Belgische StahlarbeiterInnen fordern „Enteignung und Verstaatlichung!“

Kampf bei „Arcelor Mittal“ in Lüttich gegen Streichungspläne

von Eric Byl, „Linkse Socialistische Partij“/„Parti Socialiste de Lutte“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Belgien)

Seitdem der Stahlriese „Arcelor Mittal“ am 24. Januar im Rahmen einer außerordentlichen Betriebsratssitzung ein weiteres soziales Blutbad angekündigt hat, steht die Zukunft der Stahlproduktion in Lüttich im Zentrum des Interesses der belgischen Öffentlichkeit. Am Morgen darauf wurde in Brüssel ein Treffen mit hochrangigen VertreterInnen anberaumt, an dem Delegationen sowohl der Brüsseler Zentralregierung wie auch der wallonischen Regionalregierung teilnahmen. Am frühen Freitagnachmittag dann empfingen sie die VertreterInnen der Gewerkschaften. Diese waren nicht alleine sondern zusammen mit rund 500 aufgebrachten und kämpferischen ArbeiterInnen gekommen. Es handelte sich also eher um eine Versammlung vor dem Amtssitz des Premierministers. Eine Delegation der „Linkse Socialistische Partij“/„Parti Socialiste de Lutte“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Belgien) war ebenfalls anwesend, um sich solidarisch zu zeigen.

Die Erklärung von „Arcelor Mittal“ kam nicht besonders überraschend. Vor 15 Monaten, im September 2011, hatte „Mittal“ erst entschieden seine Hochöfen zu schließen, wodurch 795 Arbeitsplätze verloren gingen. Die Gewerkschaften forderten die Verstaatlichung, doch die Regionalregierung von Wallonien antwortete darauf, dass dies nicht möglich sei und von der EU nicht akzeptiert werden würde. Die Gewerkschaften wiesen darauf hin, dass die Zentralregierung eines der größten Bankhäuser Belgiens, die „Dexia“, nur wenige Wochen zuvor sehr wohl verstaatlicht habe und dass eine Investitionssumme von einer Milliarde Euro genügen würde, um die Produktionsanlagen bei „Mittal“ zu modernisieren. Das sei nur ein Viertel der Summe, die die Regierung binnen weniger Tage mobilisiert hatte, um die Übernahme von „Dexia“ einzutüten.

Dann versprach „Mittal“, in die Produktionslinie zur Herstellung seiner kaltgefertigten Stähle zu investieren, die die wallonische Regierung zu subventionieren entschieden hatte. Selbst einige GewerkschaftsführerInnen vertrauten auf die guten Absichten von „Mittal“, einen Teil der Betriebsaktivitäten in Lüttich erhalten zu wollen. Das erklärt auch, weshalb nach einigen, anfangs recht erfolgreichen Demonstrationen in Lüttich mit 10.000 beteiligten ArbeiterInnen im Oktober und 40.000 ArbeiterInnen, die im Dezember 2011 daran teilnahmen, eine weitere Mobilisierung ausblieb. Seither sind Konzernleitung und die Gewerkschaften immer noch nicht zu einem akzeptablen Ergebnis gekommen, was die Modalitäten bei der Schließung der Heißstahl-Fertigung angeht.

Zur selben Zeit hatte sich die Gewerkschaft wohl das Motto „Sklaven, die alles hinnehmen, werden von ihren Herren verschont“ auf die Fahnen geschrieben. Wenn die Hochöfen dicht gemacht werden, besteht jedoch die Gefahr der weiteren Zerstückelung und dass die komplette Anlage geschlossen wird. Aus diesem Grund haben die Gewerkschaften ursprünglich die Verstaatlichung der kompletten Stahlindustrie in Lüttich gefordert. Mit der Ankündigung von „Mittal“ vom 24. Januar, sieben von 12 Betriebseinheiten für Fertig-Stähle und die Koksproduktion auf Kosten weiterer 1.300 Arbeitsplätze schließen zu wollen, hat sich die Prognose der LSP/PSL leider bestätigt. Wir hatten damals geschrieben, dass es „angesichts der drohenden Schließung der Heiß-Stahl-Fertigung nur eine Frage der Zeit [ist], dass auch die Kalt-Stahl-Produktion betroffen sein wird“.

