Wagenknechts und Schwarzers “Manifest für den Frieden”: Viele Schwächen, eine Stärke. Linkes Eingreifen nötig

Innerhalb einer Woche haben über 500.000 (Stand: 17.02.23) das “Manifest für den Frieden” von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer unterschrieben, darunter viele Linke, aber auch Reaktionäre wie Gauweiler (CSU) oder Todenhöfer (Ex-CDU). AfD-Chef Chrupalla ruft seine Anhänger*innen zum Unterschreiben auf. Regierungsnahe Medien wie die taz rücken den Aufruf in die Nähe der Unterstützung des russischen Angriffes und sprechen von einem “Manifest für die Unterwerfung”. Einige Linke lehnen den Aufruf ab und fürchten die “versammelte Reaktion” würde auflaufen, andere sehen einen Aufbruch hin zu einer breiteren Friedensbewegung. Für den 25. Februar rufen Wagenknecht und Schwarzer zu einer Kundgebung in Berlin auf.

Von Claus Ludwig, Köln

Die Argumentation des Aufrufs: Die NATO-Waffenlieferungen helfen nicht der ukrainischen Bevölkerung. Stattdessen verlängern und eskalieren sie den Krieg bis hin zur Gefahr eines Atomkrieges. Statt diese gefährliche Entwicklung zu unterstützen, sollte sich die Bundesregierung für Verhandlungen einsetzen.

Keine Haltung zur Aufrüstung

So weit, so begrenzt. Es fehlen Forderungen gegen die Aufrüstung, es fehlt die Verknüpfung mit der Abwälzung der Kosten auf die arbeitende Klasse. Der Text enthält keine Analyse des Charakters des Krieges und der imperialistischen Interessen Russlands und der NATO. Es ist keine kritische Haltung gegenüber den deutschen Konzernen und Banken erkennbar, die zuvor mit dem Putin-Regime Geschäfte gemacht haben und sich heute über die Aufrüstung freuen, die ihnen Profite in die Kassen spült. Der Aufruf kennt keine Klassen, keinen Internationalismus, er ist national begrenzt. Abgesehen von den offenen Reaktionär*innen, die ihn unterzeichnet haben, stehen auch Wagenknecht und Schwarzer nicht für fortschrittliche Politik. Wagenknecht lehnt es ab, gegen Rassismus und Sexismus klar Stellung zu beziehen, Schwarzer hat ihre früheren Verdienste um den Feminismus längst durch Trans- und Islamfeindlichkeit zerstört.

Trotz dieser Mängel – und trotz des unerträglichen Herumscharwenzelns um die Frage, wie man zur Anwesenheit von Rechten steht – ist die Stärke des “Manifests”, dass Wagenknecht und Schwarzer  an einer zentralen Frage eine oppositionelle Haltung gegen die Herrschenden, das Konzerne, die etablierten Partei und Medien beziehen.  Die Trennlinie ist eindeutig: Stellt man sich auf eine der kämpfenden Seiten fordert den militärischen Sieg über den Gegner mit allen notwendigen Mitteln oder widersetzt man sich, tritt für ein Ende des Schlachtens ein, für das Überleben der Soldat*innen und Zivilist*innen auf beiden Seiten und gegen die Eskalationslogik? 

Der Aufruf kann Menschen ermutigen, gegen Krieg und Aufrüstung auf die Straße zu gehen, er kann helfen, das Gefühl der Isolation zu durchbrechen, was viele aufgrund des militaristischen Propaganda-Dauerfeuers haben. Aus sozialistischer Sicht können wir diesen schwachen pazifistischen Appell mit seinen Lücken und Illusionen in die Diplomatie bürgerlicher Staaten nicht unterschreiben. Aber wir verteidigen ihn gegen die giftigen und wütenden Angriffe seitens der Pro-Kriegs-Medien.

Hingehen! Eingreifen!

