25. November: Sexistische Gewalt hat System – Fight back!

Am 25. November gehen weltweit Menschen auf die Straße, um gegen Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu protestieren. Das ist auch bitter nötig. Laut amnesty international1 haben schon 13 von 100 der heute lebenden Mädchen sexualisierte Gewalt überlebt. 2017 wurden weltweit 87.000 Frauen Opfer eines vorsätzlichen Tötungsdeliktes, fast 60% wurden von einem (Ex-) Partner oder einem Familienmitglied ermordet2. Etwa 5% aller Frauen und Mädchen sind Opfer von Genitalverstümmelung3.

Von Ianka Pigors, Hamburg

Jungen und Männer sind von dieser Art der Gewalt kaum betroffen. Männer üben in allen Bereichen mehr körperliche Gewalt aus als Frauen. In Deutschland wurden 2017 fast eine halbe Million Menschen verdächtigt, eine nicht sexualisierte Gewalttat begangen zu haben4. Nur knapp 13% davon waren Frauen.

Auf der Opferseite sieht das anders aus: Von den mehr als einer Million Menschen die als Opfer dieser Straftaten erfasst wurden, waren fast 38% weiblich5. Über 65% der angezeigten Körperverletzungen an Frauen wurden durch Intimpartner*innen – ganz überwiegend Männer- begangen. Bei Männern waren nur 36% Beziehungstaten. 30% der Menschen, die 2017 Opfer eines versuchten oder vollendeten Tötungsdeliktes wurden, waren weiblich. 667 Frauen, fast ¾, wurden dabei Opfer ihres Partners oder Ex-Partners. Bei den männlichen Personen waren es kaum 3%.

Hohe Dunkelziffer

Die Dunkelziffer dürfte höher sein. Ein Mord ist schwer zu verheimlichen, aber Sexualdelikte oder Körperverletzung werden in der Regel nur durch Anzeigen bekannt. Solche Anzeigen sind häufiger, wenn keine soziale Beziehung zwischen Täter*in und Opfer besteht. Zum einen, weil ein Übergriff durch eine fremde Person seltener in Frage gestellt wird. Zum Beispiel wird einer durchschnittlichen deutschen Frau sehr wahrscheinlich geglaubt, wenn sie sagt, dass der Geschlechtsverkehr mit einem Fremden im dunklen Parkhaus ihrer Arbeitsstelle nicht einvernehmlich, sondern eine Vergewaltigung war – vor allem, wenn der Täter keinen hohen sozialen Status hat, also z.B. wohnungslos ist. Wenn der gleiche Übergriff vom Chef der Frau ausging sieht das schon anders aus.

Falls die Tat im eigenen Ehebett stattfand und der Täter der Partner war, mit dem die Frau zuvor einvernehmlichen Sex hatte, ist die Chance, dass er für den Übergriff verurteilt wird, sehr gering und die Betroffene wird sich gut überlegen, ob sie den Vorfall anzeigt. Zum anderen bestehen im sozialen Nahraum meist viele soziale, finanzielle und psychische Abhängigkeiten, die Opfer daran hindern, Anzeige zu erstatten.

Der Vergleich zwischen den deutschen und den internationalen Zahlen zeigt, dass hier überproportional viele Frauen Opfer tödlicher Gewalt werden. Weltweit wurden 2017 fünf Mal so viele Männer ermordet wie Frauen. In Deutschland hingegen waren in diesem Zeitraum 48% der Todesopfer weiblich. Dieser Anteil ist in den letzten 50 Jahren eher gestiegen, als gesunken. Auch der Anteil der Beziehungsgewalt liegt über dem weltweiten Durchschnitt.

