Internationalismus auf der Bühne

Ein Gespräch mit Konstantin Wecker
 

Wir haben hier heute – wie Du sagtest – eine „Welturaufführung“ erlebt: Konstantin Wecker und Avitall gemeinsam auf der Bühne. Was verbindet einen linken, sozialkritischen oder auch sozialistischen Künstler und Sänger mit einer jüdischen Kantorin?

Konstantin Wecker: Zunächst gibt es einen künstlerischen Grund für das gemeinsame Auftreten. Ich wurde von Avitall gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, gemeinsam mit einer jüdischen Kantorin zu singen. Ich hatte keine Ahnung, dass es auch jüdische Kantorinnen gibt. Ich ging davon aus, dass hierfür nur Männer in Frage kommen. Dann erhielt ich eine CD von Avitall: Ihre Lieder und ihre Stimme haben mich sehr beeindruckt. Und so entschieden wir uns zur Zusammenarbeit und für das Lied „Sag Nein!“. Dieses Lied hatte ich bereits 1985 geschrieben. Bei der Demonstration im Vorfeld des Irak-Kriegs 2003 hatte ich für dieses Lied einen zweiten Text, eine neue Version, in der es um friedenspolitische Anliegen geht, geschrieben. Wir entschieden uns dafür, dieses Lied neu gemeinsam aufzunehmen und damit unsere gemeinsame Arbeit zu starten. Dies natürlich als ein deutliches Bekenntnis gegen Antisemitismus.

In der Linken werden in der Regel die Themen „soziale Frage“ und „Antikriegs-Position“ nicht in Verbindung gebracht mit einem Kampf gegen Antisemitismus.

K.W.: Für mich gab es diesen Zusammenhang immer. In unserem Land ist Antisemitismus wohl der Ursprung von jedem Rassismus. Ich wehrte mich bereits in den siebziger Jahren dagegen, dass es in linken Debatten öfter mal antisemitische Tendenzen gab. Die Frage ist eine andere. Wie kann man die Positionen verbinden: Bekennender Pazifist zu sein und gleichzeitig für das Existenzrecht des Staates Israel einzutreten.

Die heutige Veranstaltung war auch eine Veranstaltung zur Unterstützung von Hagalil, der Internet-Plattform im Kampf gegen Antisemitismus.

K.W.: Ich kenne Hagalil erst seit eineinhalb Jahren. Es ist interessant zu wissen, dass Hagalil mehr über die Arbeit von antisemitischen und rechtsextremen websites aufgedeckt und dazu beigetragen hat, dass diese geschlossen werden mussten, als der Verfassungsschutz.

Es gibt auf der Linken oft die Meinung, dass diejenigen, die für das Existenzrecht Israels eintreten, auch die Regierung Scharon – oder die Aktivitäten der israelischen Armee in den palästinensischen Gebieten – unterstützen müssten. Und umgekehrt heißt es oft, dass diejenigen, die die palästinensische Bevölkerung gegenüber den Angriffen der israelischen Armee verteidigen, zugleich den Staat Israel in Frage stellen müssten.

K.W.: Man kann umgekehrt beides verbinden: Da Ja zum Existenzrecht Israels und das Nein zu den Aktionen der israelischen Armee in den Gebieten der Autonomie-Behörde. Ich fühle mich zum Beispiel den Positionen der israelischen Friedensbewegung sehr verbunden. Dazu muss man einfach die Texte des sehr kompetenten und überzeugenden Uri Avneri lesen. Er beeindruckt mich immer wieder, wie er mit seinen Analysen in der Lage ist, beides zu verbinden. Darüber hinaus gibt es für mich im künstlerischen Bereich ein großes Vorbild, und das ist Daniel Barenboim. Barenboim tritt bewusst zusammen mit palästinensischen und israelischen Künstlern auf und vermittelt damit diese elementare Botschaft des gemeinsamen Engagements für Frieden und Menschenrechte.

Du warst kurz vor Beginn des Irak-Kriegs 2003 in Bagdad. Unsere Zeitung berichtete damals darüber. Die Medien machten damals aus Dir einen Saddam Hussein-Freund.

K.W.: Das war von Anfang an eine infame Unterstellung. Wer mein Schaffen seit dreißig Jahren kennt, der weiß, dass ich mit Diktatoren nie etwas am Hut hatte, also auch nicht mit Hussein. Unser Engagement damals galt allein der irakischen Bevölkerung.

Gab es einen Handschlag von Dir mit Saddam Hussein?

K.W.: Das habe ich erfolgreich zu vermeiden versucht. Es gab auch keinen Handschlag von uns mit irgendwelchen prominenten Offiziellen des Regimes. Kurz vor der Abreise wurde mir eine Staatslimousine zur Verfügung gestellt; interessanterweise ein Mercedes-Benz. Ich habe mich geweigert, diese zu nutzen. Die wahre Infamie ist noch eine andere. Am Flughafen wurde ich, wie man so sagt, von einem Reporter „abgeschossen“ – Wecker zusammen mit einem Saddam Hussein-Bild. Dabei konnte man damals nirgendwohin gehen, ohne nicht nach drei Minuten ein Bild von Hussein zu passieren. Damals haben uns Leute vor Ort die folgende Begebenheit berichtet: Ein halbes Jahr vor unserer Delegationsreise weilte eine hochrangige Delegation der deutschen Wirtschaft in Bagdad. Da war dann gleich der gesamte Flughafen komplett gesperrt. Die deutschen Vertreter der Autokonzerne, die auch vor Ort waren, haben ihre teuren Pkw ganz sicher nicht an die Armen in der Bevölkerung verkauft, sondern vor allem an Vertreter dieses – angeblich bekämpften – Systems.

