Über die Hintergründe des Nahost-Konflikts

Foto: https://www.flickr.com/photos/stewf/ CC BY-NC-SA 2.0
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Krise im Nahen Osten

Vorbemerkung: Die aktuellen Ereignisse in Israel und Palästina werfen viele Fragen auf. Wie ist der israelische Staat entstanden? Wie sieht die Geschichte der PalästinenserInnen aus? Welche Alternativen existieren zu Imperialismus, reaktionärer israelischer Regierungspolitik, PLO und Hamas? Was ist die Haltung von SozialistInnen. Mit der Wiederveröffentlichung eines Beitrags von Daniel Hugo 1982 aus dem damaligen Magazin Inqaba ya Basebenzi (Nr. 8, November 1982, Nr. 9, Februar-April 1983) der südafrikanischen CWI-Organisation wollen wir Antworten auf die genannten Fragen geben.

Die israelische Invasion im Libanon hat zu einer niederschmetternden militäri­schen Niederlage für die Palästinensische Befreiungsorganisation geführt. Sie hat zu 50.000 Toten – meist libanesischen Zivi­listInnen – und Hunderttausenden Ob­dachlosen geführt und zu einer neuen brutalen Wendung in der Spirale von Krise, Unterdrückung und Massenaufruhr im Nahen Osten.

Ein direktes Ergebnis der Invasion war die brutale Ermordung von 2.000 Männern, Frauen und Kindern in den palästinensi­schen Flüchtlingslagern in Beirut am 16. bis 18. September. Nichts hätte krasser die bitteren Spaltungen und den unter der Herrschaft von Kapitalismus und Imperia­lismus zwischen den Völkern aufgestau­ten sektiererischen Hass deutlich machen können.

Die israelische Regierung hat die Verant­wortung für das Senden der rechten christlichen („phalangistischen“) Schlächter in die Flüchtlingslager von Sabra und Schatila eingeräumt, um die verbleibenden PLO-Guerillas „wegzuspü­len“. Unter den Augen der israelischen Streitkräfte an den Ecken des Lagers schlachteten die Phalangisten die hilflo­sen BewohnerInnen ab.

Nach zwei Tagen erreichte die Orgie des Tötens einen schauerlichen Höhepunkt:

„LagerbewohnerInnen wurden niederge­schossen, wo immer sie gefunden wur­den. Männer wurden aneinander gekettet und hinter einem Jeep her geschleift. Kehlen wurden aufgeschlitzt, Genitalien und Brüste abgeschnitten. Ärzte wurden in den Krankenhäusern und PatientInnen in ihren Betten getötet.“

Ein Journalist der Londoner „Times“, der Schatila am nächsten Tag betrat, be­schreibt die Folgen:

„Entlang jeder Straße lagen Leichen – Frauen, junge Männer, Babys und Groß­eltern – zusammen … dort wo sie mit Messern oder Maschinengewehren getö­tet worden waren.“ (20. September)

Als diese Enthüllungen in die Außenwelt sickerten verbreiteten sich Empörung und Abscheu unter den Massen in den arabi­schen Ländern und arbeitenden Men­schen auf der ganzen Welt.

Auf der israelisch besetzten Westbank brachen in vielen Gebieten spontane De­monstrationen von Tausenden Palästi­nenserInnen aus. In Israel selbst brach beispiellose Wut unter der jüdischen Be­völkerung aus und führte zu gewaltsamen Protesten gegen die rechte Regierung von Menachem Begin, die in einer Kundge­bung von 400.000 Menschen – einem Siebtel der gesamten Bevölkerung Isra­els, JüdInnen und AraberInnen zusam­mengenommen – gipfelten.

Im Ausland mussten die USA und andere westliche Regierungen, die Israel bewaff­nen und stützen, „Schock“ über diese Gräueltaten ausdrücken. Eine „Friedens­truppe“ aus US-, französischen und ita­lienischen Truppen wurde nach Beirut ge­schickt – in Wirklichkeit zur Stützung des neu installierten phalangistischen Re­gimes der Gemayels.

Die arabischen Regime haben passiv zu­geschaut, und Israel von weitem ange­prangert. Die syrischen Kräfte im Osten des Libanon machten keine ernsthaften Versuche, die israelische Invasion aufzu­halten.

In Marokko hielt die Arabische Liga (der arabischen Staaten) am 22. September eine Sondersitzung ab – konnte sich aber auf keine Maßnahmen außer einem Pro­test durch die arabischen Botschafter in Washington einigen.

Die palästinensischen Flüchtlinge im Li­banon finden sich jetzt in einer noch ver­zweifelteren Lage als vorher wieder. Ent­waffnet und hilflos sind sie von der Gnade ihrer blutdürstigen Feinde abhän­gig.

So schrecklich die Rückschläge in den letzten Monaten auch gewesen sind, der nationale Kampf des palästinensischen Volkes wird weitergehen. ArbeiterInnen in Südafrika und überall in der Welt werde ihre palästinensischen Brüder und Schwestern unterstützen, wenn sie einen Weg aus ihrer Sackgasse suchen.

Wie können die Probleme der Palästi­nenserInnen und aller unterdrückten Völ­ker des Nahen Ostens gelöst werden? Diese Frage kann nur durch eine sorgfäl­tige Untersuchung der Entwicklungen gelöst werden, die zur gegenwärtigen Lage führten.

Die ArbeiterInnen des Nahen Ostens werden bewaffnet mit einem wissen­schaftlichen Verständnis der Ereignisse in der Lage sein, Politiken zum Erreichen nationaler und sozialer Befreiung zu ent­wickeln: und ArbeiterInnen international werden sie wirksam unterstützen, wenn sie die Lehren des Kampfes lernen.

Zionismus

Im Verlauf dieses Jahrhunderts wurde der Nahe Osten zunehmend entscheidend für die imperialistischen Mächte wegen sei­ner strategischen Lage, aber vor allem wegen seiner enormen Ölreserven.

Bis 1918 bildete der größte Teil des Ge­biets einen Teil des türkischen Reichs, das sich im Ersten Weltkrieg auf die Seite Deutschland schlug und von britischen und arabischen Armeen besiegt wurde. In einem Geheimabkommen 1916 wurde die Region zwischen Britannien, Frankreich und den zaristischen Russland aufgeteilt.

Während der zwanziger Jahre spalteten der britische und französische Imperia­lismus den Nahen Osten weiter auf, in­dem sie Landstücke an Marionettenherr­scher übergaben. In der französischen Zone wurde der Libanon als getrennter Staat errichtet, der von der christlichen Bourgeoisie auf der Grundlage eines Kompromisses mit den Führern der dru­sischen und moslemischen Bauernschaft beherrscht wurde.

Die britische Zone wurde in drei Teile ge­teilt – Palästina, Jordanien (ursprünglich Transjordanien genannt) und Irak (Meso­potamien) – wobei in Jordanien und Irak mit Britannien verbundene arabische Fürsten installiert wurden.

Wie im Rest der kolonialen Welt bestand die Massenarmut weiter und verschlim­merte sich unter imperialistischer Vor­herrschaft.

In Palästina (dem heutigen Israel) lebte wie in anderen arabischen Länder eine kleine jüdische Minderheit – 1920 etwa 11 Prozent der Bevölkerung – Seite an Seite mit der arabischen Mehrheit. Der Klas­senkampf international erzeugte jedoch grässliche Folgen für das Gebiet.

In Europa – und besonders Osteuropa, wo die Mehrheit der jüdischen Weltbevölke­rung damals lebte – war der Antisemitis­mus von den herrschenden Klassen als Mittel zur Spaltung der arbeitenden Mas­sen und zum Kampf gegen die soziale Revolution gepflegt worden. Als Reaktion auf diese Verfolgung entwickelte sich die zionistische Bewegung unter der Führung der jüdischen Bourgeoisie, die ein unab­hängiges Heimatland für die JüdInnen forderte.

Palästina, wo die JüdInnen in der Antike gelebt hatten, wurde als Platz für das Heimatland ausgewählt. Die zionistischen Führer kauften mit beträchtlichen Fi­nanzmitteln systematisch Land von den arabischen Grundeigentümern zum Zweck der Schaffung jüdischer Siedlun­gen.

Anfänglich hatte der Zionismus kein Echo unter den jüdischen ArbeiterInnen, nicht mal im zaristischen Russland. Während Hunderttausende in die Vereinigten Staaten flohen, ging nur eine Handvoll nach Palästina.

Aber in den zwanziger Jahren praktizierte der britische Imperialismus eine klassi­sche Teile-und-Herrsche-Politik und be­gann, die jüdische Emigration zu ermuti­gen. Zunehmend wurden palästinensi­sche BäuerInnen vom Land vertrieben, während die hoch organisierten jüdischen SiedlerInnen begannen, die Grundlagen für den künftigen israelischen Staat zu schaffen.

Die arabische herrschende Klasse duldete diesen ganzen Prozess stillschweigend, weil sie von der billigen Arbeit durch die enteigneten BäuerInnen profitierte. Gleichzeitig legte die schleichende Beset­zung Palästinas die Grundlage für explo­sive nationale Spaltungen zwischen den jüdischen und arabischen Massen.

Widerstand

Hartnäckiger Widerstand gegen Enteig­nung entwickelte sich unter den palästi­nensischen Massen und führte zu gewalt­samen Erhebungen 1920 und 1929. Mit dem Generalstreik von 1936 lähmte die palästinensische Arbeiterklasse das Land und stellte die Herrscher von Syrien, Li­banon und Jordanien vor die Aussicht der Ausbreitung der Revolte.

So trat wie in anderen Kolonialländern die Arbeiterklasse in einem frühen Stadium als Kraft hervor, die die Speerspitze des Kampfs für nationale und soziale Befrei­ung bilden konnte.

Aber die arabischen Regime, die auf briti­sche Anweisungen handelten, schafften es, die palästinensische Führung zum Abblasen des Generalstreiks zu drängen.

Ohne eine revolutionäre Führung war die Bühne dafür frei, dass nationalistische Führer aus der Mittelschicht die Bewe­gung auf dem Weg der Klassenkollabora­tion zum Entgleisen brachten.

Bestrebungen

Die von diesen Führer geforderte Unab­hängigkeit hatte nichts mit den nationalen und sozialen Bestrebungen der Massen gemein. Die palästinensischen Führer suchten bei einem instabilen Bündnis von arabischen Königen und Herrschern Un­terstützung, die Lippenbekenntnisse zum Kampf des palästinensischen Volkes ab­legten.

Falsche Perspektiven führen zu falscher Politik. Diplomatisches Gefeilsche entwi­ckelte sich an Stelle einer revolutionären Kampagne für Unterstützung durch die Arbeiterbewegung international; Guerilla­aktion unter Beteiligung einer bewaffneten Minderheit nahm die Stelle von Massen­mobilisierung ein.

