Griechische Regierung stürzt nach erzwungener Schließung des Fernsehsenders ERT in die Krise

XekinimaGewerkschaftsvorstände und linke Parteien vermögen es nicht, den Beschäftigten und der Bewegung als politische Führung zu dienen

Von Andros Payiatsos, „Xekinima“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Griechenland)

Am gestrigen Mittwochabend, dem 19. Juni, kam es zu einem kurzfristig anberaumten Treffen zwischen Premierminister Samaras, der auch Vorsitzender der konservativen Regierungspartei „Nea Demokratia“ ist, und dem Vorsitzenden der sozialdemokratischen PASOK sowie der „Demokratischen Linken“, die gemeinsam die Regierung stellen. Nach dreiundhalb Stunden ging man ergebnislos auseinander. Das einzige, auf das man sich einigen konnte, war, dass man heute (am 20. Juni) erneut zusammenkommen will. Für Donnerstag, den 20. Juni, ist außerdem eine Sitzung des Obersten Gerichtshofs terminiert, auf der man sich mit der Krise um den öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ERT befassen will. Die plötzliche Schließung von ERT durch Samaras löste in seiner Regierungskoalition eine umfassende Krise aus. Dazu kommt es keine neun Monate nach den letzten Wahlen und nachdem alles danach aussah, dass die Dinge gut stehen für Samaras.

Anfang vergangener Woche ließ er in einem beispiellosen Akt ERT schließen, wobei er vom Mittel des „Ministerial-Dekrets“ Gebrauch machte. Die Folge war nicht nur die umgehende Entlassung der 2.650 Beschäftigten bei ERT auf einen Schlag, sondern auch die Tatsache, dass Samaras dem Parlament damit nicht zugestand, über dieses Vorgehen zu befinden. Dafür gab es zwei Gründe: Zum einen wird es in wenigen Tagen in die Sommerperiode mit den traditionell „begrenzten“ Sitzungsrunden starten und zum anderen kommt es dem Abgeordnetenhaus nicht zu, über Dinge zu verhandeln, die das Vermerk „oberste Priorität“ tragen. Samaras hat noch nicht einmal seine Koalitionspartner PASOK und DL konsultiert, bevor er vom Mittel der Sondergesetzgebung Gebrauch machte, um ERT zu schließen. Besagtes Dekret wurde nur von den 17 MinisterInnen der ND unterzeichnet, während die vier MinisterInnen von DL und PASOK den Text noch nicht einmal einsehen konnten.

Das ganze Vorgehen bedeutet einen Bruch der Verfassung Griechenlands. Die Verfassung erlaubt es der Regierung, zeitweilig (und bevor der betreffende Sachverhalt den Abgeordneten dann doch noch vorgelegt werden muss) das Parlament zu umgehen. Dies darf aber nur geschehen, wenn es um eine „nationale Krise“ geht und nur dann, wenn das Dekret zuvor von allen MinisterInnen unterzeichnet worden ist.

Samaras hat sich diktatorisch verhalten. Seine ganze Arroganz spiegelt sich darin wider, und es zeigt, dass er für grundlegende parlamentarische Abläufe, die Verfassung und für seine RegierungspartnerInnen nur Missachtung übrig hat. Er legt dieses herablassende Verhalten an den Tag, nachdem er zum wiederholten Mal Erfolge gegen Versuche der Arbeiterklasse eingefahren hat, sich gegen die Austeritätsmaßnahmen der Regierung zur Wehr zu setzen. In den letzten sechs Monaten hat die Regierung Samaras jeden einzelnen Streik von größerer Bedeutung „eingezogen“ (für illegal erklärt). Die Arroganz von Samaras gründet auch auf dem Umstand, dass er auf die volle Unterstützung von Kanzlerin Merkel und dem Rest der Banditen zählen kann, die an der Spitze der EU stehen. Hinzu kommt, dass er in den letzten Umfragen sogar wieder an Boden gutmachen konnte. Alle Meinungsumfragen der jüngeren Zeit sahen „Nea Demokratia“ vor dem Linksbündnis SYRIZA. In einigen Umfragen lag die ND vier Prozentpunkte vorne.

Was Samaras aber unterschätzt hat, ist die beeindruckende Reaktion der griechischen Arbeiterklasse auf die Schließung von ERT. ArbeiterInnen kamen zu Solidaritätskundgebungen für den öffentlich-rechtlichen Sender zusammen, weil sie darin auch ein Beispiel dafür sehen, was mit Betrieben und den Beschäftigten – in welcher Branche auch immer – in Zukunft geschieht, wenn diese es ablehnen, die Diktate von Samaras und Merkel zu akzeptieren.

