Rechter Sturm auf den US-Kongress

Die Auszählung der Stimmen der Wahlmänner, eines der heiligsten Rituale der US-Demokratie, musste für Stunden unterbrochen werden, als tausende Trump-Anhänger*innen den Capitol Hill erstürmten und in das Kongressgebäude eindrangen. Bizarre Bilder von verkleideten rechten Demonstrant*innen, die im Plenarsaal posierten, gingen um die Welt. Das peinliche Schauspiel zeigt, wie tief die politische Krise der bürgerlichen Demokratie in den USA  ist.

Erklärung des SAV Bundesvorstands 

Es wäre fahrlässig, den Vorfall als einfache Episode und die Besetzer*innen als Irre abzutun. Die „Entweihung des Tempels der Demokratie“ (Demokratischer Senator Chuck Schumer) ist nicht nur von hoher Symbolkraft. Sie ist vor allem Ausdruck einer enorm tiefen Polarisierung der von Krisen erschütterten US-Gesellschaft.

Der ökonomische Niedergang des US-Imperialismus, vor allem im Vergleich zum Aufstieg Chinas, wird in der nächsten Periode zu gewaltigen Erschütterungen in den USA führen und eine Krise auf die nächste folgen lassen. Die Präsidentschaft Bidens mag die Gemüter kurzfristig beruhigen, bietet aber keinen Ausweg aus der tief im System verankerten Instabilität.

Trump hatte zum Marsch auf das Kapitol aufgerufen, seine radikalisierten Anhänger*innen nach wenigen Stunden aber wieder zurückgepfiffen: „Dies war eine gefälschte Wahl, aber wir brauchen Frieden. Wir lieben euch, ihr seid etwas ganz besonderes, aber geht nach Hause.“ Es hörte sich an wie der kleinlaute Zauberlehrling, der die Geister, die er rief, nicht mehr loswird. Ein CNN-Kommentator zitierte Winston Churchill: „Diktatoren reiten auf Tigern umher, und wagen nicht, abzusteigen“; eine treffende Analogie für das Verhältnis von Trump zu seiner radikalen Anhängerschaft. Trump ist auf seine Basis angewiesen, die er immer wieder anstachelt, die aber umgekehrt auch ihn treibt – und dieses Mal zu weit ging.

Dem abgewählten US-Präsidenten ist ein Putschversuch vielleicht psychologisch zuzutrauen, seine tatsächliche Machtbasis reicht dafür aber nicht. Er ist schon vor seiner Wahl das Enfant Terrible der Republikaner gewesen, ein Außenseiter, dem gerade sein Wettern gegen das Establishment an die Macht verhalf. Die Bourgeoisie, das Militär, das politische Establishment traute ihm nie über den Weg – und ohne sie ist ein Putsch nicht zu gewinnen. Das weiß bei aller intellektuellen Beschränkung auch ein Donald Trump, und doch wurde er von seiner Anhängerschaft gezwungen, weiterzugehen, als ihm lieb war.

Die erschreckte Reaktion vieler seiner vormals treuen republikanischen Parteifreunde ist das Eingeständnis einer Niederlage. Möglicherweise übersteht Trump nicht einmal die letzten zwei Wochen seiner Amtszeit. Das Bündnis aus dem Republikanischen Establishment mit Kräften der radikalen Rechten, mit Alt-Right, der Proud Boys Miliz und Qanon-Verschwörungsgläubigen ist gescheitert.

Aber der Geist ist aus der Flasche. Für die Rechte kann der gestrige Tag ein Gründungsmythos werden, wie es der gescheiterte Münchener Hitlerputsch 1923 war. Viele der Demonstrant*innen mit ihren roten Make-America-Great-Again-Mützen sagten gestern auf dem Capitol Hill: „This is only the beginning“ – das ist nur der Anfang. Der Anfang einer weiteren Radikalisierung der rechten Bewegung, die sich von der Polizei, den Republikanern, und von ihrem Idol Trump verraten fühlt. Selbst wenn die Rechten noch zu schwach sind, die Herrschaft der beiden bürgerlichen Parteien im US-Imperium zu stürzen: Für People Of Color, Linke, Gewerkschafter*innen sind sie eine konkrete Gefahr.

