Racial Profiling in Köln

Silvester 2016/17: Die Lehren aus einem besonderen Fall

Wer es wagte, die massenhaften Kontrollen, Einkesselung und Platzverweise der Polizei am Silvesterabend gegen „nordafrikanisch aussehende“ junge Männer zu kritisieren, erntete einen wahren shit-storm oder wurde in sozialen Netzwerken gar persönlich bedroht, wie die Sprecherin der LINKEN-NRW, Özlem Demirel und der LINKE-Bundestagsabgeordnete Niema Movassat. Nur wenige Wochen später wird deutlich: die KritikerInnen hatten Recht.

von Georg Kümmel, Köln

„Es ist infam, den Polizeieinsatz im Nachhinein als rassistisch zu diffamieren, nur weil die Beamten potenzielle Täter am Hauptbahnhof nach ihrem Aussehen beurteilt haben. Ja wonach denn sonst?“ (Kommentator von Lothar Lenz im WDR2, 2.1.2017).

Während die Polizei für die Verwendung des Begriffs „Nafri“ im Nachhinein ihr Bedauern ausdrückte, verteidigte Sigmar Gabriel das: „Die Polizei hat mit ihrem Profil ‚Nafris/Nordafrikaner‘ nichts anderes getan, als die Realität zu beschreiben“ (Zitiert nach FR-online.de, 2.1.17)

Was gestern noch politisch inkorrekt war, eine ganze Gruppe Menschen allein aufgrund ihrer Haut- und Haarfarbe unter Generalverdacht zu stellen, wurde plötzlich zur Staatsräson erklärt.

Laut tagesschau.de vom 2. Januar kontrollierte allein die Bundespolizei, zuständig für den Bereich des Kölner Hauptbahnhofs, in der Silvesternacht 1200 Personen. Sie erteilte 900 Platzverweise. Zusätzliche Kontrollen und Platzverweise gab es durch die örtliche Polizei. Junge dunkelhäutige Männer wurden im Hauptbahnhof aussortiert und in einen Polizeikessel auf dem Bahnhofsvorplatz abgeleitet.

„Wild gestikuliert“

Mittlerweile gab die Kölner Polizei zu: Von 425 überprüften Personen, bei denen die Nationalität feststeht, waren 99 Iraker, 94 Syrer, 48 Afghanen und 46 Deutsche. 17 waren Marokkaner und 13 Algerier. (Kölner Stadtanzeiger, 14.01.17). Bei keinem der Kontrollierten konnte irgendein Zusammenhang zu den Übergriffen in der Kölner Silvesternacht vor einem Jahr festgestellt werden. Die Polizei verteidigt dennoch weiter ihr Vorgehen. Sie habe eine Eskalation befürchtet. Der Kölner Stadtanzeiger zitiert aus einem Schriftstück, in dem die Kontrollen und der Polizeikessel (der natürlich nicht so genannt wird) damit begründet werden, dass die jungen Männern sich „in großen Teilen distanzlos, verbal aggressiv und laut“ verhalten hätten und dabei „wild gestikuliert“ hätten. (Kölner Stadtanzeiger, 18.01.17). Wer trotzdem immer noch glaubt, das Vorgehen der Polizei sei nötig gewesen, um insbesondere Frauen zu schützen, der möge einmal über folgendes Argument nachdenken: Nehmen wir einmal an, ein erheblicher Prozentsatz der jungen Männer wäre tatsächlich mit der Absicht zum Kölner Hauptbahnhof gekommen, Menschen zu bestehlen und Frauen Gewalt anzutun. Dann hätten doch die Verantwortlichen bei der Polizei alles tun müssen, damit diese angeblich potenziellen Täter in dieser Nacht nicht mehr unbeobachtet bleiben. Man hat sie aber zunächst vom hell erleuchteten, mit weit über 1000 Polizisten bestens bewachten Bereich um Dom und Hauptbahnhof mit Platzverweisen weggeschickt. Irgendwohin in die Nacht, Hauptsache außerhalb der Kölner Innenstadt. Andere wurden eingekesselt. Kurz nach Mitternacht wurde der Polizeikessel aufgelöst. Was sie anderswo getan hätten, wenn sie denn gefährlich gewesen wären, interessierte offenbar gar nicht.

Dieses Vorgehen der Polizei macht wenig Sinn, wenn es darum gegangen wäre, Menschen, vor allem Frauen, vor potenziellen Gewalttätern zu schützen. Es macht aber Sinn, wenn man annimmt, dass es vielmehr darum ging, unter den Kameraaugen der Weltöffentlichkeit zu zeigen: hier an Kölner Dom und Hauptbahnhof lassen wir erst gar keinen „nordafrikanisch aussehenden“ jungen Mann herumlaufen.

Konsequenzen

„Wenn das Vorgehen der Kölner Polizei und die politische Unterstützung dieses Vorgehens, erst normal wird, dann hat das weitreichende Konsequenzen für uns alle. Dann sind wir schnell bei der verdachtsunabhängigen Rasterfahndung, verdachtsunabhängigem und unbegrenztem Abhören und Speichern von Telekommunikation, verdachtsunabhängigen Einschränkung der Freiheitsrechte. Und was das Auftreten der Polizei betrifft, drohen dann in letzter Konsequenz Verhältnisse ähnlich denen in den USA“ schrieben wir in einem Artikel am 3. Januar. Als ob die Kölner Polizei diese Einschätzung unbedingt bestätigen wollte, setzte sie nur Tage später, am 7. Januar, 195 AntifaschistInnen, die sich am Rande der geplante Wegstrecke einer Nazi-Demo aufhielten, in einem Polizeikessel fest. Und zwar ohne sie zum Verlassen des Bereichs aufgefordert zu haben. Im Gegenteil, sie waren von Polizisten umstellt worden, die jede/n die/der gehen wollte, daran hinderten (siehe Artikel Seite 7).

Lehren

Mit unglaublicher Geschwindigkeit und ohne jede Hemmung wurden demokratische Grundprinzipien und Grundrechte über Bord geworfen: das Grundrecht sich frei bewegen zu dürfen, das Grundprinzip der Gleichbehandlung, das Grundprinzip der Unschuldsvermutung. Und zwar von denen, die vorgeben, diese demokratischen Werte zu verteidigen.

Für migrantisch aussehende Menschen ist es leider nicht neu, ständig von der Polizei ohne jeden Verdacht kontrolliert zu werden. Neu ist die einhellige Rechtfertigung dieser rassistischen Kontrollen durch VertreterInnen der etablierten Parteien.

Angeblich ging es darum, Frauen vor sexualisierter Gewalt zu schützen. Statt einer rassistisch motivierten Scheindebatte, wie sie von Sigmar Gabriel, Horst Seehofer und natürlich der AfD geführt wird, braucht es eine echte Diskussion. Die Linke/LINKE und die Gewerkschaftsbewegung muss sich dabei nur an ein ganz einfaches Prinzip halten: ‚Für Alle‘. Sicherheit vor sexuellen Übergriffen für alle Frauen: ob am Kölner Hauptbahnhof oder beim Oktoberfest, am Arbeitsplatz oder in der Flüchtlingsunterkunft, ob christlicher oder muslimischer Ehemann. Nur von diesem Standpunkt aus kann die Debatte geführt und können Lösungen gefunden werden.