Nach einem anfänglichen Schock besetzten die ERT-KollegInnen dann ihre Arbeitsplätze und das Gebäude des Senders und nahmen den Sendebetrieb wieder auf. Die Regierung griff auf Privatunternehmen zurück, um das Sende-Signal zu stören. Doch die ERT-Beschäftigten nutzten das Internet, um weiter senden zu können. Als nächstes boten sich dann linke Sender (darunter der Fernsehsender der „Griechischen Kommunistischen Partei“, KKE, und der Radiosender des linken Wahlbündnisses SYRIZA) an, das ERT-Signal mit zu verbreiten. Daraufhin machte die Regierung dann Gebrauch von HackerInnen, um alle Möglichkeiten auszuschalten, mit denen die ERT-Beschäftigten das Internet hätten nutzen können. Und dann begann ein Kampf um die Sendekapazitäten zwischen Regierungsangestellten und TechnikerInnen von ERT. Dieser Kampf dauert an, aber ERT sendet immer noch – auch wenn es immer wieder zu Unterbrechungen kommt.

In dieser Situation wurden die Gewerkschaften der JournalistInnen und die übrigen Beschäftigten der Massenmedien dazu gebracht, vier Tage am Stück Aktionen durchzuführen, und die Gewerkschaftsbünde für den privatwirtschaftlichen Bereich (GSEE) und den öffentlichen Dienst (ADEDY) sahen sich gezwungen, einen 24-stündigen Generalstreik auszurufen. Das Oberste Verfassungsgericht war ebenfalls gezwungen, den Sachverhalt aufzugreifen und der vorsitzende Richter verkündete eine Entscheidung, die dem Premierminister die Flügel zumindest etwas stutzte. Dabei stellte man fest, dass Samaras seine Machtbefugnisse überschritten habe, indem er sich auf die Möglichkeit eines „Sonderdekrets“ berief. Man kam aber auch zu der Auffassung, dass es der Regierung durchaus zustehe, mit den Plänen zur „Restrukturierung“ von ERT fortzufahren (wozu beispielsweise die Entlassung aller Beschäftigter und die Wiedereinstellung einiger weniger von ihnen unter Arbeitsbedingungen und Lohnverhältnissen zählt, die als „mittelalterlich“ zu bezeichnen sind).

Zehntausende protestieren vor dem ERT-Sendezentrum

Zwischen 70.000 und 80.000 Menschen kamen letzten Donnerstag, am 13. Juni, vor dem ERT-Sendezentrum in Athen zusammen. In allen Städten Griechenlands kam es zu Solidaritätsdemonstrationen. Letzten Donnerstag, Freitag, Samstag und Sonntag protestierten erneut tausende vor dem ERT-Gebäude und zeigten damit aufs Neue, mit welcher grenzenlosen Entschlossenheit die griechische Arbeiterklasse zu kämpfen bereit ist, wenn sie die Möglichkeit dafür gegeben sieht.

Die Streiks dauerten bis Sonntag, den 16. Juni, an. Und dann, als die Regierung gerade dabei war, in eine aussichtslose Lage zu geraten, sagten die Gewerkschaftsvorstände die Streiks ab und ließen damit die KollegInnen bei ERT im Stich.

„Xekinima“, die SAV-Schwesterorganisation und CWI-Sektion in Griechenland, vertrat die Position, dass es für die Gewerkschaften in dieser Woche nur eine Aufgabe gäbe: Die Organisierung eines durchgehenden, siebentägigen Streiks der Beschäftigten der Medienbranche und eines erneuten 48-stündigen Generalstreiks durch GSEE und ADEDY. Das hätte mit Leichtigkeit eine ganze Lawine an Streiks hervorrufen und viele Branchen in den Kampf mit einbeziehen können. Wäre dieses Vorgehen dennoch ohne Erfolg geblieben, dann wären noch kämpferischere Arbeitskämpfe nötig gewesen. Es hätte zu wiederholten, rollierenden Generalstreiks und zu einer gesellschaftlichen Massenbewegung kommen müssen, um die Regierung dazu zu zwingen, die Maßnahmen gegen den Sender ERT komplett zurückzunehmen. Das hätte den Boden bereitet, um die Regierungskoalition zu Fall zu bringen und der Möglichkeit einer linken Regierung unter der Führung von SYRIZA einen Schritt näher zu kommen. Eine solche Linksregierung müsste die Schuldenforderungen anfechten und alle von der Troika auferlegten Maßnahmen ablehnen. Sie müsste sich stattdessen verpflichten, sozialistische Maßnahmen zu ergreifen und z.B. die Großbanken und multinationalen Konzerne in öffentliches Eigentum überführen, damit diese unter demokratische Verwaltung gestellt und nach einem demokratisch ermittelten Bedarfsplan verwaltet werden können, um die katastrophalen Folgen der ökonomischen und gesellschaftlichen Krise sowie die schier endlosen Angriffe der Austerität zu beenden.

