Zypern: Massiver Fall des Lebensstandards

Bild: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Cyprus_relief_location_map.jpg CC BY-SA 3.0
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Ein Jahr unter der Präsidentschaft von Anastasiades

Ein Jahr nach der Wahl von Nikos Anastasiades von der rechten Partei DISI zum Präsidenten Zyperns, hat das Land nur noch wenig mit dem Zypern von vor einem Jahr zu tun. Anastasiades wurde gewählt, als viele den scheidenden Präsidenten Christofias von AKEL (Zyperns „Kommunistische Partei“) für den „schlechtesten Präsidenten, den wir jemals hatten“ hielten (und noch immer halten).

Von Athina Kariati

Anastasiades wurde als Nachfolger der ersten AKEL-Regierung gewählt, die versucht hatte, das kapitalistische System zu verwalten und den sogenannten „gemischten Staat“ zu stärken, und seit 2011 vor dem Kapital in die Knie gegangen war und Austeritätsmaßnahmen umgesetzt hatte. Die Regierung Christofias beantragte, Zypern in den Europäischen Stabilitätspakt aufzunehmen, was zu schweren Angriffen des internationalen und inländischen Kapitals auf die zyprische Bevölkerung führte. Vor diesem Hintergrund und zehn Jahre nach der letzten DISY-Regierung, warb Anastasiades mit folgendem Programm:

Neuverhandlung des Memorandum mit der Troika, um die „Verzerrungen“ (Ungerechtigkeiten) zu korrigieren, welche die Ärmsten in der Gesellschaft treffen; Wiedereinführung von Sozialleistungen für behinderte Menschen, welche unter der Vorgängerregierung dem Rotstift zum Opfer gefallen waren; der Wirtschaft Stabilität verschaffen; Privatisierungen nicht fortsetzen; das Gesundheitssystem im Sinne des Wohls der Patienten führen; Arbeitsplätze schaffen und den Verletzungen von Arbeitnehmerrechten ein Ende bereiten

Eine Woche nach seiner Wahl sagte Anastasiades zu, nicht mit dem „haircut“ (der Zwangsabgaben) auf Banksparvermögen fortzufahren. Nur zwei Wochen nach seiner Wahl begann Anastasiades, all seine Versprechungen zurückzunehmen.

Er unterschrieb einen Beschluss zu Zwangsabgaben auf Bankspareinlagen (und es wurde auch publik gemacht, dass dies sein Vorschlag gewesen sei). Tausende Euros wurden kleinen und mittleren Betrieben abgenommen, Rentenfonds und selbst karitativen Einrichtungen.

Der „haircut“ löste eine Kettenreaktion aus – viele Betriebe hatten einen Vorwand gefunden, dicht zu machen, Beschäftigte zu entlassen und Löhne zu senken. 2014 erreichte die Arbeitslosigkeit 17,5 Prozent und wird sehr bald zwanzig Prozent oder höher sein. Unter Jugendlichen herrscht eine Arbeitslosigkeit von 40,8 Prozent. Über 10.000 Familien sind von Suppenküchen abhängig. Circa 23 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Die Löhne sind um 22 Prozent gesunken und es wird erwartet, dass sie 2014 um dreißig Prozent fallen werden. Aber die Profite sind um zehn Prozent gestiegen!

Anastasiades vereinbarte ein „Memorandum“ mit der Troika (EU, IWF und die Europäische Zentralbank), unter viel schlechteren Bedingungen als die, welche er den WählerInnen anfangs versprochen hatte. Das beinhaltete Steuererhöhungen, die Einführung neuer Steuern wie die Immobiliensteuer, weitere Kürzungen der Löhne im öffentlichen Dienst, und auch eine schnelle Privatisierung profitabler öffentlicher Versorgungsbetriebe ( der Elektrizitätsbehörde EAC, der Telekommunikationsbehörde CYTA sowie der Hafenbehörde. Anastasiades ist dabei, Gesetzgebungen einzuführen, welche die Konfiszierung von Familienhäusern im Fall von Verschuldung ermöglicht!

