Bahnprivatisierung an Wendepunkt

Gesetzesentwurf übertrifft schlimmste Befürchtungen

Mit der ersten Lesung des Bahnprivatisierungsgesetzes am 21. September im Bundestag tritt dieses Projekt des größten Raubs öffentlichen Eigentums in eine neue und heiße Phase.

von Winfried Wolf


 

Auf der einen Seite hat sich der Widerstand gegen das Projekt auf drei unterschiedlichen Ebenen enorm entwickelt: Die eigentliche Kampagne, die das Bündnis Bahn für Alle führt, zeigt Wirkung; viele der in diesem Rahmen vorgetragenen Argumente werden nun auch von den Massenmedien aufgegriffen. Die Bundesländer haben ihre Kritik mit der Vorlage eines Gutachtens, das die Bahnprivatisierung als verfassungswidrig kennzeichnet, verstärkt. Schließlich gibt es wachsenden Widerstand in beiden Koalitionsparteien.

Auf der anderen Seite wird versucht, das Projekt im Parlament möglichst geräuschlos durchzuziehen. Für die erste Lesung des Gesetzentwurfs wurden gerade mal 100 Minuten Diskussionszeit eingeräumt; die Kritiker in den Koalitionsparteien kamen so gut wie nicht zu Wort.

Modell „Volksaktien-Bahn“

Eine ausgesprochen unglückliche Rolle spielt dabei die SPD-Linke mit ihrem Modell einer „Volksaktien-Bahn“. Zunächst einmal ist eine Bahn, bei der bis zu 49 Prozent der Anteile als stimmrechtlose Aktien mit garantierter Dividende an Kleinanleger ausgegeben werden, auch eine Teilprivatisierung: Das seit 1920 existierende 100-prozentige Eigentum des Staates an der Bahn wird wieder aufgegeben. Sodann weist das Modell eine Reihe immanenter Schwächen auf. Insbesondere bietet jede Bahn, die sich nicht zu 100 Prozent in öffentlichem Eigentum befindet, den EU-Institutionen enorme Möglichkeiten, unter Verweis auf so genannte Prinzipien wie „Wettbewerb“ und „Marktöffnung“ die Privatisierung voranzutreiben. Vor allem aber bewirkte das Modell einer „Volksaktien-Bahn“, dass die linken SPD-Parlamentarier bei der ersten Lesung des Gesetzes nicht protestierten.

Nun wird seitens der Bahnprivatisierer versucht werden, den Entwurf mit einigen Konzessionen durch die Ausschüsse zu bringen, um dann in Lauerstellung abzuwarten, wann eine zweite und dritte Lesung in Form eines Überraschungscoups gestartet werden kann.

Was soll aus der Bahn-Infrastruktur werden?

Bekanntlich spielt die Frage eine wichtige Rolle, was mit der Infrastruktur (Trassen, Bahnhöfe und bahneigene Kraftwerke) passiert. Offiziell heißt es, das bleibe alles in Bundeseigentum. Tatsächlich soll der Bund zwar formeller 100-prozentiger Eigentümer sein, seine Rechte jedoch für 15 Jahre an die teilprivatisierte DB AG abtreten. An dieser Stelle wird von den Privatisierern beschwichtigt: Aber nach 15 Jahren falle die Verfügung über die Infrastruktur an den Bund zurück.

Auf Seite 47 des Gesetzentwurfs finden sich allerdings zwei weitreichende Formulierungen: Erstens wird festgestellt, dass der Bund, wenn er denn nach 15 Jahren die Verfügung über die Infrastruktur wieder wahrnehmen will, „damit auch die wirtschaftlichen Chancen und Risiken der Eisenbahninfrastrukturunternehmen“ übernimmt. Das heißt im Klartext, er würde auch die auf den Infrastrukturunternehmen liegenden – von der DB AG dort platzierten – Schulden übernehmen müssen. Bereits heute liegen bei diesen Gesellschaften (vor allem bei der Netz AG) Verbindlichkeiten in Höhe von 15 Milliarden Euro. Zweitens heißt es dort im Fall eines Rückfalls der Infrastruktur an den Bund: „Für den Verlust der wirtschaftlichen Chancen und Risiken ist [dann] der DB AG durch den Bund ein Wertausgleich (…) zu gewähren. Dieser Wertausgleich umfasst den vollen Wert der Eisenbahninfrastrukturunternehmen und bemisst sich nach dem bilanziellen Eigenkapital.“ Da nach dem selben Gesetzentwurf die DB AG 15 Jahre lang die Infrastruktur „betreiben und bilanzieren“ wird, hat sie vielfältige Möglichkeiten, diese Infrastrukturunternehmen mit einem derart hohen „bilanziellen Eigenkapital“ auszustatten, dass der erforderliche „Wertausgleich“ so hoch ausfällt, dass eine erneute Verstaatlichung extrem teuer kommt und de facto ausgeschlossen wird.

„Verkehr – Umwelt – Klima“

Das neue Buch von Winfried Wolf, „Verkehr – Umwelt – Klima“, analysiert die „Globalisierung des Tempowahns“. Das Buch ist im Wiener Verlag Promedia erschienen, hat 520 Seiten und kostet 34,90 Euro.

Der Autor ist marxistischer Ökonom, Mitherausgeber der Zeitung gegen den Krieg und aktiv im Bündnis Bahn für Alle (weitere Infos unter www.bahn-fuer-alle.de).