Historischer Streik im britischen Staatsdienst

Am 5. November streikten über 200.000 Beschäftigte im britischen Staatsdienst (Civil Service). Es war der erste Vollstreik in diesem Bereich seit 1993.
 
In den 1980er Jahren war Thatcher in Britannien neben Reagan in den USA international Vorreiterin beim Angriff auf Sozialstaat, Beschäftigte und Gewerkschaftsrechte. Schröder in Deutschland ist mit der Agenda 2010 eifrig dabei, das nachzuholen, aber in Britannien selbst geht die Blair-Regierung gerade in eine neue Runde von Privatisierung und Arbeitsplatzvernichtung. Allein im Staatsdienst sollen 104.000 Arbeitsplätze vernichtet werden.

Die Gewerkschaft PCS mit über 300.000 Mitgliedern hat den Kampf unter den schweren Bedingungen der britischen Anti-Gewerkschafts-Gesetze aufgenommen. Aus diesem Grund durften sie auch zunächst nur einen eintägigen Streik machen. Aber unter britischen Verhältnissen, wo fast überall die Flächentarifverträge zerschlagen wurden und die meisten Streiks nur kleine Beschäftigtengruppen umfassen, war dieser erste Streiktag schon ein historisches Ereignis. Im ganzen Land fanden über 50 Streikkundgebungen statt, die größten in London mit 1.200 und in Glasgow mit 800 KollegInnen. Beschäftigte von Arbeits- und Sozialämtern, von Museen und Bibliotheken und vielen anderen staatlichen Einrichtungen streikten. Wenn der angedrohte Personalabbau durchkommt, würde er nicht nur mehr Streß für die Beschäftigten, sondern auch schlechteren Service für die NutzerInnen dieser Einrichtungen bedeuten. KollegInnen anderer Gewerkschaften weigerten sich, Streikpostenketten zu durchqueren und arbeiteten deshalb ebenfalls nicht — so dass z.B. die Dienstwagen von Ministern an diesem Tag nicht gewachen, gewartet und gefahren wurden.

In vielen Bereichen war die Beteiligung sehr gut, in anderen weniger — was oft auch mit dem Charakter der jeweiligen Gewerkschaftsführung zusammenhing. Die PCS hat eine linke Führung. Ihre Vorsitzende Janice Godrich ist Mitglied der International Socialists, der Schwesterorganisation der deutschen Sozialistischen Alternative (SAV) in Schottland, der Stellvertretende Generalsekretär und mehrere Vorstandsmitglieder sind aktiv in der Socialist Party, der Schwesterpartei der SAV in England und Wales, Generalsekretär Mark Serwotka ist ebenfalls überzeugter Sozialist. Diese linke Gewerkschaftsführung ist der Grund, dass dieser Kampf zustande kam, denn kampfbereit sind Beschäftigte auch in anderen Branchen und Grund zur Gegenwehr gibt es anderswo auch. Aber meist wird die Kampfkraft nicht genutzt oder es gibt einen faulen Kompromiss, wie nach dem großartigen Kampf der Feuerwehrleute vor 2 Jahren. Auch bei der PCS wäre die Beteiligung noch besser gewesen, wenn nicht vielen rechte örtliche und betriebliche Gewerkschaftsverteter die Hände in den Schoß gelegt hätten, statt für den Streik zu mobilisieren (manche beteiligten sich nicht einmal selbst).

Mit ihrer Arbeitsplatzvernichtung will die britische Regierung 1 Milliarde £ einsparen. Zugleich gibt sie, wie Serwotka anprangerte, allein 3,5 Milliarden £ im Jahr für Beraterverträge an Firmen aus. Es geht ihr weniger ums Geld als ums Prinzip: um eine neue Runde im Generalangriff auf die arbeitenden Menschen in ganz Britannien. Das wird nur durch eine massiv gesteigerte Gegenwehr verhindert werden können. Die PCS-Führung will die nächsten Wochen nutzen, um den gewerkschaftlichen Organisationsgrad zu steigern und durch Flugblattverteilungen die Unterstützung in der Bevölkerung (die jetzt schon, ähnlich wie bei den Feuerwehrleuten vor 2 Jahren, sehr groß ist) weiter erhöhen. Außerdem ist eine Demo im Wahlkreis von Schatzkanzler (Finanzminister) Brown geplant. Bei den Staatsbeschäftigten können weitere, längere und schließlich unbefristere Streiks folgen. Eine Schlüsselfrage wird aber die Haltung der anderen Gewerkschaften sein. Bei den Kundgebungen am 5. 11. sprachen 15 Gewerkschaftsvorsitzende und versicherten ihre Solidarität, ohne aber konkret zu werden. Die PCS fordert eine Konferenz der Gewerkschaftsvorstände zur Abstimmung des weiteren Vorgehens. Was das wünschenswerte Resultat einer solchen Konferenz wäre, wurde aber von Serwotka und einer Reihe weiterer RednerInnen schon am 5. November erklärt: ein gemeinsamer Streiktag von Millionen Beschäftigten des gesamten öffentlichen Dienstes (einschließlich kommunalen Beschäftigten, LehrerInnen etc.) Anfang nächsten Jahres. Ob er zustande kommt, wird vor allem von der Höhe des Druck auf die Führungen der anderen Gewerkschaften abhängen. Wenn er zustande käme, würde er ein neues Kapitel in der Geschichte der britischen Gewerkschaftsbewegung eröffnen.