Exportschlager Rot-Rot?

DieLinke_RGBDIE LINKE vor den Landtagswahlen in Brandenburg und Thüringen

Am 14.09. wird in Thüringen und Brandenburg (und am 31.08. in Sachsen) ein neuer Landtag gewählt. Nach derzeitigen Umfragen sind rot-rote Koalitionen in Brandenburg und Thüringen möglich. DIE LINKE will Rot-Rot in Brandenburg fortsetzen und in Thüringen Bodo Ramelow zum ersten Ministerpräsidenten der LINKEN einer rot-roten Koalition küren.

von Lucy Redler

Rückenwind für den Kurs gibt es von den Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger. Kipping erklärte die rot-rote Koalition in Brandenburg auf dem letzten Bundesparteitag gar zum Exportschlager: „Rot-Rot ist ein tolles Produkt aus Brandenburg, das das Zeug zum Exportschlager hat. Lasst uns gemeinsam dafür kämpfen, dass die Thüringer und die Sachsen dieses Produkt im Sommer importieren können!“ Als DIE LINKE im Brandenburger Landtag ein paar Wochen später dem Ausbau des Braunkohletagebaus in Welzow-Süd II zustimmte – auch um die Koalition mit der SPD fortsetzen zu können – ging eine Welle der Empörung durch die Partei. Viele Mitglieder und auch die vier stellvertretenden Parteivorsitzenden meldeten sich mit Kritik zu Wort.

Sind Regierungsbeteiligungen mit SPD und Grünen Exportschlager oder Negativbeispiele? Was heißt das für die Strategie der Partei in anderen Bundesländern und im Bund? Und stellt sich die Frage anders, wenn DIE LINKE die SPD in die Rolle des Juniorpartners drücken kann?

Ein Exportschlager ist etwas, das im eigenen Land so großartig funktioniert, dass man es anderen Ländern zur Nachahmung empfiehlt. Sollte man meinen. Ein Blick auf die größten Exportschlager der deutschen Wirtschaft zeigt jedoch, dass diese mitnichten im Interesse der Bevölkerung stehen. So sind beliebte Exportprodukte beispielsweise der deutsche LKW, Panzer und jede Menge Plastik. Mit Rot-Rot in Brandenburg verhält es sich in gewisser Weise ähnlich.

Bilanz von 5 Jahren Rot-Rot in Brandenburg

DIE LINKE bildet seit 2009 eine Koalition mit der SPD und stellt vier MinisterInnen. Die Bilanz ist negativ und umfasst unter anderem:

– Zustimmung zum Braunkohleausbau trotz gegenteiliger Positionierung im Wahlkampf („Keine neuen Tagebaue“)

– Bekenntnis zu CCS (Kohlendioxid-Speicherung in unterirdische Lagerstätten) als „wichtige Option“ (im Wahlkampf noch als „Risikotechnologie „abgelehnt)

– Bekenntnis zum Lissabon-Vertrag der EU (steht sogar im Koalitionsvertrag)

– Stellenabbau im Öffentlichen Dienst von Tausenden Stellen (ausgenommen LehrerInnen und Polizisten); das versprochene (und ohnehin kritikwürdige) Programm eines groß angelegten Öffentlichen Beschäftigungssektors konnte im Gegenzug nur minimal umgesetzt werden

– Ausweitung polizeilicher Befugnisse (u.a. Einsatz sogenannter Imsi-Catcher bei der Telekommunikationsüberwachung)

– Sparkurs an den Unis inklusive Zustimmung zur Zusammenlegung der Technischen Universität in Cottbus und der FH Senftenberg gegen den Widerstand von Studierenden und einer Volksinitiative mit 42.000 Unterschriften

– Mitverantwortung für geschlossene Kinder- und Jugendheime (bis zum Skandal der Haasenburg GmbH)

– trotz Kritik das Einhalten der Schuldenbremse mit dem Ziel, das Konsolidierungsziel fünf Jahre früher zu erreichen

– Mitverantwortung für das BER-Desaster durch zwei Aufsichtsratsmitglieder der LINKEN

Dazu kommt, dass bei zahlreichen Forderungen der LINKEN im Bund, wie beispielsweise der Gemeinschaftsschule, in Brandenburg in der ersten Legislaturperiode rein gar nichts passiert ist.

