Kasachstan: Streikende ArbeiterInnen kämpfen weiter – trotz brutaler und blutiger Angriffe

Nur mit vereinten, großen Aktionen der ArbeiterInnen kann das diktatorische Regime beseitigt werden – Update am 19.12.2011


 

Update zu den Ereignissen in Kasachstan

von CWI-ReporterInnen, Russland und Kasachstan

Die Regierungskommission hat den ganzen Tag über ihre Ermittlungen in Schanaösen durchgeführt. TeilnehmerInnen der Proteste vom 16.12. werden massenhaft verhaftet und es gibt Versuchte, die OrganisatorInnen der Proteste zu identifizieren. Viele bekannte und führende AktivistInnen sind untergetaucht, junge ArbeiterInnen leisten weiter Widerstand. Die Polizei verteilt massenweise Strafanzeigen, Menschen werden auf der Straße angehalten und in „Filterzentren“ gebracht. Nach Angaben der ArbeiterInnen haben sich erneut bis zu 1500 unbewaffnete streikende ÖlarbeiterInnen im Stadtzentrum versammelt, wurden aber gegen Abend wieder an den Stadtrand vertrieben. Überall im Ort sind Militäreinheiten, Panzerwagen und die Polizei.

Trotzdem gehen außer den ÖlarbeiterInnen auch Verwandte und UnterstützerInnen auf die Straßen und suchen ihre Nächsten und Liebsten, von denen Viele vermisst werden. Die Behörden weigern sich, die Toten herauszugeben und die Krankenhäuser in Schanaösen und Aktau sind mit den durch Schüsse verwundeten überfüllt. Das Belegen viele Videos. Die Krankenhäuser nutzen jede mögliche Begründung um Verletzte loszuwerden, die gehen können, aber es gibt trotzdem nicht genug Betten und Menschen liegen auf den Gängen.

Nach Angaben der VertreterInnen der unabhängigen Gewerkschaften liegt die Zahl der Toten zwischen 50 und 70, eine genaue Anzahl soll morgen ermittelt werden. Ein Treffen für Alle, deren Angehörige getötet wurden oder verschwunden sind wird organisiert.

Präsident Nasarbajew hat bis zum 5. Januar den Notstand über die Stadt verhängt. Schangaösen ist vollkommen abgeriegelt. Aber in den Außenbezirken und Nachbardörfern hört man wenn es dunkel wird Schüsse und Granatenexplosionen. Die jungen ArbeiterInnen sind nicht bereit, ihren Widerstand aufzugeben. ZeugInnen versuchen diese „Spezialeinsätze“ mit ihren Handykameras zu filmen. In der Stadt sind die Lichter weiterhin aus, das Handynetz ist dauerhaft abgeschaltet, das Internet wird blockiert. Obwohl die Truppen das Stadtzentrum besetzt haben, läuft keine der Öl-Pumpstationen von „OzenMunaiGas“.

Das Dorf Schetpe in Flammen

Seit Stunden dauern die Kämpfe in Schetpe an, obwohl sie weitere fünf Busse mit Spezialeinheiten geschickt haben! Die EinwohnerInnen haben die Bahnschienen völlig zerstört, zwei Passagierzüge angehalten, die Bahnverbindung komplett unterbrochen und Waggons angezündet. Es gibt keine Verbindung mehr ins Dorf, auch nicht nach Dschetybai, wo es heute vormittag ebenfalls eine Schlacht gab. VertreterInnen der unabhängigen Gewerkschaft aus Aktau versuchen dorthin zu kommen um sich über die Situation zu informieren.

SympathisantInnen in der Armee und Polizei berichten, dass zusätzlich zu den sieben schon in Aktau angekommenen Flugzeugen mit Bereitschaftspolizei weitere drei unterwegs sind. Gerade wurde angekündigt, dass Belarus einige Spezialeinheiten schickt. Der Bereitschaftspolizei wurde volle Handlungsfreiheit gegeben, das bedeutet dass sie auf Alle schießen dürfen, wenn sie es für nötig halten, auch auf Schwangere und Kinder. Sie berichten auch, dass in einigen Wochen einige AktivistInnen, die das Regime in Almaty für besonders gefährlich hält als „Terroristen“ erschossen werden sollen.