Das Fehlen einer revolutionären Führung lähmte die palästinensischen ArbeiterIn­nen und BäuerInnen mehr als jeder ande­re Faktor und machte die Errichtung eines zionistischen Staats in ihrem Lande mög­lich.

Der jüdische Staat

Die Hauptsorge der imperialistischen Mächte war immer die Unterdrückung der Bedrohung durch die Revolution der aus­gebeuteten arabischen Massen. Der briti­sche und später US-Imperialismus haben zwar ihre Bündnisse mit reaktionären arabischen Herrschern aufrecht erhalten, der Eckpunkt ihrer Politik war aber er Aufbau des jüdischen Staats als Bastion der kapitalistischen Macht in der Region.

Der entscheidende Impuls für die Schaf­fung Israels kam durch die barbarische Verfolgung der JüdInnen in Europa durch das deutsche Naziregime zwischen 1933 und 1945. Sechs Millionen JüdInnen wur­den in dieser Periode abgeschlachtet und weitere Millionen flohen um ihr Leben.

In Palästina stieg die jüdische Emigration in den dreißiger Jahren steil an. Dem folgte nach dem Krieg eine Flut von mit­tellosen jüdischen Flüchtlingen. 1948 war die jüdische Bevölkerung Palästinas auf 600.000 von insgesamt zwei Millionen Menschen angestiegen.

1947 übertrugen die britischen Behörden die Palästinafrage an die Vereinten Nati­onen. Die UN empfahl eine Teilung, die Palästina in jüdische und arabische Sek­toren aufteilte. Die „Lösung“ besiegelte in Wirklichkeit die Enteignung Hunderttau­sender AraberInnen.

Mit der Teilung brach aus dem schwelen­den nationalen Konflikt – an dessen Wur­zel ein Klassenkonflikt zwischen Aus­beutern und Ausgebeuteten war – ein Krieg aus. Massendruck zwang die Re­gime in Ägypten, Syrien, Jordanien, Irak und Libanon, gegen Israel vorzugehen.

Aber die arabischen Armeen wurden ver­nichtend geschlagen. Der Krieg 1948-49 endete mit großen territorialen Gewinnen für Israel, während die Überbleibsel des palästinensischen Sektors – die Westbank und der Gazastreifen – von Jordanien und Ägypten besetzt wurden.

Vor 1948 waren 250.000 Palästinense­rInnen durch die jüdische Besetzung von ihrem Land vertrieben worden. Der Tei­lungskrieg wurde von den zionistischen Führern verwendet, um weitere 800.000 zu vertreiben – die große Mehrheit der arabischen Bevölkerung.

Hunderttausende PalästinenserInnen wurden in „provisorische“ Lager in den arabischen Ländern gezwungen, wo diese Regime sie seitdem ständig festgehalten haben. Viele fanden mit der Entwicklung der Ölindustrie Arbeit in den Golfstaaten. Eine kleine bürgerliche Minderheit konnte ins komfortable „Exil“ in den USA und Eu­ropa gehen.

Die rücksichtslose Vertreibung des paläs­tinensischen Volkes führte zu akuten neuen Widersprüchen, die den schon kri­sengeschüttelten Nahen Osten ent­flammten. Unter den arabischen Massen wurde der Hass auf das israelische Re­gime und seine imperialistischen Unter­stützer verschärft. Das vor allem brachte die altersschwachen arabischen Herr­scher in Konflikt mit Israel.

So nahm der Kampf um Palästina die Dimensionen eines Konflikts zwischen Nationen an. Sobald Krieg begonnen wird, entwickelt er eine Eigendynamik. Seit 1948 gab es 1956, 1967 und 1973 große Kriege, abgesehen von zahlreichen Grenzzwischenfällen.

Jede neue Machtprobe hat Israels über­wältigende militärische Überlegenheit er­neut bestätigt. Diese Überlegenheit ent­stammte weniger technischen Faktoren als der Zusammensetzung der israeli­schen Gesellschaft im Vergleich zu den arabischen Staaten.

Von Anfang an war der israelische Staat darauf angelegt, maximale Produktions- und militärische Leistungen zu erbringen. Schon 1920 wurde ein zionistische Miliz gebildet, zusammen mit einem Verwal­tungsnetzwerk und einem Gewerk­schaftsapparat, um die jüdischen Sied­lungen in Palästina zu festigen.

Heute wird jeder israelische Bürger als Soldat mit elf Monaten Urlaub im Jahr betrachtet.

Die Einwanderung aus dem Westen brachte die fortgeschrittensten Fertigkei­ten und technische Kenntnisse nach Isra­el. Der neue Staat war zwar wirtschaftlich bankrott, wurde aber durch massive Do­sen Auslandshilfe (hauptsächlich aus den USA) am Laufen gehalten, die zwischen 1948 und 1977 insgesamt 31,5 Milliarden Dollar betrugen. Die Enteignung der Bau­ernschaft machte Raum für die Entwick­lung fortschrittlicher Landwirtschaft.

Diese Faktoren ermöglichten der israeli­schen Wirtschaft eine viel schnellere Entwicklung als den arabischen Staaten.

Das Wesen der israelischen Militärmacht war jedoch die politische Macht des jüdi­schen Nationalismus, der die Arbeiter­klasse an die herrschende Klasse und den Staat band.

Die Botschaft von „nationaler Einheit“ plus „militärischer Bereitschaft“ wurde von den Führern der Arbeiterbewegung wie von den religiösen und kapitalistischen Führern gepredigt. Denn so lange die wachsende Wirtschaft Verbesserungen im Lebensstandard möglich machte, schien militanter Nationalismus der einzi­ge Weg vorwärts angesichts der bank­rotten arabischen Regime. Das Ergebnis war die höchst motivierte Wehrpflichtigen­armee der Welt.

Die arabische Revolution

Die arabischen Staaten genossen nicht die Sonderbedingungen, auf denen das Wachstum und die Stärke Israels beruh­te, und blieben in Armut und Rückstän­digkeit stecken, die der Kapitalismus der kolonialen Welt allgemein aufgezwungen hat. Selbst ihr Ölreichtum wurde in dieser Periode weitgehend von den westlichen Ölgesellschaften abgeschöpft. Was blieb, wurde von den Scheichs und reaktionären herrschenden Klassen gehortet und ver­geudet.

Die arabischen Herrscher regierten über Massenelend und jahrhundertealte Unter­drückung und waren viel weniger erfolg­reich als ihre israelischen Gegenstücke bei der Übertünchung der Spaltungen zwischen den Klassen. Im Kontrast zu Is­rael haben die arabischen Länder ständig vor revolutionären Spannungen gebrodelt.

In Ägypten wurde die morsche Monarchie 1952 durch einen Offiziersputsch ge­stürzt, der (in den Worten seines Führers Oberst Nasser) die „Errichtung einer sau­beren, fairen Regierung“ erstrebte, die „ehrlich für das wohl des Volkes arbeiten würde“. Der völlige Bankrott des ägypti­schen Kapitalismus, verbunden mit dem Würgegriff des ausländischen Imperia­lismus, machte es unmöglich, die von den Massen verzweifelt benötigten Re­formen durchzuführen.

Etwas Land wurde unter der Bauernschaft verteilt. Aber Nassers Regime hatte kein Programm für die Beseitigung von Kapi­talismus und Großgrundbesitz. So saß es zwischen dem widerstreitenden Druck der Kapitalisten, Großgrundbesitzer, Arbeite­rInnen und BäuerInnen in der Falle – und konnte keinen befriedigen.

Seine Reaktion, wie die jedes Regimes in der Krise, war die Konzentration von im­mer mehr Macht in seinen eigenen Hän­den, als Versuch, der Gesellschaft von oben Stabilität aufzuzwingen. Aber die Schranken von Nassers bonapartisti­schem Regime wurden nur langsam im Bewusstsein der Massen spürbar. Für eine Periode schien Nassers Botschaft von sozialer Reform und panarabischem Nationalismus einen neuen Weg vorwärts für die herabgedrückten Völker der arabi­schen Welt zu bieten.

Nach den revolutionären Erschütterungen in Ägypten, erfasste soziale Unruhe nacheinander Jordanien, Syrien, den Li­banon und Irak. In Syrien führten diese Kämpfe zum Sturz von Kapitalismus und Großgrundbesitz.

In den ganzen fünfziger und frühen sech­ziger Jahren war Syrien in einem Zustand großer Instabilität. Ein prokapitalistisches Regime wurde vom nächsten gestürzt, nur um wiederum gestürzt zu werden.

Nachdem jede mögliche Methode kapita­listischer Herrschaft erschöpft war, über­nahm 1963 das Regime der Sozialisti­schen Ba’ath-Partei die Macht und griff zu radikalen Maßnahmen gegen die Mono­pole. Die Kapitalisten, Großgrundbesitzer und Kaufleute leisteten Widerstand. Nach einem weiteren Putsch 1966 durch linkere Unteroffiziere entwickelte sich eine um­fassende revolutionäre Konfrontation.

Angesichts der vom Imperialismus ge­stürzten militärischen Konterrevolution appellierte das Regime an die Massen um Unterstützung. ArbeiterInnen und Bäue­rInnen wurden zu Hunderttausenden be­waffnet. Kapitalismus und Großgrundbe­sitz wurden zerschlagen, 85 Prozent des Lands und 95 Prozent der Industrie durch das Ba’ath-Regime verstaatlicht.

Aber die Macht blieb bei der Militärfüh­rung; die ArbeiterInnen und BäuerInnen wurden wieder entwaffnet. Das Regime gestaltete die wirtschaftliche Grundlage des Landes in einen Arbeiterstaat um, der auf Staatseigentum und zentraler Planung beruhte. Aber das Regime selbst war bo­napartistisch – in marxistischen Ausdrü­cken „proletarischer Bonapartismus“ im Unterschied zu den Regimes des „bürger­lichen Bonapartismus“ in den kapitalisti­schen Staaten wie Ägypten – mit einer engstirnigen nationalistischen Perspekti­ve. Es wurde zunehmend privilegiert und abgehoben vom Volk.

Die syrische Wirtschaft konnte befreit von den kapitalistischen Hemmnissen ein paar Fortschritte machen. Einem Drittel der landlosen BäuerInnen wurde Land gegeben und die Industrie dehnte sich aus. Aber in den Schranken eines rück­ständigen Landes, unter der Herrschaft einer militärisch-bürokratischen Elite war die Entwicklung der Gesellschaft unaus­weichlich beschränkt und verzerrt.

Ungleichheit, die Unterdrückung von nati­onalen Minderheiten und Frauen und alle anderen Probleme von Armut und Dikta­tur können in Syrien nur durch eine weite­re politische Revolution beseitigt werden.

Die Macht muss von den arbeitenden Menschen im Rahmen der Revolution er­obert werden, die zum Sturz des Kapita­lismus in Israel, der Türkei und internati­onal führt. Dies allein kann die Bedingun­gen für Arbeiterdemokratie und harmoni­sche Entwicklung in einem rückständigen Land wie Syrien schaffen.

