Tarifabschluss Länder: Begrenztes Ergebnis trotz großer Warnstreiks

netzwerk-verdi-logoDokumentiert: Stellungnahme des Netzwerks für eine kämpferische und demokratische ver.di
Am 28.3. gab es bei der vierten Verhandlungsrunde eine Einigung zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften. Nun geht es in die Mitgliederbefragung. Dafür muss das Ergebnis bewertet werden. Es sollte aber vor allem eine Diskussion begonnen werden, wie eine wieder kehrende Routine durchbrochen und eine stärkere Kampfkraft bis hin zu Erzwingungsstreiks entwickelt werden kann.

Gute Beteiligung bei Warnstreiks
180.000 KollegInnen haben sich in dieser Tarifrunde an den Warnstreiks beteiligt. Gemessen an der Zahl der 800.000 Länderbeschäftigten ist das eigentlich ein sehr guter Wert, wenn man das mit Mobilisierungen in besser organisierten Bereichen vergleicht. Auch, wenn viele Aktive in einer ganzen Reihe von Dienststellen und Betrieben seit Jahren damit zu kämpfen haben, dass der Organisationsgrad niedrig ist, zeigt sich hier das Potenzial auch im Länderbereich.

Regional gab es Unterschiede. Einzelne Mobilisierungen fielen größer aus, als vorher von den lokalen Gewerkschaften erwartet – so kamen beim ersten Warnstreik in Berlin 17.000 auf die Straße, beim 2. Warnstreik versammelten sich in Leipzig 27.000 Beschäftigte aus ganz Sachsen. Einer der besonders mobilisierenden Faktoren war die Forderung der öffentlichen Arbeitgeber, ihren Beschäftigten die Zusatzrente im Alter zu kürzen und damit einen Beitrag zu massenhafter Altersarmut zu leisten. Dies konnte (eingeschränkt) abgewehrt werden. Ein wichtiger mobilisierender Faktor (gerade auch in Berlin und Sachsen) war die Forderung der GEW nach einer Entgeltordnung für die angestellten LehrerInnen (L-EGO). Bei gleicher Arbeit verdienen angestellte LehrerInnen immer noch mehrere hundert Euro weniger als ihre verbeamteten KollegInnen bzw richtet sich die Bezahlung nach dem Gutdünken der verschiedenen „Landesherren“. Zum dritten Mal gingen die angestellten LehrerInnen in dieser Frage wiederum leer aus, da die Arbeitgeber ein völlig unzureichendes Angebot in dieser Frage machten.

Unterm Strich wird das Ergebnis von ver.di als Erfolg gefeiert, von der GEW als „akzeptabel“ bezeichnet. Sowohl Ablauf der Tarifrunde als auch das Ergebnis spiegeln allerdings eine Routine wider, die zunehmend kritisiert wird.

„Akzeptables“ Ergebnis?
Teil dieser Routine ist, dass KollegInnen inzwischen davon ausgehen, dass sowieso nur die Hälfte der geforderten Lohnerhöhungen erreicht werden. Diese Logik wird von Gewerkschaftsführungen vermittelt, die davon ausgehen, dass beide Seiten „aufeinander zugehen“ müssten und Kompromisse (auch ohne wirklichen Arbeitskampf) nötig seien. Wegen der – zur Zeit (!) – relativ niedrigen Inflation wird die Erhöhung um 2,1 Prozent ab 1. März 2015 und 2,3 Prozent, mindestens 75 Euro als positiv gesehen. Gut ist, dass inzwischen die soziale Komponente bei den Tarifrunden eine wichtige Rolle spielt und nicht darauf verzichtet wird. Diese Forderung kam wiederholt von der Gewerkschaftsbasis. Dennoch: Die Forderung war 5,5 Prozent, mindestens 175 Euro auf EIN Jahr gerechnet. Erreicht wurde also unterm Strich weniger als 50% der Forderung. Das vom ver.di Vorsitzenden Bsirkse ausgegebene Ziel, den Abstand zwischen den Gehältern im öffentlichen Dienst der Länder und der Gesamtwirtschaft zu verkleinern, dürfte somit verfehlt worden sein. Zudem müssen laut Vereinbarung höhere Beiträge für die Altersvorsorge in der VBL bezahlt werden. Bei der Forderung nach dem Ende von sachgrundlosen Befristungen, die auch schon beim letzten Mal auf der Tagesordnung stand, gibt es nur eine Gesprächszusage für den Herbst 2015, nach Ergebnissen einer gemeinsamen Studie. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Arbeitgeber sich ohne Druck zu Veränderungen bewegen lassen.

