Griechenland: Bilanz der Wahlen 2007

Das Ergebnis der Parlamentswahlen vom 16.9.2007 ist der größte Schlag, der der Vorherrschaft der ND (Neue Demokratie -Liberal-Konservative Partei) und PASOK (Sozialdemokraten) im politischen Leben unseres Landes seit vielen Jahren versetzt wurde.

von Andreas Payatsos, Athen

Die ND hat mit Mühe die absolute Mehrheit von zwei Sitzen erreicht (152 von 300).

Sie verlor etwa 380.000 Stimmen, was 11,5 Prozent ihrer Stärke entspricht. Die PASOK verlor um die 270.000 Stimmen, 10 Prozent ihrer Stärke.

Gemeinsam verloren also die Parteien des Kapitals 650.000 Stimmen. Die PASOK bekam das schlechteste Ergebnis seit 1981 und schaffte das Unerreichbare, als Oppositionspartei Prozente zu verlieren.

Wende nach Links!

Das Wahlergebnis gibt gleichzeitig eine deutliche Antwort der Wählerschaft darauf, in welcher Richtung die Antworten gesucht werden müssen: Die Arbeitnehmer wandten sich hauptsächlich nach links und stärkten entschlossen die linken Parteien, die Kommunistische Partei KKE und das Linksbündnis SYN/SYRIZA.

Die Stärkung der Parteien der Linken übertraf die Voraussagen der Meinungsumfragen und gab den Parteien und Organisationen der Linken um die 14 Prozent: 8,15 Prozent der KKE, 5,05 Prozent für SYN/SYRIZA und 0,7 Prozent für die vier Formationen der außerparlamentarischen Linken.

Es ist der höchste Prozentsatz, den die beiden linken Parteien seit 1990 erhalten haben.

Der Anstieg der Linken ist noch eindrucksvoller in den großen Städten. Im Wahlkreis Athen I überschritt die Linke zusammen 21 Prozent, in Athen II 20 Prozent, entsprechende Prozentsätze in Piräus, während sie in den Arbeitervierteln 25,2 Prozent erreichte und sogar übertraf.

Die KKE gewann etwa 140.000 Stimmen hinzu und erhöhte ihre Stärke ungefähr um 32 Prozent.

SYN/SYRIZA erhöhte seine Kraft etwa um 120.000 Stimmen, eine Zunahme von 48 Prozent.

Insgesamt gewannen KKE und SYRIZA um die 255.000 Stimmen hinzu und näherten sich 13,5 Prozent gegenüber 9 Prozent vor vier Jahren (zusammen mit der außerparlamentarischen Linken erhielt die Linke insgesamt 14 Prozent.

Warum triumphiert die ND?

Die ND triumphiert über ihren Sieg. Sicherlich, weil sie wieder die Regierung übernahm. Doch sie vermeidet es zu sagen, dass sie von den 70 Prozent der Wähler, die zur Wahl gingen, 40 Prozent erhalten hat. D.h. sie regiert mit der Unterstützung von 28 Prozent der Wählerschaft.

Diesen Prozentsatz wie auch die Reduzierung ihrer Stärke um fast 400.000 Stimmen oder 11.5 Prozent nennen die Funktionäre der ND „Belohnung ihrer Politik“ und dass sie Recht bekommen haben.

Die Wirklichkeit jedoch ist, dass die ND nun nur deshalb Regierung stellt, weil das Wahlsystem für ND und PASOK maßgeschneidert ist und der stärksten Partei 40 Sitze schenkt – es stiehlt also den kleineren Parteien 40 Sitze und verfälscht so den ausgedrückten Wählerwillen.

Ihre Frechheit überschreitet jede Grenze, wenn sie „schlussfolgern“, dass die Wählerschaft ihnen den Auftrag gebe, ihre Politik zu beschleunigen, „mutig voranzuschreiten zu Reformen, die in die Tiefe gehen“. Dass das Ergebnis ihnen die Kraft gebe, schneller voranzugehen. Solche Worte haben wir aus dem Mund von Karamanlis (ND-Vorsitzender) selbst und ausnahmsweise aller ND-Funktionäre gehört.

