Marx und Engels – (nicht nur) für Anfänger

rjazanov_1Neuauflage des Buchs von David Rjazanov – eine Besprechung

Wenn von „Marxismus“ die Rede ist denken die meisten Menschen an Wirtschaftstheorien, die sich Karl Marx in der Bibliothek sitzend ausgedacht hat. Aber die Kritik der Politischen Ökonomie ist nur der halbe Marx. Der Marxismus ist nicht einfach im luftleeren Raum entstanden, sondern in lebendigen Auseinandersetzungen in der internationalen Arbeiterbewegung.

von Holger Dröge

Das Wissen über die Geschichte des Kapitalismus und der Arbeiterbewegung ist leider kaum noch verbreitet. Gleichzeitig ist eine neue Generation von AktivistInnen entstanden, die sich mit dieser Geschichte kaum bisher befasst hat und doch im Widerstand gegen die kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung steht.

Die Schrift „Marx und Engels – nicht nur für Anfänger“ von David Rjazanov von 1922 ist wie für diese AktivistInnen geschrieben. Sie ist ein Versuch, die Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung und die Fragestellungen mit der sie konfrontiert war, wiederzugeben. Sie fußt dabei auf Vorträgen, die Rjazanov 1922 in Moskau unter dem Titel „Marx und Engels“ überwiegend vor Industriearbeitern gehalten hat. Das Buch wurde in den 1920er Jahren in über einer Million Exemplaren verbreitet und war gerade unter ArbeiterInnen und Jugendlichen äußerst populär. Doch als Rjazanov der Idee des „Sozialismus in einem Land“ entgegentrat, wurde das Buch 1931 durch Stalin verboten. In der Folge wurde Rjazanov weiter ausgegrenzt, 1938 erschossen und versucht sein Werk in Vergessenheit geraten zu lassen.

 Ein anderer Blick auf Marx und Engels

Die SAV hat „Marx und Engels – (nicht nur) für Anfänger“ neu herausgebracht, denn das Buch stellt bis zum heutigen Tag eine hervorragende Einführung in die Ideen und Geschichte des Marxismus dar.

Es gibt zahlreiche Bücher, die sich mit den Biographien und Ideen von Marx und Engels auseinandersetzen. Viele davon sind äußerst lesenswert, die Frage stellt sich also: Was macht dieses Buch so besonders, dass man es kaufen und lesen sollte? Die biographischen und geschichtlichen Daten von Karl Marx und Friedrich Engels sind aus vielen ähnlichen Arbeiten bekannt.

Rjazanov verzichtet bewusst auf eine rein wissenschaftliche Darstellung und eine zu ausführliche Biographie, sondern wendet die Marxsche Methode der Analyse – den Historischen Materialismus – an. Er stellt die Verbindung zwischen den Ereignissen der damaligen Zeit und der Entwicklung des Marxismus her.

In diesem Buch erleben wir Marx und Engels vor allem nicht nur als Philosophen, Wissenschaftler und Kapitalismuskritiker, sondern vor allem als Revolutionäre im Dienste der Arbeiterbewegung. David Rjazanov zeichnet ein Bild, wie lebendige Debatten in der Arbeiterbewegung und die Beteiligung von Marx und Engels an Kämpfen der Arbeiterklasse zur Herausbildung der Ideen des Marxismus beigetragen haben. Rjazanov misst Marx und Engels eine größere organisatorisch-praktische Rolle in der Arbeiterbewegung zu, als es gewöhnlich der Fall ist.

Denn aus seiner Sicht war es gerade das revolutionäre Handeln von Marx und Engels, dass zur Ausarbeitung der Ideen des Marxismus entscheidend beigetragen hat. Nicht immer haben Marx und Engels von Anfang an richtig gelegen, wie Rjazanov beschreibt. Aber im Dialog mit anderen AktivistInnen der Arbeiterbewegung haben sie ihre Ideen weiter entwickeln können.

 Eine Ehrung der Vielen

 Das Buch ist ebenfalls lesenswert, weil viele AktivistInnen der entstehenden Arbeiterbewegung zu Wort kommen, die sonst kaum oder keine Erwähnung finden.

Am Beispiel des Bundes der Kommunisten und der Ersten Internationale zeigte Rjazanov, dass die Organisierung der Arbeiter selbst Ausdruck der Klassenkämpfe war und nicht das Werk von Intellektuellen. Rjazanov erklärt ausführlich, wie ArbeiterInnen in England und Frankreich internationale Solidarität in Arbeitskämpfen zeigten, sich trafen, diskutierten, organisierten und so die Grundlage zur Gründung der ersten internationalen Organisation der Arbeiterbewegung schufen. Karl Marx, später führender Kopf der Ersten Internationale, wurde erst zur Gründungsversammlung eingeladen.

Rjazanov hält es für notwendig, hervorzuheben, dass es wohl nicht richtig sei, die Rolle der Massen im geschichtlichen Geschehen zu untertreiben, um der der Persönlichkeiten eine überaus große Bedeutung zuzumessen und bemüht sich, dieser Tendenz entgegenzuarbeiten. Sein Ziel ist eine ausgewogene Darstellung der Bedeutung von Marx und Engels im Vergleich zu den tausenden AktivistInnen der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts.

Rjazanov kam es darauf an herauszuarbeiten, dass der Marxismus weder eine „geniale Idee“ noch ein abstraktes Modell gesellschaftlicher Entwicklung war, sondern Produkt konkreter gesellschaftlicher Entwicklung der Klassenkämpfe. Damit sprach sich Rjazanov gegen jeglichen Persönlichkeitskult aus, den ja auch die Marxsche Theorie nicht kennt.

Und am Beispiel der Pariser Kommune hob Rjazanov die Marxsche Position hervor, dass die Arbeiterklasse die Vergesellschaftung der Produktion von den kapitalistischen Fesseln freisetzen und die politischen Formen der sozialen Emanzipation hervorbringen musste, dass der bürgerliche Staat abgeschafft und durch eine sozialistische Demokratie ersetzt werden muss. Gleichzeitig verwies er darauf, dass der Aufbau des Sozialismus in einer Stadt oder in einem Land nicht gelingen konnte, sondern nach Marx nur das Bündnis mehrerer sozialistischer Staaten auf der Grundlage entwickelter Produktivkräfte den Aufbau des Sozialismus siegreich beenden könnten. Mit diesen Passagen wandte sich Rjazanov gegen den einsetzenden Leninkult und die Stalinisierung in der Sowjetunion, er kritisierte scharf die Idee des Aufbaus des Sozialismus in einem Lande. Kein Wunder, dass Stalin diese Schrift 1931 verbieten und einstampfen ließ.

Auch der aufmerksame und kritische Blick von Rjazanov auf die Geschichte der Arbeiterbewegung macht sein Buch so interessant. Er scheut sich nicht, Marx und Engels Fehler nachzuweisen und gleichzeitig die Bedeutung ihrer Arbeit hervorzuheben.

Sein Buch ist gut zu lesen, die Sprache Rjazanovs modern und nicht nur als Einführung in die Ideen des Marxismus interessant.

Holger Dröge ist Mitglied im Bundesvorstand der SAV

 

David Rjazanov – Marx und Engels (nicht nur) für Anfänger

Paperback, 273 Seiten, 10 Euro

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