Drohungen der Arbeitgeber

Leider gelingt es auch den Arbeitgebern Stück für Stück, Zugeständnisse zu erreichen. Bei der letzten Tarifrunde hatten sie die Verringerung der Urlaubstage (von 30 auf 26) gefordert. Das konnte damals komplett verhindert werden. Allerdings ist immer wieder die Frage, inwieweit die Drohkulisse dazu dient, um einen moderaten Lohnabschluss als Erfolg zu feiern, weil der große Angriff verhindert werden konnte.

Diesmal wollten die Arbeitgeber unter anderem eine Leistungskürzung bei der VBL (Zusatzrente im öffentlichen Dienst) durchsetzen, also eine Kürzung der Rentenanwartschaften. Dass dies verhindert wurde, ist ein Erfolg. Dennoch muss festgehalten werden, dass bei der jetzigen Vereinbarung ein großer Teil der zusätzlichen Beiträge von den ArbeitnehmerInnen selbst finanziert werden soll, um die angeblichen Löcher in den Versorgungskassen zu füllen.

Sowohl die Beschäftigten als auch die Arbeitgeber sollen schrittweise mehr in die VBL einzahlen. Gerade in Ostdeutschland wird den Pflichtversicherten eine Beitragssteigerung von 2 % um 2,25 Prozentpunkte bis auf 4,25 % innerhalb von nur zwei Jahren und drei Monaten zugemutet.

Es läge nicht in der Verantwortung der Beschäftigten, wenn aufgrund demographischer Entwicklungen mehr Geld in den Kassen benötigt würde. Ob dies tatsächlich der Fall ist, wird von Experten jedoch bestritten (siehe http://www.startgutschriften-arge.de/3/SP_Fokus_Zusatzversorgung_PlusMinus.pdf). Auch im ver.di Flugblatt zur VBL wird als Schlussfolgerung aus einem Faktencheck festgehalten: “Die meisten Zusatzversorgungskassen haben gar keine akuten Geldsorgen.“

Die frühere Gewerkschaft ötv erkämpfte, dass die VBL in den Jahren 1978 bis 1998 für ArbeitnehmerInnen komplett beitragsfrei war. Seitdem wird eine stetige Steigerung der Arbeitnehmer-Beiträge seit ihrer Einführung mit dem 1.1. 1999 fortgeschrieben. Deshalb wäre es richtig gewesen, eine Beitragserhöhung für die ArbeitnehmerInnen abzulehnen und stattdessen die komplette Finanzierung der angeblich entstandenen Defizite durch die Arbeitgeber, beispielsweise durch die Erhebung einer Vermögenssteuer, zu fordern. Solange Unternehmen so wenig Steuern zahlen, gibt es keinen Grund für Belastungen für die Beschäftigten!