Die Linke inklusive der Partei DIE LINKE und die Gewerkschaften sollten zu den Aktionen mobilisieren, mit eigenen Slogans, eigener Programmatik und mit klarer Abgrenzung nach rechts. Der Parteivorstand der LINKEN tanzt einen absurden Eiertanz und ruft nicht zu der Kundgebung am 25. Februar auf. Doch es ist eine Sache, Wagenknecht, Schwarzer oder auch Lafontaine wegen nicht ausreichender Abgrenzung in Richtung AfD zu kritisieren, eine andere, darauf zu verzichten, bei den Aktionen präsent zu sein. Tatsächlich ist es unwürdig, wie Wagenknecht laviert. Einerseits sagt sie, sie wolle die Rechten nicht auf der Demo sehen, dann sagt sie, man wolle keine “Gesinnungscheck”, es sollen alle kommen, “die reinen Herzens” für Frieden sind. Welch Absurdität, der Herz-Check ist ebenso unmöglich wie ein Gesinnungscheck.

Es werden natürlich Rechte kommen. Es geht darum, dass die Linke stärker sein muss und die vielen politisch nicht Entschiedenen nicht den Rechten überlassen darf. Wir brauchen keine Checks, sondern Argumente, warum der Kampf für den Frieden nicht von Rechten geführt werden kann, sondern nur von der Arbeiter*innenbewegung und der Linken.

Das Zögern der LINKEN-Spitze resultiert auch aus ihrem Wunsch nach öffentlicher Anerkennung und Beliebtheit. Doch sie werden es den Establishment-Medien und -Parteien nie Recht machen. In der Frage der Waffenlieferungen und des Ukraine-Krieges könnten sich Linke rund um die Uhr von den Rechten abgrenzen, der Vorwurf würde noch immer erhoben – denn die Herrschenden definieren jede Opposition gegen Waffenlieferungen und die militärische Unterstützung der Ukraine als “rechts”, eine Strategie der Diffamierung, mit der sie seit Monaten sehr gut gefahren sind. Kriegsgegner*innen werden weiter mit Dreck beworfen werden, das gilt es auszuhalten.

Kein Vertrauen in die Herrschenden

Appelle an Regierungen, oder das Hoffen auf Verhandlungen und Vernunft der Herrschenden werden den Krieg nicht stoppen. Es geht in den nächsten Monaten und Jahren darum, eine breite Bewegung gegen Waffenlieferungen und Militarisierung zu entwickeln, hierzulande, aber entscheidend in Russland und der Ukraine. Die Bewegung in Deutschland wird zu Beginn politisch unklar sein. Wenn die Linke schimpfend am Rande steht, weil diese Bewegung nicht so sauber und schön ist, wie man sie gerne hätte, werden sich linke Ideen allerdings schwerer verbreiten lassen.

Es ist ebenso möglich, dass Wagenknechts Initiative verpufft. Sie selbst und ihr Umfeld sind nicht besonders begabt darin, Politik von unten zu machen. Wagenknecht fokussiert ihre Politik auf mediale Präsenz und Institutionen. Wenn zudem die Faschisten nicht ferngehalten werden, wird das die Bewegung im Keim ersticken, weil die Propagandist*innen der Aufrüstung jede Schwäche ausnutzen. Daher ist nicht sicher, ob die Initiative abhebt, es wäre allerdings falsch, die Chance seitens der Linken nicht zu nutzen.

Das ist keine Übung. Die Eskalation der imperialistischen Gegensätze ist real. Der Krieg in der Ukraine kann länger dauern. Er kann über die Grenzen der Ukraine hinaus eskalieren. Ein Krieg zwischen China und den USA im Pazifik rückt in Reichweite. Die Herausbildung einer Bewegung gegen die Kriegsgefahr, die der Kapitalismus in sich trägt “wie die Wolke den Regen” (Jean Jaurès, französischer Sozialist, 1914) ist eine der zentralen Aufgaben der Arbeiter*innenbewegung.