Zeitalter des Militarismus

Die Vorstellung, diese Zeitenwende, dieser Krieg in Europa, wäre das Ergebnis des „Irrsinns“ eines einzelnen Herrschers, ist absurd. Wir erleben den weltweiten Aufstieg des Militarismus und die Herausbildung zweier imperialistischer Blöcke, geführt von den USA und China. Die Arsenale des Todes werden in einer Geschwindigkeit und einem Umfang ausgebaut wie seit Jahrzehnten nicht mehr, besonders in Deutschland.

Von Claus Ludwig, Köln

Nichts legitimiert den Mord an Tausenden von Menschen und die Zerstörung der Städte. Wir verteidigen das Recht der Ukrainer*innen auf Selbstbestimmung, fordern den sofortigen Rückzug der russischen Truppen. Doch diese Positionierung entbindet uns nicht von der Pflicht, zu untersuchen, wie diese Situation entstanden ist. Analysieren heißt nicht relativieren.

Die NATO ist immer näher an Russland herangerückt. Die Ukraine wurde massiv mit modernen Waffen beliefert, ukrainische Truppen von der NATO ausgebildet. Die eigentlich verhandelte Autonomie von Luhansk und Donezk wurde von sämtlichen ukrainischen Regierungen blockiert. An diesen fälschlicherweise „Volksrepubliken“ genannten Mini-Staaten ist nichts Fortschrittliches, sie werden von Warlords und Oligarchen-Gangs geführt. Doch eine militärische Rückeroberung und gewaltsame Niederschlagung der Autonomiebestrebungen durch ukrainische Truppen wäre auch reaktionär gewesen.

Konfrontation USA – China

Russland ist eine schwächelnde Regionalmacht mit den Waffen einer Supermacht und wird perspektivisch zu einem Vorposten Chinas. Auf wirtschaftlicher Ebene erleben wir eine Tendenz zur Entkoppelung der US-amerikanischen und der chinesischen Wirtschaft. Die Herausbildung zweier Blöcke mit getrennten Wirtschafts- und Währungszonen wird durch den Krieg und die Sanktionen beschleunigt.

Das im Handstreich durch den Bundestag gepeitschte Programm zur Aufrüstung der Bundeswehr ist keine Panikreaktion, kein Ausrutscher. Es ist die Ankündigung der Regierenden und der herrschenden Klasse dieses Landes, dass man sich ernsthaft auf kommende Kriege vorbereitet, mit dem zukünftig dritthöchsten Militärhaushalt der Welt. Mit einem Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro sollen moderne Tarnkappenflieger F-35 in hoher Stückzahl angeschafft werden. Diese können US-Nuklearraketen transportieren. Deutsche Hersteller wie Rheinmetall spekulieren auf den Ausbau gepanzerter Bodentruppen. Der jährliche Wehretat soll von 50 auf über ca. 70 Milliarden Euro steigen.

Wir wissen heute nicht, wie sich der Krieg in der Ukraine entwickelt. Es gibt wenige nachprüfbare Informationen, die Propaganda überwiegt auf allen Seiten. Sicher ist allerdings, dass wir einer Konfrontation zwischen Russland und der NATO noch nie so nahe waren. Die ungeheuren Mengen Waffen, welche die NATO in die Ukraine liefert und die Sanktionen, die auf einen Wirtschaftskrieg hinauslaufen, bedeuten, dass die NATO schon mit einem Zeh in diesem Krieg steckt.

Junge Russ*innen wollen nicht für Putins Machterhalt verheizt werden, die Ukrainer*innen möchten ihr Leben und ihre Heimat vor der Zerstörung bewahren, die Bevölkerung in Europa will nicht in einen Krieg hineingezogen werden. Die arbeitenden Menschen, die Mehrheit, haben die gleichen Interessen. Kriege wurden immer wieder durch Massenbewegungen und Revolutionen gestoppt – die Arbeiter*innen von Petrograd läuteten mit ihrem Aufstand 1917 das Ende des 1. Weltkrieges ein (siehe auch S.13.), der Rückzug der USA aus Vietnam wurde durch den Widerstand von Jugendlichen und Arbeiter*innen an der „Heimatfront“ beschleunigt.

Gefährliches System

Wir müssen eine Bewegung gegen Militarismus aufbauen – die nur wirksam wird, wenn sie sich auch gegen die Herrschenden im eigenen Land und deren Aufrüstung richtet. Der russische Imperialismus hat die Aggressivität eines in die Ecke getriebenen Boxers. Die passiv-aggressive NATO ist nicht minder gefährlich. Die Wurzeln dieses Krieges liegen in der kapitalistischen Konkurrenz. Dieses System bedroht unsere Sicherheit, unsere Gesundheit, unser Leben und Überleben. Irrsinn und Eskalation sind kein persönliches Problem von Wladimir Putin, sondern systemisch verankert. Wir müssen den Herrschenden ihre Macht und ihre Waffen nehmen, die Industrie vergesellschaften und umstellen; Produktion, Energieerzeugung und den Kampf gegen die Klimakatastrophe selbst in die Hand nehmen, demokratisch, geplant und in internationaler Kooperation.