Die Repräsentanten des Kapitals haben diese einzigartige heuchlerische Fähigkeit, alles ihrer eigenen Lust und Laune anzupassen. Für sie ist ihr Stimmverlust keine Botschaft, dass ihre Politik der Bevölkerung Leuten nicht gefällt, sondern genau das Gegenteil! Er ist eine Botschaft, dass sie diese volksfeindliche Politik noch intensivieren müsse.

Ihre Politik ändert sich nicht

Hinter dieser ganzen Lüge verbirgt sich die Notwendigkeit, mit derselben arbeiterfeindlichen Politik fortzufahren.

Ihre Politik wird sich nicht ändern, trotz ihren Stimmenverlusten und obwohl die absolute Mehrheit der ND knapp ist. Darüber darf es keinen Zweifel geben. Die ND wird weiterhin dieselbe Politik umsetzen. Die Politik, die die Gewinne der Kapitalisten und die Armut der Arbeitnehmer erhöht. Die die Löhne angreift, während sie die Unternehmensgewinne um jährlich 50 Prozent steigert. (Siehe den Bericht des gewerkschaftseigenen Instituts INE-GSEE.) Die Politik, die das Gesundheits-, das Bildungswesen und die Renten verschlechtert. Die 7 von 10 neuen Stellen zu Teilzeitstellen und zu befristeten Stellen macht und Zweidrittel der neueingestellten Arbeitnehmer mit Löhnen zwischen 300 und 500 Euro bezahlt!

Das ist die Politik, die das Kapital verlangt und diese Politik wird die ihm treu ergebene ND umsetzen.

Warum die PASOK verloren hat

Die PASOK hat das Unerreichbare erreicht. Als Oppositionspartei Prozente zu verlieren. Der Hauptgrund sind nicht die persönlichen Charakteristika, die Schwächen von Jorgos Papandreou (PASOK-Vorsitzender). Es war die Tatsache, dass die PASOK nichts zu sagen hatte, was die Leute überzeugt hätte. Sie hat sich in nichts Grundlegendem von der ND unterschieden.

Die Arbeitnehmer haben klarer als in früheren Jahren gesehen, dass die beiden Parteien sich in nichts Wesentlichem unterscheiden.

Die grundlegende Parole von Papandreou in diesen Jahren war, dass Karamanlis inexistent sei und keine Politik habe. Doch Karamanlis war sehr existent – das wissen alle Arbeitnehmer, die die Folgen der Politik der ND spüren. Papandreou hat nie in dieser ganzen Zeit die Arbeitnehmer, die Armen, die Arbeitslosen, die Kämpfe entdeckt. Sogar als die Bewegung im Bildungswesen die gesamte griechische Gesellschaft aufwühlte, bestand der kleine Jorgos bis fünf vor zwölf auf den privaten Universitäten.

Die Positionen von Xekinima zu den Wahlen

Xekinima (Schwesterorganisation der SAV in Griecehnland, A.d.R.) hat für die Stärkung der Linken gekämpft, mit Vorzug für den SYRIZA.

Xekinima erklärte gleichzeitig die Notwendigkeit, dass die Linke einheitlich handeln müsse, und sprach sich für die Annahme eines linkeren, wirklich sozialistischen Programms aus.

Das Wahlergebnis bestätigt dieses Herangehen. Der Anstieg der Linken war bedeutend und mehr noch der Anstieg des SYRIZA (eine Steigerung der Stimmen um 48 Prozent).

Gleichzeitig gibt der Anstieg des SYRIZA einer anderen Aussage recht, auf der Xekinima seit vielen Jahren besteht. Diese ist, dass die Volksschichten bereit sind, eine linke Politik zu unterstützen, wenn ihnen diese angeboten wird. Dass es ein reaktionärer Mythos ist, den die Repräsentanten des Kapitals vorantreiben, dass die Linke sich nach rechts bewegen müsse, wenn sie sich nicht isolieren will.

Sicherlich ist der kleine Schwenk des SYN nach links in den letzten Jahren weit davon entfernt, Xekinima zufriedenzustellen. Doch es ist eine Tatsache, die niemand bestreiten kann: Der SYN hat sich in letzter Zeit auf eine radikalere Politik zubewegt. Er befand sich nahe an kämpfenden Schichten wie der Jugend. Er ist zur Zusammenarbeit mit Organisationen der außerparlamentarischen Linken übergegangen trotz des Widerstandes seines rechten Flügels. Das schließliche Ergebnis für SYN-SYRIZA zeigt, dass die Volksschichten diese Wendung nach links belohnen.

