LINKE Regierungsbeteiligung in Bremen: “Rote Haltelinien” überschritten

DIE LINKE ist der kleinste Koalitionspartner im Rot-Grün-Rot regierten kleinsten Bundesland. Der Anspruch, Stachel im Fleisch des Kapitalismus zu sein, hat sich im  Laufe der Zeit umgekehrt: Die Regierungsbeteiligung wird zum Stachel im Fleisch der LINKEN. Statt erfolgreich die Anliegen der Bewegungen in die Regierung zu tragen, bringt DIE LINKE Bewegungen gegen sich auf. Wohlfeile Symbolpolitik kann nicht über die Kontinuität der neoliberalen Dauerverwaltung unter der SPD hinwegtäuschen. 

Die “Roten Haltelinien” für eine Regierungsbeteiligiung der LINKEN kommen aus dem Erfurter Programm „An einer Regierung, (…) die Privatisierungen der Daseinsvorsorge oder Sozialabbau betreibt, deren Politik die Aufgabenerfüllung des Öffentlichen Dienstes verschlechtert, werden wir uns nicht beteiligen.“

von Sebastian Rave, Bremen

Bevor der Koalitionsvertrag mit der ersten Regierungsbeteiligung der LINKEN in Westdeutschland im August 2019 unterschrieben wurde, wünschte sich der designierte Bürgermeister Bovenschulte (SPD) “hoffentlich nicht zu spannende” vier Jahre. Die Pandemie machte dem zwar einen Strich durch die Rechnung, wer sich aber einen grundlegenden Politikwechsel oder gar ein “rebellisches Regieren” erhofft hatte, wurde enttäuscht. Trotz drohender Kürzungen wird das Regierungshandeln weiterhin verteidigt.

Grundlage für die Zustimmung der LINKEN zur Regierungsbeteiligung war der Koalitionsvertrag, der einige (bescheidene) Verbesserungen vorsah: Eine Ausbildungsumlage (Unternehmen, die nicht ausbilden, sollen zahlen), eine erhöhte Sozialquote beim Wohnungsbau, die Verdopplung der Investitionsmittel für Bremens Krankenhäuser und weitere Nettigkeiten. Klar war aber auch, dass alle Verbesserungen unter “Finanzierungsvorbehalt” stehen, und der Politikwechsel von der finanziellen Lage abhängig sein würde. Diese – ohnehin seit Langem angespannt in Bremen – wurde durch Corona nochmal deutlich verschlechtert. Steuerschätzungen gehen von 300 Millionen Euro weniger pro Jahr aus – für die anstehenden Haushaltsverhandlungen verspricht das ein Tauziehen der Ressorts. 

Zwischenbilanz 

Eins vorweg: Es hat durchaus kleinere Verbesserungen gegeben. Eine unabhängige Ombudsstelle soll Beschwerden über polizeiliches Fehlverhalten entgegennehmen, hat aber keine eigene Sanktionsmöglichkeiten. Die Ticketpreise im Nahverkehr sind nach dem ersten Jahr nicht wieder gestiegen und der Nachtzuschlag wurde abgeschafft – allerdings hat es kürzlich ausgerechnet die SPD geschafft, mit dem Schlagwort “kostenloser Nahverkehr” in die Schlagzeilen zu kommen. Der Landesmindestlohn, der für öffentliche Beschäftigte und Auträge gilt, steigt auf von 11,30 auf 12 Euro. Es gibt neue Gedenkorte: Für den von der Polizei ermordeten Laya Condé, für Zwangsarbeiter*innen am Bunker Valentin, und für im Faschismus beraubte Jüd*innen – leider in deutlicher Entfernung zur neuen Konzernzentrale von Kühne+Nagel, die damals von der “Arisierung” profitierten. Der Kulturraum “Irgendwo” hat es geschafft, seinen Standort durchzusetzen – allerdings nicht mit, sondern gegen die Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (LINKE), die sich stattdessen für ein Bürogebäude ausgesprochen hatte. 