Unter Verwendung des Vorwands der Troika-Diktate und des Memorandums, und in undemokratischer Art und Weise ministeriale Regierungsdekrete nutzend, führte Anastasiades all die neoliberalen Maßnahmen ein, welche sich die vorherigen Regierungen und Parlamente nicht trauten. Fahrpreise im öffentlichen Nahverkehr sind um fünfzig Prozent gestiegen und kostenlose Fahrtmöglichkeiten für bestimmte Bevölkerungsgruppen wurden gestrichen, es wurden Gebühren für den Zugang zu öffentlicher Gesundheitsversorgung eingeführt (und dadurch die kostenlose öffentliche Gesundheitsversorgung abgeschafft), Tarifvereinbarungen wurden aufgehoben, Überstundengeld und Urlaubsgeld abgeschafft und ein Montas“gehalt“ von 500 Euro wird durch Arbeitsdienst- und Praktikumsmodelle etabliert.

Und das sind nur einige der Maßnahmen die verabschiedet worden bisher sind. Der Staat hat noch nicht einmal damit begonnen, Raten für die öffentlichen Schulden zu zahlen, deren Last auf den Schultern der Arbeiterklasse liegt, obwohl die Finanzkrise nicht von ihr verursacht wurde.

Von der Bevölkerung Zyperns wird zuallererst verlangt, zehn Milliarden Euro an die internationalen Gläubiger (die Troika) zu zahlen. Darüber hinaus entstehen Kosten von 250 Million Euro im Jahr an Zinsen und 2,9 Milliarden. Euro wurden als neue Sicherheiten an die Banken im Januar gezahlt. Die zuvor existierenden Schulden (vor der Unterzeichnung des Memorandums) liegen bei zwölf Milliarden Euro. Die EinwohnerInnen Zyperns werden dazu verdammt, die nächsten 22 Jahre eine astronomische Summer zu zahlen, die selbst 200 Prozent des BIP des Landes betragen könnte ( 2013 lag Zyperns BIP bei 17 Milliarden, aber wegen der Rezession wird diese Zahl jedes Jahr um ca. fünf Prozent sinken).

Als die Regierung ihr erstes Jahr im Amt am 27. Februar abschloss, verbreiteten die staatlichen Medien, Zypern ginge es „gut“. Aber gerade erst letzten Dezember gab der DISI-Präsident zu, dass 2014 härter werden wird als 2013, dass die Arbeitslosigkeit auf über zwanzig Prozent steigen wird, und dass Zypern sich einer kontinuierlichen Rezession gegenüber sieht. 2013 schrumpfte die Wirtschaft um 5,3 Prozent und es wird geschätzt, dass sie um weitere 6,5 Prozent in diesem Jahr schrumpfen wird. Das bedeutet, es wird keine Investitionen und keine „ökonomische Entwicklung“ geben, wie von der Regierung behauptet wird.

Schonfrist vorbei?

Die einzigen, die von dieser Situation profitieren, sind die einheimischen und ausländischen Banker, die Großkonzerne und andere Spekulanten. Die Profite beliefen sich vor Steuern im Jahr 2011 auf 3,5 Milliarden Euro. Diese Zahl stieg auf 4,2 Milliarden Euro zwischen 2012-2013. Selbst nach ihrer Restrukturierung ist die Bank von Zypern weiterhin profitabel. In Gegensatz dazu befinden sich immer mehr Beschäftigte an der Schwelle zur Pleite.

Trotz dieser Fakten ist die Popularität der Regierung in den Umfragen im Jahr 2013 sehr hoch gewesen. Selbst im April, nach dem Beschluss über die Zwangsabgabe auf Bankeinlagen, dachten 79 Prozent der EinwohnerInnen, dass der vorherigen AKEL- Präsident Christofias für die ökonomische Krise verantwortlich zu machen sei, während nur 13 Prozent der Regierung Anastasiades die Schuld gaben. Selbst im Oktober 2013 beurteilten 42 Prozent die Handlungen des Präsidenten als positiv.

Jetzt, wo es keine Umfragen Ende 2013 oder Anfang 2014 gibt, zeigten die Proteste vor dem Ministerium definitiv einen Meinungsumschwung. Die „Schonfrist“ der neuen Regierung erreicht ihr Ende.

Die Lage verändert sich

Seit Dezember haben verschiedene Gruppen der Gesellschaft, wie KrebspatientInnen, RentnerInnen, SchülerInnen und ArbeiterInnen verschiedener Sektoren begonnen, vor verschiedenen Ministerien zu protestieren. Die Toleranz der Menschen, oder wie es der Finanzminister in einem BBC-Interview ausdrückte, das „Verständnis“ der BürgerInnen, ist erschöpft.