Wenn der SYN sich weiterhin in der Gesellschaft stärken will, muss er seine Linkswende vertiefen und bis zur Schlussfolgerung des Kampfes für den Sturz des Kapitalismus und den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft gelangen.

Wenn die KKE „im Spiel bleiben“ und tatsächlich eine Rolle für die Zukunft der Arbeiterbewegung spielen will, muss sie den Stalinismus und die spalterischen Taktiken aufgeben.

Wenn die Führungen der beiden Parteien sich weigern, in diese Richtung voranzugehen, wird die Basis den Kampf führen innerhalb und außerhalb der beiden Hauptparteien der Linken. Das schließliche Ergebnis wird der Aufbau einer „neuen Linken“ sein, wie wir sie beschreiben. Denn diese braucht die Gesellschaft tatsächlich und früher oder später wird sie den Weg finden, sie zu schaffen.

Ist die Gesellschaft schuld?

Es hat sich eine ganze Wissenschaft entwickelt darüber, dass die Volksschichten „konservativ“ und unvernünftig seien, weil sie die ND zur stärksten Partei gemacht haben.

Das hat nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Die ND wurde zur größten Partei, weil die PASOK nicht überzeugen konnte, dass sie etwas besseres zu bieten hat. Die Weigerung der Arbeitnehmer, ihre Stimme der PASOK zu geben und sich für die Stärkung der Linken zu entscheiden, zeigt politische Reifung und nicht Konservatismus!

Was bis zu einem gewissen Grade die Stimmen bei der ND „gehalten“ hat, war die Tatsache, dass die PASOK zwanzig Jahre an der Regierung war mit zwanzig Jahren volksfeindlicher Politiken. Unter denen, die PASOK gewählt haben, hat es ein großer Teil ohne Vertrauen in Papandreou und die PASOK-Führung getan. Nur um die ND davonzujagen!

Wenn also Spitzenfunktionäre der PASOK vom Typ eines Pangalos erklären, dass „das Wahlergebnis eine tief konservative Gesellschaft zeigt, deren charakteristische Eigenschaft der Radikalismus der Kleinbürger ist“, dann ist das beste, was die Arbeitnehmer zu tun haben, ihm und seiner Partei den Rücken zuzukehren (wenn nicht gar etwas anderes), so schnell wie möglich.

Wenn wir einen Führungswechsel bei der PASOK haben und Venizelos Papandreou ersetzt, wird kein politisches Problem gelöst werden. Die PASOK kann die kommenden Wahlen gewinnen. Doch dies wird nichs zu tun haben mit der „aufgeklärten“ Politik von Venizelos oder eines anderen Venizelos. Es wird nur das Ergebnis der Unzufriedenheit der Menschen mit der ND sein.

Die Partei LAOS

Der Einzug der rechtsextremen Partei LAOS („Volk“) ins Parlament ist sicher eine negative Entwicklung. Das Auftreten des Sohnes von Plevris, von Voridis und Velidis im Parlament muss ein rotes Tuch für die Linke sein und sie muss deren tatsächlichen Charakter aufdecken – ihr reaktionäres, rassistisches, rechtsextremes und nationalistisches Gesicht.

Andererseits dürfen wir jedoch nicht vergessen, dass der Populismus von Karatzaferis (LAOS-Führer) jegliche Grenzen überschritt und dies Volksschichten mit sich gezogen hat, die die genauen Charakteristika dieser Partei nicht verstanden haben. Karatzaferis hat sogar mit Bewunderung von Che Guevara gesprochen und er spielte den Verteidiger der Armen.

Die neuen Wähler von LAOS, die dieser Partei die 1,5 Prozent Zuwachs gaben, der ihr erlaubte, ins Parlament einzuziehen, darf man keineswegs als Rassisten oder Faschisten ansehen. Sie gaben Karatzaferis eine Proteststimme aus Zorn über die Politik der ND. Sie haben LAOS gewählt, weil sie nicht verstanden haben, was genau die Charakteristika dieser Partei sind. Es ist unsere Pflicht, ihnen dabei zu helfen, zu verstehen.