Kasachstan: Brutaler und blutiger Angriff hat die streikenden ArbeiterInnen nicht besiegt.

von CWI-ReporterInnen, Russland und Kasachstan

Nach den gewalttätigen Angriffen gestern [16.12.] auf eine friedliche Demonstration zur Unterstützung streikender ÖlarbeiterInnen in Schanaösen, Westkasachstan haben die Behörden Schwierigkeiten, die Ausbreitung der Proteste zu verhindern.

Berichten von ArbeiteraktivistInnen zufolge haben 4000 Beschäftigte auf dem nahegelegenen Ölfeld Kalamkas die Arbeit niedergelegt und sind zur Zentrale ihres Unternehmens gezogen, um den Abzug des Militärs aus der Region zu fordern.

Auch aus anderen Städten kommen Berichte über geplante Proteste. In den Stadt Aktau, einem weiteren Zentrum des Streiks wurden 150 ÖlarbeiterInnen von der Polizei mit Hunden zusammengetrieben und „für präventive Gespräche“ verhaftet, später aber wieder freigelassen.

In der kasachischen Hauptstadt Almaty versuchte die Polizei heute morgen [17.12.] vier AktivistInnen der sozialistischen Bewegung Kasachstans festzunehmen, um eine geplante Protestkundgebung zu verhindern. Larissa Boyar, Dmitrii Tikhonov und Aiman Ozhaubayev wurden unter dem Vorwand verhaftet, man wolle sie wegen in diesem Jahr gegen sie gestellter Strafanzeigen befragen, Zhanna Baitelova konnte der Festnahme entgehen. Die drei festgenommenen wurden später am Tag wieder freigelassen.

Was ist gestern passiert?

Um die Verbreitung der Wahrheit über das Massaker gestern in Schanaösen zu verhindern, blockiert der Staat Websites, soziale Netzwerke und die Handynetze. Oppositionelle Websites, draunter www.socialismkz.info (CWI Kasachstan), www.respublikas.info (Zeitung „Respublika“) und guljan.org wurden gesperrt. Aber die Wahrheit wird unweigerlich bekannt werden.

Nach Berichten von Augenzeugen aus Aktau, der Hauptstadt der Region, sind Krankenwagen im Konvoi auf der einzigen Straße aus Schanaösen gekommen. Krankenhäuser in der Stadt sind mit Verletzten überfüllt.

Das Regime spricht von elf Toten, darunter keine Polizisten, aber versucht den ArbeiterInnen die Schuld zu geben. Es behauptet, dass sie versucht hätten ein Kinderfest anzugreifen (obwohl auf keinem Foto Kinder zu sehen sind) und den Weihnachtsbaum auf dem Platz angezündet. Die Ereignisse haben sich aber völlig anders abgespielt.

Um 11:00 hatten sich ArbeiterInnen, ihre Familien und andere EinwohnerInnen der Stadt auf dem zentralen Platz versammelt, um friedlich für Verhandlungen und die Freilassung der Anwältin der Streikenden, Natalia Sokolova, zu fordern. Während sie eine friedliche Demonstration vorbereiteten (in den acht Monaten des Streiks haben sie Gewalt immer abgelehnt), bereitete der Staat einen Konflikt vor. Polizei und Aufstandsbekämpfungstruppen wurden zusammengezogen. Plötzlich fuht ein Polizeiauto mit hoher Geschwindigkeit in die Menge. Das provozierte natürlich eine Reaktion der Protestierenden, die das Auto angriffen.

Auf diese Eindeutige Provokation gegen die ArbeiterInnen folgten wenig später Angriffe auf das Rathaus der Stadt und die Zentrale von „Ozenmunaigaz“. Die Gebäude wurden angezündet, entweder von wegen der Angriffe wütenden Protestierenden oder von Provokateuren, die sinnlose Randale vortäuschen wollten.

Um 12:45 war die Stadt im Aufruhr, weil die seit Tagen am Stadtrand zusammengezogenen Bereitschaftspolizei- und Militäreinheiten eingriffen und mit scharfer Munition in die Menge schossen. Als die ArbeiterInnen ihre GenossInnen fallen sahen, tot oder verwundet, wurde ihre Wut noch verstärkt.