Angestellte LehrerInnen – zum dritten Mal gescheitert

Obwohl 38.000 LehrerInnen, besonders in Berlin und Sachsen, an den Warnstreiks beteiligt waren, konnte die Forderung nach einer angemessenen Lehrer-Entgeltordnung (L-EGO) nicht durchgesetzt werden. Die GEW forderte die Einführung einer Paralleltabelle, um die Angestelltentarife an die Beamtenbesoldungen anzugleichen und somit die Kluft von bis zu 400 Euro monatlich weniger zu beseitigen. Zum dritten Mal in einer Ländertarifrunde wurde deutlich, dass die Arbeitgeber eine tarifliche Regelung, die solche Ungerechtigkeiten aufhebt, nicht wollen. Stattdessen boten sie 30 Euro mehr monatlich an, verbunden mit einer Friedenspflicht für die nächsten zwei Jahre. Während die GEW dieses Nicht-Angebot für ihre Mitglieder klar ablehnte, scherte der dbb aus der Tarifgemeinschaft aus und unterzeichnete!

Für die GEW steht (Annahme des Ergebnisses durch die Mitglieder vorausgesetzt) an, die Auseinandersetzung auf Länderebene wieder aufzunehmen. Besonders in Berlin haben die KollegInnen bereits lange für diese Forderung gekämpft. Die GEW muss nun bundesweit eine Strategie ausarbeiten, um die Arbeitgeber zum Einlenken zu bringen.

Es sollte hier der Schulterschluss mit ver.di im Sozial- und Erziehungsdienst gesucht werden, die möglicherweise im Frühjahr ebenfalls in einen Erzwingungsstreik treten. Bei einem Zusammengehen könnte die gesellschaftspolitische Frage, wieviel Geld für die Bereiche Erziehung und Bildung ausgegeben werden, aufgegriffen werden und entsprechend in die Tarifbewegungen eingebracht werden. Auf dieser Grundlage könnte auch die notwendige Solidarität von Eltern und SchülerInnen hergestellt werden.

Erzwingungsstreik im Länderbereich?

Immer wieder wird argumentiert, dass ein Erzwingungsstreik im Länderbereich aufgrund des niedrigen Organisationsgrades nicht möglich sei. Das beste Mittel, um zu einer realistischen Einschätzung zu kommen, wäre eine breite Diskussion auf Streikversammlungen in Betrieben, Dienststellen, auf lokalen und überregionalen Vertrauensleute- und Aktivenkonferenzen gewesen. Immerhin war die Beteiligung bei den Warnstreiks, wie eingangs erwähnt, vergleichsweise hoch. (Bei der Tarifrunde Bund und Kommunen waren 2014 beispielsweise 300.000 an Warnstreiks beteiligt, von insgesamt 2,1 Millionen Beschäftigten. Bei den Ländern war es also fast ein Viertel, bei Bund und Kommunen war es „nur“ ein Siebtel.) In vielen Dienststellen und Betrieben ist der Organisationsgrad ziemlich schwach. Doch auch beim monatelangen Streik im Einzelhandel, den ver.di 2013 führte, gab es nur wenige kampfstarke Häuser. Mit dem Arbeitskampf konnten wiederum viele neue Mitglieder gewonnen und in einigen Bereichen auch Aktiven-Strukturen aufgebaut werden. Das ist die Erfahrung aus den meisten Arbeitskämpfen. Gerade, wenn es Schwächen gibt, muss eine Strategie her: Wie kann dieser Zustand geändert werden, um zu verhindern, dass die Arbeitgeber, beim nächsten Mal doch mit einem noch heftigeren Angriff erfolgreich sind? Auch der konsequentere Einsatz einzelner empfindlicher Bereiche wie der Flughafenfeuerwehr oder der Schifffahrtsämter, mit dem ökonomisch großer Druck erzeugt werden kann, ist zu diskutieren.

Leider ist seit Einführung von TVÖD und TVL (mit denen auch eine Reihe von weiteren Nachteilen verbunden waren) eine Trennung der Tarifbereiche entstanden. Diese Aufkündigung der (von ver.di als grundsätzliches Ziel beschworenen) Tarifeinheit hatte eine Spaltung zur Folge, welche die öffentlichen Arbeitgeber zu nutzen wussten. Gerade der Länderbereich gilt seit jeher als wenig durchsetzungsfähig.

