Tsunamis und Warnsysteme

Trotz des biblischen Ausmaßes der Fluten und Zerstörung war der Tod entlang der Küste des Indischen Ozeans keine „Tat Gottes“.
 
Es war nicht unvermeidlich, dass ein Erdbeben unter dem Meer, 600 Meilen vor der indonesischen Insel Sumatra, zum Verlust von mehr als 100.000 Leben in den folgenden Stunden führen würde. Wäre ein Warnsystem geschaffen worden, hätten die meisten gerettet werden können. Selbst ohne ein am Indischen Ozean errichtetes Warnsystem wäre die Katastrophe viel weniger tödlich geworden, wenn das am Pazifik errichtete System mit wirksamen landesweiten und regionalen Notfallreaktionsteams kommuniziert hätten. Erdbeben sind unvorhersagbare Ereignisse, die durch die Bewegung tektonischer Platten der Erdkruste gegeneinander erzeugt werden und Schockwellen aussenden. Auch wenn der genaue Zeitpunkt nicht vorhergesehen werden kann, kann die Wahrscheinlichkeit geschätzt werden, dass Erdbeben in manchen Teilen der Welt stattfinden. Größere Erdbeben fanden schon vorher unter dem Indischen Ozean statt. Ein Wissenschaftler hat die Häufigkeit großer Erdbeben auf alle 230 Jahre geschätzt, wobei das letzte 1833 war. Seitdem gab es kleinere Erdbeben, auch wenn manche recht zerstörerisch waren.
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Ein Tsunami ist vorhersagbar

Auch wenn kein Frühwarnsystem den Zeitpunkt eines Erdbebens vorhersagen kann, ein Tsunami ist vorhersagbar. Ein Erdbeben unter dem Ozeanboden erzeugt Wasserwellen, die sich mit Geschwindigkeiten von 500 bis 700 Stundenkilometern bewegen. Ihre Höhe kann nur einen Zentimeter betragen, aber wenn diese Wellen flaches Wasser erreichen, verlangsamen sie sich und wachsen an Höhe und Zerstörungskraft.
Wenn ein Erdbeben stattfindet, ist es selbst Tausende Meilen entfernt mit Seismographen messbar. Das Epizentrum kann schnell festgestellt und die Wahrscheinlichkeit von Tsunamiwellen geschätzt werden. Mit anderen Instrumenten kann man das Vorhandensein solcher Wellen messen, wenn sie noch niedrig und weit draußen im Meer sind.
Das Pazifische Tsunami-Warnzentrum (Pacific Tsunami Warning Center, PTWC) mit Sitz in Hawaii wurde 1949 eingerichtet. Trotz seinem Bestehen hat es weiterhin zerstörerische Tsunamis gegeben. Aber technologische Verbesserungen in den letzten Jahre haben die Fähigkeit von WissenschaftlerInnen enorm erhöht, sie zu entdecken und Warnungen vor ihrem Herannahen an Küstenregionen auszugeben.
Seit 1995 wurde das Tiefsee-Tsunami-Einschätzungs-und-Berichts-(Deep-ocean Assessment and Reporting of Tsunamis, DART)-System im Pazifik entwickelt. Sechs Kommunikationsbojen sind mit verankerten Bodendruckmessern verbunden, die mittels Satellit Veränderungen sofort berichten. 2001 gab es ein Erdbeben der Stärke 6,9 auf der Richterskala südwestlich von Kodiak City in Alaska. Die Daten wurden binnen vier Minuten an die DART-Website berichtet.
WissenschaftlerInnen am Indischen Ozean drängten Länder in der Region des Indischen Ozeans, ihre dichtbevölkerten Gebiete durch Vorbereitungen zu schützen. Auf einem Treffen der Zwischenstaatlichen Ozeanographischen Kommission der UNO im Juni folgerten SpezialistInnen, dass der „Indische Ozean durch örtliche und entfernte Tsunamis beträchtlich bedroht ist“ und ein Warnnetzwerk haben sollte — aber keine Maßnahmen wurden beschlossen.
Am 24. Dezember 2004 wurde nach dem größten Erdbeben des Jahres (8,1 auf der Richterskala), 1000 Meilen südwestlich von Neuseeland, eine Warnung ausgegeben. Die PTWC-Website warnte, dass „sehr zerstörerische” Tsunamis möglich sind. Aber es zeigte sich, dass das Erdbeben durch eine Seitwärtsbewegung tektonischer Platten erzeugt wurde und nicht durch eine Auf-Ab-Bewegung, was die Wirkung auf den Ozean über ihnen verringerte.
Zwei Tage später spielte sich die schreckliche Tragödie des Tsunami im Indischen Ozean ab. Zehntausende Menschen, die in armen Fischer- und Bauerngemeinden lebten, Beschäftigte der Tourismusbranche und TouristInnen wurden weggespült. Sie fuhren mit ihren normalen Tätigkeiten fort und wussten selbst Minuten vorher nicht von den herannahenden Wellen. Australiens Agentur für geologische Forschung, Geoscience Australia, teilte mit, dass wirksame Kommunikationssysteme in Südasien für Teile der thailändischen Küste vielleicht 15 Minuten rausgeholt hätten und länger für Sri Lanka, das zweieinhalb Stunden nach dem Erdbeben getroffen wurde.
„Es gibt keinen Grund dafür, dass ein einziger Mensch in einem Tsunami getötet wird,“ sagte Tad Murty, ein kanadischer Tsunami-Spezialist. „Die Wellen sind völlig vorhersagbar. Wir haben Ausbreitungszeitkarten für den ganzen Indischen Ozean. Von dem Ort, wo das Erdbeben war, war die Ausbreitungszeit für Wellen, bis sie die Spitze Indiens erreichten, vier Stunden. Dass ist genug Zeit für eine Warnung.“ (Independent, 28.12. 04)

