“Nach Jahren von Verzicht haben die KollegInnen ihre Stimme erhoben“

Interview mit Krischan Friesecke zum Streik der GebäudereinigerInnen


 

Der Streik der GebäudereinigerInnen endete am 29.10. nach acht Tagen Streik mit einem Ergebnis von insgesamt 6,3 Prozent im Osten und 4,9 Prozent im Westen bei einer Laufzeit von zwei Jahren.

Damit steigen die Bruttolöhne im Osten um 42 Cent und im Westen um 40 Cent pro Stunde. Die zuständige Gewerkschaft IG BAU hatte 8,7 Prozent mehr Lohn auf eine einjährige Laufzeit bezogen gefordert.

Lucy Redler sprach mit Krischan Friesecke, erwerbsloser Gebäudereiniger und SAV-Mitglied in Berlin, über den Streik in einer Branche mit niedrigem Organisationsgrad und kaum Streikerfahrung.

Sozialismus.info: Krischan, du warst ja als erwerbsloser Gebäudereiniger von morgens bis abends beim Streik dabei und wurdest in die Streikleitung Berlin kooptiert. Die KollegInnen und die IG BAU haben bei diesem Streik Pionierbarbeit geleistet. Auch wenn möglicherweise mehr drin gewesen wäre, war der Streik ein wichtiger Erfolg: sowohl materiell als auch in der Organisierung von KollegInnen in einer Branche, in der es wenig Kampferfahrung gibt. Das hat ja auch Symbolcharakter für andere niedrig entlohnte Branchen.

Wie habt ihr KollegInnen in einer Branche mit sehr niedrigem Organisationsgrad für den Streik mobilisiert?

Krischan Friesecke: Begonnen wurde mit der Vorbereitung zum Teil schon Monate vor dem Streik. Zum Beispiel an der Technischen Universität Berlin: Hier hatte ein Kollege der IG BAU bereits drei Monate vor dem Streik angefangen, die KollegInnenen darauf anzusprechen, dass die Arbeitgeber seit langem kein Angebot gemacht haben.

Anfangs war es problematisch, mit den KollegInnen in Kontakt zu kommen. Es gab zum Beispiel Kommunikationsbarrieren, weil KollegInnen mit Migrationshintergrund kein deutsch sprechen. Das konnte schnell überwunden werden durch die Hilfe von türkischen Streikunterstützern von DIDF und anderen, die übersetzt haben. Es war oftmals eine ganz schöne „Wühlarbeit“ auf betrieblicher Ebene. Erstmal ging es ja auch darum, heraus zu bekommen, wo überhaupt viele GebäudereinigerInnen arbeiten.

Kollegen von der IG BAU sind oftmals auch einfach um 3 Uhr nachts mit dem Auto durch Berlin gefahren und haben Ausschau gehalten, wo KollegInnen in aller Frühe einen Betrieb betreten und sie dann angesprochen. Meistens waren das dann GebäudereinigerInnen.

In größeren Objekten waren wir dann auch schon tagsüber unterwegs gewesen und haben „ausgespäht“, wo die Putzräume sind, welche Gebäudereingerfirmen hier tätig sind und wo und wann man die KollegInnen antreffen kann.

Sozialismus.info: Wie habt ihr denn die KollegInnen konkret angesprochen und für den Streik gewonnen?

Krischan Friesecke: Die KollegInnen fangen mit ihrer Arbeit ja vor Morgengrauen an. Wenn wir also wussten, in welchen Objekten sie arbeiten, sind wir zu den Objekten hin gegangen, um morgens Kollegen anzutreffen. Wir haben sie dann gefragt, ob sie mitbekommen haben, dass Streiks anstehen und ob sie sich vorstellen können mitzumachen.

Manche Kollegen der IG BAU haben das Gespräch auch mit dem Satz begonnen, dass sie sich einfach mal den KollegInnen bedanken wollen für die tolle Arbeit, die sie leisten. Darauf haben viele sehr überrascht reagiert. Einige meinten, dasss hätte noch nie in ihrem Leben jemand zu ihnen gesagt. Eine Kollegin hatte dabei Tränen in den Augen.

Da ich selbst Gebäudereiniger bin, kenne ich mich mit den Arbeitsbedigungungen aus. Das war oftmals ein Türöffner, weil die Kollegen gemerkt haben, dass ich einer von ihnen bin und die Probleme von nicht bezahlten Überstunden bis Selbstbezahlung der Arbeitskleidung kenne und nicht nur abstrakt rede. Ich habe dann mit den KollegInnen diskutiert, dass man sich nicht vereinzelt, sondern nur gemeinsam wehren kann.