Zum ersten Mal haben die Gewerkschaften verschiedener Bereiche eine gemeinsame Front geschaffen und zwei – verglichen mit anderen in der jüngeren Geschichte Zyperns – sehr große Mobilisierungen organisiert. Einige Gewerkschaften haben sich jedoch nicht an den Demonstrationen beteiligt – die SEK (rechte Gewerkschaft der Beschäftigten des Privatsektors), PASYDY (Gewerkschaft des Öffentlichen Dienstes) und die beiden Gewerkschaften der LehrerInnen an weiterführenden Schulen (OELMEK und OLTEK), die alle Berichten zufolge eine Vereinbarung mit der Regierung getroffen haben, sich an keiner Form von Protesten zu beteiligen.

Ein Protest fand am 13. Dezember und der zweite am 8. Februar statt. Die Gewerkschaften hatten zu einer Solidaritätsaktion mit den Streiks der Beschäftigten der öffentlichen Versorgungsbetriebe gegen Privatisierungen aufgerufen. Auch wenn die Gewerkschaften die Forderung nach Streikaktionen verschieben – unter dem Vorwand, die Leute seien noch nicht bereit zu kämpferischeren Aktionen – zeigen die ArbeiterInnen, dass sie mehr als bereit für solche Aktionen sind! Nach der Zwangsabgabe und Streiks der Bankbeschäftigten im März und April 2013 folgten ArbeiterInnen ihrem Beispiel in vielen anderen Betrieben, inklusive der kommunalen Beschäftigten, prekär Beschäftigten in einer großen Kaufhauskette, Beschäftigten des Hilton Hotels, privater Fernsehsender, der Zementfabrik Basiliko, Bauarbeiter, Beschäftigte der britischen Militärbasen, HafenarbeiterInnen, zusammen mit den kürzlichen Streiks in den Versorgungsbetrieben. Viele dieser Streiks waren siegreich.

Ein Streik ist das stärkste Werkzeug in den Händen der ArbeiterInnen, um ihre Rechte zu erkämpfen. Und es ist klar, dass die ArbeiterInnen in Zypern bereit sind, dies einzusetzen! Das war sehr offensichtlich in den Streiks, welche die Gewerkschaften in den öffentlichen Versorgungsbetrieben organisiert haben, die der Troika zufolge zuerst privatisiert werden: Hafenbehörde, die Telekommunikationsbehörde Zyperns und Zyperns Elektrizitätsbehörde. Zum ersten Mal fand ein Streik der Gewerkschaften dieses Bereiches statt, sowie unbefristete Streiks, und im Fall der Hafenbehörde eskalierten die Aktionen. Die Streiks hielten über zwei Wochen an und übten Druck auf DIKO aus – die Mitte-Rechts-Partei, die bis vor kurzem in der Regierungskoalition war – am ersten Abstimmungstag im Parlament nicht für den Privatisierungsbeschluss zu stimmen. Die Tatsache, dass über diesen Beschluss fünf Tage später ein zweites Mal abgestimmt wurde, trotz des dynamischen Kampfes der ArbeiterInnen, ist ein klarer Indikator für das Fehlen einer Alternative und die Konsequenzen aus der Unfähigkeit sowohl der restlichen Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes als auch der Privatwirtschaft, zu einem Generalstreik aufzurufen.

Darum ist es jetzt an der Zeit für die Gewerkschaften aller Sektoren, zu einer Massenstreikbewegung aufzurufen und einen Generalstreik vorzubereiten, der die Wirtschaft zum Stillstand bringen kann. Das könnte die neuen Gesetze stoppen und sogar die Umsetzung derjenigen Gesetze verhindern, die bereits beschlossen worden sind, wenn deren Rücknahme gefordert wird.

Keine Alternative

Während der Bewegung im März 2013, besonders am Tag der Parlamentsabstimmung über die Zwangsabgabe, welche das Parlament schlussendlich gezwungenermaßen ablehnte, riefen einige Anastasiades zum Rücktritt auf. Aber wer sollte seinen Platz einnehmen? Und welche Politik würden dann umgesetzt werden?