Im Vergleich zu den kapitalistischen Län­dern wie Ägypten können daher die un­mittelbaren Ergebnisse der syrischen Re­volution nicht in einem spektakulären wirtschaftlichen Fortschritt gemessen werden. Der grundlegende Unterschied ist vielmehr, dass Syrien mit der entschei­denden Niederlage von Kapitalismus und Großgrundbesitz die Reform nicht mehr ohne umfassende Konterrevolution zu­rückgedreht werden konnte.

In Ägypten auf der anderen Seite ging Nasser bis an den Rand des Sturzes des Kapitalismus – aber machte dann kehrt. Die Macht der herrschenden Klasse auf der Grundlage von Privateigentum blieb im Wesentlichen intakt. Wie man in den siebziger Jahren sehen konnte, konnte eine Verschiebung der Politik des Re­gimes sie in ihrer früheren Stellung wie­der einsetzen, während die Errungen­schaften für die ArbeiterInnen und Bäue­rInnen zerstört worden sind.

Diese Beispiele zeigen, dass die arabi­schen Staaten von nationalen Widersprü­chen und bitteren sozialen Konflikten ge­spickt geblieben sind. Der revolutionäre Druck der arbeitenden Menschen, dem eine sozialistische Führung fehlte, konnte die grundlegende Krise in keiner dieser Länder lösen.

Klassenherrschaft und Klassenspaltun­gen sind unausweichlich in die Streit­kräfte übergeschwappt. Selbst in Syrien bleiben wie in den kapitalistischen Staa­ten die ArbeiterInnen und BäuerInnen in Uniform unter dem Kommando einer Of­fizierskaste, die sich aus der Oberschicht der Gesellschaft rekrutiert.

Krieg gegen Israel ist für den arabischen Soldaten kein Kampf ums Überleben. Hass auf den Feind wird durch Feindse­ligkeit gegenüber dem Unterdrücker im Hinterland ausgeglichen. Sieg über Israel ohne soziale Revolution verspricht keine Verbesserung in ihren Lebensbedingun­gen – in der Tat würde er die Herrschaft ihrer gegenwärtigen Herrscher festigen.

Im Vergleich zu den israelischen Streit­kräften sind die arabischen Soldaten kaum ausgebildet, schlecht geführt und politisch unmotiviert und konnten nicht mit dem Elan einer revolutionären Befrei­ungsarmee kämpfen. Dies war der Hauptgrund für ihre Ohnmacht gegenüber den Israelis.

„Schwarzer September“

Der Vertreibung der PalästinenserInnen aus ihrem Land folgten Repressalien ge­gen jüdische Gemeinden, die Jahrhun­derte lang in arabischen Staaten gelebt hatten. Hunderttausende flohen nach Is­rael, voll von Furcht und Hass gegen die arabische Herrschaft.

Die jüdische Bevölkerung Israels schwoll zwischen 1948 und 1951 auf 1.300.000 an. Über Nacht war die frühere palästi­nensische Mehrheit eine unterdrückte Minderheit in Israel geworden. Formell wurden ihnen demokratische Rechte zu­gestanden; in Wirklichkeit waren sie ohnmächtig und wurden diskriminiert.

Die palästinensische nationalistische Füh­rung blieb jedoch mit der scheinbar „praktischen“ Politik des sich Stützens auf die Unterstützung durch die arabischen Regime verheiratet. Die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO), die 1964 als Dachorganisation für verschiedene politische und militärische Gruppen gebil­det worden war, wurde 1974 von den ara­bischen Staatschefs als „einzige legale Vertretung des palästinensischen Volkes“ akzeptiert.

Dieser „legale“ Status gab der PLO-Füh­rung zwar diplomatische Anerkennung, fesselte sie aber gleichzeitig an alle Wi­dersprüche, den Bankrott und die Ohn­macht der reaktionärsten arabischen Herrscher.

Der palästinensische Kampf, der in dieser Sackgasse steckte, zog sich lange und qualvoll hin.

Seit den fünfziger Jahren war die palästi­nensische Kampfbereitschaft, der der Weg das revolutionären Massenkampfs verweigert wurde, in sporadische Gueril­laangriffe auf israelische Siedlungen ent­lang der Grenze Jordaniens, Ägyptens und des Libanon übergegangen. Das is­raelische Regime entwickelte systema­tisch seine Militärmaschine und schlug immer bösartiger zurück.

Die arabischen „Front“staaten waren ge­zwungen, den PalästinenserInnen Zu­flucht zu gewähren, konnten sich aber keine langgezogenen Grenzkriege gegen einen weitaus überlegenen Feind leisten. Da sie Israel nicht zurückschlagen konn­ten, versuchten sie die palästinensischen Guerillas zu beschränken. Die größte Be­drohung für die arabischen Herrschaft war jedoch das mögliche Bündnis zwi­schen den palästinensischen Flüchtlingen und den ArbeiterInnen und BäuerInnen in den arabischen Staaten selbst. Nichts als die Politik der PLO-Führung hielt sie da­von ab, ihren Platz unmittelbar in der Vorhut der arabischen Revolution einzu­nehmen.

Im Libanon und in Jordanien jedoch konnte selbst diese Politik keine revoluti­onären Krisen verhindern, die die bewaff­neten PalästinenserInnen in Konflikt mit den arabischen Regimes brachten.

In Jordanien war das reaktionäre bona­partistische Regime von König Hussein verachtet und isoliert. Die Palästinense­rInnen mit enger Verbindung zur jordani­schen Bevölkerung bildeten tatsächlich die Mehrheit des Volkes in Jordanien.

1969 hatte sich ein Zustand von Doppel­herrschaft zwischen den palästinensi­schen Streitkräften und denen des Königs entwickelt. Selbst die jordanische Armee war gespalten zwischen dem Regime und der Anziehungskraft der Massenbewe­gung.

Objektiv waren alle Bedingungen für den Sturz von Hussein und die Machtüber­nahme durch die arbeitenden Menschen vorhanden, was den Weg für die Revolu­tion im ganzen Nahen Osten hätte berei­ten können.

Aber die PLO-Führer hatten keine Ab­sicht, diesem Weg zu folgen. Im Januar 1970 versuchte Hussein, die Guerilla nie­derzumachen. In dem Kampf, der folgte, gewannen die Guerillas Kontrolle über die halbe Hauptstadt Amman – aber Hussein wurde die Kontrolle über den Staat gelas­sen.

Im September war Hussein, ermutigt durch die Schwäche der PLO, bereit für einen Showdown. Demonstrationen und Aufstände in den meisten jordanischen Städten zeigten die Tiefe der revolutionä­ren Gärung. Im Norden übernahmen die PalästinenserInnen Städte und Gebiete, die Stadt Irbid wurde zum „ersten arabi­schen Sowjet“ erklärt.

Aber die PLO-Führung brachte kein Pro­gramm vor und gab keine landesweite Führung, um die jordanischen Soldaten einzubeziehen und die Arbeiterklasse zur Machtübernahme zu führen. Am 17. September warf Hussein seine Beduinen-Elitetruppen gegen die Guerillas (wobei israelische und US-Truppen zu seiner Unterstützung bereitstanden). PLO-Führer Arafat unterzeichnete am 23. September eine Waffenstillstandsvereinbarung – und versöhnte sich öffentlich mit Hussein.

Aber sporadische Kämpfe gingen bis Juli 1971 weiter, als die jordanische Armee zur endgültigen Zerschlagung des paläs­tinensischen Widerstandes geschickt werden konnte. Über 10.000 wurden ge­tötet, einschließlich vieler Flüchtlinge; Tausende Guerillas wurden gefangen oder flohen in den Libanon – ihre letzte Basis für Überfälle über die Grenze nach Israel.

Wie ein israelischer Offizier zusammen­fasste, hatte das jordanische Regime „in einem Jahr mehr Guerillas getötet als wir in zehn.“

Die Sackgasse des Terrorismus

Die PLO-Politik der Guerillaangriffe auf Israel hat sich als gleichermaßen vergeb­lich und verheerend erwiesen.

Militärisch waren diese Überfälle reine Nadelstiche; aber sie dienten der israeli­schen Armee als Vorwand für massive Vergeltung gegen PalästinenserInnen im Exil und für das enger Ziehen der Schrau­ben für die in Israel. Politisch konnte Gue­rillakampf weder mobilisieren noch für die Massen auf der Westbank und in Gaza, die Flüchtlinge oder die palästinensischen ArbeiterInnen in den arabischen Staaten einen Weg vorwärts zeigen.

Er konnte auch nicht zu politischer Isolie­rung und Niederlage des israelischen Re­gimes führen. Die PLO-Führung konnte nicht verstehen, dass die Siege der Gue­rillaarmeen in manchen Dritte-Welt-Län­dern – besonders in China und Kuba – nur unter völlig anderen sozialen Bedingun­gen möglich gewesen waren.

Wenn der Kapitalismus sehr schwach, wenn die Macht in der Hand von schwa­chen, instabilen Regimes von Kapitalisten und Großgrundbesitzern war und wenn der Imperialismus in der Defensive war, konnten Bauernarmeen diese Regime be­siegen. Später in Vietnam konnte nicht einmal die Unterstützung großer US-Kräfte das Thieu-Regime retten.

Das Ergebnis in jedem Fall war der Zu­sammenbruch von Kapitalismus und Großgrundbesitz und die Machtübertra­gung an die Guerillaführung. Dies führte zur Entstehung deformierter Arbeiter­staaten nach dem Modell der Sowjetuni­on, von deren Unterstützung die Gueril­laführer abhingen.

Da die PLO jedoch einen entwickelten kapitalistischen Staat bekämpfte, gab es keine Aussicht für den Sieg ihrer Gueril­lastrategie. Sie setzte eine Reihe von be­waffneten Zusammenstößen zwischen palästinensischen Guerillas und israeli­schem Militär an die Stelle des sozialen Kampfes und sicherten so die Polarisie­rung der israelischen Gesellschaft ent­lang nationaler Linien – so dass die jüdi­sche Mehrheit überwiegend das Regime unterstützte.

Der einzige Weg aus dieser Sackgasse liegt in der Entwicklung eines Pro­gramms, einer Strategie und Taktik, die den palästinensischen Kampf mit der ei­nen Kraft verbinden könnte, die das isra­elische Regime besiegen und die revolu­tionäre Umgestaltung des Nahen Ostens durchführen könnte – die mobilisierte und bewaffnete Arbeiterklasse innerhalb und außerhalb Israels.

Beim Fehlen einer sozialistischen Füh­rung stoßen die Ideen und Traditionen des Guerillakampfs die palästinensischen AktivistInnen tendenziell weiter entlang der selben in eine Sackgasse führenden Straße. Getrieben von Verzweiflung über die Ineffektivität der Führung griffen man­che zu dem, was sie als „revolutionärere“ Taktik sahen – was in der Sprache des Marxismus als individueller Terrorismus bekannt ist.

