Staat und Repression

Warum Überwachung für den Kapitalismus in der Krise unerlässlich wird


 

20 Jahre nach dem Fall der Mauer feiern die bürgerlichen Politiker den Sieg der „Freiheit“ – und verschweigen dabei, dass ihr Staat in den letzten Jahren massiv aufgerüstet hat. Auch in diesem System, dem Kapitalismus, steht jeder Mensch unter Generalverdacht. Es werden Unmengen an Daten über uns gesammelt, wir werden gefilmt und belauscht. Meist ohne dass eine konkrete Beschuldigung vorliegt. Eben vorbeugend. Um Proteste klein zu halten, rüstet der Staat weiter auf und will hierbei auch die Bundeswehr noch stärker miteinbeziehen.

von Sebastian Foerster

Im Zeichen der Weltwirtschaftskrise wurden von den Regierenden etliche Gesetzesänderungen vorgenommen, hin zum Ausbau des Überwachungsstaates. Ein Beispiel ist das neue BKA-Gesetz, das unter anderem heimliche Filmaufnahmen in Wohnungen vorsieht. Neu ist auch die enge Kooperation von Geheimdienst und Polizei im gemeinsamen „Terror-Abwehrzentrum“ in Berlin, die Bundes-Abhörzentrale in Köln und der obligatorische Fingerabdruck im Reisepass.

Vorratsdatenspeicherung und Schülerdatei

Einer der größeren Angriffe der letzten Zeit ist die so genannte „Vorratsdatenspeicherung“. Seit 1. Januar 2008 archivieren Polizei und Justiz jegliche Telefon-, E-Mail- und Internetdaten für einen Zeitraum von sechs Monaten. Mit Hilfe dieser Daten ist es möglich, Bewegungsprofile zu erstellen und das soziale Umfeld jeder beliebigen Person auszuspionieren.

In Hamburg werden Informationen, zum Beispiel über den besuchten Unterricht oder den Migrationshintergrund, in „Schülerdateien“ gesammelt. Diese wurden bereits genutzt, um „illegal“ in Deutschland lebende MigrantInnen aufzuspüren und abzuschieben.

Online-Durchsuchungen und Internetzensur

Unter der Großen Koalition wurde eine Spionagesoftware entwickelt, die als Ersatz für Hausdurchsuchungen Computer von Privatpersonen ausspäht. Bundes- und Landeskriminalämter, Geheimdienst und Verfassungsschutz können diese auch als „Bundestrojaner“ bezeichnete Software benutzen, um heimlich Online-Durchsuchungen durchzuführen.

Auch wenn das Internet schon vorher kein Raum uneingeschränkter Freiheit war, so markiert der April 2009 eine Zäsur. Seitdem können unerwünschte Websites, deren Inhalte das Bundeskriminalamt (BKA) als „strafbar“ deklariert, gesperrt werden. Angeblich um gegen Kinderpornografie vorzugehen, wurde vom BKA eine undurchsichtige Sperrliste angelegt. Mit der Sperre kann Kinderpornografie jedoch keineswegs bekämpft werden. Stattdessen wurde ein weiteres Instrument geschaffen, in Zukunft willkürlich Seiten zu sperren. Bereits in den Neunzigern wurden Seiten von Linken gesperrt, die die verbotene Website „radikal“ verlinkt hatten. Solche Maßnahmen haben in Zukunft eine gesetzliche Grundlage.

Die neue Bundesregierung kündigte nun an, die Internetsperren zwar zu suspendieren – allerdings nur für zwölf Monate. Mehr noch: In dieser Zeit hat das BKA die Erlaubnis, Websites gleich ganz zu löschen.

Überwachung durch Unternehmen

Nicht nur staatliche Behörden bauen die Überwachung aus. Auch für die Banken, Versicherungen und Konzerne sind jegliche Informationen über unser Leben kostbar. Laut Verbraucherministerium suchen bereits 28 Prozent der Unternehmen bei der Bewerberauswahl im Internet nach Informationen der BewerberInnen. Datenkraken wie Google protokollieren jede Suche des Benutzers, frei nach dem Motto: „Sag mir, was du suchst, und ich sag dir, wer du bist.“ Das Ausmaß der Datenbanken aller Institutionen über Privatpersonen ist nicht mehr erfassbar.

