„In Italien ist eine politische Wende bitter nötig“

Linke Oppositionelle der italienischen Rifondazione Comunista (PRC) im Gespräch


 

Seit den Parlamentswahlen im April 2006 bildet das Mitte-Links-Bündnis „L’Unione“ (die Vereinigung) die neue italienische Regierung. Mit Romano Prodi an der Spitze, hegten anfangs viele die Hoffnung nach fünf Jahren Berlusconi endlich einen Politikwechsel zu erleben. Doch bereits Ende des Jahres machten sich Ernüchterung und Enttäuschung breit.

Das neue Haushaltsgesetz für 2007, die „Finanziaria“, setzt die Umverteilungspolitik Berlusconis unverändert fort. Durch Steuer- und Abgabenerhöhungen auf der einen Seite sowie Kürzung der Sozialausgaben auf der anderen Seite sollen rund 34 Milliarden Euro Mehreinnahmen erzielt werden. Die im Juli diesen Jahres verabschiedete mittelfristige Finanzplanung, sieht für die kommenden zwei Jahre die Privatisierung des Postwesens („Poste Italiane“), der staatlichen Druckanstalt („Poligrafico Italiano“) sowie der Münzprägeanstalt „Zecco dello Stato“ vor. Die staatliche Werft „Fincantieri“ und der staatliche Reeder „Tirrenia“ sollen teilprivatisiert werden (Bundesagentur für Außenwirtschaft/ www.bfai.de, 6.7.07).

Auch die neue Rentenreform zielt an den Bedürfnissen der italienischen Arbeiterklasse vorbei. Statt die gesetzliche Rentenversicherung auszubauen, soll durch die Einführung einer individuellen Zusatzrente, die Altersversorgung verstärkt in die Hände privater Zusatzvorsorge-Einrichtungen gelegt werden (Pensionsfonds, Lebensversicherungen, etc.). Dabei soll die Betriebsrente nur dann dem Arbeitnehmer direkt ausgezahlt werden, wenn dieser innerhalb einer bestimmten Frist eine schriftlichen Erklärung dazu einreicht. Geschieht dies nicht, wird sein Guthaben, das Tfr (trattamento fine rapporto), automatisch einem vom Arbeitgeber ausgewählten Pensionsfonds zugeführt. Bis 2013 soll zudem das Rentenalter von derzeit 57 auf 61 Jahre erhöht werden. (www.bfai.de, 27.7.07)

Im Februar diesen Jahres geriet das Mitte-Links-Bündnis an der Frage der weiteren Finanzierung des Afghanistan-Einsatzes in Zerwürfnis und brachte die Regierung kurzzeitig ins Wanken. Wenige Tage zuvor hatten 200.000 Demonstranten gegen die Erweiterung der us-amerikanischen Militärbasis in Vicenza protestiert.

Grundlage für die Wiederaufnahme der Regierungsgeschäfte war schließlich ein nicht verhandelbarer „12-Punkte-Pakt“, den Prodis Regierung den Parteien des Mitte-Links-Bündnisses vorlegte. Dieser sieht unter anderem den weiteren Einsatz italienischer Truppen in Afghanistan vor, sowie die sofortige Umsetzung der Senkung öffentlicher Ausgaben. Das seit Monaten umstrittene Gesetzesvorhaben, welches eingetragene Lebensgemeinschaften für homosexuelle Paare ermöglichen sollte, wird nicht mal mehr erwähnt (www.spiegel.de, 24.2.07). Ganz zu schweigen von Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigung.

Fünf Millionen Beschäftigte arbeiten derzeit in Italien unter prekären Arbeitsbedingungen. Acht Millionen italienischen Haushalten reicht das Einkommen nicht, um die Monatsausgaben zu decken. 43 Prozent des nationalen Reichtums hingegen ist in Händen von nur 10 Prozent der Familien. Während 2005 die Profite der 36 wichtigsten italienischen Industrieverbände um 71 Prozent gestiegen sind, sank der durchschnittliche Arbeiterlohn zwischen 2000 und 2004 um 3,4 Prozent, der eines Angestellten sogar um 4,9 Prozent.

Der italienischen Arbeiterklasse fehlt es an einer kämpferischen, klassenbewussten Partei, die ihre Interessen vertritt und ihre Kämpfe unterstützt. Die Rifondazione Comunista (PRC), die Teil des Mitte-Links-Bündnisses ist, hat Prodis „12-Punkte-Pakt“ mitunterzeichnet, ihre Politik bildet längst keine Alternative zu Kapitalismus und Neoliberalismus. Darauf machen Teile ihrer eigenen Mitgliedschaft aufmerksam und kämpfen für die Stärkung der linken, antikapitalistischen Kräfte. Die marxistische Strömung „Controcorrente“ („Gegen den Strom“), spielt hierbei eine wichtige Rolle. In ihr aktiv sind Mara Armellin und Alessandro Leni. In einem Gespräch erläuterten sie, warum sie bisher nicht aus der PRC ausgetreten sind und wofür sie stehen.

Welche Einschätzung habt ihr von der aktuellen politischen Lage in Italien?

Italien befindet sich momentan in einer akuten politischen Krise, die vor allem in der Linken spürbar ist, aber auch in den Gewerkschaften. Die Regierung Prodi hat nur eine kleine Mehrheit im Parlament. Aufgrund dessen könnte jegliche Opposition –sei sie noch so klein- die Regierung gefährden. Die CGIL, der nationale Gewerkschaftsbund, hat aus diesem Grund beschlossen, nicht in die Opposition zu gehen. Die Arbeiter sind folglich nicht nur von der Regierung enttäuscht, sondern auch von den Gewerkschaften.

