Italien: Zwei Tage Protest

Protest RomeDieser Artikel erschien zuerst am 22. Oktober in englischer Sprache auf socialistworld.net

„Basis-Gewerkschaften“ und soziale Bewegungen gehen auf die Straße

von Giuliano Brunetti, „ControCorrente“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Italien)

In Italien haben die Proteste gegen die Regierung, die am 18. und 19. Oktober stattfanden, alle Erwartungen der OrganisatorInnen übertroffen. In einigen Betrieben lag die Beteiligung am Streik der „Basis-Gewerkschaften“ am Freitag, dem 18. Oktober, bei 100 Prozent – obwohl sie unter den Beschäftigten weniger Mitglieder haben als die großen Gewerkschaftsverbände. Am Flughafen Rom mussten mehr als 140 Flüge gestrichen werden. Bei den Zug-, Bus und U-Bahnverbindungen kam es in der Hauptstadt wie auch in anderen Städten zu weitreichenden Ausfällen.

Am Protestzug durch Rom nahmen Tausende von ArbeiterInnen teil, die in bedeutsamen betrieblichen Konflikten aktiv sind. Von großer Bedeutung war es, dass auch eine starke Delegation der Feuerwehrleute präsent war, die vor kurzem den „Ausnahmezustand“ ausgerufen haben.

An der Demonstration vom 19. Oktober, die sich gegen die Austeritäts- und Kürzungspolitik richtete und auf der Forderungen nach einem garantierten Mindestlohn sowie einer Verbesserung der Mieterrechte gestellt wurden, beteiligten sich mehrere zehntausend Menschen. Wie immer sind genaue Angaben über die Teilnehmerzahl schwer zu ermitteln. Es handelte sich aber um eine große kämpferische und radikale Demonstration.

Im Vorfeld dieser Demonstration vom 19.10. wurde in Rom eine mehr als beeindruckende Sicherheitsmaschinerie in Gang geworfen. Das war der unzweideutige Versuch des Staates, seine Muskeln spielen zu lassen, um die DemoteilnehmerInnen einzuschüchtern und darüber hinaus – nicht nur symbolisch – seine Institutionen zu schützen. Die Polizeiführung hatte mehr als 4.000 BeamtInnen aus vier verschiedenen Abteilungen zusammengezogen. Darunter befanden sich auch die „Carabinieri“ sowie die verhasste „Guardia di Finanza“, die sogenannte Finanzpolizei, die stets bereit war, gegen jede Form von „Ordnungswidrigkeit“ einzuschreiten.

Der Erfolg dieser Demonstration, zu der es unmittelbar nach dem Generalstreik der „Basis-Gewerkschaften“ gekommen war, sollte auch im Zusammenhang mit der beschämenden Hetzkampagne gesehen werden, die die regierungsnahen Medien in den Tagen zuvor losgetreten hatten. Ein großer Teil der Medien mühte sich, Erinnerungen an den 15. Oktober 2011 wachzurütteln, als es bei einer Protestveranstaltung in Rom zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Bereitschaftspolizei und hunderten von AnarchistInnen kam. Auf provokante Art und Weise war die Rede von der Ankunft der „Steinewerfer“ in Rom, von hunderten „professionellen Gewaltbereiten“ aus der „No Tav“-Bewegung aus dem Susa-Tal, die alle versuchen würden, Rom zu belagern und Chaos in die Hauptstadt zu tragen. Und als ob dies nicht schon genug gewesen wäre, tat noch das Bahnunternehmen „Trenitalia“ dann noch alles Mögliche dafür, dass die ProtestiererInnen gar nicht an ihrem Zielbahnhof ankommen würden. Die Verhandlungen über Sonderzüge zu Sonderpreisen – ein sonst üblicher Vorgang, um es DemoteilnehmerInnen überhaupt erschwinglich zu machen, an einer Protestaktion teilzunehmen – wurden unter dem politischen Druck ein paar Stunden vor Beginn der Proteste abgebrochen. Das war der vergebliche Versuch, die Züge gar nicht erst bis in Hauptstadt kommen zu lassen.