Diesen im Gegensatz zum Bundesprogramm der LINKEN getroffenen negativen Entscheidungen stehen einzelne Reformen gegenüber, auf die VertreterInnen der Linksfraktion in Brandenburg stolz verweisen. Genannt werden:

– Verbesserung des Personalschlüssels in Kitas, Einstellung von 2.000 neuen LehrerInnen bis 2014 und eine verbesserte Finanzausstattung der Kommunen (wohlgemerkt neben dem Abbau von Tausenden Stellen in anderen Bereichen des Öffentlichen Dienstes)

– die Einführung des Wahlalters 16 bei Kommunal- und Landtagswahlen

– den Mindestlohn von acht Euro bei öffentlichen Aufträgen (im Bund werden gerade 8,50 Euro mit Ausnahmen beschlossen)

– die Lockerung der Residenzpflicht (wurde auch in anderen Ländern gelockert, auch aufgrund der Flüchtlingsbewegung)

Niemand kann bestreiten, dass einzelne positive Reförmchen umgesetzt wurden, aber: Die Gesamtbilanz ist negativ! Und es spricht viel dafür, dass alle niedrigschwelligen Verbesserungen mit einer starken LINKEN in der Opposition und an der Seite von Bewegungen der Studierenden, Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes, UmweltaktivistInnen hätten ebenfalls durchgesetzt und zudem Verschlechterungen hätten verhindert werden könnten. DIE LINKE hat als Teil der Koalition Gesamtverantwortung für alle Entscheidungen der Regierung übernommen und sich zur Verwalterin kapitalistischer Zustände gemacht, statt diese zu bekämpfen.

Braunkohleabbau in Brandenburg

Eine Gelegenheit zur Korrektur dieser falschen Politik wäre die Entscheidung zum Braunkohletagebau gewesen. Hier hätte DIE LINKE in Brandenburg ein Zeichen setzen können, dass sie nicht um des Regierens willen an den Ministerposten festhält. Sie hätte den massiven Protest von Greenpeace und anderen Initiativen zum Anlass nehmen müssen, um zu erklären: „Wir können diese Regierungspolitik nicht mehr vertreten. Die SPD trägt ab sofort die alleinige Verantwortung dafür, wenn eine klimafeindliche Energiepolitik weiter fortgesetzt wird und Menschen ihre Häuser dafür verlieren. Wir treten für ökologisch und sozial sinnvolle Ersatzarbeitsplätze für die Beschäftigten im Braunkohletagebau ein. Wir beenden diese Koalition und treten im September als starke Oppositionskraft zu den Wahlen an.“ Jeder hätte dann verstanden, wofür DIE LINKE inhaltlich steht. Trotz starken Drucks aus der Partei im Bund und auch aus Brandenburg stimmten die LINKE-SenatorInnen aber dem Ausbau zu.

Kein Einzelfall

Die Erfahrungen der LINKEN in der brandenburgischen Regierung sind jedoch kein Einzelfall. Das Gegenteil ist der Fall: Es gibt kein positives Beispiel einer Beteiligung der LINKEN an einer Koalition mit der prokapitalistischen SPD: Weder in Mecklenburg-Vorpommern, noch in Berlin, noch bei der Tolerierung in Sachsen-Anhalt. Und auch international gibt es diese Beispiele nicht. In Italien hat die Regierungsbeteiligung die Partido Rifondazione Comunista komplett zerstört. In Berlin hat DIE LINKE aufgrund des massiven Sozialabbaus und der Privatisierung von über 100.000 Wohnungen bei den Wahlen 20006 die Hälfte der absoluten Stimmen verloren. Es stimmt, dass die Regierungsbeteiligung in Brandenburg bisher weniger Schaden angerichtet hat als in Berlin. Das macht sie aber noch lange nicht zum positiven Bezugspunkt oder gar zum Exportschlager. Gegenüber UmweltaktivistInnen hat die Partei komplett ihr Gesicht verloren. Und auch in Brandenburg verzeichnet sie Verluste. Holte sie zur Landtagswahl 2009 noch 27 Prozent, liegt sie in Umfragen im Juni 2014 bei 23 Prozent. Bei den Bundestagswahlen 2013 büßte sie sechs Prozentpunkte ein.

Gerechtigkeitswende mit der SPD?

Was folgt daraus nun für die Diskussion um Regierungsbeteiligungen mit bürgerlichen Parteien?

Laut Katja Kipping ist dies das erklärte Ziel der LINKEN auch auf Bundesebene. So bot sie der SPD am 22. Juni an, über eine „Gerechtigkeitswende für Deutschland“ zu sprechen. Das ist ungefähr so, als würde man Horst Seehofer eine gemeinsame Demo für LGBT-Rechte vorschlagen.

