Russland am 6. März: Proteste trotz extremer Repression

Trotz vorheriger Verhaftungen und Androhung hoher Strafen trauten sich am 6. März Zehntausende Aktivisten*innen von Wladiwostok bis Sankt Petersburg auf die Straßen zu gehen, um gegen den blutigen Wahnsinn des imperialistischen Massakers in der Ukraine zu protestieren. Die genauen Zahlen kennen wir nicht, doch wenn man die bisherige Erfahrung „Zehn Teilnehmer*innen auf einen Festgenommen“ nutzt, nahmen mindestens 45.000 Menschen in 65 russischen Städten teil. In dieser Situation, in der die Wahrscheinlichkeit, verhaftet, entlassen oder exmatrikuliert zu werden, extrem hoch ist und in der ein Großteil der Bevölkerung noch eine abwartende Haltung hat, ist das nicht wenig.

Von Sascha Rakowski, Köln

Die Polizei ging konsequent brutal mit Schlagstöcken und Elektroschockern gegen alle Personen vor, die „verdächtig“ aussahen. Mit 4359 verhafteten Teilnehmer*innen der Proteste an nur einem Tag übertrafen die Cops den traurigen Rekord der Nawalny-Proteste im Januar 2021. Menschenrechtler*innen registrierten mehrere Fälle von Polizeigewalt, Folter und Einschüchterung. Insgesamt liegt die Zahl der Verhaftungen von Kriegsgegner*innen seit dem 23.02 bei 13.000.

13.000 inhaftiert

Bereits am ersten Abend des Krieges protestierten trotz brutaler Polizeieinsätze Zehntausende russische Kriegsgegner*innen – fast 3000 wurden am gleichen Abend verhaftet. Allein in Sankt Petersburg protestierten 7000. Am Mittwoch, den 2. März meldete sich das Team des bekanntesten Oppositionellen Nawalny mit ihrer üblichen, wenig sinnvollen Taktik: Unvorbereitete dezentrale Proteste. Das führte zu einer neuen Welle von Verhaftungen. Viele der Festgenommen sind für mehrere Wochen in Haft.

Die russischen Sozialisten*innen von Sozialistischeskaja Alternativa riefen zum Aufbau von lokalen Protestorganisationen, Vernetzung und besserer Vorbereitung der Proteste auf.  Als Datum für die nächsten Demonstrationen wählten sie den 6. März. Die im Voraus vorbereiteten Layouts der Flugblätter und Plakate wurden Hunderttausende Mal weitergeleitet, heruntergeladen und in mehreren Städten Russlands anonym ausgedruckt und aufgehängt. Die Polizei reagierte darauf mit einer Welle der Verhaftungen und benutzte eine schon bekannte Taktik: Sie schickte Nazis, um die Häuser und Türen von Aktivisten*innen zu beschmieren und sie einzuschüchtern. Unirektor*innen drohten Studierenden mit dem Rauswurf aus dem Studium, sollten sie an den Protest teilnehmen.

Wirtschaftlicher Schock

Von Putins Versprechungen, es gäbe eine schnelle „Spezialoperation“ in der Ukraine ist nichts mehr übriggeblieben. Die russischen Truppen stecken in einem blutigen und langen Kriegssumpf ohne klare Perspektiven mit rasch steigenden menschlichen und wirtschaftlichen Verlusten. 

Es gelingt Putins Journalist*innen und Generälen immer weniger, die Wahrheit über den teuren Krieg hinter beruhigenden täglichen Siegesberichten zu verstecken. Das ist nicht möglich, weil Hunderttausende russische und ukrainischen Beteiligte das blutige Chaos mit ihren Handys ununterbrochen dokumentieren und online stellen. Abgesehen von den Meldungen über Tote und Verletzte gibt es erschreckende Wirtschaftsnachrichten. Der französische Finanzminister Bruno Le Maire sprach von einem totalen Wirtschafts- und Finanzkrieg der EU gegen Russland. Boris Johnson beteuerte, dass es um die wirtschaftliche Zerstörung Russlands geht.

Millionen Menschen in Russland stehen kurzfristig vor der Entlassung. Der Rubel ging in den Tiefflug und verlor über 40% seines Wertes gegenüber Euro und Dollar. Dem Leben von Dutzenden Millionen droht ein wirtschaftlicher Zusammenbruch. Putin hat sich in die stärkste Krise der zwanzig Jahren seiner Herrschaft hineinmanövriert. Die wirtschaftlichen Verluste erschrecken die oligarchische herrschende Klasse des Landes – sogar loyale Profiteure des Regimes wie Deripaska, Tinkof, Mikhelson und Lebedew trauen sich, ihre Stimme gegen den Boss der Bosse zu erheben.

Die ersten Risse in der herrschenden Klasse und die steigenden Kosten des Krieges schaffen die Basis für eine viel breitere Antikriegsbewegung, die mit polizeilicher Repression nicht mehr unterdrückt werden kann.

Die Aktivist*innen, die in Russland gegen den Imperialismus und die Oligarchenherrschaft Putins kämpfen, brauchen heute unsere Unterstützung. Die Produktion von Materialien und Portokosten, Technik und Geldstrafen kostet sie viel Geld, welches aktuell durch Sanktionen und Wirtschaftskrise knapper wird. Wir appellieren an unsere Leser*innen, die mutigen Kämpfer*innen in Russland zu unterstützen.