AKEL hat nach ihren Jahren an der Regierung, als sie das System „gemanagt“ und sich dem kapitalistischen Establishment gebeugt haben, starken Schaden genommen. Sie hatten ihren Alternativvorschlag zum Memorandum nur drei Tage vor der Abstimmung vorgestellt. Dieser Vorschlag überzeugte jedoch nicht, was die Sicherung von Arbeiterrechten und die Verhinderung eines Zusammenbruchs der Wirtschaft angehen. Die derzeitigen Vorschläge der AKEL sind nicht viel anders als die der DISI, mit dem Unterschied, dass sie das Weiterführen des Status Quo verlangen und die „soziale Rolle“ des halbstaatlichen Bereiches der öffentlichen Versorgungsbetriebe betonen (was in der kapitalistischen Wirtschaft nicht klappen wird, die darauf ausgerichtet ist, den Reichen mehr Profite zuzuschanzen und und die Zahlung der Staatsschulden verlangt).

Von Anfang an war offensichtlich, dass Lillikas (ein opportunistischer Mitte-Rechts-Abenteurer, der seit der letzten Präisdentschaftswahlen eine neue Partei mit Namen Initiative der Zivilisten gegründet hat) und EDEK (die Sozialdemokraten) keinen besseren Vorschläge hatten. Lillikas forderte im Grunde, die Troika durch Russland zu ersetzen. Also würde Russland anstatt der Troika die Wirtschaft kontrollieren – aber auch Austeritätsmaßnahmen verhängen! EDEKs widersprüchlicher Vorschlag ist, der einzige Weg aus dem Memorandum sei, seine Vorgaben so schnell wie möglich umzusetzen!

Von diesem Mangel an Alternativen profitieren Anastasiades und seine Regierung, und mit der Entschuldigung, es sei der Fehler der Vorgängerregierung gewesen, setzen sie den Abbau der Realwirtschaft fort und damit den Abbau unseres Lebensstandards. Die Regierung tritt mit hoher Geschwindigkeit in Griechenlands Fußstapfen. Innerhalb eines Jahres haben sie Maßnahmen umgesetzt, für welche die griechische Regierung vier Jahre gebraucht hat ( unter großen Schwierigkeiten, gegen den Widerstand der griechischen arbeitenden Bevölkerung).

Zeit, sich zu wehren, sich zu organisieren, neue Arbeiterparteien aufzubauen!

Als ArbeiterInnen, Erwerbslose, RenterInnen und Jugendliche, denen eine vernichtende Zukunft droht, wissen wir, was wir nicht wollen. Wir werden nicht untätig dabei sitzen und sie unsere Zukunft zerstören lassen! Wir müssen Widerstand leisten, ob die Gewerkschaftsführungen auf unserer Seite sind oder nicht. Teile der OELMEK und OLTEK haben sich bereits den Protesten am 8. Februar beteiligt, gegen die Entscheidung ihrer Gewerkschaftsführung.

Wir werden nicht für Schulden bezahlen, die wir nicht verursacht haben! Wir können unsere Löhne nicht verlieren, und unter Steuern begraben werden, wenn die Milliarden der Banken von Spekulanten, Bankern und Großunternehmern in den Sand gesetzt wurden!

Wir werden niemanden unsere Wohnungen wegnehmen lassen! Wir werden keine arbeitslosen ArbeiterInnen zu Obdachlosen werden lassen, und die Banken damit ihre Ziele erreichen lassen!

Diese Forderungen, auch wenn sie nicht so laut erschallen, wie in anderen Ländern wo die Troika verheerenden Schaden angerichtet hat, sind in der zyprischen Gesellschaft weit verbreitet.

Aber um diese grundlegenden Forderungen in die Tat umzusetzen, müssen wir für eine andere Gesellschaft kämpfen. Wir dürfen von keinen pro-kapitalistischen, korrupte Politikerinnen abhängen, welche andere Interessen vertreten als die der ArbeiterInnen und der Armen. Wir müssen neue Parteien der ArbeiterInnen aufbauen, neue linke Parteien, die für demokratische öffentliche Kontrolle und Verwaltung der Wirtschaft und Gesellschaft kämpfen.

 

Athina Kariati ist Mitglied der Neuen Internationalistischen LinkeN in Zypern. Der Artikel erschien am 11. April auf www.socialistworld.net. Übersetzung: Conny Dahmen