Zurück ins 19. Jahrhundert?!

40 + x Stunden-Woche, Lohnraub, Hartz IV, …
– Für kämpferische Gewerkschaften – Bruch mit der SPD
– Neue Partei der ArbeitnehmerInnen aufbauen

Was macht ein Konzern, der nach eigenen Angaben seinen Gewinn vom Geschäftsjahr 2002 auf 2003 von 1,661 Milliarden Euro auf 2,445 Millarden Euro steigern konnte und dessen Haupteigentümer, die gleichnamige Familie, geschätzte 13 Milliarden Euro besitzt? Er greift die Beschäftigten an: Der Konzern vernichtet im gleichen Zeitraum 9.000 Jobs. Dann sollen die ArbeitnehmerInnen in einzelnen Werken – bedroht von Verlagerungen – auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld verzichten und 40 Stunden arbeiten. Das ist Siemens, live.
von Stephan Kimmerle, Berlin
 
Und dieser Konzern steht nicht allein da. Der neoliberale Horror wird zur Zeit lautstark formuliert: „Für jeden zumutbar“ hält es der Continental-Chef, Manfred Wennemer, „40 oder 42 Stunden pro Woche“ zu arbeiten. „Um Jobs zu sichern, müssen auch mal 50 Stunden pro Woche gearbeitet werden“, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus Zimmermann. Und Gerhard Handke vom Bundesverband Deutscher Groß- und Außenhandel packte gleich noch die Forderung nach einem Verzicht auf eine Woche Urlaub im Jahr oben drauf.
Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel hält den Siemens-Abschluss für „das richtige Signal“ und die SPD-Grüne-Bundesregierung langt selber zu: Nach den BeamtInnen in den Ländern sollen die BeamtInnen nun auch im Bund 40 Stunden arbeiten.
Mit Siemens als Vorreiter wird der Flächentarifvertrag geknackt. Siemens, einer der „Global Player“ und keineswegs in Existenznöten, behauptet, die Handy-Sparte sei zu teuer. Die Werke Bocholt und Kamp-Lintford in Nordrhein-Westfalen würden nach Ungarn verlagert. Und schon wurden aus den 4.000 Beschäftigten 4.000 Geiseln, um den Ausstieg aus dem Flächentarifvertrag zu bewerkstelligen.
Mit der IG Metall wurde vereinbart, in diesen Werken wieder 40 Stunden in der Woche zu arbeiten – ohne jeden Lohnausgleich! Außerdem werden Urlaubs- und Weihnachtsgeld in eine „erfolgsabhängige Jahreszahlung“ umgewandelt.

Die Wut steigt!
Arbeitgeber und Regierungen nutzen die „Gunst der Stunde“. Dass nach der Demonstration von mehr als einer halben Million Menschen am 3. April gegen Sozialkahlschlag keine größeren Proteste mehr folgten, sehen sie als Aufforderung, richtig zuzulangen: Jede Andeutung von Verzögerung der Angriffe, ob bei Ausbildungsabgabe, Hartz IV oder sonstwo, wurde beiseite gewischt.
Der gemeinsame Kampf der MetallerInnen im Februar – 500.000 nahmen an Warnstreiks teil, die Stimmung war explosiv – brachte die Arbeitgeber zum Einknicken. Alleine auf sich gestellt werden die KollegInnen – wie in Bocholt oder Kamp-Lintfort – erpressbar.
Die Folge sind Lohnraub, steigende Arbeitshetze und die weitere Vernichtung von Arbeitsplätzen. Allein die Erhöhung der Arbeitszeit für die BundesbeamtInnen von 38,5 auf 40 Stunden stellt 13.000 Jobs in Frage – von den gleichen Politikern, die von Senkung der Arbeitslosigkeit faseln.
Eine Verlängerung der Arbeitszeit von 35 auf 40 Stunden in der Woche bedeutet, dass die gleiche Arbeitszeit, die vorher von acht Leuten erbracht wurde, nun von sieben Leuten geschafft werden soll. Einer von acht kann nach Hause gehen und sich den Erwerbslosen anschließen – denen ja gleich mit Hartz IV & Co die Bezüge gekürzt werden.
Doch die Wut darüber steigt.
Die Gewerkschaften haben jetzt zwei Möglichkeiten. Die erste Möglichkeit nutzen die Spitzenfunktionäre: Sie können sich weiter in die Tasche lügen oder die Seiten wechseln. IG-Metall-Vize Berthold Huber über den Siemens-Abschluss: „Ein großer Erfolg der Beschäftigten“.
Für ArbeitnehmerInnen generell dürfte diese Methode schwierig werden: In den Taschen klafft schon lange ein Loch durch Reallohnverluste und Angriffe der Regierung wie der„Gesundheitsreform“.
Nötig ist es – und das ist die zweite Möglichkeit – endlich die Kraft aller von Angriffen der Arbeitgeber und der Regierung Betroffenen zusammen zu fassen: Dann stehen die Beschäftigten von Kamp-Lintfort oder Bocholt nicht allein. Dann können die sieben Millionen Mitglieder des DGB und seiner Einzelgewerkschaften zusammen mit den Millionen, die für einen gemeinsamen Kampf gegen Schröder und Konzerne zu begeistern sind, mit Protesten und Streiks ihre Kraft ins Spiel bringen.
Ein eintägiger Generalstreik in Deutschland, der die ganze Wut zusammen fasst, gegen die Dreistigkeiten der Regierung und die Angriffe auf Löhne und Arbeitszeiten – das würde die Ausgangslage grundlegend verändern.
Um dazu zu kommen, muss die Blockade der Gewerkschaftsspitzen durchbrochen werden.

Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit

Die Spitzenfunktionäre der Gewerkschaften kuschen, denn sie können sich das mit ihren Gehältern leisten. Sie kuschen aber auch, um ihren SPD-Freunden in der Regierung den Rücken frei zu halten. „Wir wollen mit dieser Regierung die Politik ändern“, so Jürgen Peters, der IG-Metall-Chef – über eine Regierung, die die Politik in Deutschland nachhaltig verändert hat: Schröders Agenda 2010 war und ist das größte Verarmungsprogramm für die Masse der Bevölkerung zur Sanierung der Profite der Banken und Konzerne seit dem 2. Weltkrieg.
Mit diesem Kurs, mit der Unterordnung der Gewerkschaften unter die SPD, muss Schluss sein. Die finanzielle, personelle und inhaltliche Unterstützung, die die Gewerkschaften der SPD mehr als ein Jahrhundert zukommen ließen, muss jetzt in den Aufbau einer neuen Kraft gesteckt werden.
Die Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit bietet – auch aus den Gewerkschaften heraus – einen Bezugspunkt für den Aufbau einer neuen Interessensvertretung für Beschäftigte, Erwerbslose, Jugendliche und RentnerInnen – einer neuen Arbeiterpartei. Ihre Entwicklung ist offen (siehe Seite 2). Wir fordern aber alle AktivistInnen aus Betrieben, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen auf, den Widerstand in Betrieben, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen zu organisieren und mit uns für eine neue Arbeitnehmerpartei aktiv zu werden, die die Regierenden und die Arbeitgeber auf allen Ebenen herausfordert.