dem demokratisch entsprechend den Bedürfnissen der Menschen und der Umwelt geplant und gewirtschaftet wird.
Bild: Lizenz: cc-by-sa-3.0-at, Namensnennung: Haeferl