Eine Serie von Flugzeugentführungen wurde von der „marxistischen“ Volksfront für die Befreiung Palästinas (einer der Gruppen in der PLO) in den späten sech­ziger Jahren durchgeführt. Das rief gna­denlose israelische Vergeltung hervor und trat eine neue Spirale des Terrors los.

Ein Höhepunkt wurde mit dem Massaker an ZivilistInnen auf dem Lod-Flughafen (nahe Tel Aviv) durch pro-palästinensi­sche japanische Terroristen und den Mord an den israelischen SportlerInnen bei den olympischen Spielen durch pa­lästinensische Terroristen im selben Jahr [1972] erreicht. Dem folgten brutale isra­elische Überfälle in Syrien und im Liba­non, die Tod und Zerstörung unter den Flüchtlingen verbreiteten.

In diesen und späteren Ereignissen wurde die Ohnmacht der terroristischen Grup­pen entlarvt. Willkürliche und blutige An­griffe auf ZivilistInnen konnten nie den Platz einer bewaffneten revolutionären Massenbewegung einnehmen. Die PLO-Führung hat selbst zugegeben, dass Ter­rorismus kontraproduktiv war.

Er reduzierte die palästinensischen Ar­beiterInnen zu bloßen ZuschauerInnen beim „bewaffneten Kampf“ und hat die jü­dischen ArbeiterInnen mehr denn je zur Unterstützung des Regimes getrieben. Die terroristischen Scheußlichkeiten der frühen siebziger Jahre und nicht das „Kleingedruckte“ der PLO-Satzung über einen demokratischen Staat in Palästina machten einen dauerhaften Eindruck in den Köpfen der jüdischen ArbeiterInnen darüber, wofür die PLO-Führung steht.

Dieses bittere Klima breitete den Weg dafür, dass die reaktionäre Begin-Regie­rung 1977 an die Macht kam.

Führungskrise

Wenn die Spirale des Terrors einmal be­gonnen hat, kann sie nur durch große Er­eignisse unterbrochen werden. Bomben­attentate und Morde durch Palästinense­rInnen, auf die israelischer Gegenterror folgte, sind weitergegangen. Politischen oder militärischen Rückschlägen für den palästinensischen Kampf folgten vergeb­liche „Rache“akte – und noch brutalere is­raelische Reaktion.

Dies spiegelt die Krise der palästinensi­schen Führung wider. Die bankrotte Poli­tik der PLO hat eine brodelnde Brutstätte für Wut und Verzweiflung in den Flücht­lingslagern zurückgelassen. Beim Fehlen einer klaren revolutionären Führung, die den nationalen Befreiungskampf des pa­lästinensischen Volkes mit der sozialisti­schen Umgestaltung des Nahen Ostens verbindet, wird eine Basis für neue Wellen des Terrorismus bleiben.

Die Gefahr ist in der gegenwärtigen Lage nach der demütigenden Niederlage der PLO im Libanon besonders groß. (…)

Teil zwei

(…) Das israelische Regime hat sich als durch die rein militärische Herausforde­rung der arabischen Staaten, der PLO-Führung und ebenso der terroristischen Gruppen unbesiegbar erwiesen. Aber unter dem Druck von 35 Jahren fortge­setzter Krise haben sich alle Faktoren, die zu Israels militärischer Vormacht führten, zunehmend in Faktoren sozialer Instabi­lität verwandelt.

Die Politik der massiven Einwanderung, die für die militärischen Leistungen so entscheidend war, hat in Israel eine jüdi­sche Bevölkerung zusammengeworfen, die in sich tief gespalten ist und nur im Krieg gegen die arabischen Regime einig ist.

Die „westlichen“ JüdInnen (aus den USA, Europa etc.) haben die privilegierteste Oberschicht gebildet. Die östlichen Jü­dInnen, die aus den arabischen Staaten flohen, wurden in Israel zu BürgerInnen zweiter Klasse, die neben den arabischen BürgerInnen „dritter Klasse“ als billige Ar­beitskräfte dienten.

Wegen ihrer Erfahrung mit den arabi­schen Regimes haben die östlichen Jü­dInnen die rechten zionistischen Parteien unterstützt. Die liberaleren Parteien ein­schließlich der Arbeiterpartei, die Israel von 1948 bis 1977 regierte, fanden ihre Unterstützung hauptsächlich unter der verwestlichten Mittelschicht und den Oberschichten der ArbeiterInnen.

Der Wahlsieg der rechten Likud-Koalition 1977, die von dem früheren Terroristen Begin geführt wird, spiegelt diese Spal­tung wider.

Dreißig Jahre Regierungen unter Führung der Arbeiterpartei haben völlig bei der Lö­sung irgend eines Problems versagt, vor dem Israel steht. Mit einer Politik, die sich nur minimal von der andrer zionistischer Partien unterscheidet, hat die Arbeiter­partei das Land in einen Zustand ständi­gen Krieges geführt.

Die Wirtschaft, die von der Weltwirt­schaftskrise getroffen und durch ihre mi­litärische Last beansprucht wird, ist in ei­nem Sumpf versunken. Das Gesamt­wachstum war 1976-77 bloße 2,6 Pro­zent, während die Inflation fünf Jahre hintereinander mehr als 30 Prozent war.

Diese Bedingungen belasteten die Arbei­terInnen am meisten. Die Zahl der durch Streiks verlorenen Arbeitstage verdop­pelte sich von 1975 auf 1976. 1976 gin­gen drei Viertel der offiziell registrierten Streiks um Lohnforderungen.

Die Arbeiterpartei war von Korruption be­fleckt und bot keine Verbesserungsper­spektive und verlor massiv Stimmen an den Likud.

Der mächtigste Faktor, der Unterstützung hinter Begin sammelte, war aber die Tä­tigkeit der palästinensischen Terroristen­gruppen. Begin stand in den Augen der jüdischen WählerInnen für eine harte po­litische Linie und schien fähiger, die be­waffnete Festung zu kommandieren, die aus Israel geworden war.

Aber Begins Politik zur Belebung der ka­pitalistischen Wirtschaft und genauso seine Behandlung der Außenpolitik haben gerade die ärmeren „östlichen“ Arbeite­rInnen am meisten belastet, die ihm ihre Stimme gegeben haben. Das Ergebnis waren vertiefte Klassenspannungen und ein Klima von chronischem Arbeitskampf.

Diese Probleme wurden aber überschattet und verstärkt durch die Unfähigkeit der herrschenden Klasse zur Lösung der na­tionalen Frage. Ihre Politik der bewaffne­ten Unterdrückung hat den palästinensi­schen Kampf keineswegs zerschlagen, sondern tatsächlich die Basis für neue und größere revolutionäre Erhebungen in der Zukunft geschaffen.

Durch militärische Siege hat das israeli­sche Regime beträchtliche territoriale Gewinne gemacht. Der Krieg 1967 endete in der Besetzung von Sinai, den Golan-Höhen, der Westbank und des Gaza­streifens und brachte das ganze frühere Palästina unter israelische Kontrolle.

Aus militärischem Blickwinkel war die Ausdehnung für die israelischen Herr­schenden unverzichtbar. Ihre Grenzen von vor 1967 waren schwierig zu sichern. Besonders die Westbank bildete eine be­waffnete Enklave, die mitten nach Israel ragte und Tel Aviv und Westjerusalem in Reichweite arabischer Gewehre und Ge­schütze brachte.

SiedlerInnen

Aber nachdem das Regime die Westbank erobert hatte, musste es sie halten. Der anfängliche Vorwand, dass die Besetzung nur vorübergehend sei, wurde fallen ge­lassen. Tausende jüdische SiedlerInnen wurden auf die Westbank gebracht, die AraberInnen von ihrem Land vertrieben. Begin hat es klar gemacht, dass seine Regierung nie zulassen werde, dass die Westbank arabischer Herrschaft zurück­gegeben werde.

Indem die arabischen Kräfte von den Golan-Höhen und über den Jordan ver­trieben waren, wurde die Arbeit für die is­raelischen Generäle vereinfacht. Sozial stand das Regime aber vor neuen Wider­sprüchen.

1.300.000 PalästinenserInnen, die auf der Westbank und im Gazastreifen wohnen, wurden unter israelische Herschafft ge­bracht, wodurch das Übergewicht der drei Millionen starken jüdischen Bevölkerung, von der die Macht der herrschenden Klasse abhängt, stark verwässert wurde. Den Leute der besetzten Gebiete wurden demokratische Rechte vorenthalten, zu­erst wurden sie unter Militärherrschaft gestellt und später unter eine nicht weni­ger unterdrückerische Zivilverwaltung.

Diese Maßnahmen haben den Geist der arabischen Bevölkerung keineswegs gebrochen, sondern konnten ihre Ableh­nung nur verhärten. Tatsächlich hat das Regime zum ersten Mal seit 1948 eine Basis für einen Massenkampf gegen seine Herrschaft an Israel angeschlossen.

Auf der Westbank und in Israel selbst wurde die „arabische“ Kommunistische Partei Rakah (eine von der „jüdischen“ Kommunistischen Partei getrennte Orga­nisation) der Brennpunkt der arabischen Opposition. Rakah-Bürgermeister und Stadträte (die der willkürlichen Macht der israelischen Verwaltung unterworfen wa­ren) wurden in vielen Städten der West­bank gewählt. In Israel stieg Rakahs An­teil unter den arabischen Stimmen von 11 Prozent 1970 auf 50 Prozent 1977.

1977 bildete Rakah ein Wahlbündnis mit einem Teil der radikalen „Black-Panther“-Bewegung unter den östlichen JüdInnen und vergrößerte ihre Abgeordnetenzahl von vier auf fünf. Dies spiegelt die Mög­lichkeit für die Vereinigung der Kämpfe der palästinensischen Massen mit denen der unterdrückten JüdInnen wider.

Aber die Rakah-Führung stellte kein sozi­alistisches Programm für die Umgestal­tung Israels und die Befreiung der be­setzten Gebiete auf, sondern erklärte ihre Unterstützung für den bankrotten Natio­nalismus der PLO-Führung.

Diese Politik bot den arabischen Massen keine Perspektive und konnte die große Mehrheit der jüdischen ArbeiterInnen nur entfremden und die nationalen Spaltun­gen nur vertiefen.

Auf der Westbank ist die Kampfkraft der arabischen Bevölkerung immer wieder in Streiks, Demonstrationen und Aufruhr ausgebrochen. Aber Rakahs Versagen bei der Führung dieser Bewegung und der Entwicklung ihres ungeheuren revolutio­nären Potenzials hat Rakah unausweich­lich zu Rückschlägen und Stagnation ver­urteilt.