Eine Frau berichtete im Interview mit dem Fernsehsender K+, wie Menschen auf die Polizei zuliefen, weil sie glaubten, sie hätte nur Gummigeschosse zur Einschüchterung in ihren Waffen. Die Polizei begann zu schießen und traf Menschen an Armen und Beinen, dann sah sie wie ein Mann am Kopf getroffen wurde. Sie beobachtete, dass drei Menschen sofort getötet wurden, drei weitere Verletzte starben auf dem Weg ins Krankenhaus. Sie sah, dass eine Mutter und ein kleines Menchen in den Kopf geschossen wurden. Es ist klar, dass die offizielle Version von 11 Toten deutlich untertrieben ist. Laut Berichten aus der Stadt sind die Krankenhäuser der Anzahl der Verletzten nicht gewachsen. Für Bluttransfusionen mussten Notfallzentren eingerichtet werden. Schätzungen zur Anzahl der Toten reichen von 50 bis zu 150.

Trotz der großen Brutalität und dem Einsatz von Tränengas und Blendgranaten durch die Bereitschaftspolizei konnten die ArbeiterInnen den Platz halten und versuchten, die Polizisten und Soldaten zu entwaffnen. Binnen kurzer Zeit hatten sie die Kontrolle über die Stadt übernommen, bis 1500 Marinesoldaten mit Panzerwagen eintrafen. Während die Truppen die Stadt zurückeroberten, wurde an allen Ölbohrungen in der Umgebung die Arbeit eingestellt und ein Streik verbreitete sich über die Region. Während der Nacht gab es noch vereinzelte Kämpfe.

Aktuelle Situation

Momentan [Samstag Abend] behaupten die Behörden, sie hätten die Situation unter Kontrolle. Die Straße nach Schanaösen wurde gesperrt und die Stadt ist von Truppen umgeben. Am Himmel kreisen Hubschrauber.

Nasarbajew hat den Ausnahmezustand über die Stadt verhängt, der mindestens bis zum 5. Januar andauern soll, mit einer täglichen Ausgangssperre von 20:00 bis 7:00. Die Stadt steht unter dem Kommando des Chefs der Behörde für Inneres (MIA) der Region Mangistau. Transportbewegungen werden begrenzt. Demonstrationen, öffentliche Versammlungen sind verboten und auch die Benutzung von Kopierern, Fernsehern, Radios, Video- und Tonausrüstung und Lautsprechern wurde untersagt.

Aber ReporterInnen von K+ TV berichten, dass es weiterhin spürbaren Widerstand gibt. Sie berichten von einer großen Gruppe aus Streikenden und Jugendlichen auf dem zentralen Platz in Schanaosen, die umringt von Bereitschaftspolizei weiße Fahnen halten, auf die sie „Frieden“ geschrieben haben . In Telefongesprächen aus Schanaosen, die in der letzten Stunde aufgezeichnet wurden hört man im Hintergrund eindeutig Schüsse (es ist jedoch nichts zu sehen, weil in der Stadt der Strom abgestellt ist).

Was kommt?

Die Ölproduktion in Kalamkas und Karazhanbas ist zum Erliegen gekommen und die ArbeiterInnen sind vom Busbahnhof zum zentralen Yntymak-Platz in Aktau gezogen, wo sich über 1000 Menschen versammelt haben, umgeben von 3000 Bereitschaftspolizisten. Auch im Betrieb „Severnii Buzachi“ soll die Produktion eingestellt worden sein. Im Ort Zhetybai haben sich Protestierende vor dem Büro des Bürgermeisters versammelt, während die EinwohnerInnen von Schepte die wichtigste Bahnverbindung in die Hauptstadt blockieren. Fünf Busse mit Bereitschaftspolizei sollen dorthin unterwegs sein. Auch von dort werden Schüsse gemeldet.

Laut anderen Berichten wurden weitere drei Flugzeuge mit Bereitschaftspolizisten nach Aktau geschickt, mit „voller Handlungsfreiheit“.

In den letzten acht Monaten wurden die Streikenden trotz ihres friedlichen und bemerkenswert disziplinierten Verhaltens mit Gewalt, Repression und jetzt mit dem Massaker konfrontiert. Berichten zufolge wurde die Stromversorgung der Stadt gekappt und alle sozialen Netzwerke und Handynetze bleiben blockiert. Alle Websites (International, Russland, Kasachstan) des CWI sind landesweit gesperrt.