Der größte Fehler im Kampf gegen diese Bedrohung wäre es, sich auf die Kräfte zu verlassen, die für den Aufstieg des Trumpismus verantwortlich sind: Das Bürgertum, dessen krisenhafte Wirtschaft Millionen US-Amerikaner*innen in den Ruin getrieben hat. Das politische Establishment, das sich inmitten der katastrophalen Pandemie standhaft weigert, eine Gesundheitsversicherung für alle einzuführen. Die Demokratische Partei, die aufgrund ihrer Nähe zu Wall Street und Co bei vielen Menschen so verhasst ist, dass der unbeliebteste US-Präsident der Geschichte beinahe wiedergewählt wurde. Stattdessen braucht es den Aufbau einer breiten, multiethnischen antifaschistischen Bewegung und einer Arbeiter*innenpartei, die den Trumpismus zurückschlägt, aber auch die Verhältnisse bekämpft, die zu seinem Aufstieg beigetragen haben.

Unsere Schwesterorganisation in den USA, Socialist Alternative, leistet einen wichtigen Beitrag beim Aufbau einer solchen Kraft. Wir dokumentieren die Erklärung von Kshama Sawant, Stadträtin für Socialist Alternative in Seattle:

Kshama Sawant verurteilt die rechtsextreme Gewalt im Kapitol und ruft Gewerkschaften, soziale Bewegungen und Sozialist*innen auf, sich zu organisieren, um die Rechtsextremen zu stoppen

von Kshama Sawant

Die folgende Erklärung wurde vom Büro von Kshama Sawant, der sozialistischen Stadträtin in Seattle und Mitglied der Socialist Alternative (Schwesterorganisation von SLP und SAV in den USA), herausgegeben.

Die schreckliche Demonstration rechtsextremer Gewalt, die wir heute in DC sehen, ist eine beängstigende Warnung, dass Trump die Wahl zwar verloren haben mag, aber der Trumpismus und die extreme Rechte bleiben. Trump und seine reaktionäre Basis weigern sich, ein demokratisches Wahlergebnis zu anzuerkennen. Socialist Alternative und mein Ratsbüro stehen in Solidarität mit allen, die gegen die Rechten kämpfen, und mit all jenen, die in die Ausschreitungen im Kapitolgebäude hineingeraten sind, darunter Hausmeister*innen, Servicekräfte, Mitarbeiter*innen und andere.

Ich hoffe, dass alle, die im Moment in DC zu Recht in Angst und Schrecken sind, unversehrt bleiben. Wir müssen uns als Teil der Arbeiter*innenklasse aufeinander verlassen und auf unsere Solidarität. Mein Ratsbüro unterstützt die friedlichen Gegenproteste, zu denen arbeitende Menschen und Sozialist*innen aufrufen, als Teil eines sofortigen Gegenschlags gegen diese rechtsextremen Aktionen. Die einzige wirkliche Verteidigung ist eine Massenbewegung und Massenorganisation von arbeitenden Menschen, Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und Sozialist*innen, um die extreme Rechte zu stoppen!

Die Polizei hat im letzten Sommer in einer Stadt nach der anderen friedliche Black-Lives-Matter-Demonstrationen brutal niedergeschlagen, im Namen von “Recht und Ordnung”. Wo sind diese angeblichen Verteidiger*innen von Recht und Ordnung, wenn die Rechten auf einen terrorisierenden Amoklauf geht?

Diese Ausschreitungen werden enden, und dieses Wahlergebnis wird anerkannt werden – aber die rechtsextreme Selbstjustiz, die wir gerade sehen, ist nur der Anfang, wenn die arbeitenden Menschen sich nicht organisieren. Das sind die Anfänge einer möglichen rechtsextremen Bewegung, möglicherweise sogar mit einer eigenen politischen Partei.

Die rechtsextreme Gewalt im Kapitol ist nicht nur das Ergebnis von Trump, sondern auch des völligen Versagens der Führung der demokratischen Partei, sich nachdrücklich gegen dessen Angriffe auf die Arbeiter*innenklasse zu stellen. Der heutige Tag zeigt, dass wir einfach keine Zeit haben, auf Veränderungen zu warten. Wir brauchen eine Partei der Arbeiter*innenklasse. Wir müssen einen Massenkampf für Medicare For All, für einen Green New Deal und für eine demokratische Kontrolle der Polizei führen. Gewerkschaften, Communities, Sozialist*innen, Aktivist*innen und andere müssen für all diese Forderungen kämpfen, um eine starke Alternative gegen den falschen und gefährlichen Populismus von Trump aufzubauen und die extreme Rechte zu besiegen.