Doch wieder einmal haben die Gewerkschaftsvorstände und die Linke (vor allem die KKE und SYRIZA) darin versagt, in den letzten Wochen die Rolle der Führung zu übernehmen. Die KKE hat letzten Sonntag tatsächlich sogar Streikbruch begangen, als die wichtigste Zeitung der Partei, die „Rizospastis“, veröffentlicht wurde, ohne zuvor die Gewerkschaften und die streikenden KollegInnen davon zu unterrichten. Die anderen großen linken Zeitungen in Griechenland sind während des Streiks in der Medienbranche nicht ausgeliefert worden. Ein Grund dafür ist, dass man die Publikation einer Streikzeitung unterstützen wollte. Darüber hinaus hat die Druckerei der KKE aus kommerziellen Gründen während der Streikaktionen drei weitere andere Zeitungen gedruckt, davon eine mit politisch rechtem Hintergrund.

SYRIZA (das radikale linke Parteienbündnis) hat ihre wichtigste Tageszeitung namens „Avgi“ oder die beiden, alle zwei Wochen erscheinenden Blätter, die von kommerziellen Stellen ausgeliefert werden, zwar nicht veröffentlicht. Doch die Führungsriege war sich absolut nicht einig, wie man zum Streik bei ERT stehen soll, und immer wieder geriet man darüber ins Schwanken. Während eines Treffens der linken Fraktion innerhalb der Journalistengewerkschaft argumentierten führende Mitglieder von SYRIZA gegen Streikmaßnahmen. Sie wurden aber durch den allgemeinen und kämpferischen Druck der KollegInnen sowie aufgrund ihrer eigenen Furcht davor, ihre wahren Ansichten öffentlich äußern zu müssen, auf Linie gebracht.

Das Ergebnis der Rolle, die die wichtigsten linken Kräfte und die Gewerkschaftsführung gespielt hat, ist, dass die Streikbewegung sich nun im Niedergang befindet.

Alle Optionen stehen offen

Die Krise in der Regierungsspitze bleibt ungelöst. Wie umfassend sie ist, zeigt sich daran, dass die Vorstände von PASOK und DL offen erklärt haben, den „Putsch“ von Samaras rückgängig machen zu wollen. Auch der Oberste Verfassungsgerichtshof kann sich mit den von der Regierung ergriffenen Maßnahmen nicht identifizieren, da der Verfassungsbruch – was den Sender ERT angeht – zu offensichtlich und umfassend ist.

Von daher stehen nun alle Optionen offen. Dazu zählt auch die Möglichkeit vorgezogener Neuwahlen. Obgleich niemand das wirklich will: Die ND nicht, weil sie fürchtet, nach dem neuerlichen Aufflammen der Kämpfe der ArbeiterInnen und trotz der letzten Umfrageergebnisse ins Abseits zu geraten, PASOK und DL nicht, weil sie Angst haben, dass sie aufgerieben werden könnten und dass es zu einer Regierung unter der Führung von SYRIZA kommt. Die herrschende Klasse hat schlaflose Nächte, weil Samaras einen aus ihrer Sicht hervorragenden Job zu machen schien, nun aber das Risiko eingeht, die von ihnen bevorzugte Regierungskoalition zerbrechen zu lassen. Gegen Neuwahlen sind natürlich auch die EU, Merkel und die anderen Gangster in der EU, die Sorge haben, ihr ergebener Musterknabe Samaras könnte aus dem Regierungsamt gejagt werden.

„Xekinima“, die SAV-Schwesterorganisation und CWI-Sektion in Griechenland, hat sich in der letzten Woche sofort an der Protestbewegung beteiligt. Wir waren auch in den führenden Gremien der gewerkschaftlichen Koordinierungskomitees mit Mitgliedern vertreten. Und auch an den Protesten vor dem ERT-Sendezentrum nahmen jeden Tag Mitglieder von „Xekinima“ teil. Dort verteilten wir ein Flugblatt mit unseren Forderungen, das wir nur wenige Stunden nach Ausbruch der neuerlichen Krise verfasst hatten. In den fünf Tagen, die die Demonstrationen und Kundgebungen im ganzen Land andauerten, wurden alle 1.200 Ausgaben unserer alle zwei Wochen erscheinenden Zeitung, die ebenfalls „Xekinima“ heißt, an die Frau und den Mann gebracht.

 

 

Homepage von „Xekinima“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Griechenland): xekinima.org