Tückischer Tarifvertrag

Kommunale Arbeitgeberverbände fordern Ausweitung der Wochenarbeitszeit auf über 40 Stunden. Gewerkschaft in der Defensive


 

von Daniel Behruzi, zuerst erschienen in der jungen Welt vom 23. November 06

Der Druck auf die Einkommen und Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst läßt nicht nach. Erst am 1. November trat das nach monatelangen Arbeitskämpfen ausgehandelte neue Tarifrecht für die Beschäftigten der Bundesländer in Kraft. In diesem akzeptierte ver.di eine Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeiten, die je nach Bundesland unterschiedlich ausfällt. Die kommunalen Arbeitgeber wollen nun nachziehen.

Die zwischen Gewerkschaft und Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) getroffene Vereinbarung nimmt die im Februar 2006 jeweils tatsächlich bestehenden durchschnittlichen Arbeitszeiten – die für Neueingestellte in den meisten Bundesländern zuvor ausgeweitet worden waren – zur Grundlage, um die Arbeitszeit in jedem Bundesland separat zu berechnen. Das Ergebnis: Während in Schleswig-Holstein 38 Stunden und 43 Minuten gearbeitet wird, sind es in Baden-Württemberg 39,5 und in Bayern gar 40 Stunden und sechs Minuten. Letzteres will nun auch die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) in allen Städten und Gemeinden Westdeutschlands durchsetzen. Die VKA beruft sich dabei auf die von ver.di mit dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVÖD) akzeptierte »Meistbegünstigungsklausel«. Diese besagt, daß die Gewerkschaft in den Ländern getroffene Regelungen, die »für die Arbeitgeber günstiger« sind, auch in Bund und Kommunen übernehmen muß. Konkret heißt es an dieser Stelle des Vertrags: »Sofern (…) ver.di für ein oder mehrere Bundesländer einen Tarifvertrag abschließt, der von den Regelungen des TVÖD (…) in den Bereichen Arbeitszeit und Sonderzahlung (…) abweichende Inhalte hat oder beim Entgelt (…) für die Arbeitgeber günstigere Regelungen hat, vereinbaren die Tarifvertragsparteien ohne weitere Verhandlungen folgendes: Die rechtsverbindliche Unterschrift der Gewerkschaft ver.di gilt zugleich als unwiderrufliches Angebot an den Bund und die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände, die Regelungen des Tarifvertrags insgesamt oder in einzelnen Bestandteilen (…) zu übernehmen.« Unter Verweis auf diese Formulierung beschloß die Mitgliederversammlung die VKA am 10. November, die Ausdehnung der für die bayerischen Landesbediensteten geltenden Arbeitszeit von 40 Stunden und sechs Minuten auf alle westdeutschen Kommunen zu fordern. Als Druckmittel will die VKA mit ver.di Ende Oktober ausgehandelte Nachbesserungen am TVÖD vorerst nicht in Kraft treten lassen.

Bei ver.di gibt man sich empört über das »Nachkarten« der VKA und bestreitet die tarifrechtliche Grundlage zur Anwendung der »Meistbegünstigungsklausel«. »Bei einer wortgleichen Übertragung« der mit der TdL ausgehandelten Formulierung würde die Arbeitszeit in den westdeutschen Kommunen ohnehin bei 38,5 Wochenstunden verbleiben, so das Tarifsekretariat der Gewerkschaft in einer Stellungnahme. »Tarifexperte« Kurt Martin und seine Gefolgsleute scheinen allerdings an ihre eigene Argumentation nicht so recht zu glauben. Heißt es doch in einem jW vorliegenden Papier mit dem Titel »Arbeitszeit kommunaler Bereich – mögliches weiteres Vorgehen«, man wolle auf Bundesebene mit der VKA Verhandlungen zum Thema aufnehmen. Daß an deren Ende erneut Arbeitszeitverlängerung stehen könnte, wird in dem Papier durch die Formulierung angedeutet, »Beschäftigte mit belastenden Tätigkeiten« müßten von einer eventuellen Verlängerung ausgenommen bleiben. Zudem erregt ein weiterer Punkt den Unmut linker Aktivisten: »Die Erhebung einer arbeitskampffähigen Forderung wird unter Durchsetzungs- und Vermittlungsgesichtspunkten in der Mitgliedschaft für nicht sinnvoll erachtet«, heißt es in der Vorlage. Statt sich allein auf die Defensive zu beschränken müsse »eine bundesweit einheitliche Strategie Richtung Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich« angestrebt werden, so die ver.di-Vertrauensleute des Stuttgarter Klinikums in einem Beschluß.

Auch Bernd Riexinger, Geschäftsführer des linken Stuttgarter ver.di-Bezirks, plädiert für einen »offensiven Umgang« mit der neuerlichen »Provokation« der Gegenseite. Die Gewerkschaft müsse sich dem Konflikt stellen und die Beschäftigten auf eine Auseinandersetzung vorbereiten, meinte er am Dienstag im jW-Gespräch. »Auf keinen Fall darf das, was in den Kommunen einzelner Bundesländer erstreikt wurde zur Disposition gestellt werden – das würde den wochenlangen Streik im Nachhinein entwerten«, betonte Riexinger. Jetzt müsse eine breit angelegte Debatte über die tarifpolitische Strategie seiner Gewerkschaft stattfinden, forderte er. Gelegenheit, die notwendige Kehrtwende einzuleiten, ist der 7. Dezember. An diesem Tag soll die Bundestarifkommission der Dienstleistungsgewerkschaft über das weitere Vorgehen beraten.

Infos:

www.tvoed-office.de

www.vka.de

www.netzwerk-verdi.de