Kasachstan: Sozialistischer Europaabgeordneter trifft sich mit AktivistInnen der Opposition

Das brutale Nasarbajew-Regime sitzt auf einer tickenden sozialen Zeitbombe


 

Riesige Plakatwände mit Kasachstans Präsident Nasarbajew stehen auf dem Weg zwischen der neu gebauten Hauptstadt Astana und dem Bergbaugebiet Karaganda, 200 Kilometer südlich von Astana. Sie zeigen den Präsidenten umgeben von glücklich aussehenden Menschen. Die Plakate gaukeln einen äußerst populären "Führer der Nation" vor. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein.

von Tanja Niemeier, Mitglied der Besuchsdelegation von Joe Higgins in Kasachstan

Im Juni 2010 wurde ein Gesetz verabschiedet, das Nasarbajew als "Präsidenten auf Lebenszeit" inthronisiert. Dasselbe Gesetz verbietet jede Kritik am Präsidenten und den Mitgliedern seiner Familie. Es wurde verabschiedet, während Kasachstan den Vorsitz der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) inne hat, einer internationalen Organisation mit dem Anspruch, die demokratischen Rechte zu verteidigen und zu überwachen. Laut OSZE-Quellen hat jedoch keiner der 56 Mitgliedstaaten irgendeine offizielle Kritik an diesem Gesetz geübt.

Nasarbajew hat Kasachstan in den letzten zwanzig Jahren regiert, mit Wahlergebnissen von 91 Prozent in stalinistischem Stil. Nasarbajew "s Partei ist die einzige Partei im Parlament. Diese Wahlergebnisse wurden nicht nur von der Opposition in Frage gestellt, sondern auch von internationalen Organisationen zur Überwachung von Wahlen. Die Opposition muß also unter äußerst schwierigen Bedingungen arbeiten.

Als Teil einer Delegation der Vereinten Europäischen Linken (GUE / NGL), besuchten Joe Higgins, MdEP der irischen Sozialistischen Partei und ich Kasachstan, um Aktivisten der unabhängigen Gewerkschaft, MenschenrechtlerInnen, JournalistInnen, ehemalige Strafgefangene, politische AktivistInnen und Menschen aus den sozialen Bewegungen zu treffen.

Vadim Kuramschin, ein angesehener Anwalt und Menschenrechtsaktivist, wurde zwei Tage vor unserem ersten Treffen in Karaganda verhaftet, bei dem er uns Informationen über die erniedrigenden Haftbedingungen in den Gefängnissen Kasachstans übergeben wollte. Erst im August fügten sich in der Region Karaganda viele Häftlinge selbst Verletzungen der Handgelenke und Mägen zu, um so gegen die barbarischen Zustände in den Gefängnissen zu protestieren.

Die Gefängnisse sind überfüllt. Man kann für drei Jahre im Gefängnis landen, wenn man beschuldigt wird, ein Mobiltelefon gestohlen zu haben. Vadim Kursamshin wurde verhaftet, weil die Behörden offensichtlich Angst davor hatten, dass die Wahrheit überall auf der Welt bekannt wird.

"Ich weiß, dass sich mein Leben von nun an ändern wird. Ich weiß, dass ich durch die Behörden verfolgt und bedroht werde, aber ich fürchte mich nicht mehr. Ich will Gerechtigkeit für alle diejenigen, die noch im Gefängnis sind und für die Familien, die sich Sorgen um ihre Angehörigen machen", sagt Aleksander, ein junger Ex-Häftling aus Shimkent. Er ist Tausende von Kilometern gereist ist, um mit uns zu reden und die Mauer des Schweigens zu durchbrechen.

Es ist das erste Mal, dass Aleksander öffentlich über das spricht, was ihm und vielen anderen Gefangenen widerfahren ist, die gedemütigt und gebrochen wurden in einigen der brutalsten Gefängnisse Kasachstans. Vergewaltigungversuche und ständige Schläge, wenn man sich weigert, die Spucke der Beamten vom Boden zu lecken sind nur zwei Beispiele für das, was Aleksander, andere Ex-Häftlinge und ihr Verwandten berichtet haben.

"Weitere dreißig Ex-Gefangene wollten kommen und sich mit Ihnen treffen", sagt Dauriya, eine junge Frau, die in den Gefängnissen für Gerechtigkeit kämpft. Aber viele von ihnen erhielten telefonische Warnungen vor den schrecklichen "Dingen", die ihnen oder ihre Familien geschehen würden, wenn sie sich mit Joe Higgins treffen.

"Wenn diese Regierung der Bevölkerung nicht einmal grundlegende demokratische und Arbeitnehmerrechte respektiert, dann ist es nicht verwunderlich, dass sie Gefangene so entwürdigend behandelt", berichtet ein Aktivist von "Kasachstan 2012", einer politischen Bewegung, die die Proteste und sozialen Bewegungen im ganzen Land zu bündeln versucht.

Der Aufbau von unabhängigen Gewerkschaften

Eine der wichtigsten Aufgaben für „Kasachstan 2012“ ist die Bildung unabhängiger Gewerkschaften, welche die Interessen der Arbeiterklasse und der armen Menschen im Land wirksam verteidigen können. Die meisten offiziellen Gewerkschaften sind Reste der alten stalinistischen Staatsgewerkschaften und füllen die Taschen der Regierung, andere betriebliche Gewerkschaften werden vom Management kontrolliert.

Die Familien der Bergleute, Wissenschaftler, medizinisches Personal, Ölarbeiter, Eisenbahner – von denen einige 44 Stunden im Zug verbracht hatten, um uns zu treffen – sprachen über den Mangel an Gesundheits-und Sicherheitsvorschriften. Dies hatte Explosionen in den Minen zur Folge, bei denen viele Arbeiter verletzt oder getötet wurden.

Die wissenschaftlichen Mitarbeiter und Akademiker, welchedie riesigen, zum größten Teil an ausländische Multis übergebenen Öl-und Gasreserven erschlossen haben, verdienen 300 US-Dollar pro Monat plus 100 Dollar an Boni, während wissenschaftliche Anwärter nur 200 US-Dollar pro Monat erhalten.

Trotz der repressiven Charakters des Regimes in Kasachstan haben wir engagierte KämpferInnen getroffen, die sich für Veränderungen engagieren und entschlossen sind, sich den Behörden nicht zu beugen. "Wenn nötig, werden wir Barrikaden bauen, um unsere Häuser gegen die Bulldozer zu verteidigen ", sagt einer der Bewohner des Elendsviertels Bakai am Stadtrand von Almaty, der auch Dozent für Geschichte ist.

Viele Menschen gehen davon aus, dass das Regime die natürlichen Reichtümer des Landes den großen multinationalen Unternehmen ausgeliefert hat, während die Bevölkerung unter katastrophalen wirtschaftlichen Verhältnissen leben muß.

Es scheint, dass es nur eines Funkens bedarf, um eine große Bewegung im ganzen Land auszulösen. "Wir müssen kämpfen, bis wir in unserem Land wieder selbst das Sagen haben", meinte ein anderer Aktivist von „Kasachstan 2012“, als er sich bei Joe Higgins für seinen Besuch und das Zuhören bedankte.