Katja Kippings Strategie, das Ziel einer rot-rot-grünen Bundesregierung zu erreichen sieht so aus: „Der Weg führt zwingend über die Länder“. Der wichtigste Prüfstein in diesem Jahr werde im September die Landtagswahl in Thüringen sein. „Da muss die SPD springen und Bodo Ramelow zum ersten linken Ministerpräsidenten wählen.“

Im Zusammenhang mit dieser Strategie ist dann auch zu „verstehen“, warum sich Katja Kipping, Bernd Riexinger und Gregor Gysi von einer scharfen Äußerung der LINKEN-Abgeordneten Sevim Dagdelen gegenüber den Grünen im Bundestag distanzierten. Es geht schlicht und einfach darum gegenüber den Grünen und der SPD Seriosität zu signalisieren, um eine mögliche Regierungsbildung 2017 nicht zu belasten. Unterschiede gibt es in der Frage, zu welchen Bedingungen das geschehen solle. Am weitesten geht Dietmar Bartsch, der am 22. Juni in einem Interview mit der WAZ verlautbarte: „Sollte es zu einer Mitte-Links-Regierung kommen, werden die entsprechenden Fragen geklärt werden. Auch die Linke würde Verträge einhalten.“ Auf die Nachfrage, ob damit auch UN-mandatierte Militäreinsätze für die Linke vorstellbar wären, antwortete Bartsch: „Ich habe gesagt, dass wir Verträge achten. UN-Mandate, die beschlossen sind, sind selbstverständlich zu respektieren. Über die Frage, ob sie verlängert werden, ist neu zu entscheiden. Man muss sich jeden Einsatz einzeln anschauen.“

Was folgt daraus?

Die Mehrheit der Parteibasis will keine Auslandseinsätze der Bundeswehr, keine neuen Braunkohletagebaue, keinen Stellenabbau im Öffentlichen Dienst und auch sonst keine Maßnahmen, die gegen die Interessen der lohnabhängigen Bevölkerungsmehrheit gerichtet sind.

Trotzdem gibt es die Illusion, man könne Regierungskoalitionen mit SPD und Grünen bilden, ohne dass es früher oder später zu solchen Verschlechterungen kommt. Das ist der Versuch zu schwimmen, ohne nass zu werden. Verantwortlich für solche Illusionen sind auch diejenigen prominenten VertreterInnen der Parteilinken, die sich nicht grundsätzlich gegen Rot-Rot-Grün aussprechen sondern den Eindruck erwecken, es habe in der Vergangenheit bloß Fehler in der Umsetzung gegeben, aber rot-rot-grüne Koalitionen zu Bedingungen im Interesse der Arbeiterklasse seien möglich. Sie formulieren dann so genannte „Rote Haltelinien“, die verhindern sollen, dass die Partei in Regierungen eintritt und ihre Prinzipien verrät.

Dabei gibt es aber zwei große Probleme. Zum einen werden die „Bedingungen“ bzw. die geplanten Verschlechterungen selten im Vorhinein bereits im Koalitionsvertrag formuliert. Zum anderen gibt es auf Landesebene bisher kaum von Parteitagen beschlossene Rote Haltelinien.

Aus den negativen praktischen Erfahrungen und der gefährlichen Strategie, die Dietmar Bartsch und andere mit dem Projekt Rot-Rot-Grün verfolgen, kann für die Parteilinke nur eines folgen: Sie muss Regierungsbeteiligungen mit SPD und Grünen klar ablehnen. Alle Erfahrungen sind kein Zufall, sondern Ergebnis des Versuches, den Kapitalismus mitverwalten zu wollen. Solange linke Parteien keine Mehrheit mit anderen linken Parteien inne haben (wie es in Griechenland möglich ist), besteht die Aufgabe darin, eine kraftvolle Opposition – parlamentarisch, aber vor allem außerparlamentarisch – aufzubauen. DIE LINKE in Niedersachsen hatte vor den letzten Landtagswahlen gezeigt, wie eine solche Politik formuliert werden kann: „Wir sind für die Ablösung der schwarz-gelben Regierung in Niedersachsen und im Bund. Wenn die Alternative dazu nur in einer Regierung von SPD und Grünen besteht, muss ihre Bildung ebenso wie in Nordrhein-Westfalen nicht an unseren Abgeordneten scheitern. Aber wir werden sie nicht pauschal unterstützen oder tolerieren, sondern nur dort, wo ihre Maßnahmen tatsächlich den Interessen der lohnabhängigen und erwerbslosen Mehrheit der Bevölkerung entsprechen.“

Und in Thüringen?