In einer Stadt nach der anderen haben die israelischen Behörden die gewählten kommunalen Führungen abgesetzt und an ihrer Stelle Marionetten-“Stadt-Ligas“ eingesetzt. Die Führer der Stadt-Ligas wurden zum Schutz vor der Wut „ihres“ Volkes bewaffnet.

Trotz dem Heroismus und persönlichen Martyrium vieler örtlicher Führer, trotz der massiven Unterstützung durch die arbei­tende Bevölkerung stand Rakah hilflos dabei und ließ das israelische Regime zuschlagen.

Die Politik der PLO selbst hat keineswegs den Massenkampf geführt oder verteidigt, sondern frische Schichten der Jugend in die Sackgasse von Guerillalagern im Exil geführt.

Aber die Möglichkeit bleibt, dass auf der Westbank ein neuer Kampf mit Massenbasis revolutionären Schwung gewinnt, eine neue Führung hervor­bringt und die arabischen ArbeiterIn­nen in Israel und den arabischen Staa­ten mitnimmt. Diese Perspektive, die für die israelischen Herrschenden ein Albtraum ist, überschattet bei weitem jede militärische Bedrohung ihrer Macht.

Zunehmend haben Israels Militärschläge gegen die PLO im Exil nicht nur auf die PLO selbst, sondern auch auf die Moral der Westbank-Bevölkerung abgezielt.

Dies war bei der Invasion im Libanon letzten Juni klar der Fall. Die Londoner „Times“ berichtete:

„Vom Anfang der Kämpfe an hat Ariel Scha­ron, der israelische Verteidigungsminister kein Geheimnis daraus gemacht, dass sich die Ziele der Invasion nicht nur auf Israels Nord­region erstrecken, sondern auch auf die Westbank und den Gazastreifen.

„Je größer der Schlag und je mehr Schaden für die PLO-Infrastruktur, desto eher werden die Araber in Judäa und Samaria [der West­bank – Herausgeber] bereit sein, mit uns zu verhandeln und Koexistenz zu schaffen“ sagte Herr Scharon voraus…“ (5. August 1982)

Aber langfristig wird sich der Schock, der unter den palästinensischen Massen durch die rücksichtslose israelische Akti­on geschaffen wurde, abnutzen. Für die enteigneten ArbeiterInnen und BäuerIn­nen gibt es keine Alternative zum Kampf; und jeder vorübergehende Rückschlag wird sie weiter stählen und ausbilden.

Die israelische Invasion im Libanon hat gleichzeitig die Flamme des nationalen Hasses geschürt und die sozialen Wider­sprüche innerhalb Israels selbst geschürt.

Zu Beginn des Krieges gab es in Israel überwältigende Unterstützung für Begins erklärtes Ziel, die PLO-Raketen und Artil­lerie aus der Reichweite der nordisraeli­schen Dörfer zu entfernen. Selbst als es klar wurde, dass Scharon beabsichtigte, bis nach Beirut zu marschieren und die PLO-Kräfte ganz zu vertreiben, blieb ein Bodensatz an Unterstützung.

Aber die Zerstörung von Tyros und Sidon und die brutale Bombardierung Beiruts brachten schreckliche Zahlen an zivilen Opfern und auch wachsende Zahlen von israelischen Toten.

In der israelischen Bevölkerung begannen sich Alarm und Abscheu zu verbreiten, zuerst auf den Universitätsgeländen, später unter Teilen der Arbeiterklasse.

Massive Antikriegsdemonstrationen fan­den statt. Sogar das israelische Militär war betroffen, indem Reservisten im Dienst gegen den Krieg protestierten. An­tikriegsflugblätter und -zeitungen kursier­ten unter den Truppen. Der beste junge Kommandeur der Armee trat wegen sei­ner Ablehnung der Kriegsziele und -füh­rung zurück.

Ein israelischer Soldat beschrieb die Stimmung in der Armee:

„Man säubert einen Wohnblock und bevor man zum nächsten geht bricht während dem Ausruhen eine Diskussion aus: PLO ja, PLO nein, ein gerechter Krieg, kein gerechter Krieg. Mitten während den Kampfhandlungen hatten wir diese Diskussionen.“

Solche Opposition ist in Israel beispiellos, besonders in Kriegszeiten. Dann folgte das Massaker von Sabra und Schatila, das das Land in einen politischen Aufruhr stürzte, wie es ihn nie vorher erlebt hatte.

Dies spiegelte sich zum Beispiel in der erstaunlichen Zahl von höheren Offizieren wider, die überwiegend Scharons Rück­tritt forderten.

Selbst wenn sich die unmittelbaren Span­nungen verringern, der Krieg hat die Saat für künftige Kämpfe zwischen den Klas­sen und Schichten der israelischen Ge­sellschaft gesät.

Wofür die LibanesInnen und Palästinen­serInnen mit ihrem Blut zahlen mussten, dafür werden die israelischen ArbeiterIn­nen mit ihrem Geld, fallendem Lebens­standard und längerem Militärdienst zah­len müssen. Die finanziellen Gesamtkos­ten des Krieges wurden auf 1.600 Millio­nen Dollar oder 5 Prozent des israeli­schen Bruttosozialprodukts geschätzt. Dies ist eine erdrückende Last für eine Wirtschaft, die schon in einer hoffnungs­losen Krise ist und durch US-Hilfe am Le­ben gehalten wird.

Die Inflation ist jetzt bei überwältigenden 130 Prozent. Israels Auslandsschulden belaufen sich auf 18.000 Millionen Dollar, nähern sich also denen Polens, aber bei einer Bevölkerung und Wirtschaft, die nur einen Bruchteil der Größe haben. Zinsen und Tilgungen beliefen sich 1981 auf 2.200 Millionen Dollar – das entspricht der gesamten US-Hilfe.

Um die Rechnung für den Krieg zu zah­len, kürzt die Regierung 200 Millionen Dollar bei den nichtmilitärischen Ausga­ben. Die Mehrwertsteuer wurde von 12 Prozent auf 15 Prozent erhöht und es wird eine Zwangs“kriegsanleihe“ in Höhe von 6 Prozent des Nettogehalts geben, die den ArbeiterInnen vom Lohn abgezogen wird.

Aber die israelischen ArbeiterInnen wer­den nicht bereit sein, endlos Opfer zu bringen. Neue Kämpfe werden ausbre­chen, wenn die herrschende Klasse ver­sucht, ihnen die Last der Krise auf die Schultern zu laden.

El-Al-Streik

Diese Spannungen spiegelten sich in den Kämpfe der ArbeiterInnen der nationalen Fluglinie El Al gegen Ende 1982 wider, als die Regierung nach einem fünfwöchi­gen Kampf versuchte, sie dichtzumachen. Bei einem Zwischenfall stürmten Arbeite­rInnen das Gebäude, wo sich das Mana­gement traf und hinderten sie daran, die Entscheidung zur Schließung zu treffen.

Bei einem anderen Protest machten Ar­beiterInnen den Lod-Flughafen dicht, trie­ben die Polizeisondereinheiten zurück und zwangen die Regierung zum Rück­zug – Ereignisse, die selbst bei den kämpferischen Traditionen der israeli­schen Arbeitskämpfe bemerkenswert sind.

Die Fluggesellschaft wurde später „ge­rettet“, als die Gewerkschaftsführung Lohnsenkungen, Arbeitsplatzverlusten und Verlust von Zusatzleistungen zu­stimmte – ein Rezept für fortgesetzte Bit­ternis und künftige Kämpfe der Arbeite­rInnen. Auf kapitalistischer Grundlage haben die israelischen ArbeiterInnen, die zur Verteidigung imperialistischer Interes­sen genutzt werden, keine besseren Aus­sichten als fortgesetzte Kriege und stän­digen bewaffneten Belagerungszustand vor sich. Immer mehr unter ihnen werden für sozialistische Ideen empfänglich wer­den, die ihnen einen Weg zu Frieden, Si­cherheit und demokratischen Rechten für die PalästinenserInnen und ebenso für die JüdInnen zeigen – wenn so eine Alter­native angeboten würde.

Aber bisher beruhte das einzige Pro­gramm, das von einem Teil der israeli­schen Arbeiterbewegungsführung ange­boten wurde, auf einem bösartigen Natio­nalismus, während die jüdischen Arbeite­rInnen auf der anderen Seiten politischen Diktaturen und wirtschaftlicher Rückstän­digkeit gegenüber stehen, die die arabi­schen Regime und ihre Schützlinge in der PLO-Führung vertreten.

Die Führungskrise unter den palästinen­sischen ebenso wie unter den israeli­schen Massen hat die israelischen Ar­beiterInnen weiterhin im Lager der impe­rialistischen Bourgeoisie gefangengehal­ten. Nur die Ideen des Marxismus können ihnen einen Ausweg zeigen.

Eine für die Revolution reife Gesellschaft

In jedem arabischen Land sind die Be­dingungen reif für die Revolution. Mas­senarmut, Analphabetismus, Krankheit, Hunger und Obdachlosigkeit Seite an Seite mit spektakulärem Reichtum in den Händen der Herrscher mit ihrem Öl­reichtum fassen die hoffnungslose Unfä­higkeit des Kapitalismus und Großgrund­besitzes zusammen, die arabischen Län­der vorwärts zu bringen.

Selbst im imperialistischen Modellland Is­rael kann der Kapitalismus für die ver­hältnismäßig privilegierten jüdischen Ar­beiterInnen keine Sicherheit bringen, von den AraberInnen ganz zu schweigen.

Wegen der nationalen, religiösen und zwischen nationalen Gemeinschaften laufenden Spaltungen, die im Nahen Os­ten durch Jahrhunderte feudale und ka­pitalistische Herrschaft geschaffen wur­den, wird sich die brodelnde Unzufrieden­heit unter allen Teilen der Massen ten­denziell in Kämpfen entlang von nationa­len, religiösen oder sektionalen Linien ausdrücken. Aber jeder Massenkampf wird Bestrebungen ausdrücken, die auf kapitalistischer Grundlage nicht verwirk­licht werden können, und wird mit der ka­pitalistischen Ordnung in Konflikt geraten.

Nirgends ist das revolutionäre Potenzial größer als unter dem palästinensischen Volk, besonders der palästinensischen Arbeiterklasse in der Westbank, in Israel und in den verschiedenen arabischen Staaten.

Eine revolutionäre Bewegung der palästi­nensischen ArbeiterInnen, die die palästi­nensischen Massen insgesamt hinter sich herzieht, würde eine Periode entschei­dender Kämpfe für eine sozialistische Umgestaltung des Nahen Ostens einlei­ten.

Das große Hindernis für so einen Kampf war die bestehende PLO-Führung und ihre Politik der Kollaboration mit den ara­bischen Regimes.