Wann habt Ihr Euch als marxistische Strömung gegründet?

Controcorrente hat sich im Jahr 2006 formiert, ihre Mitglieder waren zuvor in „progetto comunista“ („Kommunistisches Projekt“) vernetzt. Als es zum Regierungsantritt Prodis kam, beschlossen ein Großteil der Genossen von „progetto comunista“ unter der Führung Marco Ferrandos aus der PRC auszutreten und eine neue kommunistische Partei zu gründen. Von denen, die zurückblieben, gründete ein Teil controcorrente.

Wieso seid ihr in der PCR geblieben, und nicht mit der Gruppe Ferrando ausgetreten?

Die Entscheidung in der PRC zu bleiben haben wir insbesondere aus zwei Gründen getroffen: Erstens, waren wir nicht der Meinung, dass die Gruppe um Ferrando die Kräfte habe etwas neues und eigenes aufzubauen. Zweitens, war die PRC nach wie vor eine Referenz für die meisten kritischen Arbeiter Italiens. Die Arbeiter sahen im Regierungsantritt allein nicht einen „Verrat“ der Ideen und waren noch auf die PRC orientiert. Wir waren der Meinung, dass ein Austritt aus der PRC für die meisten nicht nachvollziehbar gewesen wäre, da der Rechtsruck der PRC zu diesem Zeitpunkt für viele noch nicht sichtbar war. Wir hätten uns dadurch von unseren Kolleginnen und Kollegen distanziert statt sie in neue Formierungsprozesse einzubeziehen.

Wie lief Euer Formierungsprozess dann ab?

Angefangen haben wir mit Ortsgruppeen Genua und Turin. In diesen beiden Städten waren eine überwiegende Mehrheit der linken Kräfte in der Partei geblieben, in Turin um die 80 Prozent, in Genua über 90 Prozent. Wir haben dann Kontakt zu Genossen aus anderen Orten geknüpft und darüber hinaus den Kontakt zu Arbeitern des Fiat-Werkes in Melfi erstellt. Im Juli 2006 haben wir in der „Liberazione“, der Zeitung der PRC, mit Ach und Krach einen offenen Brief veröffentlichen können, in dem wir öffentlich erklärten, dass wir als linke Kraft in der Partei bleiben und alle Linken auffordern sich uns anzuschließen um eine starke linke Opposition aufzubauen.

Wie viele seid ihr heute und wie stark ist Euer Organisationsgrad?

Heute sind wir in circa 12 Städten vertreten und in verschiedenen Regionen, unter anderem in Kalabrien, Abbruzzen, Apulien, Venezien.

Bisher haben wir noch keine klare Struktur da wir uns noch im Formierungsprozess befinden und mit vielen sympathisierenden Genossen in Diskussionen stehen. Wir haben ein internetportal eingerichtet und geben auf nationaler Ebene ein eigenes Heft heraus, das sich „Resistenza“ nennt (“Widerstand“), in dem wir unsere Position und Meinung vertreten. Wir finanzieren uns durch Mitgliedsbeiträge und den Verkauf von Material, das beinhaltet auch Bücherverkauf.

In den kommenden Monaten werden wir uns im Rahmen einer Konferenz auf nationaler Ebene zusammensetzen, auf der wir weitere Schritte besprechen werden. Klar ist jedenfalls, dass wir auf der Seite der Arbeiter aktiv gegen die Angriffe der Prodi-Regierung kämpfen. So haben Genossen von Controcorrente eine wichtige Rolle bei den Protesten gegen die Privatisierung der Fincantiere gespielt. Unser Protest richtet sich dabei auch gegen die Gewerkschaftsführung der CGIL und gegen ihre bremsende Rolle. Wir kämpfen für die Verteidigung der Renten und des öffentlichen Gesundheitssystems, das nach und nach ausgehöhlt wird. Durch unsere laufende Arbeit lernen wir neue Leute kennen, die wir in unsere Arbeit einbinden.

Was sind eure nächsten Ziele?

Unser nächstes Ziel ist es, im Hinblick auf die anstehende nationale Konferenz der PRC, kritischen Schichten innerhalb der PRC zu vereinen. Ebenso denken wir, dass auch über die Mitgliedschaft der PRC hinaus, die Vernetzung mit anderen linken Kräften gesucht werden muss und über den Aufbau einer klassenbewussten, antikapitalistischen Linken diskutiert werden muss. In Italien ist eine politischer Wende bitter nötig, die Linke muss sich organisieren, und in ihr eine neue Generation von antikapitalistischen Aktivisten entwickeln. Es gilt die linken Kräfte zu bündeln und zusammenzuführen. Als revolutionäre Marxisten und Kommunisten kämpfen wir dafür, innerhalb und außerhalb der PRC.

Weitere Infos unter: www.controcorrentesinistraprc.org (italienisch)

Alessandro Leni hat Politikwissenschaften studiert und ist zur Zeit arbeitssuchend.

Er war eine Legislaturperiode lang Stadtrat für die PRC in Genua.

Mara Armellin ist Soziologin und arbeitet als prekär Beschäftigte in Rahmen von sozio-kulturellen Projekten. In der PRC ist sie Mitglied des politischen Komitees der Föderation Treviso.