Es ist noch zu früh, um das Endergebnis dieses Konfliktes vorherzusagen. Eins ist klar – Präsident Nasarbajews Pläne, am 16. Dezember den 20. Jahrestag der Unabhängigkeit zu feiern wurden verdorben. In Astana hat Nasarbajew eine lange und wenig überzeugende Rede über die Notwendigkeit von „freien, fairen und transparenten Wahlen, wie im April [als er sich mit massiver Manipulation wiederwählen ließ, AdÜ]“. Aber sogar GegnerInnen aus seinem eigenen Umfeld gibt die Situation zu denken.

Nasarbajews ehemaliger Schwiegersohn, der jetzt in Österreich im Exil lebt, hat ihn gewarnt: „Folgen Sie nicht dem tragischen Schicksal von Ceausescu und Gaddafi… so lange Sie an der Macht bleiben und für das Handeln der Polizei verantwortlich sind, stoppen sie den Massenmord an kasachischen Menschen. Heute haben Sie eine Linie überschritten, hinter der Sie nicht Präsident bleiben können: sie haben den Befehl gegeben, kasachische Menschen zu erschießen. Folgen Sie nicht Gaddafis Weg, hören Sie auf das Blut von Unschuldigen zu vergießen“.

Die viertägigen Feierlichkeiten zum Jahrestag der Unabhängigkeit gehen weiter. Ob sich die Proteste weiter entwickeln, wird erst am Ende des langen Wochenendes klar sein. Aber selbst wenn es dem Regime jetzt noch gelingt, die Situation unter Kontrolle zu bringen haben die Ereignisse ihm riesigen Schaden zugefügt.

Wie der „Blutsonntag“ 1905 in Russland und die Erschießung von Arbeitern am Fluss Lena 1912 ist dieses brutale Massaker ein Wendepunkt in der Entwicklung der Arbeiterklasse und ihres politischen Bewusstseins. Während das Regime seine Bereitschaft gezeigt hat, den Widerstand der ÖlarbeiterInnen kompromisslos im Blut zu ertränken, hat es auch seine wahre Natur als Regierung gezeigt, die nur die Interessen der Unternehmer und Oligarchen verteidigt.

Unabhängig vom Ergebnis der aktuellen Ereignisse ist die Notwendigkeit, eine einheitliche, unabhängige kämpfende Gewerkschaft und eine Arbeiterpartei zu schaffen deutlich geworden wie nie zuvor. Wir rufen zur Bildung gemeinsamer Aktionskommitees von ArbeiterInnen und AnwohnerInnen auf, die Straßenproteste und Aktionen organisieren und einen Generalstreik vorbereiten können, für folgende Forderungen und Ziele:

Schluss mit dem Massaker, Abzug der Truppen und der Bereitschaftspolizei aus der Region Mangystau!

Sofortige Untersuchung unter voller Kontrolle der ArbeiterInnen und AnwohnerInnen, um zu ermitteln wer den Befehl gegeben hat, auf die friedlichen Protestierenden zu schießen;

Umsetzung aller Forderungen der Streikenden;

Freiheit für alle politischen Gefangenen, darunter Natalia Sokolova;

Keine Provokationen, keine Spaltung der Bewegung entlang nationaler oder ethnischer Linien, Einheit der ArbeiterInnen aller Nationalitäten im gemeinsamen Kampf;

Sofortiger Rücktritt des Präsidenten und der Regierung;

Boykott der Parlamentswahlen, volle Rechte zur Bildung sozialer, politischer und gewerkschaftlicher Organisationen;

Verstaatlichung aller natürlichen Rohstoffe, großen Konzerne und Banken Kasachstans unter Kontrolle und Verwaltung demokratischer Arbeiterkomitees;

Schaffung einer Massenpartei der Arbeiterklasse;

Eine Konstitutierende Versammlung, die alle ArbeiterInnen und die Armen in der Gesellschaft vertritt, um neue demokratische Machtorgane zu schaffen.

Eine Arbeiterregierung mit einem sozialistischen Programm.