Hunderttausende am Istanbuler Taksimplatz

Türkische und kurdische Jugendliche und Arbeiter setzten ein starkes Lebenszeichen


 

Nach Jahren des Verbots feierten am 1. Mai 2010 hunderttausende Menschen einen lebendigen kämpferischen ersten Mai. Seit 2009 ist der 1.Mai ein offizieller Feiertag in der Türkei. Doch das Betreten des historischen Taksimplatzes war – bis heute – immer verboten. Letztes Jahr kam es zu Attacken durch die Polizei als Arbeiter und linke Gruppen zum Taksimplatz ziehen wollten. 1977 – am Höhepunkt der revolutionären ArbeiterInnenbewegung in der Türkei versammelten sich am 1. Mai eine halbe Million Menschen am Taksimplatz. Gleich zu Beginn der Kundgebung schossen Scharfschützen in die Menge. Über 30 Leute starben. Die Polizei verschärfte die Tragödie in dem sie die Menge immer wieder auf den Platz zurück trieb. Wer schoss – ob Geheimpolizisten oder Anhänger der faschistischen Grauen Wölfe – ist bis heute ungeklärt. 1980 putsche dann das türkische Militär. Und erstickte die türkische Revolution mit Gewalt. Auch später starben immer wieder Menschen durch Polizeischüsse als sie versuchten am 1.5. auf den Taksimplatz zu kommen.

In diesem Jahr versprach die türkische Regierung einen friedlichen 1. Mai am Taksimplatz. Ein Versprechen, dass auch die Angst vor einer wieder erstarkten Arbeiterbewegung ausdrückt. Von 3 Aufmarschplätzen wurde zum Takismplatz marschiert. Kurz vor dem Platz gab es eine Polizeisperre mit Personenkontrolle und Taschendurchsuchung wie man sie sonst von Fussballspielen kennt. Der wichtigste Aufmarsch wurde von den linken Gewerkschaften DISK (dem "Revolutionären" Gewerkschaftsverband) und der Gewerkschaft KESK organisiert.

An ihm beteiligten sich alle linken Gruppen. Die anderen Märsche bildeten der staatsnahe Gewerkschaftsverband Türk-Is und die konservativ religiöse Hak-Is Gewerkschaft.

Der linke Aufmarsch war ein Meer von roten Fahnen, Liedern, Tänzen, überdimensionalen Transparenten und lauten kämpferischen Parolen.

Über die Teilnehmerzahlen gehen die Meinungen auseinander. Der Gouverneur von Istanbul spricht von 150.000 Teilnehmern, die kurdische Zeitung “Gündem” spricht von 500.000. Genaue Schätzungen sind auf Grund der immensen Größe des Taksimplatzes schwer. Mit Sicherheit waren alleine am linken Aufmarsch über 100.000 beteiligt. Auffallend waren die vielen jungen Demonstranten und der starke kurdische Block mit über 10.000 Teilnehmern.

Tekel-Arbeiter vertrieben Gewerkschaftsvorsitzenden von der Bühne

Starker Auftritt der Tekel-Arbeiter: als der Vorsitzende des größten Gewerkschaftsverbands Türk-Is Mustafa Kumlu seine Rede halten wollte, stürmte eine Delegation von Tekel-Arbeitern die Bühne. Die Tekel-Arbeiter sind in der Lebensmittelarbeitergewerkschaft Tek-Gida Is organisiert, die wiederum zum Gewerkschaftsdachverband Türk-Is gehört. Bei vielen Tekel-Arbeitern ist Kumlu wegen der verräterischen Rolle der Türk-Is extrem verhasst. Zu Recht fühlen sich die Tekel-Arbeiter von “ihrem” Gewerkschaftsverband verraten. So wurde Kumlu ausgepfiffen und musste während des Tumults von der Bühne flüchten.

In späteren Reden wurde die Rolle der Gewerkschaftsbürokratie stark kritisiert. Eine Strategie wie (etwa mit gemeinsam einheitlichen Aktions- und Streiktagen) der Tekel-Kampf gewonnen werden kann, wurde aber nicht präsentiert. Was eine generelle Schwäche der türkischen Linken ausdrückt.

Insgesamt war der 1. Mai extrem positiv: Seit 1977 das erste Mal ohne Polizeiangriffe und Hunderttausende fröhliche aber auch sehr kämpferisch eingestellte Menschen feierten.

Ein starkes Lebenszeichen. Der Wiederaufbauprozess der türkischen Arbeiterbewegung ist in einer spannenden und dynamischen Phase. Zur Zeit ist die türkische Linke in unzählige (meist stalinistische) Gruppen aufgesplittert. Der Tekel-Streik hat das Bewusstsein gestärkt, viele politisiert und zur Aktivität motiviert. Tausende – vor allem junge Leute – sind bereit am Wiederaufbau der türkischen Arbeiterbewegung mit zu arbeiten. Wie schnell daraus eine sozialistische, linke Massenpartei der türkischen Arbeiterklasse wird, hängt nicht zuletzt auch davon ab, wie sehr es marxistischen Kräften gelingt stärker zu werden, und eine offensive Strategie zu entwickeln. Der Sieg um den Taksimplatz ist ein wichtiges Symbol und ermutigt Hunderttausende Arbeiter und Jugendlichen in der ganzen Türkei. Mit dieser Ermutigung im Rücken könnte der Kampf gegen die Auswirkungen der Wirtschaftskrise massiv verstärkt werden. Die Kämpfe in Griechenland könnten dafür ein großes Vorbild sein.