Die arabischen herrschenden Klassen haben sich nie im entferntesten um die Interessen des palästinensischen Volkes gekümmert, genauso wenig wie um die Interessen der ArbeiterInnen und Bäue­rInnen in ihren eigenen Länder. Von 1949 bis 1967, als die Herrscher von Jordanien und Ägypten die Westbank und Gaza kontrollierten, sperrten sie die palästinen­sischen Flüchtlinge zynisch in Lager ein, ließen sie als offene Wunden, um die Wut der Massen auf den äußeren Feind Israel abzulenken.

Indem die PLO-Führung Sadat [von Ägypten], König Hussein [von Jordanien] etc. als „Freunde“ des palästinensischen Volkes aufgebaut hat, hat sie die Bewe­gung über Jahre hinweg entwaffnet und fehlgeleitet. In Jordanien zahlten die pa­lästinensischen Massen im „Schwarzen September“ 1970 (siehe oben) mit Blut für die Weigerung ihrer Führer, einen Kampf auf einer Klassengrundlage zu führen.

Im Libanon begann 1975 wieder eine re­volutionäre Krise, die die Aufgaben des Sturzes von Kapitalismus und Groß­grundbesitz unmittelbar auf die Tages­ordnung stellte. Die brodelnden Klassen­spannungen brachen als Bürgerkrieg zwi­schen den Milizen der überwiegend christlichen Rechten und überwiegend moslemischen Linken aus.

Radikale palästinensische Guerillaein­heiten wurden auf Seiten der Linken in den Kampf verwickelt, aber die PLO-Füh­rung versuchte, sich raus zu halten.

Erst im Januar 1976, als rechte Milizen die palästinensischen Flüchtlingslager angriffen, waren die PLO-Führer zum Kampf gezwungen.

Die rechte Offensive wurde zurückge­schlagen. Die libanesische Arme zerfiel. Ein vollständiger Sieg über die Kräfte der herrschende Klasse war für die Palästi­nenserInnen und die libanesische Linke zum Greifen nahe.

Diese Aussicht alarmierte das israelische Regime und die kapitalistische Klasse international; aber israelische oder westli­che Intervention hätte in diesem Stadium den Kampf nur noch weiter entflammt. Es wurde dem syrischen Regime überlassen, sich mit der Lage zu befassen.

Die syrische herrschende Elite unterstützt die palästinensische Sache dem Namen nach, ist aber noch mehr dem Erhalt des instabilen Status Quo in der Region ver­pflichtet. Der Sturz des Kapitalismus hätte den Ausbruch eines Vulkans direkt an seiner Grenze bedeutet und sicheren Konflikt mit Israel und verschärfte revolu­tionäre Spannungen in der ganzen Region bedeutet.

Aus diesen Gründe sorgte sich das syri­sche Regime nicht weniger als die Kapi­talisten, die sich entwickelnde Revolution im Libanon aufzuhalten. Im Januar 1976 wurden mit schweigender Duldung der USA und Israels syrisch-kontrollierte pa­lästinensische Einheiten in den Libanon geschickt, um den Sieg der Linken zu verhindern.

Die Revolution trat jetzt in ihre entschei­dende Phase. Die Anziehungskraft der re­volutionären Bewegung war so groß, dass die syrisch-kontrollierten palästinensi­schen Einheiten zerfielen und massenhaft zu ihren Brüdern und Schwestern über­liefen.

Die PLO-Führer, die den Hauptteil der lin­ken Einheiten kommandierten, trugen die Hauptverantwortung für das Erreichen des Sieges. Es blieb jetzt keine andere Möglichkeit mehr als die Mobilisierung und Bewaffnung der libanesischen Arbei­terInnen und BäuerInnen für die Enteig­nung der herrschenden Klasse und die Zerschlagung der rechten Milizen – und gleichzeitig eine umfassende Kampagne für Unterstützung durch die arbeitenden Massen in Syrien und der ganzen arabi­schen Welt.

Aber so eine Politik war der PLO-Führung fremd. Sie hatten sich nicht nur nicht an den täglichen Kämpfen der libanesischen Bevölkerung beteiligt, ihre Milizen waren von den örtlichen ArbeiterInnen isoliert und wurden praktisch als Besatzungsar­mee gesehen.

So stand das Ergebnis schon vorher fest, als die syrische Armee vier Monate späte­re einmarschierte. Im September hatte sie den palästinensischen und linken Wider­stand zerbrochen und das bürgerliche Regime wieder ins Amt eingesetzt. Die arabischen Staatschefs – die „Verbünde­ten“ der PLO-Führung – gaben der syri­schen Invasion ihren Segen und be­nannten die syrische Armee im Libanon in „arabische Abschreckungsstreitmacht“ um.

Wenn eine Gelegenheit für die revolutio­näre Machteroberung einmal verloren ist, kann sie nicht leicht wieder erlangt wer­den. Wenn der herrschenden Klasse er­laubt wird, die Kontrolle zurückzuerobern, wird sie die verbliebene Opposition aus­löschen wollen. Die fehlgeleiteten und er­schütterten ArbeiterInnen und BäuerInnen werden vor sich verschlechternden Be­dingungen stehen, wenn die Kräfte der Reaktion in Schwung kommen.

Die Art und Form der Konterrevolution wird wie die der Revolution vom Charak­ter und der Führung der Klassenkräfte abhängen, die einander gegenüber ste­hen. Im Libanon hing das bürgerliche Re­gime weiter in der Luft. Syrische Truppen besetzten das halbe Land. Israel be­wachte die Südgrenze. Der Rest war praktisch zwischen den christlichen Mili­zen und den verbliebenen Gebieten unter palästinensischer Kontrolle, hauptsäch­lich in den Städten, aufgeteilt.

Die Kräfte der Konterrevolution waren daher gespalten und in einer unsicheren Lage. Das wurde aber durch die noch größere schwäche der PLO-Führung ausgeglichen, die aus den vergangenen Niederlagen nichts gelernt hatte.

Beim Fehlen eines ernsthaften Kampfes zur Umgruppierung der Bewegung und Vorbereitung einer neuen Massenoffen­sive konnte es nur eine Frage der Zeit sein, bis die Kräfte der Reaktion ihre Ar­beit vollenden könnten.

Israel fiel 1978 im Süden des Libanon ein, um palästinensische Stellungen an­zugreifen und eine „Pufferzone“ unter der Kontrolle einer rechten libanesischen Pri­vatarmee zu schaffen. Eine UN-“Frie­denstruppe“ wurde entlang der Südgrenze [des Libanon] aufgestellt. Im Juni 1982 schaute diese Truppe passiv zu, als die israelischen Panzer vorbeifuhren.

Unter den Geschützen der Israelis wurde die Konterrevolution im Libanon zu ihrem blutigen Höhepunkt geführt, indem die letzten palästinensischen Truppen aus Beirut vertrieben wurden, die Moslemmili­zen entwaffnet wurden und in Sabra und Schatila nackter Terror herrschte.

Wie im Libanon sind in den anderen Län­dern der Region Revolution – der Sturz von Kapitalismus und Großgrundbesitz – oder Konterrevolution die krassen Alter­nativen, vor denen die ArbeiterInnen und BäuerInnen in den bevorstehenden Kämpfen stehen.

Die PLO-Führung wendet sich nach rechts

Die Ereignisse in Ägypten 1978-79 zeig­ten noch klarer den Bankrott der Politik der PLO-Führung. Ägypten, das mäch­tigste arabische Land, hat immer den Schlüssel in jedem Militärbündnis gegen Israel gebildet. Jetzt brach als Ergebnis des inneren Klassenkampfes die Macht des ägyptischen Regimes zur Bedrohung von Israels Südgrenze zusammen.

Nasser hatte den ägyptischen Kapitalis­mus geschwächt, ohne ?einen schmarot­zerhaften Zugriff auf das Land zu schwä­chen. Die Wirtschaft war zwar industriali­sierter als die anderer arabischer Staaten, blieb aber völlig unzureichend, um die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. In den Großstädten lebten Millionen SlumbewohnerInnen in schreck­licher Armut und Elend.

In der Außenpolitik hatte Nasser zwischen den stalinistischen Mächten und dem Im­perialismus balanciert und sich haupt­sächlich auf Unterstützung durch die Sowjetunion gestützt. Ende der sechziger Jahre schwenkte das Regime aber zu­nehmend nach Westen.

Nach Nassers Tod 1970 wischte Sadat die letzten von Nassers Reformen bei­seite. Ägypten wurde weit für imperialisti­sche Plünderung geöffnet, die Macht der Kapitalisten und Großgrundbesitzer wurde wieder hergestellt und politische Opposition zerschlagen.

Aber diese Zickzacks setzten Ägypten um so mehr den Verwüstungen durch die ka­pitalistische Weltwirtschaftskrise aus. Auslandsschulden und ein erdrückendes Zahlungsbilanzdefizit nahmen zu. Aus­landsinvestitionen schufen neuen Reich­tum für nur eine kleine Elite, während die Masse der Bevölkerung tiefer in alb­traumhafte Armut versank.

Die Kosten der ständigen militärischen Bereitschaft gegen Israel waren immer der größte Aderlass für die Wirtschaft gewesen. Aber wiederholte militärische Niederlagen hatten der Autorität des Re­gimes erschütternde Schläge versetzt.

Nach dem Debakel von 1973 kalkulierte Sadat klar, dass die sozialen Folgen ei­nes erneuten Kampfes zu gefährlich wä­ren. So wie das Regime früher Feind­schaft mit Israel gebraucht hatte, um die Massen vom inneren Kampf abzulenken, so brauchte es jetzt Frieden mit Israel aus genau dem selben Grund.

Im Januar 1977 kam Massenunzufrieden­heit an die Oberfläche in Form der größ­ten regierungsfeindlichen Streiks und Krawallen seit dem Sturz von König Faruk 1952. Die Bewegung wurde durch die Ab­schaffung der staatlichen Subventionen für wichtige Nahrungsmittel ausgelöst. Sadat machte schnell einen Rückzug. Auch dann dauerte es noch Tage, bis die Armee die Kontrolle wieder erlangte.

Gleichzeitig waren die USA, die zuneh­mend von arabischen Öl abhängig sind, in Sorge über die sich vertiefende revolu­tionäre Gärung in der Region und be­sorgt, die prokapitalistischen arabischen Regime zu stützen. Sadat kalkulierte, dass er durch die Unterzeichnung eines Friedensabkommens mit Begin wachsen­de amerikanische Unterstützung bekom­men und dies zum Herauspressen von Zugeständnissen aus Israel nutzen könne.

Auf dieser Grundlage wurde nach der Camp-David-Vereinbarung von 1978 der Sinai an Ägypten zurückgegeben.

Vergeblich

Diese Entwicklungen untergruben die Po­litik er PLO-Führung weiter. Das israeli­sche Regime war jetzt frei, sich auf den Osten und Norden zu konzentrieren. Der Einmarsch im Libanon und die weitere Festigung der überwältigenden militäri­schen Übermacht Israels zeigten, dass das Sich-Stützen auf entweder den Gue­rillakampf oder die arabischen Regime völlig vergeblich war, um den palästinen­sischen Kampf zum Sieg zu führen.