Wo die Datensammlung hinführen kann, zeigen die Beispiele Telekom und Deutsche Bahn. Hier wurden Beschäftigte systematisch ausspioniert, vor allem auch um die Position von GewerkschafterInnen zu schwächen. So musste der DB-Konzern im Frühjahr 2009 einräumen, während des Streiks der GDL E-Mails mit Streikaufrufen der Gewerkschaft blockiert zu haben.

Immer wieder kochen Skandale betrieblicher Überwachung hoch wie bei Schlecker, wo Detektive angeheuert werden, um Beschäftigte stundenlang durch Löcher in der Wand zu beobachten. Oder bei Lidl, wo die VerkäuferInnen ununterbrochener Kameraüberwachung ausgesetzt sind. Solche Methoden dienen auch dazu, die KollegInnen einzuschüchtern und die Gründung von Betriebsräten zu unterbinden.

Versammlungsgesetz

Die Landesregierungen in Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen versuchen schon seit Längerem, das Versammlungsgesetz zu verschärfen. Durch eine Vielzahl zusätzlicher bürokratischer Schikane-Paragrafen soll es erschwert werden, Demonstrationen anzumelden. Ziel ist auch, alle stattfindenden Versammlungen möglichst lückenlos zu kontrollieren. Selbst bei Treffen in geschlossenen Räumen soll der Polizei Zutritt gewährt werden müssen.

Leider nutzt die Führung der Gewerkschaften ihre Möglichkeiten in keiner Weise, dagegen massenhaft zu mobilisieren. In Bayern beschränkte sie sich weitgehend darauf, eine Verfassungsbeschwerde einzulegen.

Bundeswehreinsatz im Inneren

Mit der neu entwickelten Zivil-Militärischen Zusammenarbeit (ZMZ) bereitet sich die Bundeswehr seit 2007 auf den Einsatz im Inneren vor. 441 ZMZ-Kommandos sind bisher in sämtlichen Kreisen und Regierungsbezirken eingerichtet worden und arbeiten dort mit der örtlichen Polizei und Feuerwehr zusammen. Begründet wurde das damit, den Katastrophenschutz verbessern zu wollen. Allerdings ergab eine Anfrage der Bundestagsfraktion der LINKEN vom 28. August, dass es durchaus möglich ist, die ZMZ-Kommandos gegen Demonstrationen einzusetzen. So unterstützten Bundeswehrverbände die Polizei bereits gegen die G8-Proteste 2007 und bei den Demonstrationen gegen den NATO-Gipfel im Frühjahr 2009. Selbst Militäreinsätze anlässlich von zukünftigen Streiks im Transport-, Energie- oder Gesundheitswesen und bei der Müllabfuhr werden nicht ausgeschlossen. Als wenn das schon nicht schlimm genug wäre, werden derzeit noch viel weitgehendere Gesetzesvorstoße in Politiker- und Militärkreisen entwickelt.

Ende der Fahnenstange?

Begründet werden die Gesetzesverschärfungen nicht zuletzt mit dem „Kampf gegen den Terrorismus“. Dabei wird der „Terrorismus“ durch die Kriegsbeteiligung in Afghanistan nicht geschwächt, sondern gefördert.

Natürlich existiert bei vielen Menschen ein Bedürfnis nach Sicherheit. Das muss ernst genommen werden. Hier gilt es, aufzuzeigen, warum die Überwachungsmaßnahmen keineswegs vor Anschlägen oder Kriminalität schützen. Im Gegenteil, Verrohung und Gewalt nehmen weiter zu – obwohl ein Gesetz nach dem anderen verschärft wird.

