Der größte Streik in der Geschichte

Über 2 Millionen Beschäftigte streiken in Großbritannien


 

von Christian Bunke, Manchester

Ein historischer Tag für die britische Gewerkschaftsbewegung begann in Manchester am Mittwoch morgen mit: Stille. Dort, wo normalerweise ab 7 Uhr in der Frühe auf allen Straßen Dauerstau herrscht, machte sich gähnende Leere breit. Rund 30 Gewerkschaften hatten für den gesamten öffentlichen Sektor Großbritanniens zum Streik gegen eine von der Regierung geplante Rentenreform aufgerufen. Dieser zufolge sollen Beschäftigte länger arbeiten und mehr Geld in die Rentenfonds einzahlen, dafür am Ende des Berufslebens jedoch eine geringere Rente erhalten. Damit sollen die milliardenschweren Bankenrettungspakete finanziert werden.

Mit mehr als zwei Millionen Teilnehmern war es der größte Streik der britischen Geschichte. In Nordirland fuhren keine Busse und Bahnen. In Newcastle stand die S-Bahn still. Alle Krankenhäuser Großbritanniens wurden bestreikt. Dem Bildungsministe­rium zufolge blieben 18000 der 20000 Schulen geschlossen. Kein Müll wurde eingesammelt. Für die Grenzkontrollen mußte Militär bereitgestellt werden. Im Gesundheitssystem mußten 5500 medizinische Eingriffe und 12000 Untersuchungen verschoben werden. Zudem verzeichneten die Gewerkschaften in den vergangenen Tagen eine massive Eintrittswelle, insbesondere von Frauen. Diese sind von den Sparplänen am meisten betroffen.

Trotzdem kündigte der konservative Schatzkanzler George Osborne am Vorabend des Ausstands im Rahmen seines sogenannten Herbstberichtes einen noch massiveren Sozialabbau an. Im öffentlichen Dienst sollen die Löhne demnach für zwei Jahre eingefroren werden. Das Renteneintrittsalter soll noch mal auf 67 Jahre erhöht werden. Gleichzeitig drohte Osborne den Gewerkschaften wieder mit Einschränkungen im Streikrecht. Die Mehrheit der britischen Bevölkerung, laut BBC 61 Prozent, unterstützte den Streik, unter den 18- bis 24jährigen sind es sogar 80 Prozent. Probleme hat hingegen die oppositionelle Labour- Party. Parteichef Ed Miliband erklärte, er könne den Ausstand nicht unterstützen, weil Streiks immer ein Versagen von Verhandlungen bedeuten würden. Am Mittwoch selbst klang er etwas anders: »Ich werde die hart arbeitenden Menschen des öffentlichen Dienstes nicht für ihren Streik verdammen.«

Ab mittags war es mit der Stille im Land vorbei. Allein in Manchester beteiligten sich weit über 50000 Gewerkschafter, Erwerbslose und Jugendliche an einer lautstarken Streikdemonstration. Ähnliche Kundgebungen gab es in jeder größeren Stadt der Insel. Solidarität für den Ausstand gab es unter anderem in der Bauindustrie. Hier wird ab dem 7. Dezember landesweit das Bauunternehmen Balfour Beatty bestreikt. Die Arbeiter dort wehren sich gegen eine Gehaltskürzung um 35 Prozent. Langsam aber sicher scheint das Bündnis zwischen Beschäftigten im öffentlichen und privaten Sektor Wirklichkeit zu werden.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Tageszeitung junge welt am 1. Dezember