Gefährliches Zuhause

Das liegt daran, dass es in Deutschland zwar vergleichsweise wenig allgemeine Gewaltkriminalität gibt, die patriarchalen Rollenbilder und die Abwertung von Frauen, die häusliche Gewalt begünstigen, hier aber genauso wirksam sind, wie in anderen Ländern. Anders ausgedrückt: Die im weltweiten Vergleich relativ große soziale Sicherheit führt hier dazu, dass es auf den Straßen recht friedlich zugeht, während die Gewalt in den eigenen vier Wänden weitergeht. Das ist nicht überraschend.

Gewalt ist alltäglich, aber sie trifft nicht alle Menschen gleichermaßen. Je schwächer die soziale Stellung, desto größer die Gefahr. Deshalb sind Täter*innen nicht immer männlich und Opfer nicht immer weiblich. Bei der „Misshandlung Schutzbefohlener“ waren 2017 44% der Tatverdächtigen Frauen und mehr als 56% der Opfer Jungen6. Fast 85% der Opfer waren mit den Täter*innen verwandt. Das zeigt, dass Frauen durchaus Gewalt ausüben, wenn sie sich – zum Beispiel im Verhältnis zu ihren Kindern – ausnahmsweise in einer Machtposition befinden.

Wer zur herrschenden Klasse gehört, wird selten Opfer von Gewalt. Kapitalist*innen können sich gewöhnlich darauf verlassen, dass Polizei und Armee sie und ihr Eigentum zu schützen. Das schließt nicht aus, dass auch reiche Frauen Opfer häuslicher Gewalt werden, denn innerhalb ihrer eigenen sozialen Schicht sind sie im Vergleich zu den Männern in einer schwächeren Position.

Macht und Gewalt

Auch rassistische Diskriminierung erhöht die Gefahr, Opfer von Gewalt zu werden. Nicht ohne Grund sind von den jährlich durchschnittlich 1000 Opfern tödlicher Polizeigewalt in den USA 250-300 Schwarz, obwohl weniger als 15% der Bevölkerung afro-amerikanischer Herkunft ist.

Die meisten Frauen sind keine Kapitalist*innen und viele sind zum Beispiel als Migrantinnen von rassistischer Diskriminierung betroffen. Damit sind sie oft nicht nur von geschlechtsspezifischer, also häuslicher und sexueller Gewalt bedroht, sondern häufig auch den Gefahren ausgesetzt, die auch Männer in der gleichen sozialen Lage fürchten müssen.

Der Kampf gegen sexistische Gewalt ist so für die meisten Frauen untrennbar mit dem Kampf gegen alle Formen von Diskriminierung, Ausbeutung und sozialer Ungleichheit verbunden. Diesen Kampf sollten auch Männer führen. Denn obwohl sie relativ sicher sein können, dass sie persönlich nicht Opfer häuslicher oder sexueller Gewalt werden, sollten sie nicht vergessen, dass die meisten Menschen, die von Männern ermordet, verprügelt und misshandelt werden, Jungen und andere Männer sind.

Männer, die Opfer werden, weil andere Männer – ähnlich wie die, die sich Frauen als Opfer suchen – gelernt haben, dass in unserer Gesellschaft das Recht des Stärkeren gilt und dass ein „echter Mann“ alles tut, um seine Interessen durchzusetzen und seinen sozialen Status zu behaupten, selbst wenn er dazu jemandem den Kiefer brechen muss.

1Amnesty International, https://www.amnesty.de/2014/11/24/staaten-nehmen-sexualisierte-gewalt-nicht-ernst?gclid=CjwKCAjwzt6LBhBeEiwAbPGOgcPu8vSgKRzhLCrad9wqNIqaT6–5AUAo-Iyj_XLSOYdV6E90TYFhBoCb6oQAvD_BwE

2 UNODC: Globale Studie zu Tötungsdelikten 2019 des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und

Verbrechensbekämpfung.

3UNICEF, https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/blog/weltmaedchentag-elf-fakten-zu-maedchen/176128

4 Polizeiliche Kriminalstatistik 2017

5 Ebenda

6Polizeiliche Kriminalstatistik 2017