„Wir haben abgetrieben!“

Titelseite des „stern“ am 6. Juni 1971

Vor 50 Jahren titelte der „stern“ – vor der Affäre um die gefälschten „Hitler-Tagebücher“ 1983 noch ein  angesehenes Blatt – mit „Wir haben abgetrieben!“ einen „Skandal“. Das Tabuthema Abtreibung wurde mit Wucht in die Öffentlichkeit getragen. 374 Frauen aus der Bundesrepublik, darunter Prominente wie Romy Schneider, Senta Berger und Ursula Noack hatten den Sprung aus dem Schatten des Schams und der Ächtung gewagt und bekannten öffentlich, abgetrieben zu haben.

Von Josefine Wirtz, Köln

Sie haben sich nicht nur einer urteilenden Öffentlichkeit preisgegeben, die unter anderem aus radikalen „Lebensschützer*innen“ bestand und besteht, sondern auch dem Risiko einer Strafverfolgung. Damals war Abtreibung offiziell strafbar, ohne den gesetzlichen Zusatz der Straffreiheit bei Einhaltung bestimmter Vorgaben, wie Beratungsgespräche, Bedenkzeit und Erlaubnis eines Arztes. Einige der Frauen wussten nicht, ob sie durch ihr Bekenntnis vielleicht ihren Job, ihre Freunde oder ihren Mann verlieren würden. Besonders die Frauen, die wie Romy Schneider in der Öffentlichkeit standen, riskierten ihren Ruf und ihre Karriere.

Ein langer Kampf

Allerdings klafften auch damals schon das Rechtsempfinden, die Strafverfolgung und die Strafbarkeit meilenweit auseinander. Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre wurden Schätzungen zufolge jährlich rund eine halbe Millionen illegale Abtreibungen vorgenommen. 1969 sind nur 276 Frauen wegen illegaler Abtreibung verurteilt worden. Diese Abtreibungen fanden bei Ärzten in Hinterzimmern statt, oder bei sogenannten Engelmacherinnen auf dem Küchentisch. Nicht selten starben Frauen bei oder nach den Eingriffen.

Der am 6. Juni 1971  veröffentlichte Artikel wurde von einer breiten, weiblichen Öffentlichkeit sehnlichst erwartet. Er trat eine Welle von Debatten los. Frauen trauten sich, über ihre Ängste und erlebte Repressionen zu sprechen. Feministische Gruppierungen wie die „218-Gruppen“ oder der „Bundesfrauenkongress“ gingen aus diesem neuen Selbstbewusstsein hervor.

Trotz einer Welle von Aktivismus in dieser Zeit haben wir aktuell noch immer eine rückständige Gesetzeslage zur Selbstbestimmung von Frauen. Das haben wir nicht zuletzt dem Druck der katholischen Kirche zu verdanken, welche die eigentliche „Fristenlösung“ – legale und freie Abtreibung bis zum dritten Monat der Schwangerschaft – , die von der damaligen SPD/FDP Führung angekündigt worden war, durch breit aufgestellte Proteste verhindert und die Indikationslösung mit Beratungspflicht installiert hatte. Nach wie vor existieren Paragraph 218 und 219, insbesondere 219a, der offiziell das „Werbeverbot“ für Abtreibungen regelt, aber faktisch Informationen verhindert. Letzterer hatte in jüngster Vergangenheit erneut zu Strafverfolgungen von Ärzt*innen geführt, da diese auf ihren Websites darüber informierten, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen.

Hindernisse

Trotz formeller Straffreiheit wird es Frauen im Alltag so schwer wie möglich gemacht, Informationen einzuholen oder sogar Ärzt*innen zu finden, die solch einen Eingriff vornehmen würden. Gerade in ländlichen Regionen sind Frauen oft gezwungen, lange Fahrten auf sich zu nehmen, welche wiederum Geld, Energie und Zeit kosten. Dieser Umstand ist nicht zuletzt der medizinischen Ausbildung geschuldet. So werden Abtreibungen nicht gelehrt. Studierende bringen sich Techniken wie das Absaugen in selbstorganisierten Seminaren bei. Empfängnis und Verhütung hängen von der Finanzlage ab. So sind Verhütungsmittel immer noch nicht kostenfrei und die Kostenübernahme eines Schwangerschaftsabbruches bei der Krankenkasse, wenn man sich den Eingriff nicht leisten kann, ist ebenso unangenehm wie zeitaufwändig.

Im europäischen Vergleich steht Deutschland bei der Durchsetzung elementarer Menschenrechte für Frauen schlecht da. Selbst das sehr katholische Irland hat es geschafft, mit einem Referendum 2018 ein Totalverbot von Abtreibung abzuschaffen und eine uneingeschränkte Fristenregelung einzuführen. Grund dafür war unter anderem der Fall von Savita Halappanavar, deren Abtreibungsgesuch nach einer partiellen Fehlgeburt mit Begründung auf eben jenes Verbot, abgelehnt worden war. Wenig später verstarb sie an einer Sepsis. Nach ihrem Tod entwickelte sich eine starke feministische Bewegung.

In Deutschland müssen wir weiter kämpfen: für uneingeschränkte Aufklärung, ein Ende der Stigmatisierung von Frauen in Notlagen und Abtreibungsangeboten durch Ärzt*innen, die Streichung des Paragraphen 218 und 219a und kostenlose Empfängnisverhütung. Frauen sind keine Brutkästen.