Die Medienkampagne, die bis zuletzt anhielt, zielte darauf ab, unter den EinwohnerInnen Roms eine feindselige Stimmung gegen die Bewegung zu erzeugen und von der Teilnahme an den Protesten abzuhalten. Am Ende brachten die Medien Nachrichten heraus, die im Zusammenhang mit der Verhaftung einiger junger AnarchistInnen standen. Diese wurden als gefährliche TerroristInnen dargestellt oder in Verbindung gebracht mit der Entdeckung angeblicher „Waffenarsenale“, auf die man entlang der Demoroute gestoßen sei. Die nachvollziehbare Sorge der RömerInnen, die durch die Beharrlichkeit einer solchen Medienhetze zustande kommt, wurde bald schon von der Realität widerlegt: Die grenzenlose Panikmache der regierungsnahen Kräfte stellte sich als reiner Sensationalismus heraus.

Von einigen wenigen, isolierten und absolut geringfügigen gewaltsamen Übergriffen abgesehen, verlief die Demonstration zum Leidwesen all jener JournalistInnen und politischer VerfechterInnen von „Recht und Ordnung“ vollkommen friedlich und diszipliniert. Sie hatten ein Blutvergießen erwartet oder wenigstens ein Revival der zerstörerischen Auseinandersetzungen, zu denen es im Oktober vor zwei Jahren gekommen war. Weil im Vorfeld ein gut organisierter Ordnerdienst eingerichtet worden war, konnten die Aktionen einiger Weniger unterbunden werden, die den Sicherheitskräften ansonsten den Anlass gegeben hätten, gewaltsam gegen die Demo einzuschreiten. Die Anwesenheit der OrdnerInnen, die in der Lage waren, die Demo zu koordinieren und Provokateure fernzuhalten, war ein ganz wesentlicher Punkt, der zum Erfolg des gesamten Protesttages beitrug.

Der Protestzug vom Samstag vermochte es, bis ins Stadtzentrum von Rom vorzudringen und in sehr disziplinierter Manier an den sensiblen Zielorten – der Kredit- und Darlehenskasse, dem Wirtschaftsministerium, dem Ministerium für Infrastruktur – vorbeizuziehen, ohne auf Provokationen zu reagieren. Sogar vor der Parteizentrale der neofaschistischen Gruppierung „Casa Pound“ war dies der Fall, wo rund einhundert mit Baseballschlägern und Stangen bewaffnete Faschisten Glasflaschen auf die DemonstrantInnen warfen.

Die Demonstration fand großen Zuspruch, da tausende von ArbeiterInnen, die im Visier der Austeritätspolitik stehen, zusammenkamen: LeiharbeiterInnen ohne vertragliche Rechte, AktivistInnen der Initiativen „No Tav“ (eine Bewegung, die sich gegen den Bau einer Hochgeschwindigkeitsstrecke in den Alpen richtet) und „No Muos“ (eine Bewegung, die sich gegen den Bau eines Satelliten-Netzwerks des US-amerikanischen Militärs auf Sizilien zur Wehr setzt) sowie VertreterInnen verschiedener Umweltbewegungen. Es handelte sich dabei nicht nur um die übliche Parade linker Organisationen. Bei der Abschlusskundgebung fanden sich auf dem Platz nicht nur zahlreiche junge Menschen, sondern auch viele Familien, die ohne Einkommen dastehen. Ein Indiz dafür war die Größe der Delegation von „Blocchi precari metropolitani“ (ein Kollektiv, das gegen die schweren Bedingungen kämpft, unter denen junge Leute, EinwanderInnen und ArbeiterInnen leiden), von „ASIA“ (Mieterbund, der von den „Basis-Gewerkschaften“ organisiert wird) und anderen Bewegungen, die sich für Mieterrechte einsetzen.

Der Aktionstag vom 19. Oktober hat einigen der ersten Opfer der italienischen Austeritätspolitik die Möglichkeit gegeben, zum gemeinsamen Protest zusammenzukommen; auch, wenn dies zunächst nur für ein paar Stunden der Fall war. Dass man aber in der Lage war, dieser gesellschaftlichen Gruppe Gehör zu verschaffen, ist für die Arbeiterbewegung in unserem Land ein ganz wesentlicher Aspekt. Zur Zeit fehlt es allerdings an einer Kraft, die fähig wäre, die verschiedenen, im Kampf befindlichen Sektoren miteinander zu verbinden. Die Tage des 18. und 19. Oktober haben definitiv gezeigt, dass es eine Grundlage für die Entwicklung einer solchen Kraft auf Basis eines Programms gibt, mit dem die Austerität beendet und für einen wirklich sozialistischen Wandel gekämpft werden kann.