Leider reichen diese Errungenschaften nicht, um die Verfehlungen auszugleichen. Beim Ausbruch der Pandemie hatten Geflüchtete die sofortige Schließung des Lagers in der Lindenstraße gefordert, in dem es keinen ausreichenden Gesundheitsschutz gab. Trotz eines Corona-Ausbruchs wurde die Schließung des Lagers bis heute nicht angeordnet – weder durch die Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) noch durch die Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (LINKE). An den Hochschulen drohten drastische Mittelkürzungen von 140 Millionen Euro – nach Protesten wurden diese noch zurückgenommen. Nicht zurückgenommen sind die geplanten Stellenstreichungen im  kommunalen Klinikverbund Geno. Claudia Bernhard kritisierte zwar, dass mit dem Plan 440 Stellen zu streichen, “das Pferd von hinten aufgezäumt” werde und es stattdessen eine Strategie brauche, wie man die Kliniken als kommunal erhalten könne. Die Verantwortung schiebt sie aber auf das Finanzressort und den Bund, die für die Finanzierung verantwortlich seien. Tatsächlich ist aus der im Koalitionsvertrag versprochenen Verdopplung der Investitionsmittel nichts geworden: Statt der laut ver.di und Bremischer Krankenhausgesellschaft jährlich benötigten 80 Mio. Euro gibt es 38,7 Mio., und das bei einem Sanierungsstau von 700 Mio. Euro. Aus der bei einem Landesparteitag der LINKEN  geforderten Entschuldung der Geno wird nichts. Trotzdem soll die Geno laut Gesundheitssenatorin die “schwarze Null” erreichen.

Das, wovor der regierungskritische Parteiflügel der LINKEN gewarnt hatte, ist zur Realität geworden: Statt Politikwechsel gibt es ein bedauerndes “weiter so” im engen Rahmen der Schuldenbremse. War das unvermeidlich?

“Rebellisches Regieren” mit unrebellischen Parteien funktioniert nicht

Mitglieder der SAV haben in der LINKEN gegen den Eintritt in die Regierung argumentiert und gestimmt. Es wäre aber bequem einfach nur zu sagen “haben wir es doch gleich gesagt”. Ebenso bequem wäre es allerdings, auf Corona zu verweisen und schulterzuckend zu sagen dass es nicht anders ging – die Sachzwanglogik… 

Einige der klügeren linken Regierungsbefürworter*innen hatten vor dem Regierungsantritt gesagt, dass es eine Frage der Kräfteverhältnisse ist, ob ein Politikwechsel tatsächlich möglich sein wird. Das ist in der Allgemeinheit nicht falsch, wirft aber die Frage auf, ob DIE LINKE nicht auch eine Verantwortung für die Entwicklung der Kräfteverhältnisse hätte. Die  linken Senator*innen und die Unterstützer*innen der Regierungsbeteiligung beteuern gegenüber der Parteimitgliedschaft, dass man auch gegen den Stellenabbau, für die Schließung der Geflüchteten-Lager usw. sei. Was aber notwendig wäre, um das Kräfteverhältnis zu verändern, um Sauereien abzuwenden und konkrete Verbesserungen zu erreichen: Dass zum Beispiel die Gesundheitssenatorin unmissverständlich erklärt, dass sie den Kampf gegen jeden Stellenabbau in Krankenhäusern aufnimmt, und die Beschäftigten und die Bevölkerung dazu aufruft, mit ihr, der LINKEN und den Gewerkschaften dagegen auf die Straße zu gehen (oder ganz pandemiekonform Petitionen zu unterzeichnen), um den politischen Druck zur Ausfinanzierung der Kliniken zu erhöhen. Es reicht nicht nur zu erklären, dass die Schuldenbremse abgelehnt wird, wenn man dann trotzdem den knappen Haushalt weiter streckt – so bleibt der einzige politische Gestaltungsspielraum ob man an der Bildung, der Gesundheit oder bei der Infrastruktur spart. Eine sozialistische Regierungspolitik wäre hingegen, die Schuldenbremse zu brechen, zur Not einen “illegalen” Haushalt aufzustellen, und die Bevölkerung zur Verteidigung dessen zu mobilisieren. 

Eine solche “aktivierende” und tatsächlich rebellische Regierungspolitik würde sich grundsätzlich von der herrschenden, den Kapitalismus nur verwaltenden Politik unterscheiden. Wer glaubt, dass das mit SPD und Grünen nicht gehen würde, hat absolut Recht. Ohne den Reichtum der Wenigen und ohne die Produktionsmittel der Herrschenden fehlen die Mittel für gute Krankenhäuser, Bildung, kommunalen Wohnungsbau, kostenlosen Nahverkehr. Und ohne die Macht der Vielen wird man an diese Mittel nicht herankommen. Für die Mobilisierung dieser muss DIE LINKE jetzt eine Auseinandersetzung ohne Tabus führen. Wenn das Rot-Grün-Rote Regierungsbündnis an einer Sachfrage wie dem Krankenhauspersonal zerbricht, kann DIE LINKE mit erhobenem Haupt sagen: Wir haben für Verbesserungen gekämpft, und führen den Kampf fort – auch in der Opposition.