Tunesien: Massenproteste nach Mord

Foto: Citizen59  http://fr.m.wikipedia.org/wiki/Fichier:CeremonieEnterrementMohamedBrahmi_1.JPG
Foto: Citizen59
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Explosion der Wut nach zweitem politischem Mord an einem führenden Linken

Flugblatt der CWI-UnterstützerInnen schlägt Generalstreik zum Sturz der Regierung vor

Vorbemerkung:

Die Ermordung von Mohamed Brahmi, Abgeordneter von El-Shaab (Volksbewegung), hat eine neue Massenbewegung der ArbeiterInnen und Jugendlichen in Tunesien ausgelöst. Unter dem Druck der Massen rief die größte Gewerkschaftsföderation, die UGTT, zu einem eintägigen Generalstreik am 26. Juli auf. Offensichtlich ist die Revolution nicht vorbei in dem Land, in dem vor zwei Jahren der „arabische Frühling“ begann und der Aufstand die jahrzehntelange Diktatur beendete.

Seitdem hat sich die Situation der ArbeiterInnen und Armen aber verschlechtert, weil kapitalistische Regierungen auf Anweisung des IWF und anderer kapitalistischer Regierungen Austeritätspolitik durchgesetzt haben.

Wir dokumentieren unten ein Flugblatt, das beim Generalstreik am Freitag von UnterstützerInnen des Komitees für eine Arbeiterinternationale (CWI) in Tunesien verteilt wurde. Einer von ihnen, Rezgui, berichtete uns: „Der Streikaufruf wurde vollständig befolgt. Und 50.000 Menschen versammelten sich zur Beerdigung [von Mohamed Brahmi am 27.7., AdÜ].“

„In der Stadt Sidi Bouzid [im Zentrum Tunesiens, wo Brahmi gewählt worden war und wo der arabische Frühling zuerst ausbrach] wurde die Selbstverwaltung erklärt, „demokratische Komitees“ wurden gebildet, um das Gebiet zu verteidigen und zu verwalten. Dasselbe gilt für das weiter südlich gelegene Gafsa.“

„Es gab auch am 28. Juni weitere Massenblockaden mit zehntausenden TeilnehmerInnen – sogar laut staatlichen Quellen 25.000 – vor dem Gebäude der Nationalversammlung. Sicherheitskräfte und die Armee kesseln sie jetzt ein.“

„Ihre Forderungen sind Rücktritt der Regierung und Auflösung der „Verfassunggebenden Versammlung.“

Rezgui weiter: „Obwohl es viele Beispiele für Massenkämpfe, Streiks und die Bildung von Komitees gibt, die Arme und Menschen aus der Arbeiterklasse organisieren, drohen in dieser Situation auch Gefahren, insbesondere wenn es keine vorantreibende Führung gibt. Vor allem brauchen wir einen Aufruf zum unbefristeten Generalstreik, um die Regierung zu stürzen und Schritte zu einer Vernetzung der demokratischen Komitees und der selbstverwalteten Gebiete.“

Redaktion von Socialistworld.net

 

Flugblatt der CWI-UnterstützerInnen in Tunesien

Tunesien: Politischer Mord löst neue Krise des Regimes aus

Für eine revolutionäre Regierung der ArbeiterInnen, der Jugend, der Erwerbslosen und der Armen!

Am 25. Juli, dem Nationalfeiertag der Tunesischen Republik, bekam die tunesischen Revolution einen neuen Märtyrer. Wieder wurde die oppositionelle Volksfront Ziel eines politischen Mordes. Mohamed Brahmi, Vorsitzender der Bewegung El Shaab (Volksbewegung), Abgeordneter der Verfassunggebenden Versammlung für den Wahlkreis Sidi Bouzid, den symbolischen Dreh- und Angelpunkt der tunesischen Revolution, wurde vor seinem Haus kaltblütig hingerichtet.

Das Komitee für eine Arbeiterinternationale (CWI) verurteilt entschieden dieses politische Attentat, das in den Kontext zunehmender politischer Gewalt in verschiedenen Formen fällt, die von den bestehenden kapitalistischen Kräften, ihren [Partei-]Milizen und dem Repressionsapparat ausgeht.

Zweieinhalb Jahre nach dem Sturz des Präsidenten Ben Ali ist die Situation der Massen noch schlimmer geworden, und im ganzen Land gärt die Wut. Die Ermordung Brahmis ist ein neuer Katalysator für den Zorn der ArbeiterInnen, der Jugend und der revolutionären Massen. Deren Wille, das Troika-Regime (die regierende Koalition) zu stürzen hat den Höhepunkt erreicht.

Sofort als die Nachricht vom Tod Brahmis bekannt wurde, gab es im Gouvernement Sidi Bouzid einen spontanen Generalstreik. Riesige Menschenmassen zogen zu den Regierungsgebäuden, um sie zu besetzen und in vielen Orten wurden Büros der regierenden Partei Ennahda angezündet.