Perspektiven für die Bewegung

Die knappe Mehrheit der ND in Kombination mit dem Anstieg der Linken können der Bewegung die Möglichkeit geben, den neuen Angriffen, die kommen werden, besser entgegentreten zu können als vorher. Die Stärkung der Linken auf 14 Prozent gibt einem großen Teil der Gesellschaft die Moral und den Glauben, dass wir kämpfen können, dass wir Widerstand leisten können.

Dieser Faktor ist sehr bedeutend, doch es hängt von dem Grad ab, in dem er von den Parteien der Linken genutzt wird. In dieser Richtung jedoch ist Xekinima der Ansicht, dass die Grenzen der Führungen der linken Parteien ein Hindernis darstellen.

Die Grenzen der linken Führungen

Wie weit wird der SYN gehen, wenn beispielsweise ein gewaltiger Teil der Führung, wenn nicht gar die Mehrheit die Vision einer etwas linkeren PASOK hat, mit der sie gemeinsam regieren können? Der SYN als Partei „sieht“ auf keinste Weise den Sturz des Kapitalismus und den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft – er ist eine reformistische Partei. Und dies beschränkt unausweichlich und unzweifelhaft seine Möglichkeit, großen sozialen Kämpfen eine Perspektive zu geben.

Die KKE andererseits bleibt stalinistisch bis ins Mark. Sie glaubt an das Vorbild der diktatorischen Einparteienherrschaft nach sowjetischem Modell, wo die unfehlbaren Führer und die unfehlbare Partei regierten (bis sie die Sowjetunion in die Katastrophe führten). Sie schließt jeden aus, der mit der Führung Meinungsverschiedenheiten hat. Sie verweigert jede Zusammenarbeit mit allen Linken, wobei sie behauptet, dass „wer nicht mit der KKE ist, ein Verräter ist“… Sie beteiligt sich nicht einmal an gemeinsamen Demonstrationen und Kundgebungen mit anderen Arbeitnehmern und verfolgt bewusst die Spaltung der Gewerkschaften. Mit solchen Führungen sind die Begrenzungen der Linken leider sehr konkret. Doch der Kampf gegen diese Politik muss geführt werden.

Der Kampf für eine neue Linke

Es ist der Kampf von Tausenden von Menschen der Basis der Linken, sei es in der einen oder in der anderen der beiden Massenparteien der Linken, sei es in den Organisationen der außerparlamentarischen Linken oder seien es Unorganisirte. Arbeitnehmer und Jugendliche, die eine andere Linke sehen wollen, eine Linke mit Klassenorientierung, einheitlich, antikapitalistisch, mit dem Ziel des Aufbaus einer sozialistischen Gesellschaft im Dienste der Arbeitenden und nicht im Dienst des Profitsystems.

Die Verteidigung eines solchen Programms ist kein irgendwie „moralisches“ Herangehen. Es ist die nicht überschreitbare Regel, wenn die Linke konsequent für die Verteidigung der Interessen der Volksschichten eintreten will. Und es ist die unüberschreitbare Regel, wenn die Linke sich weiterhin auf einer aufsteigenden Linie sehen will. Denn alles was sie in diesen Wahlen gewonnen hat, kann sich sehr schnell wieder bei den kommenden Wahlen in Luft auflösen.

Dieser Kampf muss sowohl innerhalb wie auch außerhalb der Parteien der Linken von den Funktionären und den Kämpfern an der Basis geführt werden. Das Wahlergebnis hilft auch bei der Entwicklung von Kämpfen in der Gesellschaft und bei der Entwicklung von Prozessen in der Linken und in der Gesellschaft in Richtung der Suche nach linken Ideen. Es ist ein Kampf, der darauf abzielt, dass die gesamte Linke auf ein nach links gerichtetes Gleis kommt. Damit die Basis gelegt wird für eine antikapitalistische Linke mit Massencharakter und mit Einheitsorientierung. Eine „neue Linke“, wie sie sich Tausende von Kämpfern vorstellen. Eine Linke, die den Arbeitnehmern und der jungen Generation wieder die Perspektive in ihren Kämpfen weist und die die fehlende sozialistische Vision wiedergibt.