Einzelhandel vor Streik

Der Einzelhandel mit seinen knapp 2,5 Millionen Beschäftigten steht offenbar kurz vor einem regulären Arbeitskampf.


 

von Daniel Behruzi, zuerst veröffentlicht in der jungen Welt, 23.7.07

Am Freitag scheiterten die Verhandlungen im Bezirk Baden-Württemberg, nachdem die Unternehmer sich erneut geweigert hatten, ein Angebot vorzulegen. Auch in anderen Tarifbezirken zeigen sie keinerlei Entgegenkommen.

»Die Verhandlungen sind schon nach einem kurzen Sondierungsgespräch geplatzt, ohne das ein neuer Termin vereinbart wurde«, berichtete der für den Einzelhandel zuständige Sekretär im ver.di-Landesbezirk Baden-Württemberg, Bernhard Franke, am Freitag auf jW-Nachfrage. Begleitet wurden die Verhandlungen von Arbeitsniederlegungen in drei Stuttgarter Filialen der Textilkette H&M. »Dies war das erste Mal, daß wir die Leute aus dem laufenden Betrieb heraus zum Ausstand aufgerufen haben«, erklärte der örtliche ver.di-Geschäftsführer Bernd Riexinger im jW-Gespräch. Mehr als 90 Prozent der Beschäftigten haben sich nach Gewerkschaftsangaben an der mehrstündigen Aktion beteiligt, so daß der Verkauf nur notdürftig durch den Einsatz von leitenden Angestellten aufrechterhalten werden konnte. Ein Großteil der Kunden habe sich infolge der Aufklärungsarbeit der Streikenden vor den Eingängen ohnehin gegen einen Einkauf in den betroffenen Filialen entschieden.

»Über vier Monate lang kein Angebot vorzulegen ist eine ungeheure Provokation und führt zu Wut und Kampfbereitschaft bei den Kollegen«, sagte Riexinger. Die Unternehmer hätten tabellenwirksame, also dauerhaft geltende, Gehaltserhöhungen bislang kategorisch ausgeschlossen. Ver.di fordert Einkommenssteigerungen von 5,5 Prozent sowie einen Mindestlohn von 1500 Euro monatlich. Die Unternehmer ihrerseits haben den Manteltarifvertrag gekündigt und wollen eine Streichung der im Einzelhandel bedeutenden Zuschläge für Spät-, Nacht- und Wochenendarbeit sowie eine weitere Flexibilisierung der Arbeitszeiten durchsetzen. »Im Prinzip wollen sie Arbeit auf Abruf«, kommentierte Franke letzteres. Dritter Knackpunkt bei den Verhandlungen ist die Forderung der Unternehmerverbände, die Einführung eines neuen Vergütungssystems – über das beide Seiten im Rahmen des »Projekts innovative Tarifpolitik« seit einigen Monaten Gespräche führen – sofort umzusetzen. »Das ist völlig absurd, denn es liegen noch überhaupt keine verhandelbaren Ergebnisse vor«, erklärte Franke hierzu. Die Unternehmer riskierten mit ihrer Vorgehensweise, daß ver.di aus dem Projekt aussteige, betonte er.

Die Gewerkschaft bereitet sich auf einen harten Konflikt vor. Am 3.August soll die Tarifkommission im Südwesten über die Einleitung einer Urabstimmung zu einem Erzwingungssteik entscheiden. »Es wird wohl auf einen bundesweiten Arbeitskampf hinauslaufen«, glaubt Franke. Das sieht auch die ver.di-Verhandlungsführerin für Berlin und Brandenburg, Erika Ritter, so. In Berlin, wo die Gespräche bereits am 6.Juli ergebnislos abgebrochen wurden, habe in einigen Läden eine »Arbeitskampfabstimmung« begonnen, an der sich auch unorganisierte Angestellte beteiligen können, berichtete sie gegenüber jW. Trotz später angelaufener Tarifrunde sehe man sich in der Region als Teil der bundesweiten Auseinandersetzung, betonte sie. Riexinger hob die große Bedeutung des Konflikts hervor: »Wenn die Arbeitgeber in dieser wichtigen Branche einen derartigen Generalangriff starten, dann muß das auf entschiedenen Widerstand der gesamten Gewerkschaft stoßen.«