Am Abend des 25. Juli demonstrierten in Tunis Zehntausende vor dem Innenministerium. Die Kundgebung, zu der die Volksfront aufgerufen hatte, wurde von der Polizei brutal angegriffen.

Ein landesweiter Generalstreik wurde von der UGTT (Allgemeine Arbeiterunion Tunesiens) für den 26. Juli angekündigt und überall befolgt. Die Volksfront rief die Bevölkerung auf, sich vor den UGTT-Büros zu versammeln und zur Verfassunggebenden Versammlung zu ziehen, um deren sofortige Auflösung und den Sturz der Regierung zu fordern.

Wie in Ägypten steht jetzt auch in Tunesien das islamische Regime in Frage, die Massen fordern den Sturz des Regimes. Die liberalen Kräfte, die mit dem Regime und imperialistischen Mächten verbunden sind, haben Angst vor einer neuen revolutionären Welle und versuchen daher mit allen Mitteln, die Forderungen der Massen zu blockieren und die Interessen der kapitalistischen Elite zu schützen.

Die Volksfront vereint in sich viele revolutionäre AktivistInnen, GewerkschafterInnen und Jugendliche die die Revolution bis zum Ende fortsetzen wollen, um eine Regierung im Interesse der ArbeiterInnen einzusetzen und das kapitalistische Ausbeutungssystem zu beenden. Aber die Volksfront orientiert auf Kompromisse mit politischen Kräften, die nichts mit den Kämpfen der ArbeiterInnen, der Armen und all jener zu tun haben, die die ursprüngliche Revolution gemacht haben. Sie fordert die Bildung einer Regierung der Nationalen Rettung, die Abkommen mit VertreterInnen der wohlhabenden Klassen treffen wird, deren einziges Ziel ist die Kämpfe der Volksmassen und der Arbeiterklasse zu beenden.

Das CWI meint, dass die Macht der tunesischen Gewerkschaftsbewegung und das Gewicht der Volksfront stattdessen im Interesse der kämpfenden Massen eingesetzt werden sollte, um überall im Land eine Gegenmacht unter demokratischer Kontrolle von Aktionskomitees auf allen Ebenen der Gesellschaft aufzubauen.

Die kommenden Tage werden für die Zukunft der Revolution entscheidend sein. Aber die Situation birgt viele Gefahren. Der Generalstreik ist zweifellos ein Schritt in die richtige Richtung, aber die Konsequenzen aus dieser Aktionsform müssen sofort gezogen werden. Das Risiko der Demobilisierung und das Fehlen klarer Vorstellungen, wie in den nächsten Tagen Aktionen organisiert und verbreitert werden können, kann nur denen nützen, die gegen die Revolution sind – ob sie sich hinter „demokratischen“ Forderungen oder der Religion verstecken.

Das CWI ruft zur Bildung revolutionärer Komitees in Arbeitsplätzen, Universitäten, Schulen und Wohnvierteln auf, um die Bewegung kollektiv und demokratisch nach dem Willen der mobilisierten Massen zu organisieren. In Sidi Bouzid haben die regionale Führung der UGTT und die Anwaltskammer im Gouvernement die Bildung einer neuen Verwaltung der Region unterstützt, wie es beim Generalstreik und den Aktionen des zivilen Ungehorsams gefordert worden war. Solche Beispiele orientieren auf Selbstverwaltung der öffentlichen Angelegenheiten durch das Volk und müssen im ganzen Land unterstützt werden.

Solche Komitees sollten für die Selbstverteidigung in den Wohnvierteln und in der ganzen revolutionären Bewegung sorgen, um Gewalt durch Repressionskräfte und reaktionäre Milizen zu verhindern. Solche Komitees sind notwendig, damit die Bewegung von ihrer sozialen Basis kontrolliert wird. Entsprechende Strukturen sind auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene notwendig. Diese Komitees könnten zur Bildung einer revolutionären Regierung im Interesse der ArbeiterInnen, Jugendlichen und Unterdrückten führen und von der UGTT und AktivistInnen der Volksfront, des Erwerbslosenverbandes (UDC) und sozialen Bewegungen unterstützt werden.

* Nieder mit der Troika (der Regierungskoalition)! Für einen unbefristeten Generalstreik bis zum Sturz des Regimes!

* Keine Abkommen mit der Regierung oder den politischen Kräften, die den Kapitalismus verteidigen!

* Für eine Regierung der ArbeiterInnen, Jugendlichen und der armen Massen, unterstützt von Gewerkschaften und Organisationen der Linken und der Bevölkerung

* Für die Streichung der Staatsschulden und die Verstaatlichung der Banken und der Kernbereiche der Wirtschaft unter demokratischer Kontrolle der ArbeiterInnen und der Bevölkerung!

* Für einen internationalen Kampf der Jugendlichen und ArbeiterInnen gegen Kapitalismus und Imperialismus, für eine sozialistische Welt!