Lisa Eckhart: Das Ende der Kunstfreiheit?

Lisa Eckhart

Das kulturjournalistische Sommerloch wurde dieses Jahr gefüllt mit einer Debatte um die sogenannte „Cancel Culture“: Politische Zensur oder Boykott von Kunst und Kultur. Nein, es ging nicht um das „gecancelte“ Umweltsaulied des WDR-Kinderchors, das von der Bauhausstiftung Dessau abgesagte Konzert von Feine Sahne Fischfilet, oder Morddrohungen gegen Idil Baydar („Jilet Ayşe“) durch den „NSU 2.0“.

Von Sebastian Rave, Bremen

Stattdessen wurde das Schreckgespenst der „linksgrünen Meinungsdiktatur“ beschworen. Der Kabarettistin Lisa Eckhart wurde ein Auftritt in Hamburg abgesagt, weil Proteste befürchtet (!) wurden, nachdem sie in ihrem Programm „den Juden“ die Kollektivschuld für #metoo gab: „Am meisten enttäuscht es von den Juden. Da haben wir immer gegen den Vorwurf gewettert, denen ginge es nur ums Geld, und jetzt plötzlich kommt raus, denen geht’s wirklich nicht ums Geld, denen geht’s um die Weiber, und deshalb brauchen sie das Geld“.

Das bürgerliche Publikum, das das Ende der Meinungsfreiheit am Horizont wähnt, führt zu Eckharts Schutz ins Felde, dass ihr Programm diskriminierende und antisemitische Denkmuster in der Gesellschaft nur hintersinnig spiegeln würde. Der WDR schrieb, sie erörtere „die Schwierigkeiten im Umgang mit Minderheiten, mit Schutzwürdigen, mit Verehrungswürdigen, wenn diese Personengruppen sich Verfehlungen leisten, schuldig werden oder straffällig.“ Bizarr, wenn man sich andere Teile ihres Programms antut:

Die Erektion des schwarzen Glieds braucht alle sieben Liter Blut, über die ein Mensch verfügt.“; „Wenn jetzt noch ein Rollstuhlfahrer einer Dame zu lange aufs Gesäß schaut, was, zugegeben, in seiner Position nicht zu tun sehr schwierig ist…“; „Wenn ein Mann, der einmal zuvor eine Frau war, sein chirurgisch konstruiertes Tartar von Gemächt ungefragt voll Nostalgie an seinem einstigen Geschlecht reibt…“

Egal wie gestelzt vorgetragen, das ist flachster Humor auf Kosten derer, die unten sind. Es gibt also genug Grund, gegen diese Form von Diskriminierung und Herabsetzung zu protestieren. Proteste sind aber keine „Zensur“, sondern eine Form der Auseinandersetzung mit der Darbietung, die ein*e ernsthafte Künstler*in, gerade ein*e Kabarettist*int, gerne annehmen würde. Störaktionen (reaktionärer) Kulturveranstaltungen waren in der Vergangenheit, zumindest in der Kunstszene, nicht unüblich: So „sprengten“ am 4.März 1919 einige Linke, darunter der bekannte Maler Max Ernst, ein monarchistisches Theaterstück, was ihnen eine Menge Ärger mit dem Establishment einbrachte.

Wer cancelt wen?

Der Vorwurf der „Cancel Culture“ stellt die Machtverhältnisse auf den Kopf, in denen Vertreter*innen rechter Parteien in jede Talkshow eingeladen werden und die Bildzeitung den rassistischen Unsinn von Sarrazin und Co verbreitet, während die Polizei Migrant*innen und Antifa-Demos schikaniert.

Der große Antifaschist und Satiriker Tucholsky hat gesagt: „Satire darf alles“. Ja, aber man kann davon ausgehen, dass der unermüdliche Verächtlichmacher von Nazis, Bonzen und Militaristen eine andere Definition von Satire hat als die, deren Programm daraus besteht, sich „humoristisch“ der Überlegenheit über unterdrückte Minderheiten, Frauen oder Linken zu versichern.

Im gleichen Aufsatz, in dem Tucholsky der Satire alles erlaubt, schreibt er: „Nirgends verrät sich der Charakterlose schneller als hier, nirgends zeigt sich fixer, was ein gewissenloser Hanswurst ist, einer, der heute den angreift und morgen den.“

Lisa Eckhart ist eine solche gewissenlose Hanswurst, die sich an der Verletzung vermeintlicher politischer Correctness erfreut. Das Internet nennt jemanden, der mit rechten Sprüchen trollt, um Aufmerksamkeit zu bekommen, einen Edgelord. Lisa Eckhart ist eine Edgelady, ihre Provokation so einfallsreich und besonders wie jeder nihilistische Teenager, der Nietzsche deep findet und die Menschheit dumm. Mag sein, dass die Edgelady nur eine künstlich überzogene Kunstfigur ist, die ihre hintergründige Kritik im uneigentlichen Sprechen versteckt. Wenn unter dem Versace-Pelzmantel aber doch nur Witze vom Schlag eines Vollreaktionärs wie Dieter Nuhr versteckt sind, kann man sich den Quatsch auch schenken. Da war Fips Asmussen, der im letzten Monat verstorbene Meister des rassistischen und sexistischen Flachwitzes ehrlicher im Bezug auf das eigene geistige Elend: „Kennt ihr den Unterschied zwischen Fips Asmussen und einem Politiker? Fips Asmussen weiß, dass er dummes Zeug redet!“


Bild: Franziska Schrödinger (CC BY 2.0)