Die arabischen Führer haben klar keine Absicht, eine weitere Konfrontation mit Is­rael zu riskieren. Selbst der „revolutionä­re“ Oberst Gaddafi von Libyen konnte auf dem Höhepunkt des Kampfes um Beirut keine bessere Lösung für die PLO-Führer vorschlagen, als lieber Selbstmord zu be­gehen als sich an Israel auszuliefern!

Die imperialistischen Mächte hoffen, die gegenwärtige Lage auszubeuten und eine Nahost“lösung“ nach ihren eigenen Inte­ressen aufzuzwingen. Ihre Absichten sind erstens die Wiederherstellung der Stabi­lität des libanesischen Regimes und die Arrangierung des Abzugs der syrischen und israelischen Truppen. Wichtiger: sie schlagen vor, den palästinensischen Kampf zu „lösen“, indem sie die West­bank und Gaza zur „Heimstätte“ für das palästinensische Volk erklären.

Wie Reagan klargemacht hat, kommt es nicht in Frage, dass diese „Heimstätte“ unabhängig wird. Sie würde nur die Macht örtlicher Selbstverwaltung erhalten – also weniger Unabhängigkeit als ein Bantustan [im südafrikanischen Apartheidregime] – und unter militärischer Kontrolle Israels in Verbindung mit Jordanien bleiben.

Instabil

Diese bankrotten Pläne haben wenig Chance abzuheben. Die Lage im Libanon wird im Fluss bleiben und das Regime dort wird instabil bleiben. Die ArbeiterIn­nen und BäuerInnen werden sich von ih­ren Verletzungen erholen, während die herrschende Klasse in einer Periode von Weltwirtschaftskrise unfähig sein wird, die Wirtschaft wieder aufzubauen und ihre Autorität über die Gesellschaft zu errich­ten.

Reagans Vorschläge für eine palästinen­sische „Heimstätte“, die für das palästi­nensische Volk völlig unannehmbar sind, wurden auch von Begin glatt zurückge­wiesen.

Unter dem Deckmantel des Krieges im Libanon haben die israelischen Behörden den bisher größten Landraub in der Westbank vorgenommen, genau um ihre Rückkehr in arabische Hände zu verhin­dern. 40 Prozent des Gebiets, einschließ­lich fünf arabischer Städte, wurden für jü­dische Siedlungen vorgesehen, und 50 Prozent für Landwirtschaft (mit strenger Begrenzung für arabische Gebäude). Nur 10 Prozent werden für arabische Städte und Dörfer bleiben.

Zwischen Reagans Angebot und Begins Ablehnung gibt es keinen Weg vorwärts für das palästinensische Volk. Die PLO-Führer haben aber nichts aus diesen Er­eignissen gelernt. Aus den durch ihre Po­litik des Klassenkompromisses erzeugten Katastrophen sind sie übergegangen zu einer Politik von – mehr Klassenkompro­miss.

Arafats Verhandlungen mit König Hussein von Jordanien (dem Schlächter aus den Tagen des „Schwarzen September“) über eine „Föderation“ oder „Konföderation“ der palästinensischen Westbank mit Jor­danien kann keine Lösung bieten. Hus­seins eigene Sorge ist, seine eigene Haut ein bisschen länger vor der ständig dro­henden Gefahr der Revolution zu retten.

„Ich habe König Hussein von Jordanien nie so verzweifelt gesehen“, kommen­tierte der westdeutsche Außenminister während der Kämpfe im Libanon. Hus­sein hofft, dass ihm ein Bündnis mit Ara­fat in den Augen seines Volkes Glaub­würdigkeit verleihen werde.

Zugeständnisse

Aber Husseins und Arafats Pläne sind nur der Rat der Verzweiflung und können nur zu einem schlimmeren Fiasko führen. Sie stützen sich keineswegs auf den Kampf der palästinensischen Massen, sondern hoffen darauf, dass der US-Imperialismus Zugeständnisse aus Israel herausholt.

Selbst wenn US-Druck Israel zum Rück­zug zwingt, wäre der einzige „Palästinen­serstaat“, der vom Imperialismus, Israel und den arabischen Herrschern geduldet würde, ein Marionettenstaat. Die Gesprä­che zwischen Arafat und Hussein bieten die Aussicht auf jordanische Beteiligung bei der Leitung eines solchen Marionet­tenstaats – nicht mehr.

Aber auf der Grundlage von Klassen­kompromiss mit den arabischen Herr­schern, ist ein fauler Kompromiss dieser Art das höchste, was die PLO-Führung gegenwärtig zu erreichen hoffen kann.

Keine Lösung für den palästinensischen Kampf ist möglich, so lange Kapitalismus und Großgrundbesitz, die vom israeli­schen Militarismus und der korrupten Last der arabischen Regime verkörpert werden, die Region beherrschen. Die arabischen Herrscher, das israelische Regime und der Imperialismus sind glei­chermaßen besorgt über den Schwung, den ein palästinensischer Sieg dem Kampf der Massen in allen arabischen Ländern und in Israel geben würde.

Ein unabhängiger palästinensischer Staat würde von Anfang an in revolutionärem Aufruhr sein. Auf kapitalistischer Grund­lage könnte er die Forderungen der ar­beitenden Menschen nicht befriedigen, die palästinensische Bourgeoisie ist auch nicht fähig, ihn auf einer stabilen Grund­lage zu beherrschen.

So ein Staat könnte nur als ein Brenn­punkt des Kampfes gegen sowohl Zio­nismus als auch arabische Reaktion be­stehen und würde die Bewegungen von 1970 und 1975 zu ihrem logischen Schluss führen. Aus diesen Gründen le­gen die arabischen Regime hauptsächlich Lippenbekenntnisse zur Idee eines unab­hängigen palästinensischen Staates ab.

Aufgaben der Revolution im Nahen Osten

Israel ist die Hauptbastion der kapitalisti­schen Reaktion im Nahen Osten, der letzte Verteidiger der imperialistischen Interessen und das mächtigste Hindernis der nationalen und sozialen Befreiung des palästinensischen Volkes. Die Niederlage des israelischen Regimes ist der Schlüs­sel für den Sieg des palästinensischen Kampfes; der ist wiederum die bren­nendste Frage im Nahen Osten.

Aber wie kann das israelische Regime besiegt werden?

Militärischer Sieg durch die schwachen arabischen Staaten ist ausgeschlossen.

Für die arabischen Herrscher ist das ge­genwärtige Kräfteverhältnis der Eckpunkt ihres politischen Überlebens. Die Drohung mit einem israelischen Angriff ist der Hauptfaktor, der ihre eigene Existenz ge­genüber den Massen rechtfertigen und revolutionäre Kampfe vertagen kann (während „Friedensinitiativen“ gemacht werden können, wenn die Völker kriegs­müde werden).

Noch wichtiger ist: keine der großen Su­permächte wurde eine größere Eskalation des militärischen Kampfes in der Region unterstützen.

Der US-Imperialismus wird alle seine Ressourcen nutzen, um sich an seine Öl- und strategischen Interessen im Nahen Osten zu klammern und weiterhin Israel zu unterstützen. Gleichzeitig wird er ver­suchen, die schlimmsten Exzesse des is­raelischen militaristischen Regimes zu beschränken, die unkalkulierbare Explosi­onen für die Zukunft vorzubereiten dro­hen. (Ganz genau so wie die westlichen Regierungen aus Angst vor der heranna­henden Revolution in Südafrika versu­chen, die Politik des Apartheid-Regimes zu „mäßigen“.)

Die Sowjetbürokratie ist zwar nicht von Nahostöl abhängig und muss die Aus­dehnung der US-Macht entlang ihrer süd­lichen Grenze unter Kontrolle halten und jede ernsthafte Schwächung ihrer inter­nationalen Stellung verhindern. Dies ist der Hauptgrund für die begrenzte Unter­stützung, die Russland der PLO und den arabischen Regimes gegeben hat.

Gleichzeitig hat die russische Führung kein Interessen an einem Kampf für einen arabischen Sieg gegen umfassenden im­perialistischen Widerstand. Wie die ara­bischen Herrscher fürchtet sie jede Ver­schiebung in der gegenwärtigen Lage des bewaffneten Waffenstillstands im Nahen Osten.

Mit dem Krieg im Libanon wurde ihre mangelnde Verpflichtung zu einem paläs­tinensischen Sieg deutlich entlarvt. Selbst die Führer der Demokratischen Front für die Befreiung Palästinas – einer der Sow­jetunion freundlichen Gruppe in der PLO – erklärten in einer öffentlichen Stellung­nahme:

„Die Sowjetunion kann ihre Solidarität mit uns und mit dem Volk des Libanon nicht sichern, indem sie ihre Unterstützung auf politischen und diplomatischen Druck beschränkt.“

Die Niederlage der israelischen herr­schenden Klasse kann nur als Ergebnis einer Klassenbewegung zustande kom­men, die die jüdische Mehrheit der israeli­schen Arbeiterklasse einbezieht. Dieser Umstand ist zentral für den Kampf der palästinensischen ArbeiterInnen und BäuerInnen. Nur auf der Grundlage einer marxistischen Perspektive und eines marxistischen Programms ist es aber möglich, so eine Bewegung zu mobilisie­ren.

Keine grundlegende Verschiebung in der sozialen Unterstützung für die herr­schende Klasse durch die israelischen ArbeiterInnen ist trotz aller wachsenden wirtschaftlichen und politischen Spannun­gen möglich, so lange der palästinensi­sche Kampf auf einer nationalistischen Grundlage geführt wird. So lange die is­raelischen ArbeiterInnen – wie sie es se­hen – vor der Wahl zwischen dem zionis­tischen Staat und terroristischer Gewalt stehen, wird die Mehrheit von ihnen wei­terhin den kapitalistischen Staat unter­stützen.

Die Politik der PLO-Führung, die ihren Kampf an die arabischen Regime bindet und auf eine nationalistische Perspektive beschränkt, garantiert so eine Grundlage von jüdischer Unterstützung für die israe­lische herrschende Klasse und macht den zionistischen Staat unzerstörbar, außer um den Preis eines unvorstellbaren Blut­bads.

Sozialistische Umgestaltung

Nur ein marxistisches Programm, das den nationalen Kampf des palästinensi­schen Volks mit der sozialistischen Um­gestaltung des ganzen Nahen Ostens verbindet, könnte einen Ausweg aus die­sem Teufelskreis zeigen.

Mit der Forderung nach dem Sturz der Regime der Kapitalisten und Großgrund­besitzer und der Errichtung von demokra­tischer Arbeiterherrschaft in jedem Land der Region würde eine entschlossene Kampagne für marxistische Politik eine völlig neue Perspektive für sowohl die is­raelischen als ach die arabischen Arbeite­rInnen eröffnen.