Das gilt auch für Thüringen. In aktuellen Umfragen kommt die Linke hier auf 28 Prozent der Stimmen und wäre zusammen mit der SPD, die bei 19 Prozent liegt, stärker als die CDU, der 36 Prozent vorhergesagt werden. Doch was ist der Unterschied, wenn DIE LINKE die Mehrheit der MinisterInnen stellt? Ziemlich einfach: Sie hat die Mehrheit der MinisterInnen. Eine grundlegend andere Durchsetzungsfähigkeit in einer Koalition erwächst daraus nicht. Sie wird sich mit der SPD einigen müssen, einer bürgerlichen Partei, die im Bund für Auslandseinsätze, Sozialabbau und die Troikapolitik steht und in den Ländern die Schuldenbremse durchsetzt. Selbst wenn es ihr gelingen sollte, die eine oder andere sinnvolle Maßnahme durchzusetzen, wird sie sich auf kurz oder lang den kapitalistischen „Sachzwängen“ und dem pro-kapitalistischen Koalitionspartner unterordnen müssen. Gerade weil sie die Mehrheit stellt, wird sie für jede Verschlechterung, die sie beschließt, hauptverantwortlich gemacht werden.

Heißt dass nun, dass linke Parteien nie auf eine Regierungsübernahme hinarbeiten sollten? Mitnichten! Sollten in Zukunft linke Parteien in Griechenland die Mehrheit erringen und eine Regierung stellen können, müssen sie diese Chance ergreifen. Ihre Aufgabe wäre jedoch nicht das Aushandeln eines Deals mit der Troika, sondern ein Bruch mit den Prinzipien der kapitalistischen Marktlogik. Erste Maßnahmen müssten die Einstellung des Schuldendienstes und die Verstaatlichung der Banken sein. Solche Maßnahmen sind nur auf der Basis von Massenmobilisierungen gegen die Interessen des Kapitals und ihrer Parteien – in Griechenland PASOK, ND und Goldene Morgenröte – möglich. Und sie können dauerhaft nur durchgesetzt werden, wenn der Kapitalismus durch eine sozialistische Gesellschaft ersetzt wird.

Die Aufgabe in Deutschland ist der Aufbau von Widerstand und Gegenmacht aus der Opposition heraus. Die Beteiligungen an Landesregierungen wie in Brandenburg waren und sind kontraproduktiv für dieses Ziel. Und sie werden es auch in Thüringen sein.

Argumentation

Das einzige, was in Thüringen komplizierter ist, ist die Tatsache, dass viele Menschen davon ausgehen, dass eine Partei, die bei 28 Prozent in den Umfragen liegt, auch die Regierung übernehmen müsse. Wie kann die Partei damit umgehen? In Griechenland erzielte SYRIZA bei den letzten Wahlen im Juni 2012 bei 26,9 Prozent. Ein Grund für den Wahlerfolg war, dass SYRIZA selbstbewusst für die Bildung einer linken Regierung argumentierte und eben keine Koalition mit der sozialdemokratischen PASOK vorgeschlagen hatte (seitdem hat die SYRIZA-Führung leider eine gewisse politische Anpassung vorgenommen und tritt nicht mehr für eine explizit linke Regierung ein). Sicherlich gibt es Unterschiede im Bewusstsein der Menschen in Athen und Thüringen. PASOK ist in Griechenland in den Augen vieler Menschen diskreditiert und verhasst. In Deutschland gelingt es der SPD ab und zu manche Menschen vergessen zu machen, welche Sozialmassaker sie mit Hartz IV und der Agenda 2010 durchgesetzt hat. Die Aufgabe der LINKEN ist es jedoch, die Erinnerung wach zu halten und zu betonen, dass eine grundlegend andere Politik nötig ist.

DIE LINKE könnte offensiv sagen: „Im Gegensatz zu SPD, Grüne, CDU, AfD und FDP machen wir keine Politik für die oberen Zehntausend. Wir wollen bezahlbare Wohnungen, gemeinschaftliches Lernen und eine Abschaffung des Niedriglohnsektors durchsetzen. Wir sind gegen jeden Auslandseinsatz und Rüstungsexporte. Angesichts des NSU-Skandals fordern wir die Auflösung der Geheimdienste. Leider ist es nur DIE LINKE, die für diese Positionen steht. Kurz vor den Wahlen versuchen sich SPD und Grüne ein soziales Mäntelchen umzuhängen und tun so, als würden sie die Interessen der einfachen Menschen vertreten. Wir glauben ihnen nicht. Wir sind aber bereit, jedem fortschrittlichen Antrag von ihnen im Landtag zuzustimmen. Wir werden uns in den nächsten fünf Jahren vor allem darauf konzentrieren, den außerparlamentarischen Widerstand gegen die Zustände in diesem Land weiter aufzubauen und werden unsere parlamentarischen Positionen nutzen, um dies zu befördern.“

Lucy Redler ist Mitglied des BundessprecherInnenrats der Antikapitalistischen Linken (AKL) und der SAV-Bundesleitung. Sie ist aktiv in der LINKEN Berlin-Neukölln und im Bündnis „Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus“.