Den ArbeiterInnen ist dies durchaus klar. Sie haben genug von den Versprechungen der Konzernleitung und der Politiker. Unmittelbar nach der Ankündigung traten sie in einen unbefristeten Streik, der wenigstens bis zur Betriebsversammlung am Montag, dem 28. Januar, andauern soll. Die Wut ist groß. Das zeigte sich auch am Freitag vor dem Büro des Premierministers. Sofort, nachdem sie aus den Bussen ausgestiegen waren, zogen die ArbeiterInnen in Richtung der von der Polizei errichteten Stacheldraht-Barrikaden und zwischen beiden Seiten brach ein stundenlang anhaltender Kampf aus, in dem die Polizei Tränengas und Wasserwerfer einsetzte.

Eine weitere Idee, die wir als PSL einbrachten, war, dass man einen Aktionsplan diskutieren solle, mit dem Ziel, die das Werk unter der Kontrolle und Geschäftsführung der Beschäftigten zu verstaatlichen. Dieser Ansatz wird jetzt wieder aktuell. Als die GewerkschaftsvertreterInnen am Freitag von dem Treffen mit der Regierung kamen, erklärten sie, dass die Regierung „an der Seite“ der ArbeiterInnen stehe und auf der Suche nach einem Käufer sei. Die protestierenden ArbeiterInnen erwiderten dies damit, dass sie lauthals die Parole riefen: „Enteignung und Verstaatlichung!“. Warum sollte man nach Monaten der Lügen gerade denen glauben, die uns dauernd mit ihrer Kürzungspolitik kommen, die im öffentlichen Dienst Entlassungen durchführen und uns gleichzeitig versprechen, sie würden uns beistehen und solidarisch mit uns sein und unsere Arbeitsplätze retten? Es ist an der Zeit, dass die ArbeiterInnen sich unabhängig organisieren, sich zusammensetzen und ihre eigene Alternative diskutieren, und eine Aktionsplan aufgestellt und umgesetzt wird.

Die Frage, ob es einen Privatinvestor geben wird, der das Stahlwerk von Lüttich kaufen will, wird nichts daran ändern, dass es zum Verlust von Arbeitsplätzen kommen wird. Es ist sicher, dass ein neuer Besitzer Bedingungen will, mit denen er die Produktionskosten weiter herunterfahren kann. Es ist entscheidend, dass die ArbeiterInnen die Kontrolle über die Werkzeuge und Produktionsanlagen behalten, um zu verhindern, dass über ihre Köpfe hinweg Entscheidungen getroffen werden. Ein Aktionsplan kann Grundlage für eine Betriebsbesetzung und die Wahl eines Komitees zur Koordinierung des Kampfes sein, um für die nötige Unterstützung aus der Bevölkerung zu sorgen und den Maschinenpark intakt zu halten. Ein Aktionsplan sollte auch über den Tellerrand der Stahlindustrie und die Region Lüttich hinaus blicken. Ziel sollte sein, sich mit den ArbeiterInnen bei FORD in Genk zu verbinden, die ebenfalls von Betriebsschließungen bedroht sind. Und auch die EisenbahnerInnen und die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes sollten nicht vergessen werden, die bereits mit der Planung von Aktionen in den kommenden Wochen befasst sind.

Die Konfrontation mit der Polizei hat zwei Dinge gezeigt: Erstens bestehen die ersten Maßnahmen der Regierung zur Unterstützung der ArbeiterInnen aus Tränengas und Wasserwerfern. Und zweitens hat sich gezeigt, wie kampfbereit die ArbeiterInnen sind. Sie sind offenbar nicht bereit, zurückzuweichen und alles mit sich machen zu lassen. Eine Aktionsplan ist ein nötiges Werzeug, um die Kampfbereitschaft zu kanalisieren und darauf zu orientieren, dass die Forderungen der ArbeiterInnen erfüllt werden.