Das „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“ fordert daher schon seit einiger Zeit, dass ver.di eine Synchronisierung der Laufzeiten von TVÖD und TVL anstreben sollte. Dies ist bis heute nicht gelungen, da wiederholte Abschlüsse mit 2-jähriger Laufzeit eine Versetzung um ein Jahr aufrecht erhalten. Würde dies aufgebrochen, so könnte zumindest zeitgleich und mit ähnlichen Forderungen eine gemeinsame Tarifbewegung auf den Weg gebracht werden.

Kampfkraft stärken – gemeinsam

Es ist richtig, dass jede Tarifauseinandersetzung eine Frage der Kräfteverhältnisse ist. Da die Drohung der Arbeitgeber aber eine beachtliche Mobilisierung zur Folge hatte, wäre das – bei allen Schwächen – in diesem Jahr ein guter Ausgangspunkt für eine Stärkung der Gewerkschaften im Länderbereich.

Zudem bestünde die Möglichkeit einer Ko-ordinierung von verschiedenen Tarifrunden, in denen ver.di eine Rolle spielt. So wird im Sozial- und Erziehungsdienst ein Erzwingungsstreik geplant. Da auch in einigen Stadtstaaten ErzieherInnen unter den TVL fallen, läge hier eine Ko-ordinierung eigentlich nahe.

Auch andere Bereiche von ver.di stehen in der Auseinadersetzung, so die Beschäftigten bei der Post, die sich gegen die Ausgliederung in Billigunternehmen wehren; Beschäftigte bei der Postbank, die um ihre Zukunft bangen; die KollegInnen im Einzelhandel, die schon 2013 einen langen Arbeitskampf bestritten; die Streikenden bei Amazon, die seit Monaten gegen eine Mauer ankämpfen müssen. All das zusammen genommen sind hunderttausende Beschäftigte, die man bei einer Ko-ordinierung allein durch ver.di gemeinsam auf die Straße bringen könnte, wenn Protestkundgebungen gemeinsam durchgeführt würden. Es ist eine weitere vertane Chance, wenn die ver.di Spitze dies nicht umsetzt. Die Forderung nach Ko-ordinierung von tariflichen Kämpfen sollte auf allen Ebenen eingebracht werden.

Denn diese Idee wird positiv aufgenommen, wo immer sie vorgebracht wird. Eine Zielvorgabe bei Gründung der Großgewerkschaft ver.di 2001 war eine größere Durchsetzungskraft. Frank Bsirske versprach in seiner Gründungsrede: „Die neue Solidarität wird berufsübergreifend und branchenübergreifend sein.“

In der Realität sieht es aufgrund der Tarifzersplitterung, die durch die ver.di-Führung teilweise leider mit betrieben wurde, besonders in den 2000er Jahren anders aus. Würde ver.di jetzt die verschiedenen Bereiche ko-ordinieren, so könnte dennoch eine große gesellschaftliche und gewerkschaftliche Kraft entstehen. Dies wäre auch ein zentrales Element, die Routine in den einzelnen Tarifrunden zu durchbrechen. Gewerkschaften könnten in der Öffentlichkeit und innerhalb der ArbeiterInnenklasse ein neues kämpferisches Image erhalten und somit einen enormen Zulauf erhalten.

Das „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“ empfiehlt, das Tarifergebnis abzulehnen. Auch, wenn aufgrund der Kräfteverhältnisse nicht von einer breiten Ablehnung auszugehen ist, ist es wichtig, ein Signal zu senden, dass sich viele eine andere, kämpferischere Tarifpolitik wünschen. Vor allem aber sollten Gespräche und Diskussionen über die Auswertung genutzt werden, um über weiter gehende Strategien für die Zukunft zu diskutieren. Wer mit anderen Aktiven diskutieren möchte, kann dies demnächst auch online auf Facebook tun – unter „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“.