„Politik hat die Grundlagen für "Riots" geliefert“

Die Unruhen in Großbritannien sind Ausdruck der Wut junger Menschen. Gewerkschaften schweigen bisher dazu. Ein Gespräch mit Claire Laker Mansfield


 

Was sind die Gründe für die Ausschreitungen in Großbritannien?

Die Riots dieser Woche in London und anderswo zeigen die große Wut, die sich schon seit langem bei jungen Menschen aufstaut. Das ist auch kein Wunder, wenn einer von fünf keinen Job hat. In vielen der Stadtteile, in denen es derzeit Ausschreitungen gibt, ist dieser Anteil noch viel höher. In Harringey, dem Londoner Stadtteil, in dem alles begann, kommen 54 Bewerber auf einen Job. Die Kürzungen der Regierung verschärfen die Lage noch. Dazu kommt rassistische Diskriminierung durch die Polizei.

Wie beurteilen Sie, dass große Teile der Bevölkerung nach mehr Polizei, Wasserwerfern oder sogar einem Armeeeinsatz rufen?

Es ist verständlich, dass viele Menschen derzeit Angst haben. In einigen Gegenden wurden Wohnungen und öffentliche Einrichtungen zerstört. Wir fordern, dass die Regierung für die Schäden aufkommen muss. Der Ruf nach der Polizei ist nicht überraschend. Doch gleichzeitig ist die Polizei eine der Ursachen für die Unruhen. Deren dauernde Personenkontrollen, die ständige Belästigung von Jugendlichen hat die Wut mit aufgebaut, die jetzt zu dieser Explosion geführt hat. Eine Aufstockung der Sicherheitskräfte wird nicht zu einer Verbesserung der Lage beitragen. Wir brauchen einen gemeinsamen Kampf von Jugendlichen und Werktätigen gegen alle Kürzungen und für Jobs, bezahlbaren Wohnraum und öffentliche Dienstleistungen. Ein stärkerer Repressionsapparat könnte zudem später auch immer gegen streikende Beschäftigte und soziale Bewegungen eingesetzt werden.

Was macht die »Youth Fight for Jobs« Kampagne und was sind ihre Forderungen?

Wir haben uns 2008 zu Beginn der Wirtschaftskrise gegründet, um gegen Jugenderwerbslosigkeit und mangelnde Chancen für junge Leute zu kämpfen. Wir verlangen die sofortige Wiedereröffnung aller geschlossenen Jugendeinrichtungen und das Recht auf freie Bildung. Wir organisieren für kommenden Mittwoch eine gemeinsame Demonstration mit der Day-Mer-Jugend, einer türkisch/kurdischen Jugendorganisation im Londoner Stadtteil Tottenham.

In vielen Bezirken mit hohem türkischstämmigen Bevölkerungsanteil wurden Verteidigungskomitees aufgestellt, um Plünderungen zu verhindern. Befürchten Sie eine Spaltung der Communities?

Es ist verständlich, dass sich die Anwohner organisieren, um sich zu verteidigen. Wir rufen dazu auf, gemeinsame Komitees zu gründen, die über ethnische und religiöse Grenzen hinausgehen.

Die Medien berichten viel über »spontane« Aufräumarbeiten durch die Bevölkerung. Wie seht Ihr diese Entwicklung?

Wir unterstützen Communities, die sich selbst organisieren. Allerdings ist es zynisch, wie einige Politiker versuchen, sich mit derartigen Forderungen zu profilieren. Sie wollen davon ablenken, dass ihre eigene Politik die Grundlagen für den Riot geliefert hat!

Die Ausschreitungen zeigen die wachsende soziale Schieflage in Großbritannien. Die meisten Gewerkschaftsführer waren in den vergangenen Tagen sehr leise. Warum?

Das stimmt zum großen Teil. Es gibt aber auch einige Ausnahmen. Die PCS, die Gewerkschaft der Staatsangestellten, hat ein Statement veröffentlicht. Darin wird detailliert über die tiefe Ungleichheit, die Kürzungen und andere Regierungsmaßnahmen berichtet, die zu der jetzigen Situation geführt haben. Es ist allerdings widerlich, dass der Generalsekretär des britischen Gewerkschaftsbundes TUC sich bis heute nicht zu den Unruhen geäußert hat.

Wie kamen Ihre Forderungen bislang an?

Wir werden in den nächsten Tagen in die Communities gehen und dort Flugblätter verteilen. Gleich nach den Riots waren wir in Tottenham. Auch wenn es da viel Wut über die angerichteten Zerstörungen gibt, sieht die überwiegende Mehrheit die Gründe für die Unruhen in der Regierungspolitik und der brutalen Einstellung der Polizei gegen junge Menschen im allgemeinen.

Claire Laker Mansfield arbeitet für die Jugendkampagne „Youth Fight for Jobs“. Das Interview führte Christian Bunke. Es erschien zuerst in der Tageszeitung junge Welt.