Arme immer ärmer

Bericht der Bundesregierung: Soziale Unterschiede in den letzten sechs Jahren gewachsen. Kinder von Armut besonders betroffen. Geringere Bildungschancen.
 
Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer. Diese vernichtende Bilanz der sechsjährigen SPD-Grünen-Regentschaft zieht der am Wochenende bekannt gewordene Armutsbericht der Bundesregierung. Ursprünglich sollte der Report zu den »Lebenslagen in Deutschland« erst nach der nordrhein-westfälischen Landtagswahl Mitte nächsten Jahres vorgelegt werden. Nun berichtete der Spiegel jedoch am Sonntag bereits über die wichtigsten Ergebnisse. Und diese sind, wie von Anti-Hartz-Demonstranten und sozialen Initiativen erwartet, verheerend. Der Anteil der von Armut betroffenen Haushalte stieg seit Regierungsantritt 1998 von 12,1 auf 13,5 Prozent. Der EU zufolge gilt als arm, wem bis zu 60 Prozent des mittleren Einkommens aller vergleichbaren Haushalte zur Verfügung steht. Laut Spiegel summiert sich das bei einer vierköpfigen Familie einschließlich aller staatlichen Zuschüsse auf lediglich rund 1550 Euro im Monat. Jede siebte Familie muß mit dieser Summe oder noch weniger auskommen.
Die gegenteilige Entwicklung ist bei den Reichen dieses Landes auszumachen. Die oberen zehn Prozent aller Haushalte besitzen 47 Prozent des Nettovermögens – das sind zwei Prozent mehr als vor sechs Jahren. Zum Vergleich: die untere Hälfte besitzt lediglich vier Prozent (1998: 4,4 Prozent). Bei insgesamt fünf Billionen Euro Nettovermögen – fast 20-mal soviel wie das Volumen des Bundesetats – verfügt jeder Haushalt statistisch gesehen über 133 000 Euro. Nur werden viele dieses Geld bei sich vergeblich suchen. Stattdessen wächst die Verschuldung dramatisch zu: Mit 3,13 Millionen ist die Zahl der überschuldeten Privathaushalte gegenüber 1999 um 13 Prozent gewachsen.
Und es sind die Jüngsten, die am meisten unter dieser Entwicklung zu leiden haben. Während sich der Anteil der Armen unter den über 65jährigen in den vergangenen sechs Jahren von 13,3 auf 11,4 Prozent verringerte, stellen Minderjährige laut Bericht mit 1,1 Millionen die »mit Abstand größte Gruppe« unter den Sozialhilfeempfängern. Zudem sind die Bildungschancen von Kindern reicher Eltern deutlich höher. Diese haben dem Regierungsreport zufolge 7,4 mal größere Möglichkeiten, ein Studium aufzunehmen, als Kinder aus einem Elternhaus mit niedrigem sozialen Status.
Der Armutsbericht, erst der zweite seiner Art, weist noch auf eine andere Tatsache hin, die u.a. mit dem unterschiedlichen Zugang zu Bildung in Zusammenhang stehen dürfte: Die Grenzen zwischen den Klassen und Schichten sind, zumindest von unten nach oben, äußerst undurchlässig. So schafft es ein Drittel der armen Haushalte auch nach Jahren nicht, ihre Lage zu verbessern. Aus der Mittelklasse steigen ebenfalls nur ganz wenige in die Oberschicht auf.
Die ersten Reaktionen der Bundesregierung lassen indes nicht auf einen durch den Bericht hervorgerufenen Sinneswandel schließen. Die Bundesrepublik sei »besser durch die Krise gefahren, als andere Länder«, behauptete ein Sprecher des Sozialministeriums am Samstag, um dann die üblichen neoliberalen Konzepte anzupreisen. Für eine durchgreifende Veränderung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse sei ein größeres Wachstum der Wirtschaft vonnöten. Mit der »Agenda 2010« habe die Regierung »die Herausforderung durch den demographischen Wandel und die Globalisierung angenommen«, fabulierte der Sprecher. Zum Bericht selbst wollte er nicht Stellung beziehen, da dieser im Kabinett noch nicht behandelt worden sei. Die Folgen dieser Politik werden indes deutlich, wenn man den aktuellen Spiegel nur ein paar Seiten weiter blättert. »Die Angst vor gewaltsamen Ausschreitungen gegen Arbeitsagenturen wächst«, heißt es dort.

von Daniel Behruzi