„Kein Grund dafür, dass ein einziger Mensch getötet wird ”

Das hawaiianische PTWC hatte das Erdbeben von 9,0 auf der Richterskala und die Wahrscheinlichkeit eines Tsunamis entdeckt. Es ist unglaublich, sie gaben Warnungen an Pazifikländer, aber nicht an die Länder rund um den Indischen Ozean. „Wir haben versucht, was wir konnten. Wir haben keine Kontakte für jemand aus dieser bestimmten Weltregion in unserem Adressbuch,“ sagte Charles McCreery, Direktor des Zentrums. (Independent, 28.12.04)
Das ganze japanische öffentliche Transportsystem kann angehalten werden, sobald ein Erdbeben stattfindet. In Sri Lanka begann der Zug „Königin des Meeres“ mit 1.700 Fahrgästen seine Reise von Colombo nach Galle, nachdem der Tsunami schon die indonesischen Gewässer verlassen hatte. Zwei Stunden später fuhr der Zug in eine sechs Meter hohe Wasserwand, die über ihn hinwegbrauste. Es heißt, dass nur ein paar Dutzend überlebt haben und es die größte Eisenbahnkatastrophe jemals auf der Erde war.
Thammasarote Smith, ein früherer hochrangiger Experte von Thailands Meteorologischer Abteilung, sagte, Regierungen hätten viel mehr tun können, um Menschen vor der Gefahr zu warnen. „Die Abteilung hatte bis zu einer Stunde, um Notmaßnahmen zu verkünden und Menschen zu evakuieren, aber sie schafften es nicht,“ sagte er der Bangkok Post. „Es ist wahr, dass ein Erdbeben nicht vorhersagbar ist, aber ein Tsunami — der nach einem Erdbeben stattfindet – ist es.“
Chcheep Mahachan von Thailands Seismologischem Büro sagte „Eine angemessene Warnung wurde nicht gegeben. Wenn wir eine Warnung gegeben hätte und es dann nicht passiert wäre, wäre es der Tod des Tourismus in jenen Gebieten gewesen.” Der Chef des Büro, Sulamee Prachuab, sagte, „Vor fünf Jahren gab die Meteorologische Abteilung eine Warnung vor einer möglichen Welle nach einem Erdbeben in Papua New Guinea aus, aber die Tourismusbehörde beschwerte sich, dass so eine Warnung den Tourismus treffen würde.” (Guardian, 29.12.04) Der Zwang des Kapitalismus zu Profiten hat Vorrang vor Sicherheit für Menschen.

Falsche Prioritäten

Warum wurde eine Version des DART-System für den Indischen Ozean nicht errichtet? „Die Instrumente sind sehr teuer und wir haben nicht das Geld, sie zu kaufen,” sagte Budi Waluyo von der indonesischen Agentur für Meteorologie und Geophysik (Houston Chronicle, 28.12.04). Aber die jährlichen Betriebskosten für DART lagen 2002 unter 2 Millionen Dollar. Solche Summen werden in ein paar Minuten High-Tech-Krieg ausgegeben. Wie viel hat die indonesische Regierung für den Kampf in Ost-Timor und Aceh, Regierung von Sri Lanka gegen die Tamil Tigers, die indische Regierung in Kaschmir oder die somalische Regierung für den Kampf gegen Eritrea ausgegeben?
Wie viele Schuldzinsen werden jedes Jahr von den führenden kapitalistischen Nationen aus der Region gesaugt? Die selben Regierungen, die jetzt Tage brauchen, um Hilfsmissionen von ein paar Million Dollar auf die Beine zu stellen, saugen Jahr für Jahr viel mehr heraus. Wie viel werden sie zurückgeben für die Wiederherstellung von Wohnungen, Booten, Brücken und Straßen, die zerstört wurden? Nach dem Bam-Erdbeben im Iran vor genau einem Jahr, wurde eine Milliarde Dollar Hilfe versprochen. Bisher wurden erst 17 Millionen Dollar gezahlt.
Ohne eine sofortige massive Mobilisierung von Ressourcen werden noch viel mehr an Krankheiten und Hunger sterben als von den Wellen weggespült wurden. Der Kapitalismus war nicht in der Lage, die Menschen der Küstengebiete des Indischen Ozean vor einem vermeidbaren Tod zu schützen. Er ist unfähig, mit der notwendigen Dringlichkeit und Planung den Überlebenden zu helfen und ihnen beim Wiederaufbau zu helfen. Die Ressourcen der Welt müssen Eigentum der Arbeiterklasse und armen BäuerInnen sein, die mit ihnen demokratisch planen, um dafür zu sorgen, dass die Folgen von Naturereignissen wie Erdbeben und Tsunamis minimiert werden und den von ihnen Betroffenen geholfen wird, mit ihnen fertig zu werden.
Diese schrecklichen Ereignisse beinhalten auch noch eine andere Warnung. Wenn die Erderwärmung weitergeht und die Meeresspiegel weiter ansteigen, werden niedrig gelegene Gebiete wie die Malediven- und Andamanen-Inseln weiteren Fluten und Zerstörungen ausgesetzt sein, nicht durch seltene Ereignisse wie Tsunamis, sondern durch häufig auftretende Stürme. Die wirksamsten natürlichen Schutzmechanismen wie Mangrovensümpfe und Korallenriffe sind für die zerstörerischen Entwicklungen des Kapitalismus besonders anfällig.

Von Jon Dale — Socialist Party (England und Wales)