Anfang vom Ende der Großen Koalition

Regierung wackelt, Vizekanzler Müntefering geht

Mit Franz Müntefering trat „Mister Große Koalition“, wie er im Bundestag genannt wird, zurück. Hintergrund ist die enorme Unzufriedenheit gegenüber der neoliberalen Politik. Dennoch zeigen die Ergebnisse des Koalitionsausschusses, dass Merkel und Co. den Umverteilungskurs beibehalten werden – wenn ihnen nicht das Handwerk gelegt wird.


 

von Ronald Luther, Berlin

Auf ihrem Parteitag Ende Oktober hatte die SPD versucht, der Stimmung in der Bevölkerung Rechnung zu tragen und mit winzigen Reformversprechen ihre Talfahrt zu stoppen. Zwar legten die Sozialdemokraten zunächst von 26 auf 29 Prozent zu, fielen aber kurz darauf laut RTL wieder auf 26 Prozent zurück.

Münteferings Abgang

Am Tag nach der Koalitionsausschuss-Sitzung erklärte Müntefering seinen Rücktritt. In den vergangenen Monaten hatte er in der SPD immer mehr an Rückhalt verloren. Selbst Ex-Kanzler Gerhard Schröder ging auf Distanz zu Müntefering. Die Agenda-2010-Positionen seien „nicht die zehn Gebote, und niemand, der daran mitgearbeitet hat, sollte sich als Moses begreifen“. Neben den Hartz-Gesetzen ist Müntefering aufs Engste mit der Einführung der Rente ab 67 verbunden.

Die Süddeutsche Zeitung schrieb, der Rückzug des Vizekanzlers markiere den Anfang vom Ende der Großen Koalition. Offen sei nur, wie lange sich das Ende hinziehe. Auch die Unternehmer sind unzufrieden mit der Regierung. Allerdings beeilten sich die Arbeitgeberverbände nach Münteferings Abgang, sich öffentlich hinter die Koalition zu stellen. Da die instabile politische Lage und die Existenz der Partei DIE LINKE den Bürgerlichen bei Neuwahlen eine noch ungünstigere Zusammensetzung des Bundestags bescheren könnte, setzen sie derzeit nicht auf vorgezogene Wahlen.

Angesichts der explosiven Situation (mögliche Weltwirtschaftskrise, erbitterte Klassenkämpfe und gesellschaftliche Radikalisierung) ist aber nicht auszuschließen, dass die Merkel-Regierung vor Herbst 2009 zerbricht.

Koalitionsausschuss

„Die CDU hatte den Pfannkuchen aus Mainz leicht angetippt, da war die Füllung weg. Wochenlang hatte der SPD-Vorsitzende die Bürgermedien mit roter Marmelade erschreckt, aber es war mal wieder wie stets im bundesdeutschen Verkaufseinerlei – ausschließlich billiger Zucker und auf dem Etikett die Mitteilung, dass Obst drin ist“ (junge Welt vom 14. November). Von den ohnehin mageren Ankündigungen des SPD-Parteitags blieb so gut wie nichts übrig. So wurde zwar eine längere Zahlung des ALG I für über 50-Jährige beschlossen. Die dafür veranschlagten 1,1 Milliarden Euro sollen aber „kostenneutral“ über die Bundesagentur für Arbeit (BA) finanziert, also zum Beispiel bei Eingliederungsmaßnahmen wieder eingespart werden. Gleichzeitig wurde die Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung ab Januar 2008 von derzeit 4,2 auf 3,3 Prozent vom Bruttolohn beschlossen. Während das den Arbeitgebern über drei Milliarden Euro bringt, werden die ArbeitnehmerInnen – denen das bei einem Gehalt von 2.000 Euro eine Ersparnis von neun Euro im Monat verschafft – ab 1. Juli 2008 mit einer Erhöhung der Beiträge zur Pflegeversicherung von 0,25 Prozent um 2,50 Euro einseitig belastet. Die wenigen Euro, die unterm Strich bleiben, werden allein durch die Preissteigerungen aufgebraucht sein.

Keine Einigung gab es bei der „Zwangsverrentung“. 58 jährigen Erwerbslosen drohen so Renten mit Abschlägen von 18 Prozent ab Januar. Auch einen gesetzlichen Mindestlohn für Briefträger soll es nicht geben. Gegen diesen hatten sich Großverlage wie Springer stark gemacht.

Die Umverteilung geht weiter. Die Unternehmenssteuerreform, die im Januar in Kraft tritt, hat nach Angaben der Dax-Konzerne unterschiedliche Auswirkungen. Doch „für die meisten überwiegt das Positive“, wie die FAZ am 20. November schrieb. Zehn Unternehmen berichteten „von einem Gewinnplus infolge der Reform in der Größenordnung von zusammen 2,7 Milliarden Euro“.

Gelegenheit vertan

Nachdem Beck seine Mini-Korrektur beim ALG I bekanntgab, war die SAV dafür eingetreten, nachzulegen. Konkret hatten wir vorgeschlagen, dass Gewerkschaften und DIE LINKE mit Massenflugblättern, Plakaten und Veranstaltungen gegen Merkel und Müntefering aktiv werden sollten. Auf einer Aktionskonferenz hätten Großproteste und Streiks vorbereitet werden können – gegen Hartz-Gesetze, Rente ab 67 und Bahn-Privatisierung. Leider verhielten sich die Spitzen von DGB und LINKE weitgehend passiv. Eine große Möglichkeit, die Agenda 2010 zu kippen, verstrich ungenutzt.

Aber der Hass auf die Kapitalisten und ihre Politiker wächst weiter. Die Kampfbereitschaft nimmt zu. Darum muss thematisiert werden, was nötig und möglich gewesen wäre. Damit die neoliberalen Angriffe endlich wirksam zurück geschlagen werden können.