Nötig ist es zu erklären, dass andere Gründe entscheidend dafür sind, warum Überwachung und Repression heute ausgebaut werden. Sicher ist, dass die arbeitende Bevölkerung die Kosten der Krise tragen soll. Gegen Entlassungen und Sozialkürzungen wird sich massiver Widerstand regen. Das ist der Hauptgrund, warum wichtige Teile der Herrschenden jetzt verstärkt auf staatliche Aufrüstung setzen.

Widerstand soll geschwächt, Linke kriminalisiert werden. Vor dem G8-Gipfel wurden Razzien gegen Linke durchgeführt, die mit dem Paragrafen 129 begründet wurden. Der 1976 eingeführte Abschnitt A stellt die „Bildung terroristischer Vereinigungen“ unter Strafe. Der vor 1976 bestehende Paragraf 129 zu „kriminellen Vereinigungen“ war auch schon genutzt worden, um gegen KommunistInnen vorzugehen.

Noch unter Schäuble wurde ein neuer „Wunschzettel“ aus dem Bundesinnenministerium veröffentlicht. Der Geheimdienst solle zum Beispiel ohne Kontrolle durch das Parlament arbeiten und der Verfassungsschutz mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet werden.

Während der Koalitionsverhandlungen mit der FDP erklärten Unions-Vertreter zufrieden, „es habe keine nennenswerten Einschränkungen bei der Inneren Sicherheit gegeben“ (FAZ vom 17. Oktober). So bleiben Online-Durchsuchungen und BKA-Gesetz bestehen, die Vorratsdatenspeicherung kann in bestimmten Fällen weiter genutzt werden. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts will man weitersehen.

Repression, Krise und Gegenwehr

Es ist kein Zufall, dass die Bürgerlichen gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten die Repression verschärfen. Bereits 1966/67 wurde mit der ersten Rezession in der Geschichte der Bundesrepublik von den Regierenden der Abbau demokratischer Grundrechte in Angriff genommen. Mit den Notstandsgesetzen von 1968 rüsteten sich die Herrschenden gegen die entstehenden Bewegungen von Jugendlichen und ArbeiterInnen. Diese ermöglichen es dem Staat bis heute, in einer Krisensituation zum Beispiel das Recht auf Bewegungsfreiheit aufzuheben.

1972 wurde mit dem Erstarken der Linken der so genannte „Radikalenerlass“ durchgesetzt, mit der Begründung, dass die RAF damit zu besiegen sei. Durch ihn wurden viele Linke, die im Öffentlichen Dienst beschäftigt waren, auf die Straße gesetzt, weil sie nicht „jederzeit für die freiheitliche und demokratische Grundordnung eintreten“ würden. Eine ganze Generation von linken AktivistInnen sollte damit eingeschüchtert werden. In den Achtzigern wurde dieses „Berufsverbot“ in den einzelnen Bundesländern zwar abgeschafft. Oft wurden dafür jedoch Nachfolgeregelungen beschlossen.

Als 1984 der wochenlange Streik um die 35-Stunden-Woche tobte, schleuste die Polizei Streikbrecher in die Betriebe. Der Bundesgrenzschutz probte damals in Mänovern die Niederschlagung von Arbeitskämpfen.

Orwellsche Verhältnisse?

Kritiker staatlicher Repression argumentieren, dass wir uns einem totalitären Überwachungsstaat nähern, wie ihn George Orwell in seinem Buch „1984“ beschrieb. Zwar leben wir heute nicht in einer wie in „1984“ konstruierten Diktatur. Nichtsdestotrotz lässt sich dem Vergleich zu George Orwells Buch etwas abgewinnen. In Orwells Geschichte versucht der Herrscher von Ozeanien, genannt „Big Brother“, die Masse der Bevölkerung mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu kontrollieren, um Ausbeutung und Unterdrückung zu festigen. Dies rechtfertigt der Tyrann, indem er die Bedeutung sämtlicher Worte umkehrt. Tag und Nacht wird propagiert: „Krieg ist Frieden! Freiheit ist Sklaverei! Ignoranz ist Stärke!“.