Unter Arbeiterherrschaft könnte man be­ginnen, alle von Kapitalismus und Groß­grundbesitz geschaffenen Probleme zu beseitigen. Die Armut könnte beseitigt und Privilegien abgeschafft werden, in­dem die Produktion unter der Kontrolle der arbeitenden Menschen auf eine ge­plante Grundlage gestellt würde.

Das Land könnte den BäuerInnen gege­ben werden. Zusammen mit der Arbeiter­klasse international könnte der Kampf für den Bruch des Zugriffs des Imperialismus auf die Region geführt werden.

Dies ist die einzige Grundlage, auf der der lange und bittere Kampf für Selbstbe­stimmung durch die unterdrückten Natio­nen des Nahen Ostens gelöst und die In­teressen der arabischen und israelischen ArbeiterInnen miteinander versöhnt wer­den können

1948 lehnten MarxistInnen die Schaffung eines gesonderten israelischen Staates ab, weil es von Anfang an klar war, dass dieser künstliche Staat die Quelle von Konflikt und Spaltung unter den Arbeite­rInnen würde. Aber bedeutet das, dass Marxistinnen heute für die Zerstörung des Staates Israel stehen sollten?

Die Mehrheit der israelischen JüdInnen heute ist entweder in Israel oder in Paläs­tina vor 1948 geboren; und unter keinen Umständen können SozialistInnen für ihre „Heimschickung“, das heißt ihre Vertrei­bung sein. Anders als es 1948 war, stel­len die mehr als drei Millionen Israelis jetzt eine beträchtliche und eigenständige Nation im Nahen Osten dar.

Unter bestimmten Bedingungen – das heißt Garantien für die Rechte von Min­derheiten und zurückkehrenden Palästi­nenserInnen – muss heute die Notwen­digkeit anerkannt werden, dass ein israe­lischer Staat innerhalb vereinbarter Gren­zen besteht. In der Tat ist das heute praktisch die Haltung der PLO.

Aber die Wiederherstellung der Rechte der 1948 vertriebenen palästinensischen AraberInnen und der seit 1967 auf der Westbank Enteigneten wirft unvermeid­lich die Frage der sozialistischen Um­gestaltung der Gesellschaft auf. Der Ka­pitalismus kann selbst der jüdischen Be­völkerung in Israel nicht Wohnungen, Ar­beitsplätze und einen sicheren Lebens­standard bieten, den arabischen Massen schon gar nicht.

Speerspitze

Die israelische Arbeiterklasse wird zwar eine entscheidende Rolle in der sich ent­faltenden Revolution im Nahen Osten spielen, die über die Region verstreuten palästinensischen ArbeiterInnen sind aber in einer Schlüsselstellung, um die Speer­spitze des Kampfes zu bilden und sich mit den ArbeiterInnen und BäuerInnen in den verschiedenen Ländern zu verbinden.

Wenn die palästinensischen ArbeiterIn­nen als Klasse organisiert sind, können sie sich mit ihren Brüdern und Schwes­tern in den Ländern, in denen sie leben und arbeiten, verbinden und jedem Teil der unterdrückten arabischen Massen die Zukunft zeigen, die sie unter Arbeiterherr­schaft hätten. Mit richtigen Forderungen und Taktiken könnte eine marxistische Führung der palästinensischen Arbeite­rInnen an der Spitze der riesigen revoluti­onären Bewegung stehen, die den ganzen Nahen Osten umfasst.

Die arabischen Herrscher würden ver­zweifelt kämpfen, um die Gefahr von un­ten zu zerschlagen. Der Kampf gegen diese Regime wäre nicht weniger ent­scheidend als der Kampf zum Sieg über den Zionismus. Aber mit klarer sozialisti­scher Politik wären die ArbeiterInnen und BäuerInnen in einer unermesslich stärke­ren Lage als 1970 oder 1975.

Indem sie den Bauernsoldaten Land und Freiheit anbieten, würden sie die Masse der arabischen Armeen auf die Seite der Revolution gewinnen. Die zerbrechlichen Bande der Tradition und Furcht, die alles sind, was die arabischen Staaten zu­sammenhalten, würden unter den ersten Bewegungen der Massenrevolution zer­fallen – worauf es im Libanon und Jorda­nien schon einen Vorgeschmack gab.

Unter diesen Umständen wäre das israe­lische Regime gelähmt. Wenn das Ge­spenst der arabischen Reaktion weg wäre, wäre es möglich, die israelischen ArbeiterInnen sogar in einem revolutionä­ren Krieg gegen den israelischen kapita­listischen Staat zu gewinnen. Die israeli­schen Herrscher wären isoliert und unfä­hig, sich der sozialen Revolution zu wi­dersetzen.

Revolutionäre Staaten der arbeitenden Menschen würden von den imperialisti­schen und auch stalinistischen Regimes heftig angegriffen werden, die zu Recht den Aufstieg der Arbeiterrevolution als tödliche Bedrohung ihrer privilegierten Stellung sehen würden. Aber mit einer kühnen internationalistischen Politik, die an die ArbeiterInnen über nationale Gren­zen hinweg appelliert und gemeinsame Kämpfe organisiert, könnte sich das im Nahen Osten entfachte Feuer um die ganze Welt ausbreiten.

Kapitalismus und Großgrundbesitz wären in der ganzen Region zerstört und in wachsenden Teilen Asiens, Afrikas und Europas bedroht, weil ArbeiterInnen unter der Einwirkung der Revolution im Nahen Osten zum Handeln gezwungen wären.

Das bürokratische Regime in Syrien würde zusammenbrechen und durch de­mokratische Arbeiterherrschaft ersetzt werden.

Auf der Grundlage von Arbeiterdemokra­tie könnten nationale Spaltungen, die die Region zersplittern, langsam gelöst wer­den. Die PalästinenserInnen und andere unterdrückte Völker – wie die KurdInnen – könnten ihre vollen demokratischen Rechte als Nationen ausüben, entweder in gemeinsamen Staaten oder, wenn die Mehrheit es wünscht, in eigenen Staaten.

Die Arbeiterklasse hat keine Eigeninteres­sen, die durch die Selbstbestimmung der Nationen bedroht wären. Revolutionäre Arbeiterregierungen mit gemeinsamen Interessen an Frieden und wirtschaftlicher Entwicklung könnten die Forderungen na­tionaler Minderheiten befriedigen und, wenn notwendig, territorialen Aufteilungen zustimmen, um die Grundlagen für wirt­schaftliche und politische Zusammenar­beit zu schaffen.

MarxistInnen würden die Notwendigkeit von engstmöglicher Integration bei der Entwicklung der Ressourcen der Region auf geplanter Grundlage erklären und für eine sozialistische Föderation eintreten als Mittel zur Verbindung unabhängiger Arbeiterstaaten. Dies könnte den weg für die Einheit aller Völker in der Zukunft be­reiten.

Verstreute Saat der Revolution

Nach dem Libanonkrieg gibt es die Ge­fahr einer erneuten Hinwendung zu terro­ristischer Gewalt unter erbitterten Teilen der palästinensischen Jugend. Zum Bei­spiel wurden im Januar Granaten in einen Bus in Tel Aviv geworfen, wodurch elf Menschen verwundet wurden. Zur Ver­geltung wurden 86 AraberInnen verhaftet.

Auch die PLO-Führung hat als Versuch, ihr Prestige wiederherzustellen, leere Drohungen eines erneuten Guerillakrieges gegen Israel ausgestoßen.

Gleichzeitig können aber, wo die Schre­cken und die Vergeblichkeit des Libanon­krieges frisch im Gedächtnis sind, viele PalästinenserInnen und israelische Ar­beiterInnen für marxistische Politik ge­wonnen werden, die ein Alternative zum Teufelskreis aus Leiden und Blutvergie­ßen zeigt.

Die klägliche Verhalten der arabischen Herrscher hat die traditionelle Haltung der PLO-Führung untergraben. Unter den aus Beirut evakuierten PLO-Kämpfern gab es keine Stimmung, das Vertrauen weiter in diese Regime zu setzen.

„Spart eure Tränen“, sagte ein Kämpfer zu ei­ner Gruppe von Frauen die bei seinem Ab­schied weinten, „spart eure Tränen für die arabischen Führer.“

Ein anderer sagte:

„Wir werden Israel für fünf Jahre beiseite le­gen und die arabische Welt ausmisten. Alle unsere Führer sind Verräter.“

Selbst das syrische Regime wurde mit tiefen Misstrauen gesehen:

„Wir werden vielleicht als Helden in Damas­kus empfangen – obwohl ich es bezweifle“, kommentierte ein palästinensischer Journalist. „Aber dann sollten wir aus den Kasernen her­ausmarschieren. Die sind so gut wie Gefäng­nisse.“

Arafats erneutes Gemauschel mit König Hussein hat daher tiefe Wut unter paläs­tinensischen AktivistInnen hervorge­bracht. Seine Nummer zwei musste sogar aus Syrien fliehen und im reaktionären Königreich Jordanien um Asyl bitten!

Kronprinz Hassan von Jordanien (Hus­seins Bruder) fasste die Furcht aller ara­bischen Herrscher in Worte:

„Wenn die gegenwärtige PLO-Führung besei­tigt wird, wird ihr eine andre, vielleicht extre­mere, radikalere, verzweifeltere folgen, einfach weil der Bedarf immer noch da sein wird.“

Immer mehr palästinensische AktivistIn­nen werden entschlossen sein, die PLO-Politik des Klassenkompromisses zu än­dern, die auf diese Politik verpflichteten Führer zu entfernen und neue Führer nach Vorne zu bringen, die bereit und fä­hig sind, den nationalen Kampf zu seinen revolutionären Schlussfolgerungen zu führen.

Die Verstreuung der PLO-Kämpfer in der arabischen Welt – die einzige Möglichkeit, die der Imperialismus, Israel und die ara­bischen Staaten haben – wird gleichzeitig weitreichende Folgen haben. Sie wird die Saat der Revolution im ganzen Nahen Osten verstreuen. Die von ihren Führern verratenen und von ihren „Gastgebern“ unterdrückten PLO-Aktivisten werden Wege suchen, ihre Kämpfe mit denen der ArbeiterInnen und BäuerInnen vor Ort zu verbinden.

In Israel selbst wird sich der Klassen­kampf vertiefen. ArbeiteraktivistInnen in Israel und auch in den arabischen Län­dern können bewaffnet mit einer klaren marxistischen Perspektive die Grundlage für eine revolutionäre Führung schaffen, die die Massen der Region mobilisieren, nationale Unterdrückung, Kapitalismus und Großgrundbesitz beseitigen und unter Arbeiterherrschaft eine neue Perspektive von Frieden und sozialem Fortschritt ein­leiten wird.