Leben auf Standby

Seit mittlerweile über einem Jahr müssen wir mit Einschränkungen im sozialen Leben versuchen, die Corona-Fallzahlen klein zu halten. Als die erste Welle letztes Jahr nach Deutschland kam, wurde recht schnell reagiert und das öffentliche Leben in rasanter Geschwindigkeit von einem Tag auf den anderen heruntergefahren. Museen, Theater, Clubs, Bars und Kneipen wurden geschlossen, alle sozialen Kontakte wurden rigoros vermieden.

von Nils Ellerbrock, Hamburg

Während Schulen und Universitäten geschlossen wurden, blieben die Büros und Betriebe weiter offen. An sozialem Leben blieben nur Treffen draußen möglich, was aufgrund des warmen Frühlings auch gut funktionierte. Den Sommer über, als sich die Infektionszahlen auf einem überschaubaren Level hielten, waren leichte Lockerungen wie Außengastronomie und ein kleinere Open-Air-Konzerte möglich, Treffen mit mehreren Personen erlaubt. Dies wurde dann bei steigenden Fallzahlen im Herbst schnell zurückgenommen und Treffen draußen waren schon wegen des Wetters ungemütlich.

Wo treffen wir uns jetzt?

Den gesamten Winter über konnten sich die Regierungen nicht zu einem richtigen Lockdown durchringen. Bei der geringsten Gefahr, das Kapital könnte Umsatzeinbußen verzeichnen, wurden Maßnahmen nicht durchgesetzt. Während die Neuinfektionszahlen bundesweit nicht wirklich sanken, wurden Rufe nach schnellen Öffnungen laut und diese teilweise auch umgesetzt, nur um sie dann wieder wegen der schnellen Entwicklung des Infektionsgeschehens zurückzunehmen.

Schulen waren mal offen, mal zu, wirkliche Schutzmaßnahmen wurden aber nicht ergriffen, wie z.B. die flächendeckende Ausstattung mit Luftfiltern. Universitäten sind nun schon im dritten Online-Semester. Wer vor einem Jahr mit dem Studium begonnen hat, hat unter Umständen noch keine*n Mitstudierende*n in Wirklichkeit gesehen. Prüfungsdruck, Geldsorgen, beengte Wohnverhältnisse und andere Probleme des studentischen Lebens haben sich verschärft.

Nun gibt es mit dem neuen Bundesgesetz neben weiteren Maßnahmen auch eine nächtliche Ausgangssperre, womit Treffen in Frühling im Freien nun wieder zurück in private (Innen-) Räumlichkeiten verlegt, und Menschen in die komplette Isolation getrieben werden. Dabei war ein Jahr lang Zeit, sich Konzepte zu überlegen, wie ein solidarischer Umgang im zweiten Jahr der Pandemie aussehen könnte. Passiert ist nichts.

Öffentliche Orte für einen entspannten Aufenthalt draußen sind Mangelware und stehen nun mehr unter Beobachtung durch die Polizei. Wie schon letzten Sommer werden nicht-kommerzielle Orte auf Dauer unter Generalverdacht gestellt. Letztes Jahr wurde das Heiligengeistfeld in Hamburg schnell von Skater*innen, Familien mit Kindern, Breakdancer*innen und vielen anderen als Treffpunkt genutzt, da es hier ausreichend Platz gibt, um sich mit genügend Abstand zu anderen aufzuhalten. Bis dort dann ein Autokino eröffnet und der gesamte Platz eingezäunt wurde. Dieses Jahr ist er bisher frei geblieben.

Wenn wir als Optionen zur Auswahl nur das zu Hause bleiben oder die Konfrontation mit der Staatsgewalt haben, ist es kein Wunder, dass es zu illegalen Zusammenkünften kommt. Menschen wollen ein Gefühl von Normalität verspüren, auch wenn manchmal dabei leider auf sinnvolle Schutzmaßnahmen verzichtet wird.

Der Winter hat gezeigt: Die meisten nehmen das Virus sehr ernst, machen sehr viele Abstriche in ihrer Freizeit, um sich und andere nicht zu gefährden. Jetzt, wo wir wieder jemanden draußen treffen könnten, werden wir mit Repression konfrontiert.

Ein solidarischer Lockdown scheint der Regierung nicht nötig, wenn er zugunsten der Wirtschaft auch unsolidarisch durchgezogen werden kann. Wir müssen uns freie Orte nicht-kommerziell und solidarisch aneignen und sie mit Leben füllen, um in den nächsten Wochen sowas wie ein normales Leben führen zu können. Die vielen Menschen, die sich bei gutem Wetter auf dem Heiligengeistfeld in Hamburg aufhalten, sind alle rücksichtsvoll und achten auf genügend Abstand. So können auch Rapper spontan mit selbst mitgebrachter Anlage freestylen, ohne dass es zu eng wird.