Wir sind damals als Delegation mit friedenspolitischen Zielen nach Bagdad gereist. Das war für mich ein Erlebnis, das ich nie vergessen werde. Wir haben in Bagdad gespielt – zusammen mit irakischen Künstlern. Wir – genauer war dies das Verdienst meines Toningenieurs – haben es bei diesem Auftritt geschafft, ein überlebensgroßes Bildnis von Saddam Hussein mit Maschinenpistole von der Bühne zu entfernen. Nochmals: Wir haben dort vor Ort alles versucht, um klarzustellen, dass wir nichts mit dieser Regierung am Hut haben, dass wir aber dort sind, um uns mit den Menschen gegen den drohenden Krieg zu solidarisieren.

Wenn Du heute, zweieinhalb Jahre später, auf Eure Reise und den Krieg, der kurz danach begann, zurückblickst, welche Bilanz ziehst Du?

K.W.: Man könnte fast zynisch sagen: Wir haben es Euch doch gesagt, was passieren wird. Es trat das ein, was ein Iraker in einer Teestube, in die wir eingeladen worden waren, äußeerte. Er sagte: Wenn die Amerikaner uns hier angreifen, dann wird das Tor zur Hölle aufgestoßen. Ich werde den Satz nie vergessen. Genau das ist nun passiert. Der US-Krieg erweist sich als ein Geschenk an Islamisten, an Terroristen, an Al Kaida.

Was wir heute in Kreuzberg erlebten, ist für mich ein Stück Internationalismus. Du trittst in wenigen Tagen in Frankfurt an der Oder mit einem Programm unter dem Titel „Kabul – Bagdad“ auf. Auch dort soll ein praktischen Beispiel internationaler Solidarität gegeben werden: Es werden Musiker aus Afghanistan und dem Irak zusammen mit Dir auftreten…

K.W.: Avitall wird auch dabei sein. Das haben wir soeben abgesprochen. Wir werden dann dort also einen Iraker, einen Türken, einen Afghanen und eine jüdische Kantorin auf der Bühne haben und gemeinsam ein Konzert geben.

Die neue Bundesregierung wird an der vorausgegangenen anknüpfen – erstens in Bezug auf den Tabubruch, wieder Kriege mit deutschen Soldaten zu führen, und zweitens bezüglich der Sparmaßnahmen auf Kosten der Bevölkerung und der Armen. Gibt es für Dich einen Zusammenhang zwischen neoliberaler Politik, Rüstung und Krieg?

K.W.: Wir sind der viertgrößte Waffenexporteur der Welt. Wir subventionieren die europäische Waffenindustrie. Wenn man nur 20 Prozent von diesen Ausgaben für Waffen nehmen würde und sie den Hartz-IV-Empfängern zukommen lassen würde, dann könnte man bereits den größten Teil der sogenannten Sparmaßnahmen zurücknehmen. Wir erleben eine neue, bösartige Tendenz in diesem Land. Man will uns einreden, dass es eine soziale Gerechtigkeit, bei der der Schwache vom Saat beschützt wird, kein Wert mehr ist. Nur wer etwas „leistet“, soll belohnt werden. Da gibt es eine fast calvinistische, fundamental-christliche Vorstellung, die besagt: Gott ist sowieso auf der Seite der Reichen, weil diese etwas leisten. Und die Armen sind selbst schuld an ihrer Armut, weil sie nichts leisten. Und wenn man denen noch was gibt, dann verdirbt man sie und sie sind erst recht nicht zu einer Leistung fähig. Das alles ist ein neokonservatives Konzept, das in den letzten zwanzig Jahren durch eine grandiose Gehirnwäsche auch bei uns überall Einzug hält.

Da gibt es diese Gruppe „Soziale Marktwirtschaft“, mit ihrer Kampagne „Du bist Deutschland“. Dahinter stecken Millionen Euros. Von den Plakaten springt einen die Dummheit förmlich an.

Mein Eindruck ist, dass das – wie damals die Herzog-Rede, mit dem „Ruck, der durch Deutschland gehen muss“, Tests sind, wie man eine nationalistische Stimmung entfachen kann. Es gab vor zwei Jahren diesen „Aufstand der Anständigen“. Da haben auch der Kanzler, der Bundestagspräsident und der Bundespräsident gegen Rassismus und Antisemitismus aufgerufen. Was ist davon geblieben?

K.W.: Ich weiß, dass bei vielen antirassistischen Projekten die Mittel gekürzt wurden. Ernsthaft ist damals von den offiziellen Stellen nichts wirklich in die Wege geleitet worden. Ich weiß, dass vor Ort die Jugendlichen in Clubs und auf den Straßen den Kopf hinhalten müssen gegen die Rechtsextremen und die Nazis. Ich finde diese Leute so mutig. Da gibt es Jugendliche, die in Nestern leben oder dorthin gehen, die von Neonazis als „ausländerfreie Zonen“ deklariert wurden. Und die setzen sich da hin und protestieren. Diese Leute müssen Angst um ihr Leben haben. Die Medien berichten darüber kaum mehr. Die Nazi-Gewalttaten sind heute Teil der Tagesordnung. Ich will weiter versuchen, dafür Unterstützung zu organisieren. Die Regierung tut dies nicht. Auf die große Koalition kann man sich hier auch verlassen: Sie wird nichts Wirksames gegen Rassismus und Antisemitismus unternehmen.

Das Gespräch wurde am 23. November von Winfried Wolf in Berlin geführt.