Man erinnere sich, wie die Regierenden in den letzten Jahren versucht haben, uns den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr schmackhaft zu machen, den sogenannten „Krieg für den Frieden“. Oder wie die staatliche Repression im Namen der „Freiheit“ und „Sicherheit“ massiv ausgebaut wird.

George Orwell wollte mit seiner Dystopie (Anti-Utopie) einer zukünftigen Gesellschaft nicht nur warnen. Orwell unterstützte sozialistische und trotzkistische Ideen. Ein Aufstand der „Proles“ (des Proletariats, der Arbeiterklasse) gegen den Staat wäre der Ausweg aus dem Regime Ozeaniens gewesen.

Widerstand

Die Piratenpartei hat in den letzten Monaten eine Vielzahl von Protesten gegen Repression auf die Beine gestellt. Sie hatte vor der Bundestagswahl aber auch verlautbaren lassen, dass sie sich auch mit CDU, FDP, SPD oder Grünen eine Koalition vorstellen könnte, wenn diese die Internet-Zensur ablehnen sollten. Diese Position wirft ein Licht darauf, dass die „Piraten“ nicht hinterfragen, weshalb gerade heute staatlich aufgerüstet wird. Sie verkennen, dass es um den Schutz des privaten Eigentums an Banken und Konzernen geht. Und folglich in den Gegnern, nicht in den Verteidigern des Profitstrebens, Verbündete gesehen werden müssen. Genau darum gilt es, Beschäftigte und Erwerbslose für den Widerstand zu gewinnen. Darum muss in Gewerkschaften, Linkspartei und sozialen Bewegungen für Aktivitäten gegen Repression eingetreten werden.

Argumentiert werden sollte für gemeinsame Proteste. Aktive von Jugend- oder sozialen Bewegungen könnten Beschäftigte beim Widerstand gegen Überwachung in Betrieben und gegen Einschränkungen des Streikrechts unterstützen. Ebenso könnten ArbeiterInnen und Angestellte zu Demonstrationen gegen die Kriminalisierung linker AktivistInnen gewonnen werden.

Darüber hinaus ist es nötig, den Zusammenhang zwischen staatlicher Aufrüstung, ökonomischer Krise und Sozialabbau aufzuzeigen.

Dieses Gesellschaftssystem beruht darauf, dass eine kleine Minderheit sich den von der großen Mehrheit geschaffenen Reichtum aneignet und diesen Zustand mit Hilfe von Regierungsorganen, Beamtenapparat, Polizei und Justiz aufrechterhält. Um dieses System zu überwinden, sollten wir die „Verhältnisse umwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ (Karl Marx).

Forderungen der SAV

• Nein zu Vorratsdatenspeicherung, Online-Durchsuchung, Internet-Zensur, BKA-Gesetz und Abbau demokratischer Rechte

• Abschaffung des Gesinnungsparagrafen 129

• Gegen jegliche Restriktionen beim Versammlungs- und Streikrecht

• Schluss mit der Bespitzelung von Beschäftigten. Für die Einrichtung demokratisch gewählter Gremien aus Belegschaften und arbeitender Bevölkerung, um sich dagegen wehren zu können

• Besatzungstruppen raus aus Irak und Afghanistan. Keine Auslandseinsätze der Bundeswehr

• Gegen Bundeswehreinsätze im Inneren

• Sofortiger Abschiebestopp. Bekämpfung der Fluchtursachen statt der Flüchtlinge

• Abschaffung aller Geheimdienste (Bundesnachrichtendienst und andere)

• Gemeinsamer Kampf von Beschäftigten, Erwerbslosen und Jugendlichen gegen Repression, Diskriminierung, Arbeitsplatz- und Sozialabbau

• Verwaltung von Schulen und Hochschulen durch demokratische gewählte Komitees von Lernenden, Lehrenden und GewerkschaftsvertreterInnen

• Überführung der Banken und Konzerne in Gemeineigentum unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung

• Statt überbezahlter Manager und korrupter Bürokraten: durchschnittlicher Tariflohn und jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit für alle Personen in Leitungsfunktionen in Wirtschaft, Verwaltung und Staat