Sozialismus.info: Für viele KollegInnen war das ja ihr erster Streik. Welche Rolle hat die Angst vor Repressionen gespielt?

Krischan Friesecke: Anfangs hatten viele Angst, sie hatten da von dem Arbeitskampf höchstens in den Medien gelesen. Die Arbeitgeber haben großen Druck auf die KollegInnen ausgeübt. So wurde ja auch eine Kollegin, Angelika Walle gekündigt. Die Rücknahme der Kündigung und die Öffentlichkeit, die der Fall bekam und die Empörung hat dann den KollegInnen aber den Rücken gestärkt und sie ermutigt.

Und als die KollegInnen dann erstmal zusammen gekommen sind, haben sie ja auch gemerkt, dass sie dieselben Probleme haben, und dass man sich gegen Gegenbauer und andere Firmen gemeinsam zur Wehr setzen muss.

Ich will mal ein Beispiel von der TU geben: An der TU gibt es sieben unterschiedliche Gebäudereinigerfirmen, die KollegInnen beschäftigen. Die KollegInnen wurden von den Arbeitgebern angehalten, nicht miteinander zu sprechen. Das muss man sich mal vorstellen: Da fährt man morgens gemeinsam mit derselben der U-Bahn zur Arbeit und soll nicht miteinander reden dürfen! Diese Isolierung der KollegInnen ist dann im Streik aufgebrochen.

Sozialismus.info: Wie hat sich den die Stimmung während des Streiks entwickelt?

Krischan Friesecke: Es war deutlich, dass während des Streiks von Tag zu Tag die Stimmung kämpferischer wurde und immer neue Ideen für Aktionen entwickelt wurden. Nach Jahren von Duckmäusertum und Verzicht haben die KollegInnen ihre Stimme erhoben und in der Öffentlichkeit gezeigt, was sie für wichtige Arbeit erbringen.

In dem Zusammenhang ist die Aktion der Unsichtbaren gut angekommen. KollegInnen sind mit weißen Masken und Transpi durch Berlin gezogen. Die Message der Aktion war, dass die Arbeit von GebäudereinigerInnen immer als unsichtbar erscheint. Das heißt, dass man eigentlich immer nur das Ergebnis der Arbeit sieht morgens in den Büros, Schulen und Krankenhäusern, aber nie die Menschen, die diese Arbeit geleistet haben. Durch die Aktion wurden die KollegInnen endlich sichtbar in der Öffentlichkeit.

Sozialismus.info: Was gab es sonst noch für Aktionen, mit denen ihr in die Öffentlichkeit gewirkt habt?

Krischan Friesecke: Es gab wichtige Soliaktionen. Wir sind zum Beispiel an einem Freitag zum Flughafen Schönefeld gefahren, um die 15 streikenden KollegInnen durch Flugiverteilungen zu unterstützen. Auf dem Flugi stand: „Flughafen-Information! Bitte bringen Sie zu Ihrem Flug unbedingt folgendes mit: Handfeger und Kehrschaufen, Eimer mit Wischlappen, geeignetes Reinigungs- und Desinfesktionsmittel.“ Und dann wurden die Fluggäste über den Streik, die Forderungen und die Arbeit der KollegInnen aufgeklärt. Das kam bei vielen gut an. Weniger gut kam es beim Chef der Bundesinnung des Gebäudereinigerhandwerks an, der zufällig an diesem Tag mit dem Flieger in Schönefeld ankam. Das wussten wir vorher gar nicht, aber auch er bekam ein Flugi in die Hand gedrückt.

Sozialismus.info: Und wie groß war die Solidarität in der Bevölkerung mit dem Streik?

Krischan Friesecke: Die war extrem hoch. Sehr selten haben sich Leute beschwert, viele hatten großes Verständnis, auch Beschäftigte der bestreikten Unternehmen oder an den Unis FU und TU. Ein gutes Beispiel für Solidarität war auch, dass die Belegschaftsversammlung der Berliner Stadtreinigung über 2000 Unterschriften zur Unterstützung der Streikenden gesammelt und damit klar gemacht haben, dass sie mit GebäudereinigerInnen solidarisch sind.

Sehr wichtig für Streikende war auch Unterstützung der Studierenden und SchülerInnenn. Beim Streikauftakt am 20.10. war es für die KollegInnen wichtig und ermutigend, dass nicht nur sie um 5 Uhr morgens vor TU standen, sondern auch ein großer Pulk von Studis, die den Streik unterstützten mit Transpis, Schildern und die geholfen haben, Streikbrecher aufzuhalten und die Streikbrecherarbeit zu sabotieren.

Sozialismus.info: War die neue schwarz-gelbe Bundesregierung ein Thema für die KollegInnen?

Krischan Friesecke: Das war zum Teil Thema, besonders nach Abschluss des Streiks, als es darum ging, ob das Tarifergebnis für allgemeinverbindlich erklärt wird. Viele wissen, dass schwarz-gelb nicht für Arbeitnehmerrechte steht in Fragen von Mindestlöhnen und so weiter.

Kurz nach Streikbeginn wurde am 16.10. außerdem bekannt, dass die Bundeswehr in Potsdam für eine Kaserne die Ausschreibung für die Vergabe der Reinigungsarbeiten an eine neue Gebäudereinigungsfirma getätigt hat. Als sich dann Firmen gemeldet haben, wurden diese vom Verteidigungsministerium aufgefordert, dass sie doch nachbessern sollten, also die Kosten senken sollten, da ja gerade kein Tarifvertrag bestehe und deshalb eine Absenkung der Löhne möglich sei. Das war eine Riesensauerei.

Sozialismus.info: Wie habt ihr darauf reagiert?

Krischan Friesecke: Die Empörung bei Kollegen war extrem groß. Streikende kamen auf die Idee, das erste „Staubjägerbataillon“ der IG BAU aufzustellen und dann zackig im Marschschritt bewaffnet mit Schrubber und Eimer vor dem Bundesverteidigungsministerium aufzumarschieren. Das pikante Detail zu der Aktion ist, dass der alte Verteidigungsminister Jung da dann ja gerade Arbeitsminister wurde.

Sozialismus.info: Wird das Ergebnis von den KollegInnen denn durchweg positiv gesehen?

Krischan Friesecke: Von den meisten ja. Es gibt aber noch Unklarheiten zur Frage des Rahmentarifvertrages in den Punkten Arbeitszeitflexibilisierung, Arbeitszeitkonten und Überstunden. Da ist unklar, was die vereinbarten Regelungen bedeuten und die IG BAU muss das schnell klarstellen. Die Vereinbarungen könnten gerade für die Glas- und FassadenreinigerInnen auch Verschlechterungen bedeuten. So wird im Tarifvertrag die Möglichkeit benannt, dass die Arbeitgeber Arbeitszeitkonten von 150 Stunden im Jahr einrichten können, das ist eine Kann-Regelung. Sowas gab es bisher in der Form nicht. Das würde nur für die KollegInnen der Gehaltsstufe 6, also die Glas- und FassadereinigerInnen betreffen. Die meiste Arbeit fällt in dem Bereich ja im Sommer an. Im Winter arbeiten die KollegInnen aufgrund der Witterung weniger, dann sollen diese Konten ein Ausgleich sein. Das Problem ist aber, dass für die 150 Stunden, dann die Überstundenzuschläge wegfallen. Es geht also um eine Streichung der Zuschläge. Das darf es aus meiner Sicht nicht geben.

Sozialismus.info: Du hast in einer Auswertung über den Streik geschrieben, dass der Organisationsgrad noch weiter hätte gesteigert werden können, wenn andere Gewerkschaften tatkräftig geholfen hätten, in ihren Betrieben GebäudereinigerInnen anzusprechen und für den Streik zu mobilisieren.

Krischan Friesecke: Ja, das ist auch so. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad liegt bei knapp über 10 Prozent. In Berlin waren 100 bis 120 Kollegen regelmäßig am Streik beteiligt. Zum Schluss hat sich das auf 140-150 erhöht. Die KollegInnen, die gestreikt haben, haben verstanden, dass für den nächsten Kampf, zum Beispiel für einen Stundenlohn von 10 Euro, der Organisationsgrad noch weiter gesteigert werden muss. In diesem Sinne: Nach der Tarifrunde ist vor der Tarifrunde. Viele KollegInnen orientieren sich jetzt auch auf die Betriebsratswahlen. Ich würde mal schätzen, dass 95 Prozent der Betriebsräte unternehmenshörig statt kämpferisch sind. Da muss ein Wandel her. Wir brauchen auch die Gründung von Betriebsräten in den Betrieben wo es noch gar keine Betriebsräte gibt.